Kapitel 51 - Des Heilers Wunsch
Yukine und Naoki saßen noch lange auf der Bank. Arm in Arm, so ganz allein. Nach Yukines Liebesbekundung hatten die beiden gar nicht mehr gesprochen. Nur eng umschlungen auf die dunkle See geschaut, auf der sich die Sterne und der Mond spiegelten.
Es war ein so friedlicher Moment, erinnerte Yukine an damals – bevor sie sich gestritten und auseinandergelebt hatten. Gerade deshalb war er froh, dass Naoki wieder der war, in den er sich einst verliebt hatte. Nicht der Mann, der ihn beschimpft und abgelehnt hatte. Nein, das hier war Naoki, wie er ihn liebte.
»Wollen wir ins Hotel zu Kaito? Bevor er einfach einschläft«, sagte Yukine nach all der Zeit der Stille. Auf seinem Schoß regte Naoki sich, schüttelte den Kopf und vergrub anschließend das Gesicht in seinem Oberteil.
»Noch nicht. Nur noch ein paar Minuten.«
»In Ordnung.«
Yukine schob seine Hand an Naokis Nacken, strich leicht darüber und vergrub die Finger schließlich in den Locken. Immer wieder ließ er sie über Naokis Hinterkopf gleiten, wofür er sogar ein zufriedenes Seufzen erntete.
»Nach allem, was ich dir angetan habe …«, begann der kleine Fae. Seine Hände schlossen sich fest um Yukines Oberteil. »Nach allem, was ich gesagt habe …« Er drückte Naoki etwas fester an sich. »Wie kannst du mich nicht dafür hassen?«
Yukine atmete tief ein, nahm den Geruch vom See in sich auf, gemischt mit dem Duft von Honig, der immer an Naoki haftete. Selbst jetzt noch.
»Ich könnte dich niemals hassen«, antwortete er und atmete wieder aus. »Du bist nicht schuld an dem, was passiert ist und wenn ich könnte, würde ich meine Entscheidung, zu gehen, wieder rückgängig machen. Bei dir bleiben, für dich da sein …«
Er bereute es, dass er nicht ausreichend für Naoki dagewesen war. Der Gedanke daran verfolgte ihn und würde es vermutlich für immer tun. »Meine Hilfe war nicht genug. Ich hätte mehr für dich tun sollen, selbst wenn du mich dafür gehasst hättest.«
»Niemals!«, entfuhr es dem Heiler. Sein Kopf ruckte in die Höhe, sodass sich ihre Blicke begegneten. Das Gold funkelte ihn in all seinen Nuancen an. Von Ärger bis Liebe war alles dabei. Naokis Blick war schon immer einzigartig gewesen. Und so unglaublich anziehend, dass Yukine nicht anders konnte, als sich vorzubeugen und ihn zu küssen.
Wie der Kuss war? Er konnte es nicht wirklich beschreiben. Kribbelnd, weich, wie ein Hauch. Es fehlte die Wärme, die er von Naokis Lippen gewohnt war. Doch das Gefühl, das blieb, war wie immer, genauso wie früher.
Er schloss die Augen und tat es erneut. Sehnsucht packte ihn. Verlangen nach Naokis Nähe, nach seinen Küssen. Zum Glück war niemand weit und breit zu sehen oder zu hören. Für Außenstehende hätte diese Situation vermutlich sehr seltsam ausgesehen.
»Yukine, ich könnte dich niemals hassen«, sagte Naoki nun, nachdem er die Möglichkeit bekommen hatte, wieder zu sprechen. »Wir haben beide Fehler gemacht. Verletzende Worte gesagt. Und ja, was passiert ist, hat mich lange verfolgt – dich aber genauso. Wichtig ist, dass wir daraus lernen und es nicht wiederholen.«
Naoki lächelte ihn an, umfasste Yukines Gesicht und gab ihm anschließend einen Kuss auf den Mund.
»Ich wünschte dennoch, dass ich es rückgängig machen könnte. Dann wärst du jetzt hier bei mir und Kaito.«
»Aber das bin ich doch auch so. Und es ist wirklich schön, dass ich mit euch beiden reden kann. Vor allem mit dir.«
Es stand außer Frage: Naoki war in all der Zeit, in der ihn niemand hatte sehen können, sehr einsam. Genauso wie Yukine, der sich nach dem Tod seines Partners zurückgezogen hatte und niemanden an sich lassen wollte. Von Leid und Kummer zerfressen. Den Willen zum Leben verloren. Voller Hass und Einsamkeit.
Für Yukine war Naoki immer ein Anker gewesen, der Sinn seines Lebens. Derjenige, der die Dunkelheit in ihm besänftigte, das Licht, das ihn führte.
»Wie lange wird es wohl dauern, bis wir endlich wieder zusammen sein können?«, flüsterte Yukine, bevor er den Kopf an Naoki lehnte. »Was muss ich tun, um dich aus diesem Zustand zu befreien?«
Naoki schwieg eine ganze Weile und Yukine fragte sich, ob er überlegte oder einfach nicht antworten wollte. Vielleicht gab es auch keine passende Antwort darauf. Selbst wenn Yukine einen Weg finden würde, ihren Schwur zu brechen, wer garantierte ihm, dass er Naoki damit von seinem Fluch befreien würde?
War es überhaupt das, was Naokis Seele daran hinderte, Frieden zu finden? Man hatte ihn verbrannt, wie es üblich war. Von seinem Leichnam war nichts außer Asche übrig geblieben und dem Stück seines Herzens, das Kaito stets um seinen Hals trug. Den kleinen Splitter, den Aoi – sein treuer Freund – in diesen Anhänger gefasst hatte. Als Erinnerung oder Mahnmal. Wer wusste das schon genau.
