Kapitel 7 - Wer bist du wirklich?
Das Essen war fast fertig, das Büro gelüftet und die Bettwäsche frisch bezogen. Es fehlte nur noch Yukine, der nach wie vor im Badezimmer war. Kaito ließ ihm dennoch seine Ruhe, ihm war klar, dass sein Gast etwas Zeit für sich brauchte. Das heiße Bad hatte er anscheinend mehr als nötig gehabt.
Während er darauf wartete, dass der Reis gar wurde, hatte er sich wieder in sein Büro begeben. Auf dem Boden lag Yukines Tasche, die ihm schon zuvor ins Auge gefallen war. Sie schien nass zu sein, also nahm Kaito sie kurzerhand an sich und begann alles auszuräumen. Die darin verstauten Kleidungsstücke legte er an die Seite, damit er sie ebenfalls in die Waschmaschine schmeißen konnte.
Viel hatte Yukine nicht bei sich gehabt. Einiges an Wechselkleidung, dazwischen ein seltsames Gerät, das einem Smartphone ähnelte und einen Dolch, den er nicht aus der Scheide bekam. Egal wie kräftig er an dem hübsch verzierten Griff zog, die gebogene Klinge rührte sich kein Stück.
Kaito vermutete, dass der Dolch nicht echt war, auch wenn er für eine Attrappe ziemlich schwer war. Er drehte ihn zwischen den Händen und betrachtete die Gravuren, die als Zierde in die Scheide eingearbeitet waren. Ein wirklich aufwendiges Stück, dachte er sich, bevor er es an die Seite legte und den Rest herausholte.
Dabei fiel ihm ein kleines Bündel auf. Eingewickelt in ein schwarzes Tuch, lag es ebenfalls zwischen den Kleidern. Vorsichtig wickelte Kaito es auf und zum Vorschein kam ein Bilderrahmen. Er setzte sich auf den Boden, direkt vor Yukines Tasche, und betrachtete das Bild darin.
Es zeigte eindeutig Yukine und eine weitere, ihm allem Anschein nach wichtige Person. Kaito war sich nicht sicher, ob die blonde Gestalt darauf eine Frau oder ein Mann war, es war wirklich schwer zu sagen. Doch die beiden schienen glücklich zu sein. Er vermutete, dass Yukine und die Person auf dem Bild ein Paar waren – zumindest machte es den Eindruck, als hätten sie sich sehr nahegestanden. Nicht zuletzt, da Yukine die blonde Person auf die Stirn küsste.
»Was glaubst du eigentlich, was du da tust?« Kaito zuckte zusammen und wandte sein Gesicht der Tür zu. Im Rahmen stand Yukine und sah ihn mit ausdrucksloser Miene an. Doch seine Stimme war kalt wie Eis, sie ließ Kaito frösteln. »Wer hat dir erlaubt, an meine Sachen zu gehen?«, fragte Yukine und Kaito wich unwillkürlich zur Seite, als wollte er mehr Abstand zu dem Mann gewinnen.
»Ich wollte nur ...«, brachte er heraus und rutschte weiter weg, als Yukine einen Schritt ins Zimmer machte. In seinem Rücken spürte er bereits das kleine Regal, das an der Wand stand und gefüllt mit allerlei Spielen war. Weiter zurückweichen konnte Kaito nicht mehr. »Nur ...« Furcht breitete sich in ihm aus, als Yukine unweit von ihm entfernt stehen blieb und auf ihn herabblickte.
Er drückte das Bild an seine Brust und starrte in Yukines Augen. Sein Gegenüber war verärgert, das konnte Kaito sofort sehen. Diese Veränderung machte ihm Angst, schnürte ihm die Kehle zu und ließ seinen Körper zittern. Erinnerungen, die er verzweifelt zu verdrängen versuchte, stiegen in ihm auf. Ängste, die er als überwunden geglaubt hatte, breiteten sich aus.
»Entschuldige«, presste Kaito heraus und drückte sich noch weiter gegen das Regal. Sein Herz schlug schnell, wummerte gegen seine Brust und ließ das Blut durch seine Ohren rauschen. »Ich hatte keine bösen Absichten, wirklich nicht.« Yukine sah sich um, betrachtete einen Moment seine Sachen, die auf dem Boden lagen und blickte dann wieder Kaito an.
