Elftes Kapitel

Vor dem Sonnenaufgang wachte ich wieder auf und befreite mich aus Legolas' Armen. Überraschenderweise wachte er dabei nicht einmal auf. Er drehte sich bloß kurz auf die andere Seite und schlief dort selig weiter. Ich musste lächeln und nahm wieder meinen Umhang. Kurz musste ich ihn einfach beim Schlafen beobachten, bevor ich ihn anzog. Ich wollte ihm den Schlaf gönnen und wusste wie anstrengend sein Alltag war. Außerdem musste er nun dem König Bericht erstatten. Ich hoffte, dass er sich inzwischen eine gute Geschichte hatte einfallen lassen, denn die echte konnte er schlecht erzählen.

Ich trat leise auf die Tür zu und öffnete sie. Mein Lächeln erstarb sofort, als ein Elb davorstand, welcher gerade die Hand zum Klopfen gehoben hatte. Er sah mir mindestens genauso überrascht entgegen. Ich schluckte schwer. Wie sollte ich das denn nun wieder geradebiegen? Was, wenn Legolas aufwachte, der im nächsten Raum lag? "Guten Morgen, ähm diese Sachen waren noch in den Satteltaschen des Prinzen", erklärte der Stalljunge und hielt mir die Dinge in seinen Händen hin. Ich holte tief Luft und nickte schnell. "Danke, ich werde sie ihm überreichen", antwortete ich und nahm sie entgegen. Der Elb, welcher immer noch etwas überfordert war, verbeugte sich zögernd und ging dann schnell. Ich schloss die Tür und atmete durch. Das war nicht gut. Gerade so jemand Unscheinbares konnte die hartnäckigsten Gerüchte streuen, die in diesem Fall sogar wahr waren. Schließlich sah ich interessiert auf die Objekte in meinen Händen. Es waren noch ein paar wenige Goldstücke, ein Schal, ein paar Reithandschuhe und ein Zettel, welchen ich neugierig auffaltete. Mir wurde sofort schlecht, als ich erkannte was darauf abgebildet war. Mein Herz fing an schnell zu pochen und mein Körper erstarrte. Als ich immer länger auf die wenigen Zeilen und das Bild schaute, fingen Tränen an in meine Augen zu steigen. Ich wischte sie schnell weg und versuchte mich zusammenzureißen. Wut machte sich statt der Ungläubigkeit breit und damit schlich ich noch einmal in Legolas' Schlafzimmer, legte das Blatt neben ihn auf das Bett, wo ich geschlafen hatte und die restlichen Sachen auf den Schreibtisch daneben.

Dann verließ ich endgültig das Zimmer mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze. Die wildesten Theorien wirbelten in meinem Kopf herum, doch keine erklärte, warum er es so ernst mit mir meinte. Er hätte es auch einfacher machen können und es geheim halten können? Ich würde ihn deswegen nicht weniger lieben und das wusste er auch. Hatte er so unbedingt meine Gefühle verletzen wollen? Er musste aktiv nach dem Zettel in meinem Zimmer gesucht haben. Vermutlich war es in Bruchtal passiert, doch hatte ich ihn da nicht noch gehabt? Das hieß, dass er irgendwann eingebrochen sein musste, oder jemanden beauftragt hatte. Also steckte wirklich mehr hinter der Calen-Geschichte als, dass Haldir ein Lügner gewesen war? Vielleicht hätte ich alles ein wenig mehr hinterfragen sollen? Meine Gefühle hatten mich blind gemacht. Ich hätte zu Bruchtal zurückreiten sollen und zumindest noch mal mit ihm reden, bevor er verbannt wurde.

