Ende November - Mobbing

Alle Augen richteten sich auf Julia, als sie den Klassenraum betrat. Unsicher blickte sie um sich herum, bevor sie sich an ihrem Platz niederließ. Nervös biss sich Julia an ihre Unterlippe. "Was ist...?", flüsterte sie leise, dann stürmte Alex auf ihren Platz zu und baute sich vor ihr auf. "Sag mal, hast du den Brief dabei? Ich habe gehört du würdest erpresst!" "Quatsch Alex! Jonas meinte doch, es wäre ein doofer Mobbingbrief." - "Haha, ich will's auch lesen!" - "Also mein Vater hat gesagt, das soll einer von uns gewesen sein. Ich frag mich wer..." - "Als ob!"

Auf einmal waren viele Jungs an ihrem Tisch und auch einige Mädchen schienen sich zu interessieren. Julia war umringt. Ihr wurde schwindelig, je mehr Leute auf sie einredeten. Sie atmete ein. Hilfesuchend sah sie sich um. Amanda saß an ihrem Tisch mit Laurin und Clara und unterhielt sich mit ihnen, den Trubel nicht beachtend. Sophie saß mit Mina und André vorne an einem Tisch. Sie sahen zu ihr hinüber. Mina sagte etwas, was Julia nicht hören könnte, daraufhin grinste Sophie gehässig. Julia spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. Sie konnte sich nur zu gut vorstellen, wer für den Brief verantwortlich war...

"Ey, sag mal, antworte doch mal!", rief Alex und Julia zuckte zusammen. Doch noch bevor sie antworten konnte, drängte sich ein Junge an der Traube vorbei und setzte sich neben sie. Jacob seufzte erleichtert, als er sich niedersetzte und sah verwirrt auf seine Mitschüler, die den Tisch noch immer eingekreist hatten. "Was'n hier los?", fragte er skeptisch. Georg, der direkt neben ihm stand antwortete: "Naja, gestern war doch Elternabend und Julias Eltern meinten, dass sie hier gemobbt wird oder so." "Naja, es gab einen Brief", ergänzte Alex mit der Zunge schnalzend, "so ne Art Drohbrief. Und wir wollen halt wissen, ob sie ihn dabei hat." Jacob seufzte und verdrehte Achselzuckend die Augen. "Muss das jetzt sein? Ihr wisst schon, dass wir gleich nen Vokabeltest schreiben, oder?" Alex sah ihn überrascht an. "Echt Jacob? Hätt dich echt nicht für so nen Streber gehalten. Das schaffst du doch easy. Und ich war letztes Jahr ein paar Monate in UK, das krieg ich locker hin." Jacob legte seine Hand auf den Tisch und stand auf, um Alex direkt in die Augen zu schauen. "Leute, ich hab dafür echt keinen Nerv. Und wenn sie das nicht sagen will, ist es halt so. Eltern und Lehrer bauschen doch alles größer auf, als es eigentlich ist. Ich wette Herr Krohn sagt dazu heute auch noch was dazu." Alex zuckte mit den Achseln und sah zurück zu Julia rüber. "Aber jetzt mal echt, Julia. Hast du... irgendwie deiner Mam gesagt, dass du hier gemobbt wirst? Ich will's halt echt wissen, bevor ich wieder schuld bin oder so." Alex hatte im Jahr davor beinahe einen Verweis bekommen, weil er auf dem Schulgelände geraucht hatte. Mehrfach. Er wollte sich nicht auch noch des Mobbings bezichtigt werden. Julia starrte auf ihre Federtasche. "Nein, hab ich nicht. Ich will nich darüber reden, okay?", flüsterte sie. "Was hast du gesagt?", fragte Alex, näher an sie heran tretend. "Sie sagt, sie will nicht drüber reden", wiederholte Jacob und stieß einen genervten Zischlaut aus. Er wollte noch etwas sagen, doch dann klingelte es zur ersten Stunde. Die Englischlehrerin Frau Hatje betrat den Raum und unbefriedigt ließ die Traube von Julias Platz ab und sie trotteten auf ihre Plätze.