Nach wie vor war da diese Wut, die Kaito einen Schauer nach dem anderen verpasste. Dann hockte Yukine sich hin und streckte seine Hand aus. Die ruckartige Bewegung schreckte Kaito auf, er zuckte zusammen und bedeckte sein Gesicht mit dem Arm. Es war nur ein Reflex, mit dem er sich schützen wollte. Die Augen kniff er zusammen, während er die Luft anhielt und auf seine Bestrafung wartete.
Doch nichts dergleichen passierte. Stattdessen spürte er Yukines Hand an seiner Schulter. Sie hielt ihn nicht fest, tat ihm nicht weh, sie ruhte lediglich dort. Langsam öffnete er die Augen und sah Yukine an. Die Wut war gewichen und an ihre Stelle war Sorge getreten.
»Habʼ keine Angst, ich tu dir nichts«, hörte er Yukine sagen. Sanft, leise und beruhigend. Er strich Kaito über den Oberarm. »Ich war nur verärgert, weil du einfach ohne zu fragen an meine Sachen gegangen bist.«
Kaito schluckte schwer, dann ließ er seinen Arm langsam sinken. Als Yukine seine Schulter losließ und die Hand auf seine Wange legte, zuckte er leicht zusammen. »Ich wollte dir keine Angst machen.« Er wischte ihm über die Wange und da bemerkte Kaito, dass sich ein paar Tränen dorthin verirrt hatten. Yukine strich sanft darüber, versuchte sie allem Anschein nach zu trocknen.
»Tut mir leid«, hauchte Kaito und unterdrückte ein Schluchzen. Die Berührung an seinem Gesicht war warm und zärtlich, am liebsten hätte er sich in sie gelehnt, mehr eingefordert. Aber er traute sich nicht.
»Mir ebenfalls«, erwiderte Yukine, dann nahm er Kaito das Bild, das er noch immer an seine Brust gedrückt hatte, aus der Hand. Er warf einen kurzen, sehnsüchtigen Blick darauf und legte es schließlich neben sich auf das Sofa.
»Ich wollte deine Tasche zum Trocknen aufhängen, deshalb habe ich sie ausgeräumt«, gestand Kaito. Noch immer saß er dicht an das Regal gedrängt und rührte sich nicht. Dies schien Yukine zu bemerken, weshalb er seine Hand zurückzog und sich mit etwas Abstand auf den Boden setzte. Er hatte sich halb abgewandt und an das Sofa gelehnt, sodass Kaito sein Seitenprofil betrachten konnte.
Dass Yukine ihn nicht mehr berührte, hinterließ eine seltsame Leere in ihm. Es verwirrte ihn, denn vor wenigen Augenblicken hatte er noch Angst vor Yukine gehabt und nun sehnte er sich nach seiner Nähe. Für einen kurzen Moment hatte dieser Mann eine so unheilvolle Aura ausgestrahlt, dass Kaito unfreiwillig an vergangene Tage zurückerinnert wurde. Doch nun war dieses unangenehme Gefühl verflogen.
»Schon in Ordnung«, sagte Yukine, dann fuhr er sich durch die noch nassen Haare. »Ich habe überreagiert und dir damit Angst eingejagt, es ist besser, wenn ich gehe.« Kaum, dass Yukine den Satz ausgesprochen hatte, rührte Kaito sich auch schon. Er gab ihm nicht einmal die Chance, sich zu erheben. Stattdessen hielt er Yukine auf, indem er sein Handgelenk ergriff.