Doch irgendwie hatte doch alles Sinn gemacht? Also warum hatte plötzlich Legolas das Bild von Calen und den Informationen über sie darunter? Sie hatte doch selbst erzählt, dass sie glücklich hier war und sie einfach nichts über ihre Herkunft wusste. Sie wurde auf keinen Fall gefangen gehalten geschweige denn gequält. Doch warum hätte Haldir das nicht überprüfen sollen? Er hatte gewusst, dass es ihr nicht gut ging und nun konnte ich nicht mehr glauben, dass das alles gelogen war. Legolas hatte den Zettel nicht aus Zufall gefunden. Und wenn doch, dann hätte er ihn nicht gestohlen. Als ich zurück in meinem Zimmer war, musste ich mich erst einmal beruhigen. Vielleicht war es doch nicht unbedingt die beste Idee gewesen ihm gleich zu zeigen, dass ich darüber bescheid wusste, doch ändern konnte ich es jetzt auch nicht mehr und ich wollte auch nicht wieder lügen. Er musste mir schließlich nicht die Wahrheit sagen und ich war mit auch nicht so sicher, ob er das tun würde. Doch konnte ich dann trotzdem noch mit ihm so umgehen wie bisher? Wohl kaum. Ich stand wieder auf und machte mich fertig. Das sollte mich trotzdem nicht davon abhalten meine Eltern zu besuchen und meine Freunde zu treffen. Außerdem würde ich auch ganz gerne mal mit Elanor reden, mit Inglor eigentlich auch, doch ich war mir nicht so sicher, ob er mich sehen wollte. Immerhin erinnerte er sich vermutlich jedes Mal, wenn er mich sah, an die Zeit in den Bergen - den Tod seines Bruders.

Es war kurz vor der Frühstückszeit, als es an meiner Tür klopfte. Ich wusste genau wer das war, angesichts der Tatsache, dass immer noch niemand wusste, dass wir hier waren. Etwas genervt ging ich zur Tür und öffnete sie. Es war tatsächlich Legolas, welcher ohne Frage einfach eintrat. Er hatte bereits wieder seine gewohnten Sachen an, um nach dem Gespräch an die Arbeit zu gehen. "Warum sollte ich dir noch irgendwas glauben?", fing ich schnell an, bevor er sich verteidigen konnte und schloss die Tür. "Das sieht wohl ziemlich schlecht aus für mich." "Das kannst du wohl sagen. Bist du hier eingebrochen oder warst du nicht einmal mutig genug das selber zu tun?", fragte ich wütend und verschränkte meine Arme. "Keins von beidem. Ich habe... es auf der Rückreise von Bruchtal gefunden." "Und warum hast du es auf dieser Reise mitgehabt?" "Weil ich mir überlegt habe mit dir darüber zu sprechen." Ich sah ihn ungläubig mit schief gelegtem Kopf an. Das sollte er noch mal versuchen. Er zögerte sichtlich. "Es ist kompliziert und ich kann dir davon nicht alles sagen." "Warum bist du dann hier?" "Weil ich nicht wollte, dass du irgendwelche Theorien aufstellst, die gar nicht stimmen." "Das wird sich nicht vermeiden lassen, wenn du mir nicht die Wahrheit sagst", erwiderte ich böse und sah ihn auffordernd an. Er seufzte und zögerte abermals. Als ob das wirklich so schwer war.

"Die Wahrheit ist, dass ich niemals wegen meinen Gefühlen gelogen habe. Reicht dir das nicht?", fragte er und trat einen Schritt näher. Ich wich sofort zurück: "Nein, das tut es nicht! Du hast mich ganz offensichtlich belogen und die einzigen, denen ich in der Sache noch vertrauen kann, sind entweder tot oder du hast sie verbannt." Natürlich hatte letztendlich Elrond Haldir verbannt, doch in gewissem Maße war das auch Legolas' Schuld gewesen. Das hatte ihn anscheinend tiefer getroffen, als ich erwartet hatte. "Es tut mir leid, aber dabei geht es nicht um dich", murmelte er und ging wieder Richtung Tür. Dafür wollte er wirklich alles wegwerfen? "Legolas", hielt ich ihn doch auf. Er blieb stehen und drehte sich mir leicht zu. "Ich bin müde der ganzen Lügen. Wenn du nicht ehrlich sein willst, dann werde ich das eben. Ohne dich will ich hier nicht mehr sein, Elben verlieben sich nur einmal und meine ist nun mal auf dich gefallen. Wenn du es mir nicht erzählst, dann werde ich gehen." "Wohin willst du gehen?", fragte er, doch seine Stimme war sanfter und ruhiger geworden, wie die meine. "Ich weiß nicht. Nach Bruchtal vielleicht", antwortete ich unschlüssig und zuckte mit den Schultern. Ich konnte mich immer noch mit Haldirs Frau anfreunden oder nach ihm Ausschau halten.

