Kapitel 21 - Bluterbe
»Hey, Yukine!« Kaito rüttelte an dem Mann, in dessen Armen er noch kürzlich seelenruhig geschlafen hatte. »Was hast du?«, fragte er verzweifelt, bevor er sich gänzlich aufsetzte, um ihn besser ansehen zu können.
Der Fae antwortete nicht, seine Augen waren weit aufgerissen und die Pupillen zu Schlitzen geformt. Sein Körper lag verkrampft da und es schien, als würde er keine Luft bekommen. Yukine hielt mit der rechten Hand seinen Hals fest, auf dem sich ein seltsames verschnörkeltes Muster abbildete, das zuvor noch nicht da gewesen war.
Die zweite Hand – halb versteckt unter der Decke – schien sich in sein Oberteil gekrallt zu haben. Dort, wo sich das Tattoo befand, von dem Yukine gesprochen hatte. Von dort schienen die schwarzen Ranken zu kommen, die sich auf seiner Haut abzeichneten und um seinen Hals windeten.
Kaito riss die Decke von sich und Yukine. »Hörst du mich?« Er bekam nur ein angestrengtes, schmerzerfülltes Keuchen als Antwort. Yukine schnappte nach Luft, dann presste er die Zähne aufeinander und enthüllte damit ein paar sehr scharf aussehende Eckzähne, die Kaito zuvor noch nicht gesehen hatte.
Ein Ruck ging durch Yukines Körper. Seine Hand schloss sich für einen Moment fester um seinen Hals, dann griff er an seine Halskette und riss sie mit einer schnellen Bewegung ab. Der blau leuchtende Anhänger landete auf dem Boden. Sein Licht pulsierte für einen Augenblick, dann erlosch es einfach.
Kaito fixierte das Objekt. Der Talisman war Yukine wichtig gewesen. Er hatte gesagt, dass er ihn schützte. Wovor, das wusste Kaito nicht. Doch konnte es nichts Gutes bedeuten, wenn er ihn nicht mehr trug. Er streckte seine Hand danach aus, nahm ihn an sich und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Mann, in den er sich verliebt hatte.
Bei seinem Anblick stockte Kaito. Diese seltsamen Ranken hatten sich gänzlich um seinen Hals geschlungen, verzierten zudem seine linke Wange. Seine Hände hatten sich schwarz gefärbt, waren zu dunklen Klauen mit scharfen Krallen geworden. Mit ihnen könnte er mühelos seinen Hals verletzen und hier auf seinem Sofa verbluten.
Kaito setzte sich auf seine Hüfte und umfasste sein Handgelenk. Vergeblich versuchte er, den Arm von Yukine wegzuziehen, aber seine Kraft reichte nicht aus. »Yukine, bitte …« Ein Schluchzen entwich ihm. Die Situation war so überfordernd, dass er nicht weiter wusste. »Komm wieder zu dir, ich flehe dich an!«
Er sank auf Yukines Brust und umarmte ihn verzweifelt. Hoffte, dass er irgendwie zu ihm durchdringen würde. Dass seine Nähe, seine Umarmung etwas bewirken würde. Und das tat es anscheinend auch, denn Yukines Hand legte sich auf seinen Kopf. Er spürte, wie der Fae seine Finger vorsichtig in die roten Haare grub und schließlich den anderen Arm ebenfalls um ihn legte.
Die Brust, auf der Kaito seinen Kopf gebettet hatte, senkte sich nun regelmäßig, wenn auch schnell. Er konnte Yukines Herzschlag darunter hören. Laut, regelmäßig, aufgeregt. Es pochte unaufhörlich Blut durch die Adern seines Angebeteten. Zum Glück.
Er vergrub sein Gesicht nur noch mehr in Yukines Kleidung, inhalierte den vertrauten Geruch und versuchte, das Zittern seines Körpers unter Kontrolle zu bekommen. In der Hand, die er unter den Körper des Fae geschoben hatte, lag der Anhänger, den er aufgehoben hatte. Nun pulsierte er wieder, im gleichen Takt wie Yukines Herzschlag.