"D-danke", stotterte Julia Jacob zu. Dieser starrte jedoch stumpf nach vorne und reagierte darauf nicht. Julia sah betreten nach unten. Sie atmete aus. Sie nicht bemerkt, dass sie den Atem angehalten hatte. Sie hielt Ausschau nach Sophie, die Jacob mit ihren Blicken fast zu erstechen schien. Jacob wiederum beachtete auch sie nicht. Er schien weit weg in Gedanken zu sein. "Julia." Frau Hatje ging die Anwesenheit durch. Julia schrak zusammen und meldete sich. "Äh... hier!" Sie machte einen Haken auf die Liste, bevor sie die weiteren Schüler aufrief. Frau Hatje war eine Frau mittleren Alters mit blondgrauen Haaren, die sie immer zu einem Zopf trug. Sie war recht zierlich gebaut und etwas klein, strahlte jedoch immer eine Art Autorität aus. Julia mochte sie, fürchtete jedoch oft ihr Urteil, welches immer streng ausfiel. "As you know, we're writing a test today, so put out your pens and paper, please", sagte sie, nachdem sie sich den Letzen auf der Liste aufgeschrieben hatte. Hastig holte Julia ihren Collegeblock raus, um einen leeren Zettel davon abzutrennen und vor sich zu legen. Frau Hatje begann Vokabeln aufzusagen, doch Julia konnte sich nicht darauf konzentrieren. Noch immer fühlte sie eine gewisse Anspannung in ihren Gliedern. Sie schluckte und merkte, dass ihr Kiefer verkrampft war. Und obwohl sie gelernt hatte fielen ihr keine Worte ein.

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"Hey, geht's dir gut?" Ich hatte endlich einen Moment angepasst, in dem ich Jacob erwischte. Es war die zweite große Pause und er hatte mich in der ersten Pause ignoriert. Jacob wich meinem Blick aus und zuckte mit den Achseln. Gedankenverloren fasste er sich an die Verletzung an seiner Wange, die schon etwas besser heilte. Ich hielt innerlich die Luft an. "Deine Mutter?", fragte ich gedämpft. Er nickte. "Meine Tante ist momentan bei mir", sagte er, "und sie ist erstmal... weg." "Oh... Okay...", machte ich. Ich wusste nicht genau was ich sagen sollte. Er hatte mir erzählt, dass seine Mutter und er Probleme hatte. "Willst du darüber reden?", fragte ich dann. Er schüttelte mit dem Kopf. "Nicht jetzt. Vielleicht später." Ich wollte ihn noch etwas fragen, doch jemand rief Jacobs Namen. Er blickte hinter sich und winkte einigen Jungs zu.  "Ich... Wir sehen uns", sagte er und ließ mich stehen. Ich runzelte die Stirn. Dann spürte ich eine Hand auf meine Schulter. Ich zuckte zusammen und sah, dass es Sophie war, die hinter mir stand.

"Hast du eigentlich schon das Neuste gehört?", sagte sie fröhlich und eindringlich. Ich schüttelte mit dem Kopf. "Ehm... Nein?" "André und Mina sind jetzt offiziell zusammen!" Sie deutete auf die beiden, die gerade aus der Kantine heraus kamen. Sie liefen Hand in Hand und schienen sich gerade zu unterhalten. "Oh! Cool, wurde ja mal Zeit", meinte ich, doch wirklich freuen konnte ich mich nicht. Es war nicht so, dass ich es Mina nicht gönnte - im Gegenteil! - aber ich hatte keine wirkliche Meinung zu André. Er war... okay, er hing oft mit Alex und Thorben ab, redete nicht viel, aber war immer mittendrin wenn irgendwas passierte. Allerdings war ich mit meinen Gedanken noch woanders, um mehr darüber nachzudenken.

Schweigend lief ich mit Sophie über den Hof. Mina und André kamen uns entgegen. Mina zwinkerte mir verschwörerisch zu. Nur eine Sekunde lang war mir, als hätte sie einen gehässigen Blick in ihren Augen. Ich musste daran denken, wie sie mich nach der Schule hinter Clara her geschleift hatte. Ich schob den Gedanken beiseite. "Ey sag mal, hörst du mir eigentlich zu?", fragte Sophie mit der Zunge schmalzend. "Oh... Sorry...", murmelte ich, "was ist los?" Doch bevor Sophie mir antworten konnte standen wir schon bei den anderen, die Mal wieder auf der gewohnten Bank saßen. Laurin schrieb Claras Politik-Hausaufgaben ab und Alice starrte verträumt auf ihr Armband, mit dem sie rumspielte. Clara lehnte sich dabei an ihren Rücken. "Hey Leute!", rief Sophie vergnügt. "Sagt mal, habt ihr eigentlich was davon gehört?", fragte Laurin von ihren Hausaufgaben auf sehend.