Legolas' Blick veränderte sich. "Du willst zu deinem Onkel?" "Ich will Haldir finden, wenn ich schon nicht hier bin." Seine Brauen zuckten beunruhigt. "Ich weiß, dass du wütend bist, dass ich nicht mit dir reden kann, aber bitte bleib hier. Hier ist der einzige Ort, an dem ich dich beschützen kann", fehlte er, trat schnell näher und legte eine Hand ab meine Wange. Sorge spiegelte sich in seinen Augen. "Wovor beschützen, Legolas?", fragte ich verständnislos und legte meine Hand auf die seine. Verzweifelt versuchte ich eine Antwort zu finden. Er zögerte und schluckte schwer. "Dein Onkel erpresst meinen Vater." Mein Mund öffnete sich schockiert ein Stück. Wie war es denn möglich einen Elbenkönig zu erpressen und was wollte er überhaupt von ihm, wenn er schon nicht hier lebte?

"Und was... verlangt er?", fragte ich vorsichtig. Legolas seufzte und wandte sich ab. "Verschiedenes. Nichts Großes, nichts, was das Reich betrifft, ich glaube er mag es einfach die Kontrolle zu haben." Mein Herz wurde schwer, als ich erkannte wie viel ihm das bedeutete. Doch was hatte er in der Hand Thranduil so beeinflussen zu können? "Er hat meine Mutter in der Schlacht gegen die großen Feuerschlangen des Nordens entführt. Die meiste Zeit rede ich mir einfach ein, dass sie dort gestorben ist", hauchte er leise, ohne mich anzusehen. Schmerz breitete sich auf seinem Gesicht aus. Ich legte mitfühlend eine Hand auf seine Schulter. Ich wusste nicht, dass das so tief ging. Mein Leben lang wurde mir erzählt, dass die Königin tot war und ich glaubte auch nicht, dass überhaupt sonst jemand in diesem Königreich davon wusste. Ich fühlte mich geehrt, dass er mir soweit vertraute. Nicht nur, weil das das seine tief vergrabenen Gefühle waren, sondern auch, weil das von zentraler Wichtigkeit fürs Königreich war.

"Es geht Calen gut, sie lebt nicht hier in den Hallen, doch ist glücklich verheiratet. Aber du solltest nicht nach ihr suchen", wechselte er wieder das Thema und wandte sich zurück zu mir. Ich nickte ernst. Gerade konnte ich ihm wohl nichts abschlagen. "Melian, du musst dir bewusst sein, dass auch du eines Tages da hineingezogen wirst, wenn wir das weiterführen", sagte er eindringlich und ich nickte. "Ich danke dir", flüsterte ich leise. Es bedeutete mir viel, dass er mir das offenbart hatte. "Bedank dich nicht zu früh", lächelte er bloß. "Was ist mit Haldir?" "Dein Onkel hat herausgefunden was er getan hatte. Ich habe ihn... dabei erwischt. Ich dachte mir, dir zu erzählen, dass er verbannt sei, wäre einfacher für dich. Außerdem warst du sowieso wütend auf ihn." Tränen stiegen in meine Augen. Haldir hatte sich also für Calen geopfert, der es anscheinend doch gut ging. Ich blinzelte sie schnell weg und schaute zu Boden. Legolas' Hände legten sich auf meine Arme. "Und Calen? Ich meine die Trainerin, mit der ich gesprochen habe?", wechselte ich schnell das Thema. Bei dem schien er sich auch nicht besonders wohl zu fühlen.