Die Minuten vergingen und Kaitos Tränen waren versiegt. Im Raum war es still. So still, dass er Yukines Atem ganz deutlich hören konnte, obwohl er ganz ruhig war. Gleichmäßig hob und senkte sich seine Brust. Kaito wagte es nicht, aufzusehen. Dabei hatte er Fragen. Viele.
»Danke«, flüsterte Yukine schließlich. Er drückte Kaito etwas fester, atmete tief durch. »Deine Stimme, die hat mich erreicht.«
»Bin ich froh …« Langsam zog Kaito seine Arme unter Yukine hervor. »Du hast nicht reagiert.« Er setzte sich auf und wischte mit dem Handrücken über seine Augen. »Und ich hatte Angst.«
Kaito spürte, wie Yukine es ihm gleich tat. Erneut umarmte der Fae ihn, schmiegte sich sogar an ihn.
»Es tut mir leid, ich wollte dir keine Angst bereiten.«
»Hast du nicht«, antwortete Kaito und schüttelte den Kopf. »Ich hatte Angst um dich, nicht vor dir.« Yukine gab ihm einen Kuss auf die Stirn, worauf Kaito aufsah und ihm in die Augen blickte.
Seine Pupillen waren nach wie vor zu Schlitzen zusammengezogen. Doch da war das vertraute Blau, in das er schon so oft geblickt hatte. Goldene Flecken, die wie Sterne aussahen, funkelten ihm entgegen. Sie schienen sich zu bewegen, genauso wie die echten am Nachthimmel.
»Geht es dir gut? Habe ich …« Yukine sprach seinen Satz nicht aus. Stattdessen begann er, Kaito genauer zu mustern.
»Das sollte ich wohl dich fragen.« Kaitos Blick wanderte tiefer. Die Ranken hatten sich zurückgezogen, schlangen sich nicht mehr um Yukines Hals entlang. Als würden sie dorthin zurückkriechen, wo sie hergekommen waren. Nur eine einzige war noch sichtbar.
Kaito hob seinen Arm und führte die Hand an Yukines Hals. Mit dem Zeigefinger strich er über sie entlang, bevor er von dem Fae aufgehalten wurde.
»Nicht, es fühlt sich an, als würde meine Haut an dieser Stelle brennen.« Sanft hatte Yukine Kaitos Handgelenk umfasst und weggezogen.
»Kannst du mir erklären, was mit dir passiert ist? Deine Hände, deine Augen …« Er nahm Yukines Hand in seine. Sie war ungewohnt kalt, aber nicht auf eine unangenehme Weise. Noch immer schwarz gefärbt, mit langen klauenartigen Fingern. Die Farbe hatte sich fast bis zu seinem Ellenbogen ausgebreitet.
Fragend wandte Kaito seinen Blick auf Yukines Augen, die ihn unentwegt angeschaut haben. Darin lag die gleiche Wärme und Zuneigung, die er schon zuvor gesehen hatte. »Was …?«
»Egal wie ich jetzt aussehe, ich bin noch immer ich.« Kaito blinzelte.
»Das weiß ich doch«, entgegnete er und schenkte Yukine ein Lächeln.
Wenn er ihn nun betrachtete, dann war er nur noch faszinierter von diesem Mann. »Aber du hast … Hörner«, stellte er schließlich in den Raum und Yukine griff sogleich an seinen Kopf. Als er die Hörner, die aus seinem Kopf herausragten, ertastete, verzog er das Gesicht.
»Ach scheiße«, fluchte Yukine. Resigniert ließ er den Arm wieder sinken.
»Sie sind hübsch«, sagte Kaito. Die Hörner bogen sich von Yukines Stirn leicht nach hinten, sodass sie nicht besonders weit in die Höhe ragten. Stattdessen wuchsen sie nach hinten. Die Spitzen waren leicht gebogen, weshalb die Hörner die Form einer Welle hatten. »Darf ich sie anfassen?«
»Du findest sie nicht abstoßend und willst sie berühren?« In Yukines Stimme schwang Verwirrung und Skepsis. Das sah Kaito ihm auch an, als er den Blick von den Hörnern abwandte.
