Nach dem Gespräch mit Kaito und den vergossenen Tränen, den schmerzhaften Erinnerungen, war Yukine völlig ausgelaugt gewesen. Noch nie hatte er sich jemand anderen so verletzlich gezeigt. Diese Seite von ihm hatte in all den Jahren nur Naoki ein paar Mal zu sehen bekommen. Doch Kaito hatte etwas an sich, das Yukine nicht benennen konnte.
Es hatte sich gut angefühlt, jemandem seine Gefühle und Gedanken anzuvertrauen und einfach loszulassen. Nun fühlte er sich freier, auch wenn es ihn etwas an Überwindung gekostet hatte, über Naoki zu reden. Aber es war nötig gewesen. Kaito hatte ihn aufgefangen, war für ihn da gewesen. Er hatte Verständnis gezeigt und gleichzeitig Trost und Nähe gespendet. Es war richtig gewesen, ihm zu sagen, was er fühlte.
Die Verbindung, die Yukine zu Kaito spürte, war der zu Naoki sehr ähnlich. Sie fühlte sich vertraut an, gleichzeitig doch so anders. Was jedoch gleich war, war Yukines Faszination für Kaito. Sie war von Anfang an da, hatte ihn nie ganz loslassen können. Auch wenn er nicht erwartet hätte, dass etwas daraus werden könnte. Und nun lag dieser Mann neben ihm, eng an Yukines Körper gekuschelt. Keinesfalls sah er Kaito als einen Ersatz an. Das war ohnehin nicht möglich.
Irgendwie war Yukine in das Leben dieses Mannes geplatzt, nur um tatsächlich einen Platz an seiner Seite zu finden. Sie waren nicht zusammen, keine Partner – oder in einer Beziehung, wie die Menschen es nannten. Genauso hatte Kaito sein Geständnis nicht erwidert. Das lag vermutlich daran, dass Yukine ihn damit überrumpelt hatte und er zu perplex darüber gewesen war.
Der Kuss, der auf die Aussage gefolgt war, hatte ohnehin mehr als tausend Worte ausgedrückt. Auf Elysium gab es bis vor ein paar Jahrzehnten das Wort Liebe gar nicht. Er und Naoki hatten sich davor nie auf diese Weise ihre Gefühle gestanden, dafür hatten sie einfach andere Möglichkeiten gefunden.
Der Begriff und seine Bedeutung kamen erst später. Pawel und Ilona hatten es ihnen erklärt, nachdem sie erfahren hatten, in was für einer Beziehung die beiden Fae damals gewesen waren. Während das Wort für Naoki ein wichtiger Teil seines Wortschatzes geworden war, hatte Yukine es selten benutzt und seine Gefühle wie zuvor gezeigt. Für ihn war das Wort immer seltsam und fremd gewesen.
Für die Menschen schien es jedoch eine große Rolle zu spielen. In den Büchern, die er die letzten Tage über gelesen hatte, kam es nicht selten vor, dass die Protagonisten einander ihre Gefühle gestanden hatten. Kaito war hier aufgewachsen, er lebte sein Leben lang unter den Menschen – da war es naheliegend, dass er wie sie dachte. Es war nur eine Frage der Zeit, bis die Eigenarten der Menschen auch auf Yukine abfärben würden.
Er seufzte leise. Kaitos Arm lag locker um ihn gelegt. Bis vor ein paar Minuten hatte er Yukine noch gekrault, doch nun schien er eingeschlafen zu sein. Sein Atem war ganz ruhig und stetig zu hören, während sein Körper ganz entspannt in Yukines Armen lag.
Nach ihrem Gespräch war Kaito bei ihm geblieben, sie hatten sich gemeinsam auf der gemütlichen Couch im Büro hingelegt und schweigend gekuschelt. Nicht einmal das Licht hatte einer von ihnen gelöscht, sodass die Stehlampe neben dem Schlafsofa noch immer brannte. Yukine kam nicht dran, um sie auszuschalten – nicht, ohne sich übermäßig zu bewegen.
Aber ihn störte das Licht nicht einmal. Auch in völliger Dunkelheit hätte er wahrscheinlich nicht einschlafen können. Darum beneidete er Kaito ein wenig, dass er so seelenruhig schlafen konnte. Müde war er, doch der erlösende Schlaf wollte einfach nicht über Yukine hereinfallen und ihn von seinen Gedanken befreien.
Immer wieder öffnete er die Augen, ließ sie durch den Raum schweifen, nur um sie seufzend wieder zu schließen und das Gesicht in Kaitos Haaren zu vergraben. Die roten und süßlich riechenden Strähnen kitzelten ein wenig, wenn er einatmete. Aber er mochte diesen Geruch einfach, er war schon so vertraut ...