"Sie ist eine alte Freundin von mir, die durch einen Fehler ihren Rang verloren hat. Sie war ein wenig verwirrt, doch es hat nicht große Überredungskünste gebraucht", erklärte er etwas widerwillig. Ich nickte nur verstehend. "Es tut mir leid, dass ich dir das Ganze nicht früher erzählt habe." "Nein, ich kann das verstehen", erwiderte ich sofort und umarmte ihn. "Was wirst du Thranduil erzählen?", fragte ich, als wir uns wieder trennten, um das Thema zu wechseln. "Dass ein Rudel Warge unsere Freunde umgebracht hat." Ich nickte zustimmend und atmete durch. Er gab mir noch einen kurzen Kuss, bevor er mein Zimmer verließ. Ich lächelte glücklich und setzte mich auf mein Bett. Nach ein paar Minuten stand ich wieder auf und machte mich auf den Weg zu Dineth. Naira war immerhin längst mit Aldon bei diesem kleinen Häuschen im Norden. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass das Geheimnis mit Legolas uns nähergebracht hatte. Auf dem Weg traf ich relativ schnell auf Elanor, welche mich positiv überrascht begrüßte. "Ich habe mir schon Sorgen gemacht", lächelte sie und umarmte mich kurz. Ich war etwas überrascht, dass sie gleich so herzlich war, doch nahm es gerne an. "Wir haben das Rudel vertrieben. Wie geht es Inglor?", antwortete ich und sah sie besorgt an. Die Elbin zögerte kurz. "Besser, aber ich würde ihn die nächsten Tage noch in Ruhe lassen. Wie läuft es mir dir und Legolas?", wechselte sie schnell das Thema und wir gingen ein wenig auf die Seite, um niemanden aufzuhalten. "Sehr gut, ich denke, dass er sich endlich öffnet", antwortete ich glücklich, doch bemerkte eine kleine Regung in ihrem Gesicht, die mich verwirrte. Wusste sie davon? Das war doch gar nicht möglich? "Schön, es ist gut, dass er jemanden zum Reden hat. Komm mit, ich muss dir etwas zeigen", lächelte sie und nahm mich an der Hand. Etwas überfordert ließ ich mich mitziehen. Was wollte sie mir denn zeigen? So gut befreundet waren wir auch wieder nicht.

Sie zog mich Richtung Lager und blieb kurz davorstehen. So früh waren nur wenige Elben unterwegs. "Was gibt es?", fragte ich verwirrt und schaute mich um. "Dort", lächelte sie und zeigte hinter mich. Ich drehte mich schnell um und in der Sekunde, in der ich bemerkte, dass dort gar nichts war, hatte ich bereits einen Stofffetzen an meinem Mund und eine Hand an meinem Hals. Ich konnte nicht sagen, ob es nur die übelriechende Flüssigkeit an dem Fetzen war, oder, ob der plötzliche Druck an meinem Hals etwas damit zu tun hatte, doch schon nach wenigen Sekunden merkte ich, wie ich kraftlos in ihre Arme sank. Ich hatte nicht einmal mehr Zeit mich darüber zu wundern oder nach einer Erklärung zu suchen.

Es war nicht wie Schlafen. Gedämpft bekam ich mit, wie ich unter etwas in einem Wagen versteckt wurde und dieser nur kurz später losfuhr. Mein Körper war wie gelähmt und auch, wenn ich mich für eine Bewegung entscheiden hätte können, dann wäre ich nicht fähig gewesen sie auszuführen. In meinem Kopf befand sich ein Gewirr von Stimmen, die teilweise auch meine eigene waren, meine Gedanken, die verzweifelt versuchten herauszufinden, warum ich schon wieder von jemandem angegriffen wurde, dem ich vertraut hatte. Doch hier war es etwas Anderes. Ich würde die Ausrede mit dem Erpressen nicht mehr ziehen lassen, nicht, wenn ich hier gerade wirklich entführt wurde. Was hatte ich eigentlich gesagt, dass sie das plötzlich ausführte? Immerhin hatte sie das vermutlich vor einer halben Stunde noch nicht vorgehabt?

Ich konnte beim besten Willen nicht abschätzen wie lange die hölzerne Karre vor sich hin ratterte unter mir, doch irgendwann hielten wir endlich an. Mir war klar, dass ich keine Chance haben würde zu entkommen, wir würden schließlich nicht einfach in eine Stadt einfahren, wenn ich unter ein paar Dingen lag. Druck wurde von mir genommen und sanftes Licht beschien meine Augenlider. Ich war zu benommen, um irgendwelche kontrollierten Bewegungen auszuführen und ächzte bloß. Mein Hals tat weh und mein ganzer Körper war wie benebelt. Unterschwellig bekam ich mit, wie ich aufgehoben wurde und in ein Gebäude getragen wurde. Erst einige Zeit später rollte ich mich auf dem Steinboden herum und hustete schwer. Meine Hand legte sich auf meinen Kopf und meine Knie zogen sich zu meinem Bauch. Ich hasste diesen Zustand und konnte kaum erwarten wieder klar sehen zu können. Eine Tür öffnete sich lautstark und ließ mich zusammenzucken. "Na, sind wir auch schon wach?" Die Stimme bohrte sich wie ein Nagel in meinen Kopf. Ich hatte sie nur einmal gehört und sie nie wieder vergessen. Erschöpft riss ich meine Augen auf und versuchte mich aufzurichten. "Onkel...", stöhnte ich schmerzverzerrt und sah das verschwommene boshafte Gesicht. "Die kleine Melian. Schön, dass wir uns mal wiedersehen", lachte er und hockte sich zu mir hinunter. "Warum bin ich hier?", fragte ich abgehackt und stützte meinen Kopf in meine Hände. "Ich denke das weißt du ganz genau. Du bist ein Risiko." "Inwiefern?" Langsam begann der Nebel sich endlich aufzuklären. "Es bringt mir nichts, wenn du von der ganzen Sache weißt." Ich verwendete meine ganze Kraft darauf ihn verständnislos und gleichzeitig kraftlos anzusehen. Sein Gesicht ließ mich schon fast vor Angst und Unwohlsein zittern, doch das war jetzt wichtiger. Nicht nur für mich, sondern auch für das ganze Waldlandreich.

