Kapitel 22 - Seltsame Verbindung
»Weißt du, vor vielen Jahrtausenden gab es auf Elysium noch die wilden Fae. Sie lebten abseits unserer Städte in kleinen Gemeinden, bauten ihre Dörfer und hielten sich von uns und anderen Völkern fern. Wir waren nicht verfeindet, aber unsere Kulturen haben sich sehr unterschieden.«
Yukine, der kaum geschlafen hatte, machte es sich auf dem Sofa bequem. Er kroch zurück unter die Decke und war froh, als Kaito es ihm gleich tat. So konnte er sich an den Game-Designer kuscheln und den Kopf auf seiner Brust betten. Fast automatisch glitt seine Hand unter Kaitos Oberteil, um mehr Körperkontakt herzustellen.
»Es heißt, dass der Äther der wilden Fae anders als unseres war. Dunkel und finster, wie die negative Energie der Drachen. Das genaue Gegenteil davon, was den modernen Fae in den Städten zur Verfügung stand. Außerdem behaupten Schriften, dass sie aggressiv und bösartig waren.«
Kaito zuckte leicht zusammen, als Yukines Fingerspitzen über seine Seite glitten. Es schien ihn zu kitzeln und dennoch sagte er nichts, als wollte er Yukine nicht unterbrechen. »Auch äußerlich sollen sie sich von uns unterschieden haben. Mit prächtigen Hörnern, langen Ohren und Augen, die selbst der Nacht trotzen konnten.«
»Wie kommt es dann, dass ihr Blut durch deine Adern fließt?«, fragte Kaito. Er drehte sich ein wenig, nahm Yukine in den Arm und verhinderte dadurch, dass der Fae weiter über seine Seite streichen konnte. Doch das störte Yukine nicht, er legte seine Hand auf Kaitos Rücken und ließ sie dort ruhen.
»Auf die gleiche Weise wie bei dir und den anderen, die wie du sind. Wir haben uns miteinander vermischt. Es wurden Kinder gezeugt, in deren Blut das Erbe der wilden Fae geflossen ist. Diese wiederum vererbten es weiter, selbst dann noch, als die wilden Fae längst vom Planeten verschwunden waren. Das Blut ist dünn und die wenigsten Fae wissen etwas darüber, aber man findet die Erben heute noch.«
»Wenn du nun Kinder bekommen würdest, wären sie wie du?«
»Vielleicht«, seufzte Yukine. »Vielleicht auch nicht. Weder mein Vater, noch meine Geschwister oder Mutter haben es geerbt. Ich würde es weitergeben, jedoch könnte es mehrere Generationen überspringen.«
Als Kaito zu schweigen begann, schloss Yukine die Augen und ließ sich von dem angenehmen Geruch umhüllen, der von dem Game-Designer ausging. Der Traum und die Erscheinung des falschen Naoki zerrten an ihm und Yukine war sich sicher, dass er in dieser Nacht keinen Schlaf mehr finden würde.
»Wann hast du dich das erste Mal verwandelt?« Yukine grummelte nachdenklich, obwohl er genau wusste, wann es gewesen war. Diesen Tag würde er niemals in seinem Leben vergessen können – auch wenn es keine besonders gute Erinnerung war.
»Im Sommer meines achten Lebensjahres«, sagte er. »An diesem späten und heißen Nachmittag waren meine Kräfte erwacht und mit ihnen das Blut der wilden Fae. Ich war das letzte Kind aus unserem Hort, das bis dahin keinerlei Kräfte hatte.«
Yukine erinnerte sich noch genau an diesen Tag. An die schwüle Hitze, den leichten Wind und den Geruch nach Blumen, der in der Luft gelegen hatte. Selbst daran, was es an diesem Tag zu Mittag gegeben und was für Kleidung er getragen hatte. Niemals würde er es vergessen können, selbst wenn er es wollen würde. »Damals war ich ein richtiger Aussenseiter.«
Er erhob sich ein wenig, sodass es ihm möglich war, Kaito anzusehen. »Die meisten Kinder haben mich damals gemieden. Naoki war eine Ausnahme. Er war immer an meiner Seite gewesen. Die anderen fanden ihn seltsam, also passten wir als Sonderlinge wohl gut zusammen.« Es gab natürlich Ausnahmen, Luana zum Beispiel, die immer eine Freundin für Naoki gewesen war.
Yukine und sie hatten sich anfangs nicht sonderlich gut verstanden. Jedoch hatte es sich im Laufe der Zeit verändert. Sie hatte gemerkt, wie viel Naoki Yukine bedeutete und andersherum ebenfalls. Ihre Beziehung zueinander hatte die gleichaltrige Kriegerin nie so richtig verstanden, aber akzeptiert.
