Kapitel 9- Los geht's

Niklas zog gerade die Spanngurte des Bootsanhängers nach. Mehrere Einer und zwei Doppel hatten sich auf dem Ding eingefunden. Ganz unten lag noch ein Vierer, der zumindest der Aufschrift nach einem Mädchenteam gehörte. William war mit dem Achter und dem anderen Vierer schon unterwegs. Leah stand etwas hilflos daneben. Man konnte ihr deutlich ansehen, dass sie sowas noch nie gemacht hatte und Niklas schlechte Laune hatte.

„Hi. Was ist hier denn für eine Stimmung?" Anna blieb neben dem Auto stehen. Ein sehr neuer SUV. Warum auch immer irritierte sie das ein klein wenig.

Niklas sah nicht von seiner Tätigkeit auf. „Paul fehlt."

Na das erklärte die schlechte Stimmung alle Mal.

„Der taucht schon auf." Sie gab sich optimistisch. Vielleicht war er ja zur Ausnahme mal in einer Vorlesung und der Prof hatte überzogen.

Leah warf ihr einen hilflosen Blick zu. Niklas war also schon einmal etwas ausgeflippt.

„Hoffe ich für ihn. Er sollte seit einer Stunde hier sein. Wir haben die Boote gerade zu zweit Verladen, außer den Vierer. Zwei davon gehören ihm! Wir hatten uns darauf geeinigt uns früher zu treffen. Es geht schon wieder los. Er lässt mich hängen." Mit einem Klacken rastete die Anhängerkupplung ein.

„Niklas, Pscht. Alles gut. Die Boote sind jetzt verladen. Du musst dich nicht aufregen", versuchte Leah ihn sanft zu beruhigen.

Niklas seufzte auf und befestigte mit einem kräftigen Ruck das Abreißseil, an der Vorrichtung neben der Anhängerkupplung.

Anna ließ ihre Reisetasche von ihrer Schulter in das Gras fallen. Das konnte ihr ja noch lustig werden.

Wie auf Bestellung kam Paul über den Rasen auf sie zu. Auch er hatte eine Reisetasche über der Schulter und die Kapuze seines Hoodies tief in die Stirn gezogen. Er sah ziemlich durch aus.

Anna war geneigt, ihm seine Tasche abzunehmen, aber blieb an Ort und Stelle stehen, als Niklas auf Paul zu lief. Scheiße, das sah nach Ärger aus.

„Bist du besoffen?"

„Mann, komm runter!" Pauls Stimme klang rau und verkatert.

Niklas schüttelte ungläubig den Kopf. „Ich soll runter kommen? Ich habe mich auf dich verlassen und du bequemst dich jetzt erst hier her, siehst dabei auch noch aus, wie der letzte Penner, und entschuldigst dich nicht mal."

„Sorry."

„Spar's dir!" Niklas drehte sich um und suchte Leah's Blick.

Anna fühlte sich, als müsse sie etwas sagen. „Jungs, tief durchatmen. Wir sind noch ein paar Stunden zusammen unterwegs. Ihr seid Vorbilder, also sich gegenseitig eine reinhauen ist nicht. Reißt euch einfach mal am Riemen, verdammt noch mal!"

Leah warf ihr einen dankbaren Blick zu. „Besser hätte ich es nicht sagen können. Wollen wir dann?"

Niklas nickte stumm.

Paul öffnete eine der Rücksitztüren und warf seine Tasche wortlos einfach in die Mitte, ehe er sich mit einem genervten Stöhnen einfach hinter den Fahrersitz fallen ließ und es sich bequem machte.

„Das wird ein Spaß!", murmelte Anna leise und tat es Paul dann gleich.

Paul schlief neben ihr seinen Rausch weiter aus. Leah und Niklas unterhielten sich vorne leise und Anna blickte stumm aus dem Fenster. Sie hatte sich das lustiger vorgestellt, als William vorgeschlagen hatten, sie könnten mit dem zweiten Anhänger nachkommen.

In ihrem Kopf war es ein lustiger Roadtrip gewesen und nicht so spannungsbesetzt. Niklas sah immer noch hin und wieder genervt durch den Rückspiegel nach hinten. Bisher hatte Paul sich aber noch nicht gerührt.

„Ward ihr schonmal an der Ruderstrecke wo es jetzt hingeht?" Anna bewegte ihren Blick nicht vom Fenster.

„Mhm. Schon ein bisschen her, aber ganz gute Trainingsbedingungen. Der Kraftraum ist ziemlich gut und die Strecke sehr grade, wenn ich mich recht erinnere."

