three


Evelyn saß in ihrem Büro, der späte Nachmittagsschatten malte lange Streifen auf den Holzboden. Der Stuhl unter ihr knarrte leise, als sie die Notizen durchging. Sarahs Worte, die sich immer wieder in ihren Gedanken wiederholten, ließen sie nicht los. Ihre eigene Unruhe fühlte sich an wie ein stiller Sturm, der unter der Oberfläche brodelte.

Ein leises Klopfen an der Tür riss sie aus ihren Gedanken. „Evy?" Dean's Stimme, weich und fürsorglich, durchbrach die Stille.

„Komm rein", antwortete sie, ohne ihren Blick von den Notizen zu wenden. Sie wollte sich nicht zu sehr von ihren Gedanken ablenken lassen, doch etwas an Deans Nähe beruhigte sie.

Dean trat ein und schloss die Tür hinter sich, die Anspannung in seinen Schultern deutlich zu sehen. „Wie geht es Sarah?" fragte er, mit einem Blick, der mehr sagte als Worte.

Evelyn seufzte und legte den Stift nieder, als ob sie sich endlich erlauben würde, den Moment der Ruhe zu nutzen. „Es... geht ihr schlechter", antwortete sie, ihre Stimme zögerlich. „Ich weiß nicht, Dean. Ich habe das Gefühl, es ist mehr als nur ein psychisches Problem. Etwas an dem, was sie erzählt, fühlt sich zu real an. Zu... spürbar."

Dean setzte sich ihr gegenüber, die Augen fixierten sie mit einer Mischung aus Sorge und Verständnis. „Evy, du machst dir zu viele Gedanken. Es ist normal, dass du als Therapeutin diese Dinge intensiver spürst. Aber du kannst nicht die Verantwortung für alles übernehmen, was in ihren Gedanken vorgeht."

„Ich weiß", flüsterte Evelyn. Doch in ihrem Inneren brodelte eine andere Wahrheit, die sich nicht so leicht abtun ließ. „Aber was, wenn es mehr ist als das, was wir sehen? Was, wenn Sarah tatsächlich mit etwas konfrontiert wird, das über ihre Ängste hinausgeht?"

Dean schüttelte den Kopf, doch sein Blick war sanft, nicht ablehnend. „Du bist nicht alleine, Evy", sagte er ruhig. „Wir sind zusammen in dieser Sache, du musst das nicht alleine durchstehen."

Evelyns Herz zog sich zusammen, und für einen Moment fühlte sie sich bei ihm geborgen, als ob sie in einem sicheren Hafen ankam. Doch die Unsicherheit, die sie umhüllte, ließ sie nicht los. „Ich weiß, was du meinst. Aber wenn wir uns so viel Zeit damit verschwenden, rational zu erklären, was sie fühlt... Was bleibt dann noch für das, was wir nicht verstehen?"

Dean betrachtete sie lange, als würde er abwägen, was er sagen sollte. Schließlich lehnte er sich nach vorne und legte eine Hand auf ihre Schulter. „Evy, du bist so viel mehr als deine Arbeit. Du bist auch eine Frau, die manchmal für sich selbst sorgen muss. Lass nicht zu, dass das hier dich auffrisst. Du musst herausfinden, was du wirklich brauchst, nicht nur, was andere von dir erwarten."

„Ich... ich weiß", flüsterte Evelyn, und ihre Augen begannen, den Moment zu reflektieren. Dean war da, immer da, aber etwas in ihr fühlte sich weiterhin unerfüllt an. Vielleicht war es der Drang, Antworten zu finden, der ihr nicht mehr nur aus der Ferne genügten.

„Komm", sagte Dean dann, seine Stimme einladend. „Lass uns den Abend zusammen verbringen. Du brauchst eine Pause, Darling."

Sie nickte leise, als ob ihre Gedanken in einen anderen Raum entglitten wären. Langsam stand sie auf und folgte ihm hinaus aus dem Büro, doch der Drang, etwas zu entdecken, das ihre Ängste ein Stück weit erklären konnte, ließ sie nicht los.

