Kapitel 8- Vor dem Training ist nach dem Training
Paul ließ seine Umhängetasche einfach fallen. Es hatte gut getan zu lernen. Sein Kopf fühlt sich wieder so befriedigend voll an. Das Gefühl hatte er ein bisschen vermisst. Es war wirklich Zeit, sein Leben zu verändern und es endlich in den Griff zu bekommen. Und heute hatte er damit angefangen. Morgen würde es weitergehen.
Mit einem Lächeln dachte er an das Trainingslager und wie sie vier morgen früh nach den Morgenvorlesungen losfahren würden. Wie früher. Niklas und er, eine wahrscheinlich schreckliche Playlist und Stunden über Stunden Fahrt mit einem vollgepackten Bootsanhänger inklusive.
Er hatte nur noch nicht gepackt. Was sollte er auch groß packen? Was anderes als Sportklamotten würde er die ganze Woche nicht tragen und auch das war wie früher. Gut, das hätte er in Spanien auch haben können, aber Dana war da gewesen. Sie hatte ihm das Lager zur Hölle gemacht.
Paul verstand das Mädchen einfach nicht. Mal war sie verrückt nach ihm und dann wollte sie wieder nichts von ihm wissen. Er litt wie ein Hund darunter, dass er nie wusste, was er heute falsch machen könnte, dass sie ihn hasste.
Er wollte nicht mehr an Dana denken. William hatte recht, das war nicht gesund.
Mit schnellen Schritten durchquerte er seine Küche, den Essbereich zum großen Bett, das in der Mitte vor einer dunkelgrün gestrichenen Wand stand. Er froh dass er damals diese Wohnung in einer alten Fabrik gefunden hatte. Das kleine Loft hatte seinen Charme, auch wenn alles bis auf das Bad, nur ein Raum war. Für ihn perfekt. Als er hier eingezogen war, hatte er kurz daran gedacht, wie es war mit Dana hier zu leben. Hatte sie schon lachend an dem viel zu großen Esstisch sitzen sehen, kuschelnd auf dem Sofa und gemeinsam kochend in der hellen Küche.
Schnell verdränget er die Erinnerungen und schnappte sich seine Reisetasche mit dem Logo seines Heimatruderclubs aus dem untersten Fach des Kleiderschrankes. Er war eigentlich auch zu groß. Plötzlich kam ihm die Wohnung nicht mehr so perfekt vor.
Sie war zu leer. Es waren nicht die Möbel, die sie zu leer wirkten, ließen. Es waren die fehlenden Erinnerungen an schöne Momente in diesen vier Wänden.
Alles war neutral, vielleicht ein wenig schmerzhaft, wenn er daran zurückdachte, wie seine Mutter geweint hatte, als seine Eltern ihn damals zum ersten Mal hier alleine gelassen hatten.
Der größte Trost seiner Eltern war gewesen, dass Niklas auch in dieser Stadt war. Sein bester Freund. Der Typ, der als seine Eltern sich hatte Scheiden lassen, ständig bei ihnen gewesen war. Sein Bruder im Geiste. Scheiße, er würde alles für den Spinner tun!
William hatte auch damit recht. Auf eine komische Art liebte sie sich so innig, dass Paul sich fühlt, als hätte ihm jemand den Atmen geraubt, als er wieder daran dacht, dass Niklas ihm nicht mehr traute. Wie hatte er ihn nur so verlieren können?
Sein Handy riss ihn aus deinen Gedanken. Kurz keimte Hoffnung in ihm auf, dass es Niklas war, der heute Morgen in die Heimat gefahren war, um sich das Auto seiner Mutter oder seines Vaters zu leihen.
Ernüchterung traft ihn, als er sah, dass es einer der Jungs war.
„Paul- Party?"
Mehr nicht. Auch das war anders an Niklas. Er schrieb ihm wenigstens noch richtige Nachrichten oder rief an. Niklas war immer seine Sicherheit gewesen. Auch wenn sein bester Freund oft zu spät irgendwo hinkam, war Niklas berechenbar in allem, was er tat. Paul mochte genau das an ihm. Dieses Routinierte. Das Einzige, was Paul nicht verstand, war Niklas Beziehung zu Leah. Diese Beziehung schien so anders zu sein, als jede die sein bester Freund vorher gehabt hatte.