»Weißt du, ich glaube bis heute, dass die Kinder im Hort gemerkt haben, dass etwas anders an mir ist. Was wiederum auf alle anderen abgefärbt hat, die dafür kein Gespür haben«, sagte Yukine leise. Ohne Naoki wäre er damals furchtbar einsam gewesen und zu jemand anderem geworden. Er wollte sich nicht vorstellen, zu was für einer Person er herangewachsen wäre, hätte er Naoki nicht in sein Herz gelassen.
Zum Glück hatte er diesen Weg gewählt, mit Naoki als seinen Partner. »Naoki dagegen … Ihn hat es nie gestört, wer ich bin und was in mir schlummert. Genauso hat er sich nie beirren lassen, wenn andere schlecht über mich sprachen. Ich verdanke ihm also sehr viel.«
»Das ist …« Kaito unterbrach sich selbst, bevor er noch einmal ansetzte: »Ich verstehe, wieso er dir so wichtig ist.«
Lächelnd betrachtete Yukine ihn. Kaito hatte recht, Naoki würde immer ein Teil seines Lebens bleiben. Egal wie er es drehte oder wendete: er hatte seinem ehemaligen Partner viel zu verdanken. »Und er wird es immer sein«, sagte Kaito leise, senkte den Blick und seufzte langgezogen.
»Du bist mir ebenfalls wichtig. Ich fühle mich unglaublich wohl bei dir«, entgegnete Yukine immer noch lächelnd. Als Kaito den Blick hob und Yukine in die Augen sah, konnte der Fae nicht anders. Er beugte sich vor und verschloss ihre Lippen miteinander, um Kaito zu zeigen, was er empfand. Und auch, um seine Gedanken an Naoki zu vertreiben.
Zärtlich küsste er ihn, schnappte immer wieder leicht nach seiner Unterlippe und genoss dabei jeden Atemzug, den sie mit ihren Liebkosungen tätigten. So süß, so verlockend – er liebte alles daran. Genoss es mit jeder Faser seines Körpers. Wollte am liebsten gar nicht mehr aufhören und Kaito ganz für sich haben.
Umso schöner war es, dass der Game-Designer den Kuss erwiderte und sogar vertiefte. Wie, als wollte er Yukine zeigen, dass er genauso empfand. Kaitos Zunge schob sich zwischen Yukines Lippen, bevor sie schließlich in seinen Mund glitt. Vorsichtig stupste sie die des Faes an – doch Yukine war verwirrt.
Er kannte diese Art des Küssens nicht und brauchte einen Moment, ehe er sich darauf einlassen konnte. Es war ein ungewohntes Gefühl, aber es gefiel ihm. Er konnte Kaito ganz deutlich schmecken und fühlte, wie sehr er sich hineinsteigerte. Die Hand des Rothaarigen fand ihren Weg in Yukines Haare und verweilte selbst dann dort, als sie ihren Kuss unterbrachen.
Schwer atmend sahen sich die beiden Männer an. Ein hauchdünner Speichelfaden verband ihre Lippen miteinander, bevor er schließlich riss und ihre Verbindung trennte.
»Ich …« Kaito sah Yukine in die Augen, seine Wangen waren gerötet und die Lippen leicht geschwollen. »Habe dir noch gar nicht geantwortet.«
Yukine neigte den Kopf ein wenig. Er sah den jüngeren Mann fragend an, während seine Hand über Kaitos Bauch entlang strich. »Du hast gesagt, dass du im Begriff bist, dich in mich zu verlieben.« Kaito schluckte und atmete tief durch. »Darauf habe ich dir keine Antwort gegeben.«
»Nicht schlimm«, sagte Yukine und schenkte Kaito ein sanftes Lächeln. »Das musst du auch nicht zwingend.«
»Aber ich will. Immerhin habe ich schon längst Gefühle für dich.« Er lachte, was unfassbar schön klang. »Es hat mich unheimlich gefreut, dass du ähnlich empfindest.«
Die Worte trafen direkt ins Schwarze. Yukines Herz schlug einen Salto, dann einen weiteren. Er brachte kein Wort heraus, konnte nur grinsen und Kaito erneut küssen. Das zwischen ihnen war von Anfang an seltsam gewesen. Von Anbeginn so vertraut. Diese Anziehung war nie eine Einbildung gewesen, es war so viel mehr.
Nun war sich Yukine sicher, dass zwischen ihnen eine Verbindung bestand, die der zu Naoki sehr ähnelte – wenn nicht sogar glich. Mehr als nur Gefühle. Das Schicksal hatte sie zusammengeführt und ihre Leben miteinander verknüpft.
