Tote kommen nicht mehr zurück – der Satz stand zwischen ihnen im Raum und hallte immer wieder durch Kaitos Kopf. In den Augen des Faes konnte er eine so unendlich große Trauer erkennen, dass ihm ganz schwer ums Herz wurde. Mitleid wallte in ihm auf.
Nie hatte er gedacht, dass Yukines Partner verstorben war. Kaito ging die ganze Zeit davon aus, dass sie sich getrennt hatten. Doch das hier war viel schlimmer. Gleichzeitig änderte es so einiges.
»Naoki starb vor über einem Jahr«, sagte Yukine schließlich. Seine Stimme durchbrach diese unangenehme Stille, die sich zwischen ihnen ausgebreitet hatte.
Kaito wagte noch immer nicht, etwas zu sagen. Stattdessen betrachtete er Yukine, dem er sich gänzlich zugewandt hatte. Der Ärger, der kurzzeitig in ihm aufgestiegen war, die Angst davor, nur ein Zeitvertreib zu sein, war gänzlich verpufft. Was blieb, war die unendliche Schwere dieser Aussage.
Dass Yukine Schwierigkeiten damit hatte, über diesen Verlust zu sprechen, musste man Kaito nicht sagen. Es war mehr als verständlich. »Und weil ich es nicht mehr ausgehalten habe, habe ich Elysium verlassen. Ich wollte all den Erinnerungen entfliehen, die wir gemeinsam geschaffen haben.«
Kaito meinte, Tränen in Yukines Augen zu sehen, doch der Fae blinzelte sie hinfort. »All die Orte, die wir zusammen gesehen haben«, sagte Yukine leise. »Unser gemeinsames Zuhause …« Seine Stimme war kaum mehr als ein Wispern und wenn Yukine nicht so nah wäre, hätte Kaito ihn vermutlich nicht verstanden.
Aber er tat es. Jede einzelne Silbe. »Ich habe meine Heimat verlassen, unseren Freunden den Rücken gekehrt und meinen Job aufgegeben. Und ehrlich gesagt weiß ich manchmal nicht, was ich hier tu, wieso ich nicht einfach zurückkehre.«
»Wieso bleibst du dann hier? Was hält dich?«
Lange Zeit sah Yukine ihn schweigend an. Das einzige, das Kaito hören konnte, war der unruhige Atem des Fae. Dennoch wartete er auf eine Antwort. Indessen setzte Yukine sich auf, nahm etwas Abstand zu Kaito, ohne jedoch den Blick von ihm abzuwenden. Nach kurzem Zögern setzte auch er sich auf.
»Weil ich noch nicht bereit dafür bin.« Es mochte töricht gewesen sein, aber Kaito hatte tatsächlich gehofft, dass der Grund ein anderer wäre. Dass Yukine wegen ihm blieb. »Ich habe dir gesagt, dass ich meine Freunde suche …« Kaito nickte langsam.
Sie hatten sich kurz darüber unterhalten, wodurch Kaito erfahren hatte, wieso Yukine vor seiner Haustür gestanden hatte. Doch Pawel und Ilona waren vor einigen Jahren umgezogen, sie waren Kaitos Vormieter und er hatte nicht den leisesten Schimmer, wohin es die beiden verschlagen hatte.
»Ich wollte hier neu beginnen und habe mir erhofft, dass die beiden mir helfen würden, hier Fuß zu fassen.« Seufzend fuhr Yukine sich über das Gesicht. »Außerdem möchte ich, dass sie wissen, dass er …«, fuhr er fort, brach jedoch den Satz ab.
Doch Kaito wusste auch so, was Yukine eigentlich sagen wollte. Er wollte ihnen mitteilen, dass ihr Freund nicht mehr lebte. »Deshalb will ich sie finden.«
»Ich helfe dir«, sagte Kaito, dann nahm er Yukines Hände in seine. »Nach Neujahr werde ich sehen, was ich tun kann. Vielleicht kann meine Vermieterin mir eine Auskunft geben.«
Voller Zuversicht drückte er Yukines Hände und lächelte leicht. Sein Gegenüber erwiderte es zögerlich und nickte schließlich. Erneut verfielen sie ins Schweigen. Yukines Augen wanderten ziellos durch den Raum, bevor er sie schließlich wieder auf Kaitos Gesicht richtete. Er schien nachgedacht zu haben.