»Ein bisschen zu vertraut, findest du nicht?«
Yukines Lider flatterten erschrocken auf. Er war sich nicht sicher gewesen, ob er die Stimme wirklich gehört hatte oder sie ein Produkt seines Gehirns war. Doch dann traf sein Blick auf klare, honigfarbene Augen, die ihn so sanft wie immer ansahen. Er hielt die Luft an und zog Kaito, der nun zwischen ihm und seiner einstigen Liebe lag, enger an sich. Ihm war klar, dass Naoki nicht real sein konnte.
»So viel dazu, dass es niemals jemand anderen für dich geben könnte.«
Naokis Hand berührte Yukines Gesicht, strich leicht über seine Wange. In seiner Stimme war eindeutig Enttäuschung und Verachtung zu hören gewesen. Doch sein Gesicht, der Ausdruck darauf, ließ nichts davon erkennen. Er sah genauso aus, wie Yukine ihn immer in Erinnerung hatte. Karamellfarbene Haut mit unzähligen Sommersprossen, lange, blonde Locken, ein rundes Gesicht und große, neugierige Augen.
Das vor ihm war eindeutig sein Naoki. Es war seine Stimme die Yukine hörte und seine Hand, die ihn berührte. Die vertrauten, schlanken Finger, die zärtlich ihre Bahnen über Yukines Kinn und Wange zogen. Das gleiche, warme Gefühl, das dieser Mann immer in ihm hervorgerufen hatte. Ein Prickeln, das er auf seiner Haut spürte, dort wo Naoki ihn berührte.
»Du hast mich ersetzt. Und wofür?«
Naoki zog seine Hand zurück und nahm eine von Kaitos Strähnen zwischen die Finger. Missbilligend betrachtete er den schlafenden Mann, der von alledem nichts mitbekommen konnte. Kaito rührte sich nicht einmal. Es war, als läge eine leere Hülle zwischen ihnen.
»Er ist deiner nicht würdig. Halb Mensch, halb Fae. So etwas Widernatürliches.«
Trotz der verachtenden Worte lag ein zuckersüßes Lächeln auf Naokis Lippen. Auf den schönen, geschwungenen Lippen, die Yukine einst so hingebungsvoll geküsst hatten. Doch in diesem Moment hasste er sie. Es machte ihn wütend zu hören, was sein früherer Gefährte sagte.
»Eine so ... erbärmliche und hässliche Gestalt.«
Naoki richtete sich ein wenig auf, ließ von Kaito ab und beugte sich zu Yukine herüber. Sein Haar, das sich wie flüssiges Gold über ihn ergoss, hinderte ihn daran, etwas anderes als Naoki zu sehen. Sie waren wie ein Vorhang, der alles unwichtige verdeckte.
»Du solltest mit mir kommen, ich warte schon so lange darauf, dass du dich endlich zu mir gesellst. Immerhin gehören wir zusammen. Weißt du nicht mehr? Uns verbindet mehr als das Schicksal.«
Erzürnt über die Worte seines Geliebten, versuchte Yukine Worte zu formen. Doch kein Laut verließ seinen Mund. Keine Widerworte, die er Naoki entgegen gebracht hätte. Nicht eine einzige Silbe. Er blieb gegen seinen Willen stumm.
»Na komm, ich habe lange genug zugesehen, wie du leidest. Es ist Zeit, dass du wieder an meine Seite kommst und dieses unwürdige Halbblut zurücklässt.«
Wieder lächelte Naoki, dann beugte er sich zu Yukine hinab und verschloss ihre Lippen miteinander. Yukine erwiderte es nicht, er fühlte nicht einmal etwas, als er geküsst wurde. Alles, was er tat, war zu Naoki hinaufsehen, es über sich ergehen zu lassen. Sein Körper reagierte nicht, verweigerte ihm jeglichen Dienst.
Dann verschwamm alles. Es war, als würde seine Lebenskraft schwinden. Er konnte seine Augen kaum offen halten, die Lider so schwer, sein Körper ganz träge. Da war nur noch der Kuss von Naoki, nicht mehr und nicht weniger. Als würde die Welt um ihn herum nicht mehr existieren.
»Du gehörst ganz mir, Yukine, das weißt du doch.«
Dann wurde alles schwarz und leer. Schwerelos, bedeutungslos und finster. Naoki war verschwunden, Kaito ebenfalls und Yukine schwebte wie losgelöst durch das Nichts, das ihn umgab. Alles, was geblieben war, war die Wut über Naokis Worte. Sie hielt ihn bei Verstand.
Das war nicht mein Naoki, so etwas hätte er nie gesagt. Er war ein ehrlicher, aufrichtiger und liebevoller Mann. Solch scheußliche Worte hätten niemals seinen Mund verlassen ...
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