Endlich Essen

Hungrig, ausgelaugt und zutiefst paranoid schleppt sich der Introvertierte zum nächsten Imbisstand. Vor ihm sind drei Leute an der Reihe. Zum Glück. So kann er sich in Ruhe überlegen, was er essen möchte und vor allem: wie er es bestellen wird. Der Typ ganz vorn bestellt einen doppelten Cheeseburger mit extra Käse, ohne Gurken und dazu eine Cola mit extra viel Eis und einem Schuss Cola light. Dazu will er noch Pommes mit zwei Drittel Majonäse und einem Drittel Ketchup auf keinen Fall darf sich beides berühren. Die arme Kassiererin. Aber sie tippt das alles fleißig mit und berechnet die ein oder andere Aufwandsentschädigung. Der Introvertierte ist sich sicher, so extravagant darf er auf keinen Fall bestellen, sonst fällt er auf. Dabei wäre extra viel Käse durchaus einmal angebracht. Aber er bestellt immer alles so, wie es auf der Karte steht. Das erspart ihm unnötige Fragen und merkwürdige Gesichter.

Er hat sich entschieden. Der Introvertierte möchte einen Cheeseburger, einen Kaffee und eine Pommes mit Majonäse. Das sagt er sich jetzt immer und immer wieder vor. Der nächste an der Kasse bestellt. Immer, wenn er etwas gesagt hat, schweigt er kurz und sagt dann: "Oder nein. Warten sie. Ich nehme doch..". Nach ewigem Hin und Her nimmt er dann doch das, was er ganz am Anfang bestellt hat. 'Ich hätte gern einen Cheeseburger, einen Kaffee und eine Pommes mit Majonäse', sagt der Introvertierte immer wieder vor sich hin wie ein Mantra. Die Kasse ist kaputt und es dauert länger. 'Ich hätte gern einen Cheeseburger, einen Kaffee und eine Pommes mit Majonäse', rattert es immer wieder durch seinen Kopf. Der kleine Junge vor ihm möchte nur ein Eis. Ein ganz großes Eis. Das geht schnell. Jetzt ist der hungrige Introvertierte endlich dran: "Ich hätte gerne einen Cheeseburger, einen Kaffee.." "Groß, mittel oder klein?", wird er von der Kassiererin unterbrochen. 'System Error', schreit sein Gehirn. Darauf war der Arme doch gar nicht vorbereitet. Alles rattert, Schweiß tritt auf seine Stirn und er weiß nicht mehr, was er sagen soll, weil er nicht mehr weiß, wie man überhaupt spricht. Hinter ihm werden die Leute unruhig. Sie grummeln und meckern und maulen. Die Kassiererin wir irgendwann zur Retterin in der Not: "Klein?" Jetzt kann ein Introvertierter zum Glück einfach nur nicken. "Sonst noch was?", fragt sie. "Eine Pommes mit Majo-..." "Groß oder klein?" Mit völligem System Schaden schlägt der Introvertierte seinen Kopf auf die Theke.

***

Ein anderes Szenario könnte wie folgt aussehen: Der Introvertierte sitzt zuhause auf seiner Sicherheitscouch und inhaliert eine Serie. Plötzlich grummelt sein Magen, wie es Mägen nun einmal tun. Um menschlichen Kontakt zu vermeiden [und natürlich auch übermäßig viel Bewegung] bestellt eine introvertierte Person jetzt über eine App eine Pizza und freut sich anschließend, dass jetzt Essen kommt, ohne dass man mit Menschen interagieren musste. Das ungestörte Schauen der Serie kann weitergehen und man freut sich auf die herbeieilende warme Mahlzeit. Etwa dreißig Minuten später klingelt es plötzlich an der Tür. 'Ich gehe einfach nicht hin. Es wird schon jemand anderes aufmachen', spricht die Hoffnung aus dem Introvertierten heraus. Als es noch einmal klingelt, wird ihm jedoch schmerzlich bewusst, dass es sich hier um einen Singelhaushalt handelt und vor der Tür sein Essen steht. Er schleicht also zur Tür und lugt durch den Spion, den er nicht hat, weil er denkt, dass andere dann davor stehen und ihn von draußen beobachten. Der Introvertierte erinnert sich an einen Film, der nach Hühnchen in Rotweinsoße benannt war: "Ich schiebe das Geld unter der Tür durch, okay? Und du lässt die Pizza einfach draußen liegen." Er kann das Gesicht des Pizzaboten nicht sehen, aber er wird äußerst verwirrt gucken. Dennoch bejahrt er die Aussage. Der Introvertierte steckt das Geld durch den Postschlitz und lauscht, ob er Schritte hört. Um sicher zu gehen, zitiert er diesen Film erneut: "Und jetzt verpiss dich!" Er lauscht, hört nichts, macht die Tür auf und muss seine Pizza später mit angeschwollener Lippe essen. Aber immerhin: Er musste nicht viel reden.

Wenn sich jetzt jemand fragt, warum der Introvertierte nicht einfach in seine Küche gegangen ist und sich etwas zu essen geholt hat, könnte das folgenden Grund gehabt haben: Er hat es versucht, aber in seiner Küche stand plötzlich ein Fremder. Oder es ist gar nicht seine Küche. Das kommt in etwa auf das gleiche Ergebnis hinaus. Auf jeden Fall verschreckt ihn der Fremde so sehr, da der ja sehen könnte, was der Introvertierte essen möchte, dass er nicht in die Küche geht [wer einen Introvertierten umbringen möchte: Das wäre dann die beste Idee, er verhungert bei vollem Kühlschrank]. Außerdem hätte das ja Interaktion bedeutet. So kam es, wie es kommen musste: Pizza ja, schmerzfrei nein. Und das nur, weil es an der Tür geklingelt hat.

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