Diese Kristalle, die jeder Fae in der Brust trug, waren das einzige, das nach dem Tod von ihnen übrig blieb. Unberührt von den Flammen, die sonst alles verzerrten – selbst die Knochen. Doch Naokis Herz war zersplittert gewesen. Ein kleiner Teil hatte sich vom Ganzen gelöst. Vielleicht war es ein Fehler gewesen, ihn zu behalten. Man hätte ihn mit der Asche ruhen lassen sollen. Wie es üblich war.
Aber selbst wenn Naokis Seele Frieden finden würde, wer garantierte Yukine, dass er in diesem Zeitalter wiedergeboren wird? Was, wenn sie nicht wieder zueinander finden würden oder Naoki sich an jemand anderen binden würde? Es könnte Jahrzehnte, wenn nicht sogar Jahrhunderte dauern, bis es soweit war. Und dazu gab es nicht einmal eine Garantie, dass es am Ende so kommen würde.
»Ich glaube nicht, dass es die richtige Lösung dafür gibt«, flüsterte Naoki schließlich. Er rührte sich auf Yukines Schoß, schlang die Arme um seinen Hals und vergrub das Gesicht an seinem Ellenbogen. »Ich werde nicht mehr ich sein, wenn ich wiedergeboren werde, und das will ich nicht. Ich will mich an dich erinnern können, an all die schönen Jahre, genauso wie die weniger schönen.«
Yukine hörte ihn leise seufzen, weshalb er seine Hand auf Naokis Kopf legte und langsam über seine Haare zu streicheln begann. »Es wäre besser, es ungeschehen zu machen. Mich davon abhalten, den Fehler meines Lebens zu begehen.«
Naoki hob wieder den Kopf. Er suchte Yukines Blick, und in dem Moment sah es aus, als würde der Heiler weinen, jedoch war es nur das Licht, das seine Augen und Wangen zum Glänzen brachte. Aber er lächelte, wenn auch traurig und bedrückt. »Dann könnten wir wieder zusammen sein. So richtig.«
Yukine presste die Lippen zusammen, als er realisierte, wovon Naoki eigentlich sprach.
»Nein«, entfuhr es ihm, »auf keinen Fall.« Das ohnehin schon wackelige Lächeln seines Partners bröckelte und die Mundwinkel fielen hinab. Doch Yukine konnte es nicht tun. »Unmöglich, und das weißt du.«
»Ist es nicht!«, wehrte Naoki ab. Seine Finger krallten sich in Yukines Schultern fest. »Sag mir, was spricht dagegen?« Unfähig ihm weiter in die Augen zu schauen, senkte der Krieger-Fae seinen Blick. Er musste nicht überlegen, die Antwort war ganz klar.
»Kaito«, flüsterte er schließlich. Es schmerzte, dass Naoki gar nicht an ihn gedacht hatte. »Er würde mich nicht nur vergessen, ich hätte für ihn gar nicht existiert.«
»Aber –«
»Nein«, unterbrach Yukine ihn, »das ist keine Option.« Er spürte, wie Naokis Finger seine Wangen berührten, bevor sich seine Hände um Yukines Gesicht schlossen und ihn dazu brachten, den Heiler anzusehen. »Auch dich würde er vergessen. All die Zeit, die wir zu dritt verbracht haben.«
»Ich weiß«, entgegnete Naoki. »Aber wir könnten von vorne beginnen. Du würdest nicht nur mich davor bewahren, eine Dummheit zu begehen.« Yukine spürte, wie sich seine Lider mit Tränen füllten. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie überquellen würden. »Denk an Sora.« Seine Sicht verschwamm immer mehr, und als er blinzelte, lösten sich die ersten heißen Tränen, die über seine Wangen rollten.
Naoki wischte sie kommentarlos, aber zärtlich fort. »Und wenn du willst, dann kannst du Kaito vor seinem Schicksal bewahren und den Platz an seiner Seite einnehmen.«
»Wir wissen nicht, ob das möglich ist. Letztes Mal waren es nur ein paar Stunden, die wir zurückgereist sind. Das hier wären Jahre, wenn nicht sogar ein ganzes Jahrzehnt.«
Der Heiler trocknete Yukines Tränen, bevor er sich vorbeugte und ihm einen Kuss auf die Stirn gab. »Und alles, was wir in der Zeit erreicht haben, wäre ungeschehen.«
»Das ist mir bewusst«, hauchte Naoki. »Aber das wäre nichts, was wir nicht richten könnten. Immerhin haben wir es schon einmal geschafft.«
Yukine atmete tief durch, bevor er Naoki fester an sich zog und seinen Kopf an ihn lehnte. War es wirklich so einfach? Könnte er mit diesem einen Zauber wirklich etwas bewirken? Naoki vor dem Tod bewahren, Kaito vor der Beziehung, in der er misshandelt wurde. Und ja, dann war da noch immer die Möglichkeit, mit den beiden eine Familie zu gründen.
Jedoch wussten sie nicht, welche Auswirkungen der Zeitzauber noch hatte. Er war nicht grundlos verboten worden und im letzten Winkel der Bibliothek unter einem Schutzzauber versiegelt worden. Magie, die die Welt verändern könnte und in den falschen Händen katastrophal wäre. Und er sollte sie für seine Zwecke missbrauchen.
»Denk gut darüber nach. Es ist eine Option. Besser, als Jahre darauf zu warten und zu hoffen, dass ich …« Naoki sprach es nicht aus, doch Yukine wusste bereits, was er hatte sagen wollte. »Wir würden den jüngeren Kaito kennenlernen.«
»Ich denke darüber nach. Gib mir etwas Zeit. Es ist nichts, was man von heute auf morgen entscheiden kann oder sollte.«
»Da hast du natürlich recht …«
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