Zwei Wochen waren seit dem letzten Gespräch mit Sarah vergangen, und sie kam immer weniger in die Praxis. Wenn sie doch erschien, war sie noch mehr ein Schatten ihrer selbst. Ihre Augen, einst lebendig, hatten jetzt einen glasigen, toten Ausdruck, und ihre Bewegungen waren abwesend, als ob sie sich selbst nicht mehr spürte. Die Dunkelheit, von der sie gesprochen hatte, schien immer realer zu werden, und Evelyn konnte sie förmlich in der Luft spüren, wenn sie sich in ihrer Nähe aufhielt.

An diesem Tag jedoch war etwas anders. Sarah betrat die Praxis wie immer, aber es lag eine unheimliche Stille in ihrem Blick. Evelyn konnte es nicht genau benennen, aber sie spürte, dass die Atmosphäre um sie herum sich veränderte – sie wurde dichter, schwerer, als ob jeder Atemzug die Luft selbst ein Stück mehr verdichtete.

„Sarah", begann Evelyn, ihre Stimme vorsichtig. „Ich kann sehen, dass du dich immer weiter entfernst. Etwas ist nicht richtig. Vielleicht solltest du mehr Hilfe suchen, nicht nur hier..."

„Mehr Hilfe?" Sarahs Stimme war eisig, eine Mischung aus Wut und Verzweiflung. „Was für eine Hilfe? Was kann noch helfen?"

Evelyn trat einen Schritt zurück, als sie die plötzliche, wütende Reaktion sah. „Sarah, beruhige dich. Ich will dir helfen, wirklich. Aber du musst mir auch etwas Vertrauen schenken..."

Sarah sprang auf, die Wut in ihren Augen eine fremde, fast übernatürliche Intensität. „Du verstehst es nicht!" Sie schrie, ihre Stimme klang verzerrt, als ob sie gegen eine unsichtbare Wand ankämpfte. „Es ist überall, Evelyn! Es ist in mir, in dir, in der Luft – ich kann es spüren! Es wird alles zerreißen!"

Ihre Hände griffen nach dem Tisch, als ob sie sich selbst festhalten wollte, doch ihre Finger zitterten, als würden sie von etwas Unsichtbarem verkrampft. „Ich kann nicht mehr. Es ist zu spät! Es hat mich, Evelyn. Es hat mich!"

„Sarah, bitte..." Evelyn trat einen weiteren Schritt vor, ihre Stimme sanft, doch die Panik in Sarahs Augen ließ ihr das Herz in der Brust stocken.

„Du hast keine Ahnung, was hier vor sich geht!" Sarah schrie, ihre Atmung beschleunigte sich. „Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr atmen, nicht mehr denken, nicht mehr fühlen..."

Und dann, ohne Vorwarnung, riss Sarah sich von der Stelle los, die sie wie festgefroren an den Tisch gebunden hatte. Ihre Beine bewegten sich in einem wilden, taumelnden Lauf, als sie die Tür der Praxis aufstieß und auf die Straße hinausstürmte, als ob sie vor etwas fliehen wollte, das sie nicht mehr kontrollieren konnte.

Evelyn stand regungslos da, den Blick auf die Tür gerichtet, die noch immer schwungvoll hinter Sarah zuschlug. Ihre Gedanken rasten. Was war das, das Sarah in diesem Zustand hielt? Was war es, das sie so völlig zu zerbrechen drohte? Und vor allem – was hatte sie damit zu tun?

Die Dunkelheit, von der Sarah gesprochen hatte, kroch nun auch in Evelyns Gedanken, ein schwerer, klaustrophobischer Druck, der sich mit jedem Atemzug verstärkte. Die Wände schienen sich zu verengen, und im flimmernden Licht der Lampe erblickte sie, wie sich der Schatten an der Wand verzog – lebendig, wie ein raubtierhaftes Wesen, das nur darauf wartete, sie zu verschlingen.


𝒎𝒖𝒄𝒉 𝒍𝒐𝒗𝒆,
𝒏𝒂𝒏𝒂

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