Kapitel 4 - Regentage

Es war Samstag, später Nachmittag. Draußen nieselte es, der Himmel war mit grauen Wolken verhangen und ließ keinen einzigen Sonnenstrahl hindurch. So war es schon die ganzen letzten Tage gewesen – kalt, aber nicht kalt genug, damit Schnee fallen konnte.

Wenn Kaito etwas mehr verabscheute als den Winter an sich, dann waren es solche Tage. Grau, kalt und nass. Eine äußerst unangenehme Kombination, wie er fand. Zu allem Überfluss war sein Geburtstag nicht mehr fern. Welch Ironie des Schicksals, dass er, der den Winter nicht mochte und die Kälte nicht ertrug, im Dezember geboren wurde.

Eiligen Schrittes und mit einem Regenschirm bewaffnet, verließ er die U-Bahn Station. Die feuchte und rutschige Treppe hinauf ins Freie, wo er den Schirm aufspannte und mitten im Weg stehen blieb. Tief atmete Kaito durch. Einmal, zweimal … Die Luft stank nach Abgasen.

Fremde Menschen drängten sich an ihm vorbei, während er einfach nur da stand und zur anderen Straßenseite starrte. Sie schenkten ihm keinerlei Beachtung, jeder verfolgte seine eigenen Ziele. Alles war wie immer hektisch. Niemand hatte Zeit. Er dagegen stand nur da, wie festgewachsen oder festgefroren.

Der Niesel wurde zum Regen und prasselte geräuschvoll auf seinen schwarzen Schirm. Unter seinen Füßen bildeten sich immer größere Pfützen und Kaito war froh, dass seine Schuhe wasserdicht waren. Sonst wäre der Tag noch schlimmer, als er es ohnehin schon war.

Er fischte sein Smartphone aus der Jackentasche und blickte auf die Uhrzeit. Halb vier – Kaito war viel zu früh dran, das wurde ihm gerade bewusst. Alles, was er wollte, war diesen Nachmittag überstehen. Seine Hände zitterten und trotz der Handschuhe konnte er deutlich spüren, wie kalt sie waren. Es nützte nichts, weiter im Regen zu stehen, abzuwarten und sich den Arsch abzufrieren.

Unwillig setzte er sich wieder in Bewegung und steuerte sein Ziel an. Ein hübsches Café auf der anderen Straßenseite. Das, das er die ganze Zeit über angestarrt hatte. Alles in ihm sträubte sich, hineinzugehen. Doch alles war besser, als hier draußen im Regen zu stehen. Mit einer Ausnahme: zurück zur Station gehen, in die Bahn steigen und wieder nach Hause fahren.

Aber er konnte nicht, Amara würde ihm den Kopf abreißen, wenn er es tun würde. Gegen seinen Willen hatte seine beste Freundin ihn mit jemandem verabredet, den er gar nicht kannte. Das einzige, was er über die Person wusste, war, dass es sich um eine Frau in seinem Alter handelte. Laura, soweit er sich erinnerte. Eine Freundin aus der Unizeit, bei der Kaito sich wunderte, dass Amara noch nie über sie geredet hatte.

Jedenfalls widerstrebte es ihm, sich mit ihr zu treffen. Gleichzeitig wollte er sie nicht einfach sitzenlassen, weil er nicht diese Art von Mann war. Blinddate hin oder her, das wäre unfair der Frau gegenüber. Also trat er in das warme, nach Tee, Kaffee und Kuchen duftende Café und erspähte sogleich einen freien Platz am Fenster. Das hier war das letzte Mal, das schwor er sich. Sollte Amara ihm noch einmal vorschlagen, ihn mit jemandem zu verabreden, würde er hartnäckiger bleiben. Ganz sicher.