Er mochte Leah, keine Frage. Sie war süß. Auf ihre ganz eigene Art so der Mutter-Typ. Sie kümmerte sich und vielleicht war das genau das, was Niklas brauchte. Eine Frau, die ihm den Rücken freihielt und ihn bestärkte, nach den Sternen zu greifen.
Diese scheiß Sterne.
Sie hatte Jahre lang trainiert. Immer mit einem Bein im Kader gestanden. Ersatzbank. Erfolge gefeiert. Das alles zusammen. Vorher im Einer hatte Paul nichts gerissen. Dann war Niklas da gewesen.
Paul konnte es immer noch vor sich sehen, wie sein Vater ihm gesagt hatte, er hätte einen Doppelpartner für ihn. Sie würden zur selben Schule gehen und nach den Ferien in dieselbe Klasse. Erst hatte Paul das für einen Witz gehalten und gedacht sein Vater würde ihm seine Schwester vor die Nase stellen. Die kleine Amelie, die im Einer Berge versetzen konnte. Im Doppel wäre sie eine Verschwendung gewesen. Und dann hatte Niklas da gestanden, neben ihrem ersten Doppel. Dem „Nepomuk". Ein gelber Empacher. Schief hatte er gegrinst und Paul Neugierige beäugt. Auch Paul war neugierig gewesen.
Wo hatte sein Vater nur den gleichaltrigen Jungen hergezaubert, der mindestens genauso viel Kraft hatte wie er und gleich groß war. Aus dem Achter hatte sein Vater Niklas heraus gezogen. Niklas konnte folgen. Paul den Schlag angeben. Sie war so schnell ein Umschlagbares Team gewesen, dass all das Gerede darüber, dass Niklas zum Achter zurückkehren und Paul dem Einer treu bleiben würde, war schon nach ihrer ersten gemeinsamen Regatta verstummt. Plötzlich waren sie auf dem Radar. Mit jedem Sieg deutlicher. Mit sechzehn kam dann Bene in ihr Leben und löste Pauls Vater als ihren Trainer ab. Paul hatte nach dem ersten Training geheult. Sein Vater war auch nicht immer zimperlich gewesen, aber dieser Bene... Gott, wie er ihn hasste. Ihn und seine Wutanfälle. Von Jahr zu Jahr wollte Paul immer weniger zu den Stützpunkttrainings. Ohne Niklas hätte er wohl schon längst hingeschmissen.
Geräuschvoll zog er die Nase hoch, als er sich daran erinnerte, wie Bene ihnen sagte, dass sie das Zeug für Olympia hatten, aber ihr Talent vergeuden würden mit ihrem legeren Training. Niklas hatte danach angezogen. Wie besessen hatte er trainiert, bis zum Exitus. Und Paul hatte sich das mitangesehen unfähig etwas zu tun. Er hatte zugesehen, wie sein bester Freund sich kaputt machte. Sein Bruder. Die Person, die ihm näher war als allen anderen. Und warum? Weil ein Bene sagte, sie wären zu faul. Sprachen ihre Erfolge nicht für sich? Bene war ein Arschloch und trotzdem kusche Paul vor ihm. Wie jeder, außer seine Lieblinge Franka und Dana.
Da war sie wieder Dana. Verdammte Dana!
Schnell riss er seine Unisuits aus dem Schrank. Zählte nicht mal ab. Warum auch. Zwei Stapel würden schon reichen. T-Shirts. Jogginghosen. Alles landete achtlos in der Tasche. Unterwäsche. Kulturbeutel. Er stopfte einfach nur.
Sein Handy klingelte. Nein! Er würde nicht rangehen. Es waren nur die Jungs und von ihnen hatte er die Schnauze voll. Sie hatten ihn liegen gelassen, diese feigen Hunde. Und dann war Niklas da gewesen. Wütend. Enttäuscht.
Und Leah. Sanft. Verständnisvoll.
Ihm stiegen Tränen in die Augen. Er ließ die Tasche, Tasche sein. Weiter packen konnte er eh nicht. Was sollte er auch sonst einpacken? Alles war scheiße! Er war schuld.
Seine Schritte stoppten vor dem Kühlschrank und er zog das Gefrierfach auf. Er brauchte Trost. Diese innere Wärme, die ihm Alkohol gab. Das Vergessen, das ihm geschenkt wurde, wenn er zwei Gläser trank. Blind griff er hinein. Egal welche Flasche er erwischen würde, sie wäre die Richtige.
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