"Komm schon. Was weißt du von mir? Du wirst so oder so hierbleiben", lächelte er, doch es war kein nettes Lächeln. Es war eines, das mir einen Schauer über den Rücken jagte. "Nicht sehr viel Positives", hauchte ich bloß und legte meinen Kopf in den Nacken. Plötzlich veränderte sich sein Gesichtsausdruck und er stand wieder auf. "Weißt du eigentlich wie viel du mir genommen hast? Den Tod meiner beiden Söhne habe ich dir zu verdanken!", rief er wütend. Ich wusste wie verängstigt ich gerade aussah, doch ich konnte nichts daran ändern. Außerdem war das vermutlich nicht einmal so schlecht. "Gildor hat sich umgebracht und Haldir... ist verbannt worden?", antwortete ich schwerfällig. Mein Onkel zögerte kurz. "Nein. Er hat dir von Calen erzählt und darum musste er sterben." "Du hast deinen eigenen Sohn umgebracht...?", hauchte ich, doch war nicht sonderlich schockiert. "Ich hatte keine Wahl." "Man hat immer eine Wahl." Meine Augen waren halb zugefallen, als ich auf meine Antwort auch schon einen heißen Schnitt in meinem Gesicht spürte. Er war nicht sonderlich tief, doch tat weh. Darauf öffnete ich wieder meine Augen und wurde etwas wacher. "Warum darf ich mich nicht mit Calen anfreunden? Inwiefern ist das ein... eine Gefahr für dich?", fragte ich und streckte meine Beine aus. "Du hast dich mit ihr angefreundet?" "Ich habe nach ihr gefragt und hab sie ziemlich schnell gefunden." "Einfach so?" Ich kniff meine Augen zusammen und sah ihn etwas verwirrt an, doch er kaufte mir das keineswegs ab. Er setzte seine kalte Klinge an meinen Hals. "Wie hast du sie gefunden?" Ich atmete durch, doch schwieg. Nach und nach wurde der Druck stärker. "Du weißt es doch sowieso schon, sonst wäre ich nicht hier", gab ich schließlich Preis. "Legolas hat dich zu ihr geführt?" "Er hat nur gesagt, dass sie Trainerin ist", antwortete ich erlöst, als das Schwert sich senkte. "Trainerin." Ich war unfassbar stolz auf den verwirrten Blick, den ich ihm nun zuwarf. Er schien es zumindest für eine Sekunde wirklich zu glauben.

Er musterte mich und drehte sich dann einfach wortlos zum Gehen. Erleichtert ließ ich meinen Körper wieder in sich zusammensacken, als die Tür sich schloss. Immerhin diesen Teil hatte ich hinter mich gebracht. Nach einiger Zeit, in der ich mich noch mal gesammelt hatte, stand ich auf und sah mich genauer in dem Raum um. Er war leer, bis auf ein paar Schränke, die mit großen Schlössern verschlossen waren. Über mir in der Wand war noch ein kleines Fenster, das kalte Luft eindringen ließ. Ich konnte nur hoffen, dass ich hier nicht über den Winter bleiben würde. Kurz entschlossen streckte ich mich so weit, dass ich nach draußen sehen konnte. Es war ein weites Feld soweit ich sehen konnte, doch die Nacht war bereits eingebrochen und durch das kleine Licht, dass in meinem Zimmer brannte, konnte ich nicht viel erkennen. Natürlich dachte ich über Ausbrechmöglichkeiten nach, doch da waren ein paar verschlossene Türen und zweifellos Wachen dazwischen. Das Fenster hatte drei starke Metallstäbe, die ich kaum ohne Werkzeug zerstören konnte.

