Kapitel 48 - Gefühle

Kaito nippte an dem Eistee, den Ilona ihm kurz zuvor gebracht hatte. Rot, wie seine Haare, garniert mit ein paar Himbeeren und Erdbeeren, die darin schwammen. Dazu ein gläserner Strohhalm. Nachhaltig eben.

Auf einem hübschen Porzellanteller lag der versprochene Kuchen. Eine Schicht mit Puddingcreme und darüber eine mit Himbeeren. Wenn er genauer darüber nachdachte, dann doch nicht so nachhaltig. Es war gar keine Saison. Also importiert – bestimmt aus Spanien.

Er ließ den Blick durch das kleine Café schweifen. Wo auch immer er hinsah, hingen und standen Töpfe mit Blumen. Selbst auf seinem Tisch fand sich eine Topfblume wieder. Eine Sukkulente, wenn er sich nicht irrte. Ahnung hatte Kaito keine. Alles Gestrüpp. Zeitaufwendig. Aber nett anzusehen, das musste er zugeben.

Yukine neben ihm hatte sich in den Korbstuhl zurückgelehnt und beobachtete die vorbeigehenden Menschen durch das Fenster, während sie warteten, dass Ilona Zeit für sie fand. Dass er etwas ungeduldig war, erkannte Kaito daran, dass sein Partner immer wieder mit den Fingern auf die Armlehne tippte. Wobei sein Ausdruck mehr Nervosität ausstrahlte.

Der Fae schien zu bemerken, dass Kaito ihn beobachtete. Er wandte sich ihm zu und lächelte liebevoll. So liebevoll, dass Kaito seinen Blick nicht hatte abwenden können. Selbst jetzt brachte dieser Mann ihn noch immer durcheinander, raubte ihm mit einer so einfachen Geste den Atem. Und dann fiel auch noch das Licht so, dass Yukines Augen zu funkeln schienen – wie winzige Sterne.

»Vergiss nicht zu atmen oder zu schlucken«, kommentierte Yukine sein Starren mit sichtlicher Belustigung. »Bevor du anfängst zu sabbern.«
Kaito konnte spüren, wie seine Wangen rot anliefen. Beschämt wandte er den Blick ab und tat so, als ob der helle Tisch besonders interessant wäre.

Dann spürte er eine sanfte Berührung an seinem Nacken und wie Yukines Finger sich in seinen Haaren verfingen. »Ich habe nicht gesagt, dass du aufhören sollst«, raunte Yukine ihm ins Ohr, nachdem er sich vorgebeugt hatte. Sein Atem streifte ihn, ließ seinen Körper leicht erzittern. Den Kuss, der auf die Wange folgte, hatte er nicht erwartet – und als er aufschaute, bekam er einen weiteren auf die Lippen.

»Was genau wird das, wenn es fertig ist?« Ilonas zuvor noch sanfte Stimme erklang ihnen gegenüber. Der Ton, den sie eingeschlagen hatte, ließ Kaito unweigerlich zusammenzucken und frösteln. Er war auf einmal so unglaublich kühl. Wann war sie überhaupt nähergekommen? »Ich kann es nicht fassen. Erst kommst du ohne Naoki und jetzt das?«

Yukine schien es nicht zu kümmern. Er blieb ruhig, nahm sogar Kaitos Hand in seine und verschränkte ihre Finger miteinander. Vermutlich wollte er Kaito das Gefühl geben, dass alles in Ordnung war – und irgendwie klappte es. Außerdem bewirkte es auch, dass Ilona verstummte. Dennoch blieb sie mit vor der Brust verschränkten Armen an Ort und Stelle stehen.

Ein kurzer Blick durch den Raum reichte, damit Kaito erkannte, dass außer ihnen sonst niemand mehr da war. Dabei hatte er gar nicht mitbekommen, wann die beiden anderen gegangen waren. Wahrscheinlich war er zu vertieft im Anstarren.