Seufzend steckte er den nassen Regenschirm in den dafür vorgesehenen Regenschirmständer und steuerte anschließend den Platz an, den er zuvor gesehen hatte. Von hier aus konnte man auf die Straße sehen, die Menschen beobachten, die vor dem Regen flüchteten. Doch der eigentliche Grund für die Wahl des Tisches war die Heizung, die sich hier befand. Er rückte etwas näher heran und versuchte, sich daran zu wärmen.

Noch etwa zwanzig Minuten, dann würde diese Frau auftauchen. Kaito hoffte, dass sie sich nicht verspäten würde, er kam sich ohnehin blöd vor, allein hier zu sitzen. Es war kein Ort, an den er normalerweise kommen würde. Das Lokal richtete sich offensichtlich an junge Frauen. Alles war hell, hübsch dekoriert und in Pastellfarben gehalten. Manch einer würde behaupten, dass es ganz niedlich war, doch Kaitos Geschmack entsprach es nicht. Kitschig, das war das Wort, das ihm durch den Kopf ging.

Er zog die Jacke aus und ließ sie über dem Stuhl hängen, dann warf er einen Blick in die Getränkekarte. Zimt, Vanille, Spekulatius, Marzipan – alles, was das Herz begehrte. Passend zum Winter, der eigentlich kein richtiger Winter war.
»Hey, kann ich dir etwas bringen?« Beim Klang der Stimme zuckte Kaito heftig zusammen. Er sah von der Getränkekarte auf und blickte direkt in die grünen Augen einer kleinen Kellnerin.

Sie trug eine Uniform, die passend zum Lokal war. Pastell und mit niedlichen Verzierungen. Schon beim Reinkommen hatte er sie gesehen, jedoch nicht weiter beachtet. »Noch unentschlossen?«, fragte sie und lächelte dabei. Kleine Grübchen bildeten sich auf ihrem Gesicht und ließen sie sympathisch wirken. »Ich empfehle unsere Tagesspezialität«, fuhr sie fort, zückte ihren Block und einen Stift. »Milchkaffee mit Marzipan und Zimt – haben wir auch als vegane Alternative.«

Abwartend sah sie Kaito an, der die Getränkekarte an die Seite schob.
»Oh, hey«, brachte er hervor. »Klingt gut, nehme ich …« Sie notierte es sich und sah anschließend auf den freien Platz. Nicht lange, nur einen Augenblick, dann lagen ihre grünen Augen wieder auf Kaito. Es war dieser seltsame Blick, den ihm manche Menschen zuwarfen. Interessiert.
»Darf es sonst noch etwas sein? Unser Kuchen wird von unserer Chefin täglich frisch gebacken.«

Kaito schüttelte den Kopf und sagte dann: »Erst einmal nicht. Nur der Kaffee.« Sie nickte und schenkte ihm ein weiteres Lächeln, bevor sie sich schließlich abwandte und ging. Es war ihm unangenehm gewesen, wie die Kellnerin ihn angeschaut hatte. Nach wie vor verstand er nicht, wieso manche Menschen – egal ob Frauen oder Männer – ihn so intensiv musterten. An ihm war nichts Ungewöhnliches dran, außer seinen seltsamen Ohren, die er von seiner Mutter geerbt hatte.

Es war nicht so, als würde er sich als hübsch oder attraktiv ansehen. Eher im Gegenteil. Deshalb trug er auch oft weite Kleidung, die seinen dürren Körper verbarg oder zog sich die Kapuze tief ins Gesicht, nur um es zu verbergen. Dennoch fing er sich nicht selten solche Blicke ein. Nach all den Jahren sollte er sich daran gewöhnt haben, aber dem war nicht so. Vielleicht lag es an seinen seltsam roten Haaren, er wusste es nicht.

Statt weiter darüber zu grübeln, wandte er sich dem Fenster zu und beobachtete den Regen. Es schien nicht so, als würde es bald aufhören und ihm graute es jetzt schon davor, durch den Regen nach Hause gehen zu müssen. Kaito war so in dem Anblick und seinen Gedanken versunken, dass er erneut zusammenzuckte, als die Bedienung mit seinem Kaffee zurückkam. Sie stellte ihn auf den Tisch und räusperte sich.