Als es wieder heller wurde, hörte ich die Tür aufgehen. Ich hatte mich noch einmal hingelegt, doch war nicht mehr eingeschlafen. Mein Körper hatte sich einigermaßen erholt, doch ich spürte immer noch die Auswirkungen des Mittels. Als ich zu dem Besucher sah, war ich doch ziemlich überrascht. "Elanor", stellte ich fest und setzte mich schnell auf. Sie hatte einen Teller mit Brot und ein Glas Wasser dabei. "Ich kann schlecht wieder zurück in den Düsterwald und dein Onkel hat es für am besten befunden, dass ich mich um dich kümmere. Warum auch immer", erklärte sie widerwillig und stellte die Sachen vor mir hin. "Also war alles von Anfang an gelogen?", fragte ich nach, ohne dem Essen einen Blick zuzuwerfen. "So ziemlich, aber ich habe alle belogen, nicht nur dich", antwortete sie schulterzuckend und drehte sich schon wieder um. "Warum tust du das?", fragte ich schnell, damit sie nicht schon wieder ging. "Kompliziert." "Was... kannst du mir erklären, warum ich hier bin?", fragte ich und stand auf. Sie zögerte und warf mir einen prüfenden Blick zu. "Wegen mir ganz offensichtlich", antwortete sie abwehrend. "Elanor", flehte ich und trat einen Schritt näher. "Ich... wir denken du weißt zu viel." "Calen kann doch nicht so... wichtig sein?" "Calen? Oh, die Tochter von diesem Gildor. Nein, damit hat es nichts zu tun." Ich merkte, dass sie wirklich nicht unbedingt ganz abgeneigt vom Reden war. Ich musste nur irgendwie einen Weg finden mehr aus ihr herauszuquetschen.

"Womit dann? Mein Onkel hat schon angedeutet, dass es irgendwas mit Legolas zu tun hat." "Denk nicht weiter darüber nach." "Wie könnte ich? Immerhin werde ich hier für etwas festgehalten, worüber ich nicht den leisesten Schimmer habe!" Elanor seufzte und sah an mir vorbei. "Ich denke es macht eh keinen Unterschied. Du wirst sowieso hierbleiben. Es geht um... nun ja letztendlich die Königin", fing sie an. Ich sah sie aus einer Mischung aus Verwirrung und Schock an. "Dein Onkel hat sie vor langer Zeit entführt und erpresst damit den König", erklärte sie gedämpft. Ich hätte schreien können. Endlich hatte ich sie da, wo ich sie haben wollte. "Das heißt sie ist hier?", fragte ich atemlos und sah sie aufgeregt an. "Das war sie. Bis sie bei einem Fluchtversuch ums Leben gekommen ist." Meine Kinnlade klappte ein wenig auf. Nicht nur, weil ich das nicht erwartet hatte, sondern auch, weil ich nicht ganz glauben konnte, dass sie das gerade einfach so einer Gefangenen sagte. Sie war vermutlich lange im Düsterwald gewesen und wusste vielleicht nicht mehr so wirklich wie man so etwas machte, doch mir sollte das sehr recht sein.

Ich blinzelte ein paar Mal und wusste nicht so recht was ich sagen sollte. "Ich werde bald wiederkommen", verabschiedete Elanor sich und ging. Ich fuhr mir nachdenklich durch die Haare. Wie sollte ich dem König oder Legolas diese Information zukommen lassen? Das veränderte alles. Ich setzte mich hin und begann gedankenversunken zu essen. Also hatte mein Onkel rein gar nichts in der Hand. Außer mich. Ich musste hier raus und egal wie unfähig Elanor in ihrem Job war, sie würde mir garantiert nicht bei einer Flucht helfen. Es war ein langer Tag, der sehr bewölkt war und damit nicht sonderlich spannend. Ich hatte nichts zu tun, kein Buch zu lesen, keine Rätsel zu lösen. Nur das, wie ich hier rauskommen sollte und das schien unlösbar. Man könnte meinen die Gitterstäbe an dem Fenster würden schon alleine von meinen bösen Blicken schmelzen, doch nichts veränderte sich. Erst zum Abend erwartete ich Elanor zurück. Mein Wasser war längst leer, auch, wenn eine Wache mir irgendwann mehr gebracht hatte. Immerhin konnte ich nicht von weniger als einem halben Liter am Tag leben.

