September - Neid
Es regnete. Clara saß auf dem Fensterbrett und starrte gedankenlos in die Ferne. Sie hatte schon immer dieses Grau geliebt, und wie diese prasselde Erlösung vom Himmel fiel. Sie erinnerte sich an die Zeit, als Alyssa und sie draußen im Regen gespielt hatten. Mit ihren Regenhosen und den quietschgelben Gummistiefeln. Sie hatten gefühlte Stunden gespielt und wenn es zu wild wurde von ihren Eltern Ärger bekommen. Danach wurden sie aber immer ins Bad gechickt und das war mtot ihrer Schwester immer ein lustiges Erlebnis. Manchmal sehnte sie sich zurück nach der Zeit. In der Klasse war es weder besonders laut noch leise. Es war die erste große Pause und die meisten anderen streunten irgendwo im Schulgebäude oder in der Kantine herum. Amanda, Alice und Laurin waren in der Kantine. Sophie und Mina waren in der Klasse und unterhielten sich über irgendetwas.
Clara seufzte. Sie war froh, dass Amanda gerade nicht da war. Noch immer beschäftigte sie der Vorfall auf der Party, das so weit weg in der Vergangenheit erschien. Und doch erinnerte sie sich an jedes Detail.
Sie waren gerade dabei. Hatten sich ihrer Kleidung entledigt und spürten ihre nackte Haut. Es ging weiter. Sie fühlte sich gut. Wie fast immer, wenn sie mit ihm schlief. Sie konnte abschalten. War das wegen dem Alkohol oder einfach nur so? Sie wusste es nicht. Sie begann zu stöhnen. Er stöhnte ebenfalls. Etwas leiser und etwas heiser und dennoch hörbar. Es fühlte sich gut an. Es war eine Mischung aus der Euphorie des Alkohols und des Dopamins der Berührungen. Bis zu diesem einen Zeitpunkt. Ein Zeitpunkt, der so entscheidend war. Ein Zeitpunkt, die Clara von der Wolke in den Abgrund stürzte.
"Amanda", stöhnte er gut hörbar und drang tief in sie ein...
Clara schauderte. Sie hatte sich danach so benutzt gefühlt. Sie war nicht gekommen. Sie hatte sich so leer gefühlt und ein stechender Schmerz hatte sich breit gemacht, der die ganze Zeit danach weiter blieb. Sie fühlte sich miserabel. Unbedeutend und nebensächlich.
Doch lachte sie es weg. Sie lächelte und war Clara, die Schauspielerin. In der Hoffnung, dass sie somit selber die Illusion schuf, dass es ihr gut ging.
Amanda ist meine Freundin.
Es geht mir gut.
Ich bin in Thorben verliebt.
Es geht mir gut.
Thorben steht nicht auf mich.
Es geht mir gut.
Thorben liebt Amanda.
Es geht mir gut.
Ich will sterben.
Es geht mir gut.
Clara versuchte, sich möglichst auf die penetrante, beschwichtigende Stimme in ihrem Kopf zu konzentrieren. Es ging ihr gut.
Sie ließ nicht zu, dass irgendein Junge sie zerstörte. Nichts konnte ihr ihr Leben nehmen. Sie ließ es nicht zu.
Und doch spürte sie diesen alles zerfressenden Neid. Wie viel sie doch dafür geben würde, mehr als eine Affäre zu sein.
Der Regen rann langsam die Fensterscheibe hinunter. Clara berührte die Scheibe. Es war kalt und sie bildete sich ein, eine bestimmte Feuchtigkeit unter ihren Fingern zu spüren. Sie sah auf die Uhr. Fünf Minuten nur noch. Langsam stand sie auf und setzte sich auf ihren Stuhl. Wartete nur auf den erlösenden Unterricht, der sie auf andere Gedanken brachte als ihren Liebeskummer.
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"Sie ist sowas von dumm", sagte Sophie und bürstete ihre langen Haare vor dem Spiegel im Mädchenklo. "Hast du gesehen, was sie heute an hat? Ich meine... was hat sie bitte an? Das kann man nicht als Mütze durchgehen lassen! Ugh!" Seit der Party ließ Sophie kaum ein gutes Haar an Julia. So eine Außenseiterin konnte ihr eigentlich egal sein, doch das Verhältnis der beiden war... mehr als nur schwierig. Sophie wollte nicht an die Zeit erinnert werden, als die zwei noch Freundinnen waren. Damals waren sie praktisch noch Kinder und Sophie war ein pummeliges Mädchen mit einer ziemlich hässlichen Frisur. Wie sie heute befand. Sophie starrte ihr Spiegelbild an. Sie merkte, wie hart ihre Augen werden konnten, wenn sie an Julia dachte. Sie seufzte. "Sie ist nicht mal so hübsch!" Sophie seufzte nochmals. Sie wusste, dass aus ihr der pure Neid redete. Julia war schon immer die natürlichere Schönheit gewesen. Schon immer schlank, schon immer hatte sie eine reine Haut gehabt. Was gäbe Sophie für eine natürlich makellose Haut? Doch sie war zu stolz sich das einzugestehen und außerdem... außerdem gehörte Julia nun mal nicht dazu.