Als Yukine noch immer nichts sagte, fuhr Ilona fort, wenn auch deutlich sanfter: »Sag nicht, dass du dich von Naoki getrennt hast und nun …« Ihre rot glühenden Augen zuckten in Kaitos Richtung. Sie nahm ihn in Augenschein, vermutlich jetzt erst so richtig. »Du bist ein Fae«, stellte sie fest.

Unfähig, etwas zu erwidern, schaffte Kaito es nicht einmal, den Kopf zu schütteln oder zu nicken. Er öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder, als er merkte, dass kein Wort ihm über die Lippen kommen würde.

»Setz dich doch erst einmal, dann erkläre ich es dir«, antwortete Yukine ruhig. Er schob den dritten der vier Stühle zur Seite, damit Ilona sich setzen konnte. »Ich wollte eigentlich warten, dass Pawel ebenfalls hier ist. Damit ich es euch beiden sagen kann.«

»Schön. Dann warten wir. Er sollte in den nächsten zehn Minuten da sein«, sagte Ilona und wandte sich von den beiden Männern ab. »Währenddessen räume ich ein wenig auf.« Danach entfernte sie sich von ihnen. Ließ vor allem Kaito verwirrt dasitzen.

»Ich fürchte, dass sie mich nicht besonders mag«, flüsterte Kaito Yukine zu. Sein Blick haftete noch immer an der rothaarigen Schönheit, die sich elegant hinter dem Tresen bewegte und mit ihren Putzlappen die Oberfläche abwischte. »Ich bin nun einmal nicht Naoki.«

Selbstzweifel. Da waren sie auf einmal wieder. Sie krochen unter seiner Haut und bahnten sich einen Weg nach außen. Wie ätzend, genauso wie das Gefühl, das Ilonas Ablehnung in ihm hervorgerufen hatte. Er war nicht Naoki, nur ein schlechter Ersatz. Nein, wahrscheinlich nicht einmal das. Selbst dafür war er nicht gut genug.

»Ich bin mir sicher, dass sie dich ins Herz schließen wird, sobald sie dich kennengelernt hat«, sagte Yukine. Er drückte Kaitos Hand sanft und versichernd. »Ich kenne sie schon so lange und kann mir nicht vorstellen, dass sie etwas gegen dich hat.«

Noch immer unsicher schaute Kaito zu Ilona, dann wieder zu Yukine, der so unendlich viel Ruhe ausstrahlte, als er weitersprach: »Wenn überhaupt, dann ist sie wütend auf mich.«
»Ganz recht!«, schimpfte sie. »Du hast meinen süßen Naoki nicht mitgebracht. Stattdessen kreuzt du hier mit einem anderen Mann auf, ohne vorher etwas geschrieben zu haben.«

Sie stellte eine Karaffe mit Eistee auf den Tisch und dazu zwei hohe Gläser, wie das von Kaito. »Und dann spannst du mich auf die Folter. Du könntest wenigstens sagen, ob Naoki hier oder in Berlin ist. Oder doch in Eternia.« Ilona setzte sich nun dazu, goss Eistee in ihr Glas und trank einen Schluck. Yukine währenddessen hatte kein Wort zu ihr gesagt. Keine Anstalten gemacht, ihr zu antworten.

»Wir haben uns über zwanzig irdische Jahre nicht gesehen und alles, was du tust, ist Schweigen«, sagte sie seufzend.
»Naoki ist nicht hier und auch nicht in Berlin«, antwortete Yukine schließlich. »Aber auch nicht in Eternia.« Die Aussage schien die Fae zu verwirren. Sie hob ihre schmale, rote Augenbraue und sah Yukine fragend an.

Da es zu kompliziert war, ihr Naokis Zustand zu erklären, hatte Yukine im Hotel beschlossen, es gar nicht zu versuchen. Zumindest vorerst. Würde Kaito Naoki nicht sehen können, dann wäre es auch für ihn schwer zu glauben, dass er um sie geisterte. Deshalb verstand er die Entscheidung seines Freundes. Wahrscheinlich hätte er es an seiner Stelle nicht anders getan.