»Bitte bleib, es ist nicht deine Schuld.« Kaito rückte näher heran, suchte den Kontakt zu Yukine und sah ihn flehend an. »Es war nur ein Missverständnis.« Schnell wischte Kaito über seine Augen und entfernte den letzten Rest seiner Tränen. »Siehst du? Alles wieder gut.«
Skeptisch sah Yukine ihn an, bevor er schließlich seufzte und sich wieder zurücklehnte. Er sagte nichts, aber Kaito war sich sicher, dass er Fragen hatte. Wer hätte es nicht? Kaitos Reaktion wirkte auf ihn bestimmt übertrieben. Leider konnte er Yukine nicht erklären, was in diesem Moment in seinem Kopf vorgegangen war oder woran er sich erinnert hatte. Dafür kannte er den hübschen Fremden einfach nicht genug.
Er atmete tief durch, dann setzte er sich dicht neben Yukine. Ihre Schultern berührten sich und Kaito konnte die Wärme, die von dem Mann ausging deutlich spüren. Langsam sah er zur Seite. Yukines Gesicht war so nah, dass er jedes noch so kleine Detail sehen konnte. Besonders aufgefallen waren ihm die langen, schneeweißen Wimpern. Spätestens in diesem Augenblick wusste er, dass es tatsächlich seine Haarfarbe war. So ungewöhnlich, genauso wie die ganze Ausstrahlung dieses Mannes.
Während er ihn betrachtete, zog er seine Beine an sich und schlang die Arme um die Knie. Dies erregte Yukines Aufmerksamkeit, weshalb er zu ihm sah. Seine Augen funkelten wie ein Sternenhimmel.
»Willst du mich die ganze Zeit so anstarren?«, fragte er belustigt. Seine Mundwinkel zuckten leicht, weshalb Kaito seine Augen darauf richtete. Die Frage war bis dahin noch gar nicht zu ihm vorgedrungen.
»Ich habe mich nur gefragt, ob du real bist oder meine Fantasie mir einen Streich spielt.«
»Deine Fantasie?« Kaito blinzelte, dann realisierte er, was er gesagt hatte. Er konnte spüren, wie sich seine Wangen vor Scham rot färbten. »Wieso sollte ich denn nicht echt sein?« Die Frage war Kaito so unangenehm, dass er sein Gesicht abwandte und begann an seinem Armband zu zupfen. Das machte er gelegentlich, wenn er nervös wurde.
»Du wirkst so anders, nicht wie andere Menschen«, antwortete er und drehte das Armband immer wieder um sein Handgelenk.
»Liegt wahrscheinlich daran, dass ich keiner bin.« Stirnrunzelnd suchte Kaito den Blickkontakt zu Yukine. Sein Nebenmann grinste schief, sagte jedoch nichts weiter.
»Das ist jetzt ein Scherz, oder?« Was sollte Yukine sonst sein? Ein Produkt seiner Einbildung? Ein Alien? »Du kannst mich nicht veräppeln«, brummte er und verzog das Gesicht.
»Tu ich nicht.« Yukines Stimme schien zu vibrieren. Er hatte es so ruhig ausgesprochen, so glaubhaft. In Kaito tobte ein Sturm an Fragen, die er sich nicht traute zu stellen. Versunken in seinen Gedanken bemerkte er gar nicht, dass Yukine ihn besorgt ansah. Erst, als die warme Hand des Weißhaarigen ihn berührte, sich auf seine eigene legte, kehrte er zurück in die Gegenwart.
Sein Blick richtete sich auf Yukines Arm, glitt hinab zu seiner Hand und verharrte dort. »Weißt du denn gar nicht, wer du bist, Rotschopf?« Sanft, gar zärtlich strich Yukines Daumen über Kaitos Handgelenk und die Kette, die er trug. Verwirrt betrachtete er die Geste seines Gastes. Die Berührung bescherte ihm eine angenehme Gänsehaut, hinterließ ein leichtes Kribbeln.
»Ich sagte doch, dass ich ... Kaito heiße – nicht Rotschopf«, brummte er, doch Yukine schüttelte nur den Kopf. Mit seinem Daumen strich er über den kleinen roten Stein, der in das Armband eingearbeitet war.
»Das meine ich gar nicht. Mir geht es darum, ob du weißt, wer du wirklich bist.«
»Wer ich wirklich bin ...?«
Besagtes Bild, das Kaito entdeckt hat.
Credits gehen natürlich an MeeriLotte die das Bild für mich gezeichnet hat. ❤️
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