"Was denn gehört?", fragte ich. Laurin richtete sich etwas auf. "Ich habe gehört Julia aus unserer Klasse hat jemanden übel verpetzt bei den Lehrern und jemand ist jetzt auf Rache aus!" "Was?", rief ich. "Ja!", sagte Laurin eifrig, "irgendein Schüler soll deswegen fliegen sein und schickt ihr wohl komische Drohbriefe oder so. Und die Jungs meinen, dass jetzt die Eltern und Herr Krohn jetzt deswegen alle beobachten wollen und rausfinden wollen, wer das war, weil sie das jetzt auch gepetzt hat." Ich hob die Augenbrauen hoch. "Echt jetzt?" -  "Ja! Deswegen waren die Jungs heute morgen so komisch!" "Krass", sagte ich und setzte mich zu Laurin auf die Bank. "Um welchen Schüler ging's denn? Ist es denn schon raus dass jemand echt fliegt? Normalerweise kommt doch zuerst eine Verwarnung"
Laurin zuckte die Achseln. "Keine Ahnung. Wenn kann ich mir das irgendwie nur bei Hermann vorstellen. Der ist eh ein Creep." Ich konnte dem Typen vieles zutrauen. Auch, so aufdringlich zu sein, dass sich Julia damit bei Lehrern gemeldet hatte. "Wenn der das war, dann würde ich dem aber voll gönnen", sagte Clara. Sophie schnalzte mit der Zunge. "Keine Ahnung. Also ich hab eher gehört, dass wir deswegen alle unter Verdacht stehen sie gemobbt zu haben, nur weil sie ein Außenseiter ist. Alex stresst schon voll, weil er denkt, dass er fliegt. Aber zugegeben", fügte sie hinzu, "bei Hermann wäre es nicht schade. Oh... Wenn man vom Teufel spricht!"

Hermann lief über den Schulhof, wie immer etwas gebückt und schnaufend. Sein fettiges dunkelbraunes Haar lag ihm auf dem Kopf wie eine schlechte Perücke. Alle aus unserer Klasse, selbst einige aus der Parallelklasse schienen ihn zu beobachten. Unsicher blickte er um sich, bevor er in die Kantine verschwand. Ich sah, wie er kurz davor ausgiebig in der Nase bohrte. "Eww", machte Clara angewidert. Sophie kicherte leise. "Denkt mal: was wenn das jetzt stimmt und unser Hermann ist wirklich der, der fliegt. Wäre das nicht irgendwie... Witzig?" Witzig war jetzt nicht das Wort, an das ich gedacht hatte, aber Laurin stimmte ihr sofort zu. "Jaa, total! Was für ein Loser!" "Denkt ihr, seine Mama zieht ihn jeden Tag so an?", lästerte Clara fröhlich. Alice und ich wechselten einen Blick. Sie zuckte die Achseln und blieb stumm. Ich wollte noch etwas sagen, doch wusste nicht wie.  Laurin lachte mit.

Plötzlich kam eine etwas größere, aber schlacksige Person auf uns zugestürmt. Es war Ben aus unserer Klasse, den ich selten mit irgendjemanden zusammen sah, außer vielleicht mal Julia. Wütend wehte sein schwarzes Haar beim Gehen ein wenig hoch. Ich hob die Augenbrauen hoch. "Sagt mal habt ihr die noch alle?!", fuhr er uns aus dem Nichts an. "W-was?!", fragte Laurin etwas überrumpelt. "Sagt mal, wollt ihr sie fertig machen oder was? Ich hab letztens doch gesehen, dass du", er deutete mit dem Zeigefinger auf Sophie, "Julias Bild im Kunstunterricht verschandelt hast! Und dann auch noch dieser Brief von dem alle reden, ihr wart das doch hundert pro!" Sophie schnappte empört nach Luft. "Bitte was?", fauchte sie, "ich hab ihr scheiß Bild nie angerührt!" Verwirrt sah ich ihn an. "Hä? Wir haben nichts gegen Julia, wie kommst du darauf?", fragte ich, "war das nicht Hermann eher?" Plötzlich baute er sich direkt vor mich auf und starrte auf mich hinunter. "Ich weiß ja nicht, ob du echt so blind bist, aber ihr wart echt scheiße zu ihr die letzte Zeit. Ich sitze hinten und sehe doch, wie ihr sie behandelt. Und wisst ihr was, es ist mir scheiß egal, dass ihr mich immer ausgrenzt und sie ignoriert, aber das geht mir echt zu weit." Ich starrte ihn mit offenen Mund an. Ich hatte ihn nie... ausgegrenzt. What the hell...

"Du bist echt Teil des scheiß Problems!", stieß er noch aus, bevor er sich umdrehte und abhaute.

"Oh wow", murmelte Laurin. Clara fing an zu lachen. "What... ey... Sophie, hast du echt ihr Bild kaputt gemacht oder wie?" Sophie schüttelte den Kopf. "Warum sollte ich?", sagte sie. Clara zuckte mit den Achseln. "Naja, werden wir ja später vielleicht sehen... in der Klassenlehrerstunde", meinte ich. "Joa, vielleicht", sagte Laurin.

[AN: jaa... Ich habe schon lange keine Kapitel mehr gepostet gehabt, aber ich habe noch vor, das zu Ende zu bringen. Sorry an alle Leser, die schon lange abgesprungen sind oder ähnliches.]

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