Ich hätte schon fast erlöst aufgeatmet, als die Tür sich endlich wieder öffnete. Doch Elanor hatte diesmal kein Essen dabei. Anscheinend war mein Frühstück für den ganzen Tag vorgesehen. Doch ein anderes kleines Objekt lag in ihren Händen. "Wie geht es dir?", fragte sie, doch schien nicht wirklich daran interessiert zu sein. "Gelangweilt", antwortete ich bloß und stand auf. "Ich dachte in deinen Händen wäre der beste Ort dafür. Dein Onkel hat es... mir überlassen, als die Königin gestorben ist. Ich wollte es nie wirklich bei mir haben", erklärte sie leise und hielt mir ihre geöffnete Hand hin. Ein Ring lag darin. Er war wunderschön und elegant. Ein weißer Stein war eingearbeitet und mit vielen einzelnen Fäden von Silber verziert worden. Nur zögernd nahm ich ihn an. Nachdem, was sie gesagt hatte, hatte er zweifellos der Königin gehört. Ich fühlte mich auch nicht wirklich wohl dabei ihn zu haben, doch redete mir ein, dass ich ihn irgendwann weitergeben konnte.

"Mit deiner Lageweile kann ich dir leider nicht wirklich helfen", lächelte sie fahl und nahm den Teller und das Glas. Ich nickte nur kurz und sie verschwand wieder. Erst bei näherem Betrachten, fielen mir die vielen weiteren winzigen Steinchen auf, die alle unbeschädigt vor sich hin glänzten. Mein Herz wurde schwer. Ich hatte nur Bilder und Statuen der Königin gesehen, doch mit diesem Schmuckstück schien es mir plötzlich viel realer. Ich schloss meine Hand darum und fing an ein leises Gebet zu sprechen. Ich hoffte zwar nicht wirklich, dass die Valar mir helfen würden, doch meine Seele verlangte irgendwie danach. Als ich fertig war, lehnte ich mich müde gegen die Wand hinter mir. Nur langsam merkte ich, wie der Raum plötzlich um einiges wärmer wurde. Verwirrt sprang ich auf und stellte mich in die Mitte des Zimmers. Erst nach einigen Sekunden fiel mein Blick auf das Fenster, das sanft glühte. Mein Mund stand geschockt ein Stück offen, als ich dabei zusah, wie das feste Eisen vor sich hinschmolz. Ich war für einige Minuten wie erstarrt, als ich endlich meine Chance erkannte und mich näherte. Vorsichtig testete ich wann das Fenster wieder kühl genug war, um daraus zu klettern. Dann nahm ich ein wenig Anlauf und sprang nach oben. Es war ein wenig eng, doch ging sich gerade so aus, dass ich auf die nasse Wiese plumpste. Ohne weiter groß zu zögern, zog ich mir den Ring über den Finger und rannte los. Ich hatte zunächst keine Ahnung, wohin ich rannte, einfach weg. Erst nach ein paar Metern blieb ich stehen und drehte mich im Kreis, um irgendein Zeichen einer Himmelsrichtung zu erblicken. Nur leicht konnte ich den Mond durch die Wolken schimmern sehen. Durch die Jahreszeit und die ungefähre Uhrzeit konnte ich bestimmen, wo der Süden lag und rannte los. Ich hatte nicht unbedingt eine Idee, wo ich überhaupt war, weshalb das auch die komplett falsche Richtung sein konnte, doch Richtung Süden würde sich immer etwas finden. Ob es nun Lórien, Rohan oder Gondor war. Ich war froh, dass es nicht auch noch begann zu regnen, während ich in meiner nicht gerade zum Laufen geeigneter Kleidung über die Felder rannte. Meine Schuhe hatte ich zum Glück relativ angenehm gewählt. Doch trotzdem waren sie niemals passend für so etwas. Ich rannte, bis ich ein leises Plätschern vernahm, dem ich schnell folgte. Es war der Anduin, was mich schon etwas positiver stimmte. Ich wusste zwar ihn zu erkennen, doch nicht unbedingt an ihm meine genaue Position zu bestimmen, weshalb ich mich einfach Richtung Osten drehte und dorthin mich weiterbewegte. Immerhin war es egal auf welcher Höhe ich war, ich würde auf jeden Fall auf etwas Bekanntes treffen.

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