„Klingt doch gut, und als würdest du genug Entschuldigungen finden mich im Einer über die Strecke zu scheuchen." Leah lachte und berührte Niklas sanft an der Schulter.

Niklas grinste ohne den Blick von der Straße zu lösen. „Darauf kannst du dich verlassen! Oder aber mit Anna im Doppel. Das wollten William und ich sowieso noch ausprobieren."

„Oh, Niklas nein! Vergiss das schnell wieder. Ich will nur entspannt mal so ein paar Runden rudern und ansonsten etwas entspannen." So hatte Anna das zumindest geplant.

„Er muss quälen. Mich ja schließlich auch", grummelte da Paul neben ihr. „Sadismus liegt bei uns Ruderern wohl im Blut."

„Wieder wach?" Niklas klang immer noch gereizt.

„Hat wer Wasser oder was zu essen für mich?" Paul streckte sich.

Leah musste schmunzeln. „Warum habe ich sowas schon geahnt?" Sie reichte ihm ein Brot und eine Wasserflasche nach hinten.

„Du bist so eine Mutti." Anna konnte ich den Kommentar einfach nicht verkneifen.

Paul packte das in Klarsichtfolie eingeschlagene Butterbrot aus. „Find ich gerade klasse. Leah ich schulde dir was."

„Wenn es nach Niklas ginge hätte ich für dich nichts eingepackt."

Paul verzog das Gesicht. „Spießer."

„Du kannst froh sein, dass sie sich immer durchsetzt." Niklas bog auf eine Landstraße ab.

Leah kramte da schon wieder in ihrem Rucksack und beförderte eine Packung Gummibärchen zu Tage. Grinsend wandte sie sich zu Anna um. „Wie siehts aus?"

„Da fragst du noch!"

„Stimmt, dumme Frage." Kichernd riss Leah die Tüte auf und reichte sie Anna nach hinten. Großzügig griff sie hinein. Zu ihrer Freude hatte sie besonders viele Rote und Grüne erwischt.

„Ich will auch welche", jammerte da schon Niklas wie auf Bestellung.

Leah nahm die Tüte wieder nach vorne. „Vergiss es!"

Paul lachte schadenfroh auf.

„Ruhe auf den billigen Plätzen!"

„Pf. In dem Auto ist nichts billig! Wie hast du das deinem Vater abgeluchst?"

Niklas grinste. „Ich hatte gute Argumente und einen Schlüssel, ehe er hätte protestieren können."

„Hah. Nicht ernsthaft. Hat er mal sein Gewissen entdeckt?"

So schnell konnte sich also die Stimmung zwischen den Jungs wieder ändern. Anna wurde daraus einfach nicht schlau.

„Kann man so nennen, oder aber ich war schneller als er hätte nein sagen können. Ist ja auch nicht so, dass er drauf angewiesen wäre. Zumal mein Halbbruder wieder am jammern war und er natürlich zur Stelle sein musste."

Anna sah überrascht auf. „Du hast einen Halbbruder?"

Niklas nickte. „Hab ich aber nicht viel mit zutun. Müsste jetzt vier sein."

„Die neue Frau seines Vater ist nur sieben Jahre älter als Niklas. Du willst nicht wissen wie oft die schon für Bruder und Schwester gehalten wurden." Paul nahm einen großen Bissen von seinem Brot. „Leah, was ist da drauf? Was auch immer das ist, es mega geil!"

„Was man hier alles so erfährt. Als nächstes erzählt ihr mir dass Paul eigentlich ein Genie ist."

Leah musste sich bemühen, nicht loszulachen. Die Jungs waren aber plötzlich erstaunlich Still.

Im Radio dudelte leise Musik. Plötzlich waren da die ersten Töne, des neuen Sommerhits schlecht hin. „Mach mal lauter", forderte sie sofort.

Anna schloss die Augen und ihr kamen die ersten Zeilen des Liedes mühelos über die Lippen. Sie hatte es bestimmt schon hunderte Mal gehört. „Habe nie gesehen, nie gesehen wie sich jemand so bewegt. Beobachte sie dabei wie die ganz Welt sich ihr öffnet."

Ungewohnt tief für einen Sommerhit fand sie. Wahrscheinlich machte nur der Beat dieses Lied so sommerlich. Der Text war das ganze Jahr einsetzbar.

„Wenn du mich bewegst berührst du mich. Ich möchte dich, werde niemals nein sagen." Stimmte auch Leah mit ein.