»Alles gut? Du starrst mich so abwesend an«, fragte Kaito. Yukine blinzelte, dann grinste er.
»Ja, alles bestens.«
»Sehr gut«, sagte Kaito. Er streckte sich ein wenig. »Wir sind völlig vom Thema abgekommen. Daran sind deine unverschämten Lippen schuld.«
»Tut mir le–« Weiter kam er nicht, denn Kaito drückte seinen Finger gegen Yukines Mund.
»Hör auf dich zu entschuldigen. Ich habe es sehr genossen.« Er tauschte seinen Finger gegen seine Lippen und küsste Yukine ein weiteres Mal. »Wie wäre es mit einem Kaffee? Ich glaube, ich kann jetzt nicht mehr schlafen.«
Yukine schüttelte den Kopf und setzte sich wieder auf. Seine Hände hatten sich wieder zurückverwandelt, das bemerkte er erst jetzt.
»Kaffee klingt gut«, gestand er und tastete gleichzeitig nach den Hörnern. Sie waren ebenfalls geschrumpft, übrig blieben zwei Spitzen, die von seinem Kopf hinausragten. Bald würden auch sie gänzlich verschwunden sein.
»Sehr schön.« Kaito erhob sich von dem Schlafsofa und suchte seine flauschigen Hausschuhe zusammen, danach trottete er aus dem Zimmer. Yukine folgte ihm, nachdem er das Licht gelöscht hatte. In der Küche war es kühl, weshalb Kaito sich einen Strickpullover überstreifte, bevor er die Kaffeemaschine bediente.
»Ich könnte glatt wieder unter die Decke kriechen«, seufzte er und holte zwei Tassen heraus. Yukine stellte sich hinter ihn, nur um ihn sogleich zu umarmen.
»Du wolltest ja unbedingt aufstehen. Von mir aus hätten wir auch dort bleiben können.«
Ohne sich von Yukine ablenken zu lassen, schob der Game-Designer eine der Tassen unter die Kaffeemaschine und betätigte einen der Knöpfe. Es surrte und zischte einige Male, dann begann die braune Flüssigkeit langsam in die schwarze Kaffeetasse zu fließen.
»Wir können es uns auch auf dem Sofa gemütlich machen und Fernsehen. Da sollte es wärmer sein«, erklärte Kaito und drehte sich in der Umarmung. »Ach, und bevor ich es wieder vergesse und aufschiebe … Meine Mutter bereitet jedes Jahr für uns eine kleine Weihnachtsfeier vor und lädt meine Schwester und mich ein. Da wollte ich fragen, ob du mich begleiten würdest. Ich weiß, das kommt gerade etwas plötzlich, eigentlich hatte ich dich schon vor ein paar Tagen fragen wollen.«
Über Weihnachten hatte Yukine ein wenig gelesen. Er war zumindest vertraut mit diesen Feiertagen und kannte den Hintergrund. Auf Elysium wurde so etwas nicht gefeiert, die Fae besaßen keine religiösen Feiertage. Umso interessierter war er daran. Schaden würde es jedenfalls nicht.
»Wir sind keine Christen und der Glaube interessiert mich auch nicht. Aber ich fand es immer schön, die Tage gemeinsam mit meiner Familie zu verbringen.«
»Und da willst du mich dabei haben?« Die Kaffeemaschine gab einen Ton von sich, um Kaito mitzuteilen, dass sein Kaffee fertig war.
Der Game-Designer langte danach, tauschte die Tassen aus und drückte den Knopf erneut.
»Ja, unbedingt. Ich möchte dich ungern allein lassen. Es wird leckeres Essen geben, wir bleiben über Nacht und fahren am Tag darauf wieder heim. Du lernst meine Familie kennen …«
Mehr musste Kaito eigentlich nicht sagen.
»Ich begleite dich gerne und hoffe, dass deine Mutter nichts dagegen haben wird.« Kaito winkte ab und antwortete: »Ach was, die sagt jedes Jahr, dass ich jemanden mitbringen soll, wenn ich jemanden habe.« Er wurde leicht rot. »Meine Schwester wird mit ihrem Verlobten und ihrem Sohn da sein.«
»Dann freue ich mich darauf, deine Familie kennenzulernen. Hoffentlich wird niemand etwas dagegen haben, wenn ich dort aufkreuze.« Ein paar Bedenken hatte er, doch für Kaito würde er mitkommen. Yukine wusste nicht, wie die Reaktion ausfallen sollte, sollte er dort an Kaitos Seite aufkreuzen. Am Ende spielte es keine Rolle, sie hatten einander erwählt, daran würde niemand etwas ändern.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top