Kapitel 46 - Gemeinsame Zukunft und Wünsche

Ein lauer Wind wehte Yukine durch die zum Zopf gebundenen Haare. Die kürzeren Strähnen an seiner Stirn bewegten sich leicht hin und her. In seinem Rücken spürte er die warmen und angenehmen Strahlen der Frühlingssonne, die an diesem Nachmittag bereits die ganze Zeit am Himmel thronte.

Zufrieden sah der Fae auf das Wasser hinab, das sich vor ihm erstreckte und im Schein der Sonne glitzerte und funkelte. Hinter ihm waren Stimmen zu hören. Ein Wirrwarr aus unbekannten, weiblichen, männlichen und kindlichen Klängen, das vom Wind zu ihm getragen wurde.

Sie alle genossen die warmen Tage des Frühlings. Spielten, lachten und tobten auf dem saftigen Rasen, der genug Platz für sie alle bot. Manche von ihnen liefen barfuß über den Strand, ohne dem Wasser zu nahe zu kommen. Dafür war es den Menschen noch zu kalt, das hatte Kaito bereits gesagt, als Yukine den Wunsch geäußert hatte, schwimmen zu gehen.

Deshalb blieb er im Gras sitzen, die Füße halb im Sand vergraben und den Kopf in die Hände gestützt. Es war nicht schlimm, dass er nicht ins Wasser konnte. Kaito hatte ihm bereits versprochen, dass sie zusammen in den Pool gehen konnten, den das Hotel zu bieten hatte – einen Besuch in der Sauna hatte der Rotschopf ebenfalls angeboten. Beides klang mehr als verlockend.

»Du schaust so nachdenklich aus«, hörte er Kaito sagen. Das Gras raschelte leise, als sein Partner sich ebenfalls neben ihn auf den Boden setzte. Gleich darauf spürte Yukine, wie Kaito näher rückte und sich an ihn lehnte.
»Tu ich das? Eigentlich genieße ich lediglich den Tag hier.«

Eine Trinkflasche schob sich langsam in sein Blickfeld, die Kaito ihm reichte. Er nahm sie an, trank jedoch nicht daraus und stellte sie lediglich zwischen seine Beine.
»Ich nahm an, dass du dir Gedanken über das heutige Treffen machst.«
»Gewissermaßen schon. Ich habe Pawel und Ilona eine halbe Ewigkeit nicht gesehen.«

Yukine senkte den Blick auf den feinen Sand, ließ ihn in Kaitos Richtung schweifen und verharrte auf den schwarzen Sneakers, die mit neonfarbenen Schnürsenkeln geschnürt waren. Rechts pink, links grün. Anschließend wanderten seine Augen über Kaitos Beine, die verwaschen wirkende, schwarze Jeanshose, bis er schließlich aufsah und ihm ins Gesicht blickte.

»Ich weiß nicht, wie die beiden reagieren werden. Vielleicht hätte ich ihnen schreiben sollen, dass …« Kaitos smaragdfarbene Augen sahen ihn sanft an, während er den Kopf leicht schüttelte.
»Nein, das ist nichts, was man in eine Mail oder Kurznachricht packen sollte. Die beiden werden es sicher verstehen.«

Kaito rückte noch etwas näher und bevor Yukine sich versah, lagen die Lippen des Rotschopfs auf seinen. Er spürte, wie Kaito die Hand auf seinen Oberschenkel legte und den Kuss vertiefte. Ohne Zögern erwiderte Yukine die Geste, legte den Kopf leicht schief und schloss dabei genießend die Augen.

Er musste grinsen, was Kaito anscheinend dazu brachte, ihren Kuss zu unterbrechen und ihn fragend anzusehen. »Wieso grinst du jetzt?«
»Weil du mich sonst eher selten in der Öffentlichkeit küsst. Selbst Händchenhalten scheint nicht so dein Ding zu sein.« Als Kaito den Mund öffnete, um etwas zu sagen, schien er sich noch keine Antwort darauf überlegt zu haben. Und als er ihn wieder schloss, musste Yukine unwillkürlich glucksen.

»Das stimmt doch gar nicht«, sagte er schließlich und verzog die Lippen dabei zu einem Schmollmund. »Händchenhalten ist voll mein Ding.« Yukine lachte, legte seine Hand auf Kaitos und verschränkte ihre Finger miteinander. »Ich mag nur die Blicke nicht, die manche Menschen uns zuwerfen, wenn sie es sehen. Das ist unangenehm.«

»Mach dich nicht so verrückt«, antwortete Yukine, der das Verhalten der Menschen auch jetzt noch nicht verstand. Nicht gänzlich zumindest. »Ich verstehe dich sehr gut. Noch vor wenigen Jahrzehnten war es in meiner Welt gar nicht möglich, eine Liebesbeziehung nach außen zu zeigen. Die Zeiten ändern sich, es wird irgendwann anders sein.«

Er lehnte sich an Kaito und richtete den Blick auf den See. Ihre Finger blieben nach wie vor miteinander verflochten. »Mit unseren langen Leben werden wir es vielleicht noch erleben.«
»Das wäre schön«, entgegnete Kaito leise und Yukine spürte, wie der Rotschopf sich ebenfalls an ihn lehnte.