»Weißt du, bevor ich hergekommen bin, habe ich mich so unendlich leer gefühlt. Ohne Naoki schien alles sinnlos zu sein. Einfach nur trostlos.« Kaito unterdrückte den Impuls, den Fae in eine Umarmung zu ziehen, auch wenn er aussah, als könnte er eine gebrauchen. »Ich wusste gar nicht wohin mit mir, konnte mir eigentlich kein Leben ohne ihn vorstellen.«
»Es muss wirklich schwer gewesen sein«, brachte Kaito heraus. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Nichts, was er hätte sagen können, würde an der Situation etwas ändern. Einzig etwas Trost spenden konnte er – und das versuchte er in diesem Moment.
»Naoki und ich, wir haben uns gestritten. Genau am Tag vor seinem Tod. Ihm …« Er schüttelte den Kopf. »Nein, uns beiden ging es seit langem nicht gut. Er hatte sich sehr zurückgezogen, sprach kaum noch mit mir, war lediglich körperlich anwesend. Das hat mir damals wirklich zugesetzt.«
In Kaitos Magen rumorte es, ihm wurde ganz unwohl. Jemanden zu verlieren war schlimm genug. Wenn das letzte Gespräch zwischen ihnen ein Streit war …
»Ich habe ihm unschöne Dinge an den Kopf geworfen, bevor ich gegangen bin. Dabei habe ich ganz deutlich gespürt, wie es ihn verletzt hatte, wie sehr er in diesem Moment leiden musste.«
Yukines Hände zitterten, weshalb Kaito sie ein wenig fester drückte und versuchte, ihm Halt zu geben. Denn er konnte sehen, dass Yukine noch mehr sagen wollte. Da schien noch so einiges zu sein, das den Fae belastete. »Ich hätte für ihn da sein sollen, stattdessen habe ich mich von ihm abgewandt, als er mich brauchte.«
Erneut schimmerten Tränen in den Augen seines Gegenübers. Doch dieses Mal schien er sie nicht einfach wegblinzeln zu können – sie quollen über, flossen ungehindert über Yukines blasse Wangen und tropften schließlich auf ihre Hände. Den Blick hatte der Fae abgewandt und den Kopf leicht gesenkt. »Ich fühle mich schuldig.«
Er löste eine Hand und wischte mit ihr über seine Augen, versuchte die Tränen zu trocknen, die nach wie vor nicht versiegen wollten. Und Kaito? Er wusste nicht, was er sagen sollte. Verstand nicht ganz, was Yukine meinte. Und war sich unsicher, ob sein Gegenüber Trost von ihm wollte.
»Was meinst du damit, dass du es spüren konntest?«, fragte er schließlich, wodurch Yukine ihm wieder in die Augen sah.
»Das liegt an Naokis Fluch …« Noch einmal wischte Yukine die Tränen fort, dann griff er nach seinem Shirt und hob es an. Zum Vorschein kam eine Tätowierung, die sich über seiner linken Brust befand.
Kaito hatte sie schon einmal gesehen. Als sie sich nach seinem Geburtstag näher gekommen waren – doch da war er viel zu abgelenkt gewesen, um sich Gedanken darüber zu machen. So geriet es gänzlich in Vergessenheit. War ja nicht so, als wären Tattoos ungewöhnlich. Jetzt konnte er es genauer betrachten. Was es war, konnte er dabei nicht sagen.
Es waren ineinander verschlungene Linien, die für ihn kein klares Bild ergaben. Fast wie Ornamente. Gleichzeitig hatte er das Gefühl, dass dahinter eine Bedeutung stecken musste – die ihm Yukine hoffentlich offenbaren würde.
»Was meinst du mit Fluch? Ich verstehe nicht, was du meinst …«
Yukine ließ das Oberteil wieder sinken, atmete tief und hörbar durch.