Mina grinste und besah sich ihr Makeup. "Du bist so... besessen von ihr. Was ist los? Normalerweise interessiert dich Julia auch nie." Sophie seufzte. "Ich bin nicht besessen. Sie nervt mich einfach tierisch. Meint sie etwa, nur weil Amanda nett zu ihr ist gehört sie dazu?" Sophie zog sich Lipgloss nach. Mina kicherte ein wenig. "Aber mal ehrlich, du hast gar nicht mal Unrecht. Sie ist dreist. Hast du gemerkt wie oft sie heute zu uns geguckt hat? Creep." - "Ja! Nicht wahr?", rief Sophie, froh darüber, bei ihrer Freundin auf Verständnis zu stoßen. Genau deshalb hatten sie sich auf Anhieb verstanden. Mina grinste und sah sie von der Seite an. "Sag mal Sophie... denkst du nicht auch, dass alles hier viel interessanter wäre, wenn wir dieser Julia zeigen wo ihr Platz ist?" Sophie zuckte zusammen und sah Mina interessiert an. "Wie meinst du das?" Mina packte ihre Schminksachen in ihre Tasche und packte Sophies Hand. "Ich sehe es in deinen Augen. Du hättest bestimmt nichts dagegen, diese kleine Bitch heulen zu sehen oder? Wir werden nichts fieses tun. Nur ein bisschen vielleicht, damit sie weiß woran sie ist. Was meinst du? Bist du dabei? Es wird nur ein bisschen Spaß sein." Sophie sah sie zuerst verblüfft an. Dieser Vorschlag klang boshaft und gleichzeitig war er verlockend. Der Gedanke Julia am Boden zu sehen hatte was. Aber nur ein bisschen natürlich. Schließlich war Sophie doch kein Monster. Alles was sie wollte war nur, ihren Platz in der Schule gerecht zu werden. Sophie war hübsch, stylisch und beliebt. Und Julia war einfach nur ein nerviges Mädchen, das sich irgendwie an Amanda ranhing. Nun gut ranhängen war eigentlich übertrieben, aber egal. Der Gedanke gefiel Sophie. Es verlieh irgendwie Macht. Eine Macht, die sie sonst nicht kannte. Ein Lächeln schlich sich über ihre Züge. Sie lächelte Mina zu. "Vielleicht sollten wir ihr eine kleine Abreibung verpassen. Natürlich nur ein bisschen, nicht wahr?" Mina grinste siegessicher. "Ich denke es wird noch sehr interessant werden." Sie kicherten. Doch unwillkürlich kamen Sophie Erinnerungen aus einer Zeit, die sie am liebsten vergessen wollte...
Seit Sophie denken konnte bewunderte sie Julia. Julias zierliche Figur und engelsgleichen blonden Haare. Dazu noch ein Lachen, das vollkommen ansteckte. In der Grundschule gehörte Julia zu den beliebten Mädchen und trotzdem spielte sie noch mit Sophie. Denn Sophie war garantiert nicht beliebt. Sie war moppelig, größer als die anderen Mädchen und hatte von ihren den grässlichsten Topfschnitt überhaupt verpasst bekommen. Die Jungs nannten sie Schweinchen, die Mädchen ignorierten sie. Sie lasen ihre Mädhenheftchen, gingen reiten oder zum Ballett und Sophie? Sie war nur ein hässliches kleines Kind. Julia war ihre beste Freundin bis zur vierten Klasse, und auch bis Anfang der fünften Klasse. Julia war an sich zwar eher ruhig, aber immer positiv und nett. Sie waren jeden Tag zusammen. Lachten. Lasen irgendwann auch diese Mädchenhefte, machten alberne Psychotests und flochten sich die Haare. Das hieß, sie flochten Julia die Haare. Sophies Haare waren total ungeeignet zum Flechten. Es war eine schöne Zeit, die begrenzt war. Denn doch verband Sophie die Zeit mit Neid. Neid auf die perfekten Langhaarfrisuren in den Heften, auf die schönen schlanken Mädchen. Und dann waren da noch die anderen Mädchen. Amanda, Laurin, Alice und Clara. Sie waren unzertrennlich gewesen und bildeten eine feste Gruppe. Zwar waren sie nett und freundlich zu allen, aber waren sie doch meistens unter sich, ohne es wirklich zu realisieren. Sophie bewunderte sie. Sie waren hübsch und so normal. Sie waren beliebt unter den Mädchen und sogar ein wenig auch unter den Jungs. Und dann kam ein Moment, an dem sich Sophie entschied, dass sie das auch wollte. Dass sie zu den Mädchen gehören wollte. Sie begann Sport zu machen und wurde Vegetarierin. Wollte sich gesund ernähren und ihre Haare wachsen lassen. Sie fing an sich anders zu kleiden. Erwachsener. Aber auch angesagter. Trug ein ganz klein wenig Makeup auf. Und schon bald hatten alle vergessen, dass sie einmal die fette Außenseiterin war.
Schon bald fiel es Julia auf, dass sie sich verändert hatte. Dass Sophie nichts mehr mit ihr zu tun haben wollte. Eines Tages war Sophie bei Clara zu Hause und ihr Handy klingelte. Mehrmals. Irgendwann entschied sich Sophie ranzugehen. Und das war das letzte Mal, dass sie mit Julia telefonierte.
"Hallo?"
"Sophie! Du gehst endlich ran!"
"...oh...hi."
"Was ist los? Wollen wir morgen zusammen was machen? Ich sehe dich kaum noch."
"...und das sagt dir was?"
"Was?"
"Du kapierst es nicht, oder?"
"Sophie, was ist los?"
"Ich will dich nicht treffen. Ich will nicht mehr deine Freundin sein. So einfach ist das."
"...was?"
"Du hast schon richtig verstanden. Ciao."
"Wer war das?", fragte Clara. Sophie seufzte nur. "Julia", meinte sie mit einem genervten Augenrollen. "Die kapiert echt gar nix. Läuft mir ständig hinterher..." Clara kicherte. "So voll die Klette?" - "Ja, total! Die nervt mich echt nur noch!" - "Dann häng lieber mit uns ab. Die ist ja echt daneben."
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