Etwa eine halbe Stunde später hatten sich die beiden Männer in das Hotelzimmer begeben, nur um gleich darauf unter die Dusche zu gehen. Zusammen, weil sie dachten, dass es zeitsparend wäre. Dem war am Ende nicht so. Und wenn Naoki sie nicht unterbrochen hätte – um zu sagen, dass sie sich beeilen sollten –, wären die beiden vermutlich noch eine ganze Weile länger im Bad geblieben.

Yukine war nicht verärgert, dass Naoki sie unterbrochen hatte. Ehrlich gesagt war er überrascht gewesen, den Heiler zu sehen. Naoki hatte sich nach der Zufahrt nicht mehr blicken lassen und tatsächlich hatte es Yukine Sorgen bereitet. Nicht nur ihm, Kaito ebenfalls – bei dem Rotschopf bemerkte man es sogar sofort.

»Ist es für euch in Ordnung, wenn ich mitkomme?«, hörte Yukine Naoki fragen. Er hatte sich von ihm abgewandt und betrachtete sein Outfit im Spiegel. Dass der Heiler hinter ihm stand, wusste er auch so. »Wenn doch, dann würde ich einfach wieder eine Weile ruhen.«

»Quatsch«, schnaubte Yukine, er strich das Hemd glatt, das Kaito ihm gegeben hatte, und drehte sich anschließend um. »Du warst die ganzen letzten Stunden abwesend …« Der Fae trat an Naoki heran, umfasste sein hübsches Gesicht und lächelte ihm zu. Mit den Daumen strich er sanft über die Wangen des Heilers, bevor er sich hinab beugte und ihm einen Kuss auf die Stirn gab. »Wir würden uns über deine Anwesenheit freuen. Aber es bleibt dir überlassen.«

Es dauerte einen Moment, dann stahl sich ein breites und glückliches Lächeln auf Naokis geschwungene Lippen. Seine Augen begannen zu funkeln und gleich darauf fiel der Heiler Yukine um den Hals. Aus Reflex fing der Fae ihn auf und drückte seinen Körper an sich.
»Danke«, hauchte Naoki an sein Ohr und drückte sich gleichzeitig fester an ihn. »Auch wenn sie mich nicht sehen werden, wäre ich gerne dabei.«

Die Tür zum Bad öffnete sich und wenig später stand Kaito im Raum. Er musterte Yukine, der Naoki nach wie vor im Arm hielt. Ihre Blicke begegneten sich und Kaito schien einen Moment zu zögern. Als wüsste er nicht, was er sagen oder tun sollte.
»Ich wäre dann soweit«, brachte er schließlich heraus.

Er hatte seine roten Haare geföhnt und ordentlich gekämmt, zudem trug er nun ein anderes Outfit. Das Treffen mit Pawel und Ilona war kein formelles, deshalb trug Kaito ein schlichtes, schwarzes T-Shirt – dieses Mal ohne einen seiner Sprüche, Band-Logos oder Anime-Figuren als Aufdruck – eine seiner vielen, fast gleich aussehenden Jeans und dazu ein rot-schwarz kariertes Hemd. Letzteres trug er offen, sodass man einen Blick auf die Halskette hatte, die er gar nicht mehr auszog, weil es bedeuten würde, dass er Naoki nicht mehr sehen konnte.

»Von mir aus können wir los. Aber wenn ihr noch einen Moment braucht …« Er schob seine Hand in die Hosentasche und musterte Yukine. »Dann nehmt ihn euch.« In dem Moment ließ Naoki von Yukine ab, löste die Umarmung und drehte sich zu Kaito herum.
»Ach, nein. Alles gut«, sagte der Heiler, strich eine seiner Locken hinter das Ohr und trat schließlich an Kaito heran. »Meinetwegen können wir gerne los.«

Im Vorbeigehen bekam der Rotschopf einen Kuss auf die Wange, dann löste Naoki sich einfach auf. Er ließ die beiden allein im Raum stehen, doch Yukine wusste, dass er früher oder später dem Treffen beiwohnen würde. Sonst hätte er nicht gefragt, ob er dabei sein durfte.

Als Yukine seinen Freund ansah, hielt er gerade seine freie Hand an die Wange, auf die er einen Kuss bekommen hatte. Er sah zuerst ein wenig verwirrt und überrumpelt aus, grinste dann jedoch breit.
»Wir sollten deine Freunde nicht warten lassen«, sagte er nur noch, bevor auch er sich abwandte und aus dem Raum ging.

Yukine war ein wenig verwundert über Naokis Handlung. Doch wenn er genauer darüber nachdachte, war es gar nicht so ungewöhnlich. Luana, die beste Freundin des Heilers, hatte nicht selten solche kleinen Gesten über sich ergehen lassen. Das bedeutete doch nur, dass Naoki Kaito mochte, oder? Nicht mehr oder weniger, nur eine freundschaftliche Geste.

Und selbst wenn es anders wäre, wenn es mehr wäre, gestört hätte es Yukine nicht. Tatsächlich freundete er sich gerade mehr und mehr mit dem Gedanken an, dass Naoki, Kaito und er in einem anderen Zeitstrang, einem besseren, vielleicht eine gemeinsame Zukunft gehabt hätten. Und irgendwie verankerte sich dieser Gedanke in seinem Kopf. Der Wunsch, dass sie tatsächlich zu dritt eine Zukunft haben könnten.

»Kommst du?«

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