»Naoki und ich haben uns vor Jahren geschworen, für immer zusammen zu bleiben. Es war ein Schwur und Fluch zugleich. Die Magie mächtig, uralt und verboten. Sie hat unsere Bindung gestärkt, sodass wir die Anwesenheit des anderen spüren konnten – ebenso die Gefühle.«
Er strich sich das Oberteil glatt, dann nahm er Kaitos Hand wieder in seine. »In den meisten Fällen haben wir unsere Gefühle abgeschirmt, um den jeweils anderen nicht zu überfluten oder zu überfordern. Doch an dem Tag, als ich nach dem Streit einfach ging, konnte ich deutlich spüren, wie Naokis Empfindungen mich trafen.«
Erneut wandte Yukine sich ab, schien sich umzusehen. Doch Kaito war sich sicher, dass er überlegte, wie viel er sagen wollte und konnte. Dabei wüsste er am liebsten alles. »Aber ich habe sie ignoriert, den ganzen Tag habe ich versucht, sie zu blockieren. Dadurch habe ich nichts bemerkt. Erst, als die Verbindung schwächer wurde, war ich alarmiert. Bei ihm angekommen war es bereits zu spät.«
Es flossen noch mehr Tränen – doch dieses Mal waren es nicht nur die von Yukine. Auch Kaito hatte angefangen, zu weinen. Er stellte sich vor, wie grausam es sein musste und verstand nun, wieso Yukine sich schuldig fühle. »Wäre ich an diesem Tag einfach zu Hause geblieben, hätte ich mich entschuldigt … Vielleicht wäre er noch am Leben.«
Kaito schluchzte, seine Augen brannten. Doch ehe er etwas sagen konnte, fuhr Yukine auch schon fort: »Als Krieger und vor allem sein Partner hätte ich ihn beschützen sollen. Ich hätte für ihn da sein müssen, auch wenn es mir ebenfalls schlecht ging. Zusammen hätten wir an unseren Problemen arbeiten können. Aber ich war einfach so überfordert mit ihm.«
Die beiden Männer hingen ihren Gedanken nach und Kaito fragte sich, was passiert war. Hatte Naoki einen Unfall gehabt, bei dem er ums Leben gekommen war? Wurde er angegriffen? Oder … Er schluckte bei dem Gedanken, dass Yukines Partner sich das Leben genommen haben könnte. Doch diese Fragen konnte und wollte er nicht stellen.
»Als ich ihn gefunden habe, habe ich ihn direkt in das Heilerzentrum gebracht – nur um das zu erfahren, was ich bereits wusste. Ich war zu spät gekommen«, erklärte Yukine fast schon monoton. »Seitdem habe ich nichts mehr gefühlt. Nichts, außer einer endlosen Leere, die sich in mir ausgebreitet hatte. Immer weiter und weiter. Es hat mich innerlich zerfressen.«
»Heißt das, dass du mir deine Gefühle vorgespielt hast?« War das Lachen, das er so liebgewonnen hatte, falsch und gespielt? Und die Tränen, die nun flossen?
»Nein, nichts davon«, sagte Yukine, als könnte er Kaitos Gedanken lesen. »Ich bin mir sicher, dass der Fluch schuld daran war, dass ich nichts mehr gefühlt habe. Schließlich waren Naokis und mein Leben miteinander verknüpft. Deshalb habe ich den Willen zum Leben verloren gehabt.«
»Wollte diese Magie etwa, dass du deinem Partner folgst?« Yukine zuckte mit den Schultern. Es dauerte einen Moment, bevor er schließlich antwortete: »Das ist möglich. Aber weißt du was?« Neugierig neigte Kaito seinen Kopf. Seine Wangen waren noch immer feucht von den Tränen, die er vergossen hatte und sein Herz noch immer schwer.
Ihm war nicht klar gewesen, wie wichtig Naoki für Yukine gewesen war. Es war nichts, was er wirklich zu fassen bekam, so ganz und gar unbegreiflich.
»Was denn?«, fragte er schließlich und Yukine schenkte ihm tatsächlich ein kleines Lächeln. Dann umfasste er sein Gesicht, wischte mit den Daumen über seine Wangen und entfernte die Überreste der Tränen.
»Ich habe jemanden kennengelernt, der mir bereits jetzt viel bedeutet. Einen wunderbaren Mann, der diese unerträgliche Leere vertrieben hat. Ich habe keine Ahnung, wie es ihm gelungen ist, aber ich bin froh darüber.« Kaitos Augen weiteten sich.
»Das klingt nach einem wirklich wunderbaren … Mann«, sagte er leise lachend.
»Und wie. Danke, dass du mich aufgenommen hast und mir wieder einen Grund zum Leben gibst.«
Am liebsten hätte Kaito wieder angefangen zu weinen. Doch ehe er sich versah, lagen Yukines Lippen auf seinen und Wärme durchflutete ihn. Gleich darauf wurde er an den Körper des Fae gezogen und umarmt.
»Ich würde es immer wieder tun«, sagte er und schmiegte sich an Yukine.
»Weißt du, ich werde Naoki nie vergessen und egal wie viel Zeit vergehen wird, ich werde ihn immer lieben. Aber eines möchte ich dir sagen …«
»Was denn?«
Yukine beugte sich hinab, sodass er Kaito ins Ohr flüstern konnte: »Ich bin im Begriff, mich in dich zu verlieben.«
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