»Lass ihn dir schmecken.« Die Frau zwinkerte und ließ Kaito anschließend mit dem Kaffee allein. Verdutzt sah er ihr hinterher, konnte noch immer nicht glauben, was gerade passiert war. Dass die Kellnerin ihn die ganze Zeit geduzt hatte, hatte er auch nicht bemerkt. Dafür war er viel zu überrumpelt von ihrem Auftreten gewesen. War das schon flirten? Dabei war sie doch deutlich jünger als er …

Sein Blick glitt zum Kaffee, den die Frau abgestellt hatte. Er roch verführerisch und süß. Aus dem Milchschaum hatte man eine kleine Figur geformt, die seiner Meinung nach wie eine sehr rundliche Katze aussah. Der Anblick ließ ihn schmunzeln, es war beinahe zu schade, das kleine Kunstwerk zu zerstören. Trotzdem hob er die Tasse an und nippte daran.

Der Kaffee schmeckte genauso wie er roch. Winterlich, nach Marzipan und einem Hauch von Zimt. Genießend schloss Kaito die Augen und nippte ein weiteres Mal daran. Wärme breitete sich in ihm aus. Ein wohliges und angenehmes Gefühl, das ihn langsam aber sicher aufwärmte.

Er stellte die Tasse ab und sah zur Tür, die sich in diesem Moment öffnete. Die Frau, die eintrat, trug einen gelben, sehr auffälligen Regenmantel. Sie steckte ihren Schirm ebenfalls in den Regenschirmständer und sah sich um. Ihr Blick blieb an Kaito hängen, ehe sie auf ihn zukam.

So zielstrebig wie sie in seine Richtung ging, vermutete er, dass es sein Date war. Wahrscheinlich hatte Amara ihr ein Bild gezeigt oder grob erklärt, wie er aussah. Mit den flammenden Haaren stach er zwischen all den Pastelltönen des Lokals mehr als heraus – was im Übrigen auch auf sie zutraf. Mit dem Quietscheenten-gelben Mantel fiel sie auch den anderen Gästen direkt ins Auge.

»Hallo, du musst Kaito sein«, sagte sein Date, nachdem sie neben dem freien Stuhl stehengeblieben war. »Ich bin Amaras Freundin – Laura.« Sie streckte Kaito die Hand aus, die er sogleich ergriff und sie begrüßte. »Freut mich, dich kennenzulernen.«
»Ah … ebenfalls«, brachte er lediglich heraus und Laura setzte sich ihm gegenüber.

Nun bekam er die Möglichkeit, sie etwas genauer zu betrachten. Nachdem Laura den Mantel ausgezogen hatte, kam ein ebenso farbenfrohes Outfit zum Vorschein. Genau das Gegenteil zu Kaito, der in seiner schwarzen Jeans und dem dunkelblauen, langärmligen Oberteil dasaß.
»So ein Mistwetter«, schimpfte sie und rutschte näher an den Tisch heran. Ihre braunen, warmen Augen richteten sich auf ihn und ein leichtes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen.

Sie war hübsch. Langes, gewelltes Haar, das die Farbe von Karamell hatte, fiel ihr über die Schultern. Ihre Haut leicht gebräunt, nicht so wie Kaitos, welche fast nie die Sonne zu Gesicht bekam. Ihr Gesicht schmal mit einem spitzen Kinn und einer kleinen Stubsnase. Fein gezupfte Brauen und kleine Lachfältchen neben den Augen. Ihre Lippen voll und rosig. »Wartest du schon lange?«