»Ich finde sie faszinierend. So wie dich.« Yukines Augen begannen zu funkeln und mit ihnen leuchteten die Hörner auf.
»In Ordnung«, sagte der Fae schließlich. »Du kannst sie berühren.«
Aufgeregt streckte Kaito seine Hand aus und strich sanft und vorsichtig darüber. Anders als erwartet fühlten sie sich kalt und glatt an. Wie … als wären sie aus Eis oder Kristall. Ihre Farbe glich nun, wo sie zu leuchten und schimmern begannen, dem mondförmigen Kristall in Yukines Brust. Viele blaue Nuancen. Von dunkel bis hell.
Er war so gefangen von diesem Anblick, dass er völlig vergessen hatte, was eigentlich passiert war. Mit seinen Fingern konnte er eine seltsame Macht spüren, die von Yukine ausging. Dunkel, jedoch nicht furchteinflößend. Irgendwie anziehend.
Kaito zog Yukine in eine Umarmung und schloss die Augen. Er gab ihm einen Kuss auf den Kopf, dann begann er immer wieder gleichmäßig über seine Haare zu streichen.
»Kannst du mir sagen, was passiert ist? Ich bin wach geworden, weil du … dich hin und her gewälzt hast.«
Yukine vergrub sein Gesicht an Kaitos Halsbeuge und seufzte. Er brauchte einen Moment, bevor er Kaito eine Antwort lieferte: »Ich habe von Naoki geträumt. Glaube ich zumindest. Er hat sich seltsam benommen, nicht wie der Mann, den ich gekannt habe. Seine Worte haben mich in Rage versetzt, er hat so abfällig über dich geredet.«
»Es war nur ein Traum und nicht …«
»Nein, eben nicht. Dieser falsche Naoki, er wollte mich mitnehmen. Er wollte, dass ich ihm folge.« Kaito blieb stumm und strich weiter durch Yukines Haar. »Ich sagte doch, dass unser Schwur ein Fluch ist«, flüsterte er. »Und ohne dich wäre ich nicht zu Bewusstsein gekommen.«
»Dabei habe ich doch nichts getan.«
»Doch, du hast mich gerufen und deine Rufe haben mich erreicht, während ich regungslos im Nichts geschwebt habe. Ich habe nichts gehört, gesehen oder gefühlt. Da war absolute Leere und Stille – bis ich meinen Namen hörte.«
Yukine küsste ihn auf den Hals, was ein wenig kitzelte. Diese kleine und unscheinbare Geste ließ Kaitos Herz ein wenig höher schlagen.
»Und was hat dein Aussehen zu bedeuten? Du hast nie erwähnt, dass die Fae sich verwandeln können.«
Nachdenklich drehte Kaito den Anhänger zwischen seinen Fingern. Wieso Yukine ihn abgerissen hatte, verstand er ebenfalls nicht. »Dieser Talisman, du sagtest, dass er dich beschützt. Wovor genau?«
»Ja, das sollte er eigentlich«, entgegnete Yukine und sah auf. »Er soll verhindern, dass ich mich verwandle.«
Kaito grinste schief und drückte Yukine sogleich den Anhänger in die Hand.
»Dann solltest du ihn dir nicht einfach vom Hals reißen, sonst kann er dich wohl nicht schützen.«
»Stimmt, das kann er in dem Fall nicht. Jedoch bietet er keinen vollen Schutz. Er unterdrückt meine Kräfte zwar … aber nur bis zu einem gewissen Grad. Wenn ich emotional aufgewühlt bin …«
»Dann verwandelst du dich?«, beendete Kaito den Satz, den Yukine offen gelassen hatte.
»Teilweise. In einem geringeren Ausmaß als jetzt.«
»Ist das bei jedem Fae so?«
»Nein. Die wenigsten können so etwas. Die meisten Fae sind ganz normal. Wie Naoki oder meine Freunde. Und dann gibt es ein paar, in denen das Blut der wilden Fae fließt, wie bei mir.«
»Ich wusste doch, dass du etwas besonderes bist.« Kaito drückte Yukine einen Kuss auf die Stirn. »Ich will mehr darüber wissen. Mehr über dich … über alles.«
»Ganz wie du wünscht …«
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