Langsam wurde es wohl doch noch zu dem Roadtrip, den Anna sich vorgestellt hatte.

„Fühl meinen Herzschlag, ich hole tief Luft. Ich werde schwach." Niklas hatte sich nun ebenfalls einen Ruck gegeben.

Anna stieß grinsend Paul an, der nur mit den Augen rollte.

„Du bist so..., Was machst du mit mir?" Frech stieß sie Paul wieder in die Seite.

Seufzend steig Paul dann doch in den Refrain ein. „Es gibt kein Wort für jemanden wie dich. Du bist alles wofür ich sterben würde. Du bist so... Es gibt kein Wort für dich."

Sofort war die Stimmung gelöster. Die Sonne brannte und um die Straße herum wogen sich Rapsfelder in der sanften Brise.

Warum konnte es nur nicht immer so sein?

Zwei Stunden nach ihrem Aufbruch in Hunstein. Machten sie Pause. Die war auch nötig. Niklas und Leah vertraten sich etwas die Beine. Paul saß immer noch wie ein Schluck Wasser in der Kurve auf einer Bank und Anna versuchte etwas über ihre Note für das erste Backend Projekt herauszubekommen, aber die schlechte Internetverbindung verwehrte ihr einen Blick auf den Uniserver.

„Gib's auf. Da kommst du erst drauf wenn wir da sind."

„Muss ich wohl. Man! Immer diese Funklöcher."

„Ist das überhaupt ein Funkloch, weil Netz hat man ja, nur eben kein Internet. Ich würde eher sagen es ist ein schwarzer Fleck im Netzausbau."

„Lustig. Hast du nicht einen Kater?"

„Ja. Geht eigentlich. War schon mal schlimmer."

„Hast du mal drüber nachgedacht, ob du eventuell nicht doch ein kleines Alkoholproblem haben könntest? Ich habe dich in den letzten drei Monaten nur zwei mal nüchtern oder ohne Kater gesehen."

Paul lachte auf. „Probleme habe ich genug. Alkohol ist keins davon."

„Sagte der Alkoholiker."

„Okay." Paul hob eine Hand an seine Brust. „Ich schwöre dir hiermit, dass ich die ganze Zeit im Trainingslager kein Alkohol trinken werde. Nicht mal ein Bier." Er grinste und seine grünen Augen funkelten im Sonnenlicht.

„Nicht mal ein Bier mit William? Da hast du dir ja etwas vorgenommen."

„So schwer wird das schon nicht werden. In Spanien habe ich schließlich auch vier Tage ohne ausgehalten."

„Wurdest du nicht rausgeschmissen?"

„Zum Indoortraining verdammt. Ist fast dasselbe."

„Wenn du das sagst." Für sie klang das zumindest immer noch nach einer erfolgreichen Teilnahme.

„Außerdem bringt Niklas mich um, sollte ich das Training schon wieder vernachlässigen."

„Ihr Jungs müsst euch echt mal aussprechen. Hält ja kein Schwein aus, dass ihr euch wegen jeder Kleinigkeit an die Kehle geht."

„Wir gehen uns nicht an die Kehle. Dafür haben wir uns dann doch zu lieb. Über zehn Jahre Doppel hinterlassen ihre Spuren."

„Merkt man nichts von. Wirklich Paul das was da bei euch abgeht- schwierig!"

Anna konnte sich noch gut daran erinnern, wie oft William die Jungs hatte auseinanderziehen müssen, da sie sich sonst gegenseitig krankenhausreif geprügelt hätten. Von Liebe konnte man da wohl nicht sprechen. Die Beziehung zwischen Paul und Niklas war explosiv, unberechenbar und machte Anna Angst.

„Ach was. Das wird wieder. Außerdem ist Niklas so viel ruhiger geworden durch Leah. Was ein Waschlappen. Jetzt mal ernsthaft, Leah sagt ein Wort und er knickt ein."

„Würde ich jetzt so nicht sagen. Sie hat ihn zumindest nicht richtig runterbekommen, als du zu spät gekommen bist."

Paul verzog das Gesicht. „Hatte verschlafen. Waren zwei Gläser wohl doch zu viel. Scheiß Sentimentalität."

Anna seufzte und schüttelte den Kopf. „Paul, ihr seid großartig zusammen. Für die Jungs wahrscheinlich auch ziemliche Vorbilder. Reißt euch gleich einfach beide zusammen. Erspart uns allen Ärger." 

Auf Patreon ist schon das große Finale angelaufen. 

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