»Nein, bin erst vor kurzem eingetroffen«, sagte er und warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Auch sie war früh dran, das kannte er von seinen vorherigen Dates anders. Das Geschlecht spielte dabei keine Rolle, sie erwiesen sich allesamt als eher unpünktlich. Ließen einen warten.
»Dann bin ich froh, habe schon befürchtet, dass ich zu spät kommen würde, weil ich die Bahn verpasst habe.«

Laura wirkte eindeutig erleichtert darüber, dass sie es doch pünktlich geschafft hatte. »Ich lasse andere ungerne warten.«
»Dann haben wir etwas gemeinsam«, entgegnete Kaito und schenkte ihr ein schiefes Lächeln. »Tut mir leid, dass Amara dich hierzu genötigt hat.« Laura ihm gegenüber blinzelte, dann lachte sie auf.
»Nicht schlimm, sie meint es ja nur gut. Ich hoffe, dass es dir nicht allzu unangenehm ist, dich mit einer fremden Person zu treffen.«

Er nippte gerade an seinem Kaffee und sah ihr über den Tassenrand hinweg entgegen. Es wunderte ihn, dass Laura sich überhaupt dazu hatte überreden lassen, herzukommen. Sie wirkte auf Kaito wie jemand, der eigentlich keine Probleme beim Daten haben sollte. Auf den ersten Blick schien sie nicht nur hübsch zu sein, sondern auch nett und freundlich.

»Es ist nicht das erste Mal, dass Amara versucht, mich mit jemandem zu verkuppeln. Irgendwann gewöhnt man sich wohl daran.« Als Antwort darauf kicherte sie und nickte zustimmend. Die beiden unterhielten sich eine ganze Weile, während es draußen immer dunkler wurde. Der Regen ließ nur minimal nach, doch das schien beide nicht wirklich zu stören. Beide sprachen über belanglose Dinge und Kaito war schneller aufgetaut als gewöhnlich.

Doch er genoss den Abend. Der Kaffee war gut, der Kuchen ebenfalls – und Laura war eine wirklich bezaubernde Frau. Doch schnell wurde beiden klar, dass es kein zweites Date geben würde. Zu verschieden waren sie und ihre Erwartungen. Dennoch tauschten sie Nummern aus, um in Kontakt zu bleiben. Es war nicht unwahrscheinlich, dass sie noch einmal ausgehen würden – in einer freundschaftlichen Runde mit Amara und Tristan.

»Ich sollte jetzt los, damit ich die Bahn bekomme«, sagte Laura irgendwann. Sie hatten ihren Kuchen aufgegessen und den Kaffee ausgetrunken. Doch war es so gemütlich und warm, dass keiner den Abend beenden wollte. Keiner von ihnen wollte hinaus in die nasse Dunkelheit.
»Ich sollte auch …« Kaito erhob sich und zog seine Jacke an. Bezahlt hatten sie schon und obwohl Kaito darauf bestanden hatte, für sie zu bezahlen, hatte Laura abgelehnt.

Es war ein durch und durch seltsames Date gewesen. Sie hatten sich von Anfang an wie Freunde benommen.
»Ich werde Amara berichten, wie es gewesen ist und ihr anbieten, dass wir demnächst mal wieder Bowlen sollten. Dann kannst du ja mit.«
»Klingt gut, vielleicht finden sich noch ein paar Leute, die ebenfalls wollen.«

Laura nickte und strahlte dabei. Sie warf sich den auffälligen Mantel über und umarmte Kaito freundschaftlich. »Danke für den schönen Abend, auch wenn es nicht so lief, wie Amara es gerne gehabt hätte.«
»Kann ich nur zurückgeben.« Kaito drückte sie kurz, aber fest an sich, dann entließ er sie. Gemeinsam gingen sie zur Tür, nahmen ihre Regenschirme und verabschiedeten sich, nur um anschließend in entgegengesetzte Richtungen zu gehen.

Dass Kaito auf dem Heimweg jemandem begegnen würde, den er schon eine Weile nicht mehr gesehen hatte, hatte er an diesem Abend nicht mehr erwartet …

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top