»Entschuldigt mich für einen Moment«, hörte er Yukine sagen. Dann stand der Fae auf und ging in Richtung der Toilette, die Kaito bis dahin nicht einmal bemerkt hatte.
»Unfassbar, er verdrückt sich einfach«, knurrte Ilona leise, bevor sie ihren Blick auf Kaito richtete und ihn damit zu erdolchen versuchte. Zumindest fühlte es sich für ihn so an.

Sollte er etwas sagen? Es kommentieren? Oder so etwas wie ›Schönes Wetter heute‹ bringen? Kaito entschied sich, gar nichts zu sagen und stattdessen sein Getränk auszutrinken. Ganz leise, damit er sie mit dem schlürfenden Geräusch nicht verärgerte. Laut Yukine war sie beim Militär gewesen, bevor sie sich – zusammen mit Pawel – auf der Erde niedergelassen hatte.

»Was bist du für ihn?«, fragte sie irgendwann, worauf Kaito, der gerade dabei war, eine der Früchte aus seinem Glas zu fischen, zu ihr aufschaute. »Und was ist er für dich?« Nun klang ihre Stimme nicht mehr so eisig. Eigentlich klang sie ganz normal, vielleicht sogar freundlich.
»Nun … Er ist mein Mitbewohner, mein Freund«, begann er schließlich. »Der Mann, den ich liebe.«

Kaito lächelte. Keine seiner Aussagen könnte auch nur ansatzweise beschreiben, was Yukine ihm bedeutete. Dieser Mann war in dieser recht kurzen Zeit so wichtig geworden, dass er es kaum in Worte fassen konnte. Er liebte ihn. Sein Charakter, sein Aussehen, das Gefühl, ebenfalls geliebt zu werden. Mit ihm war alles perfekt. Zumindest nach Kaitos Definition.

Vom auf dem Sofa faulenzen, weil das Wetter in Berlin mal wieder zu wünschen übrig ließ, über jede andere Unternehmung außerhalb des Hauses und schließlich dem Sex. Vor allem letzteres! Himmel, es war vermutlich der beste Sex, den er jemals gehabt hatte! »Yukine ist einfach besonders, er bedeutet mir alles.«

Er konnte es nicht kontrollieren, aber sein Lächeln wurde noch etwas breiter, während sein Herz wild gegen seine Brust schlug. »Ich hoffe und wünsche mir, dass es auf Gegenseitigkeit beruht.« Wobei er längst keine Zweifel diesbezüglich mehr hatte. Nicht, nachdem Naoki und er über Yukine und die Beziehung der Fae gesprochen hatten. Über Yukines grenzenlose Treue.

Und genau deshalb war es für den stolzen Krieger-Fae auch nicht so einfach, loszulassen und neu zu beginnen. Gerade weil Naoki in gewisser Weise noch immer da war. »Und ich weiß, dass er Naoki sehr liebt und immer lieben wird.«
Und auch, wenn Kaito es bis jetzt für sich behalten hatte – er empfand ebenfalls etwas für den kleinen Heiler-Fae.

Ilona, die ihn die ganze Zeit angesehen hatte, wirkte nun verwirrt und verwundert. Sie schien zu überlegen, was sie nun sagen sollte. »Ich denke, Yukine sollte es dir – nein, euch beiden – selbst erklären. Es steht mir nicht zu, diesen Part zu übernehmen«, sagte er, worauf Ilona schnaufte und dann nickte.
»Das erwarte ich auch nicht.«

Sie schenkte ihm ein aufrichtiges Lächeln, musterte ihn genauer. Doch ehe sie sagen oder fragen konnte, was sie eindeutig vorgehabt hatte, öffnete sich auch schon wieder die Tür zu den Toiletten und Yukine kam heraus. Daher schluckte sie ihre Worte, die wahrscheinlich nur an Kaito gerichtet waren, wieder hinunter und Yukine gesellte sich zu ihnen …

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