Kapitel 7- Schwarzer Bildschrim
Anna tippte wie wild auf ihren Laptop ein. Fuck! Das Ding hatte sich an irgendwas verschluckt und wurde von einer Sekunde auf die nächste schwarz. Das durfte doch nicht wahr sein! Mit etwas Pech war jetzt ihre ganze Arbeit der letzten zwei Wochen weg.
Frustriert ließ sie ihre Stirn gegen die Holzplatte des Tresens sinken und stöhnte auf. Warum musste sie nur immer so ein Pech haben? Immer genau dann wenn sie kurz vor einer wichtigen Abgabe stand, musste so eine Scheiße passieren!
Tief atmete sie durch und versuchte, die Nerven zu behalten. Da schwang zu allem Überfluss auch noch die Cafétür auf. Natürlich musste gerade jetzt Kundschaft kommen! Verdammt!
Schnell schob die den Laptop beiseite und ordnete sich wieder. Sie konnte das. Frustration nicht anmerken lassen und breit lächeln. Es ist nichts gewesen!
Zu ihrer Überraschung stand Paul vor ihr. Sie hatte ihn noch nie alleine im Café gesehen. Früher war er ab und an mal mit Niklas da gewesen für einen schwarzen Espresso vor dem Training oder ein Wrap danach. Aber alleine?
„Hey", grüßte Paul trocken und schob seine Umhängetasche wieder richtig auf seine Schulter. „Stör ich?"
„Nein." Anna ließ sofort ihre Maske fallen. „Mir ist gerade die größte Scheiße passiert. Ich habe übermorgen eine wichtige Abgabe von einem Backend Projekt und mein Laptop hat sich verabschiedet."
„Zeig her. Ich gucke mal ob ich eine Lösung hab."
„Du kannst sowas?"
Paul zuckte mit den Schultern. „Gib vieles was du nicht über mich weißt."
„Aha." Sie zog überrascht die Augenbrauen hoch und musste schmunzeln. Einer wie Paul machte natürlich auf geheimnisvoll. „Willst du einen Kaffee?"
„Gerne" Er rückte sich einen der Barhocker zurecht und öffnete seine Tasche. Ein Lehrbuch und ein Block landeten auf dem Tresen.
„Du lernst?"
„So überraschend?"
„Nein. Ich habe dich nur noch nie lernen gesehen."
„Tue ich auch zu wenig."
„Wer immer saufen ist." Anna grinste ihn breit an.
Paul grinste mindestens genauso breit zurück. „Ich gelobe Besserung!" Dann legte sich sein normaler viel zu ernster Ausdruck wieder auf sein Gesicht.
Seufzend stellte Anna ihm ihren Laptop hin und machte sich an der Kaffeemaschine zu schaffen. „Wenn du das Ding wieder zum laufen bekommst, geht der Kaffee auf mich." Sie nahm eine der grünen großen Tassen von der Ablage der Maschine. „Milch?"
„Mhm. Irgendwas pflanzliches. Hab schon wieder zugenommen. Muss alles wieder runter, sonst gibt es nur wieder ärger." Paul sah nicht mal vom Screen auf.
„Hafer, Kokos, Mandel?" Unschlüssig schwebte ihre Hand über dem Griff des kleinen Kühlschranks unterhalb der Theke.
Paul sah endlich mal auf. Seine grünen Augen sahen sie verwirrt an. „Was weiß ich. Was am neutralsten ist."
„Hafer."
„Dann Hafer." Seine schlanken Finger flogen über die Tastatur.
Kurz betrachtet Anna ihn dabei. Wo war ihr Bleistift? Sie würde ihm erst den Kaffee machen, dann konnte sie immer noch in ihrer Tasche nach ihrem kleinen Skizzenbuch kramen und überlegen, in welche Ecke sie schon wieder ihren Bleistift gepfeffert hatte.
Wenig später stellte sie die Tasse mit einem kleinen Keks, neben ihren Laptop. Der zumindest schonmal wieder lief.
„Danke." Er klang abwesend. Eigentlich war, dass das Netteste, was ein Mann seit langem für sie getan hatte, abgesehen davon, dass er ihren Freund gespielt hatte, als ihr Ex hier war.
Mit flinken Fingern schnappte sie sich ihr kleines Skizzenbuch aus ihrem abgewetzten Rucksack. Der Bleistift war ausnahmsweise mal in der kleinen Lasche. Wäre auch noch schöner, hätte sie den noch suchen müssen.
Irgendwie hatte das Motiv etwas. Sie wusste selbst nicht, was es war, dass sie genau das auf das raue, dicke Papier skizzieren ließ. Es war, als müsste Paul genau jetzt malen, sonst würde sie ihn nie wieder so sehen.
Mit langen Strichen skizzierte sie die Proportionen vor, ehe ihre Striche wieder kürzer wurden. So konzentriert Paul auf ihrem Laptop herumtippte, so bannte sie, was sie sah auf Papier.
Wie seine grünen Augen sich leicht verengten und er die Augenbrauen zusammen zog. Der angespannte Kiefer, der Ausdruck seiner Augen, und hervortreten seiner Oberarmmuskulatur, wenn er die Arme so aufstützte. Die roten Haare, die mal wieder in einer wilden Ordnung in alle Richtungen abstanden. Es war faszinierend.
Paul hatte so etwas Jungenhaftes und doch etwas so Ernstes, das ihr nie so bewusst aufgefallen war. Aber Anna hatte sowieso das Gefühl, dass ihr beim Malen weniger entging.
„Läuft wieder. Also alles was du bis heute Mittag zwischengespeichert hattest ist noch drauf."
Anna zuckte zusammen und klappte blitzschnell ihr Skizzenbuch zu. „Danke. Hast was gut bei mir."
„Wenn das soweiter geht hab ich bald ne Menge gut bei dir. Kaffee reicht für diesen Gefallen schon."
Anna nahm ihren Laptop wieder in Empfang. „Warum lernst du hier und nicht in der Uni?"
„In der Bib? Ganz alleine? Da bekomme ich nichts gebacken. Wusstest du dass Studien besagen, dass man produktiver ist mit anderen Leuten im Raum?"
„Nein. Wusste ich nicht." Hatte sie sich auch nie Gedanken drum gemacht. Sie beugte sich wieder über ihren Laptop und stöhnte genervt auf, als sie sah, dass ihre letzten großen Änderungen leider alle weg waren. Ihr Leben hasste sie doch.
„Ich hab mein Bestes gegeben. Sorry falls etwas weg sein sollte."
„Kein Ding. Backend gehört nur leider nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen."
Paul zuckte mit den Schultern und wies auf sein Buch. „Lernen auch nicht immer zu meinen, aber muss man halt durch."
Müde ließ Anna sich ohne die Schuhe oder gar die leichte Jacke auszuziehen auf ihr Sofa fallen. Kurz vor Ladenschluss war noch eine Gruppe Rentnerinnen eingefallen. Die sieben Damen waren wirklich nett gewesen und hatte ihr gutes Trinkgeld gezahlt, aber Anna hatte die ganze Zeit nur daran denken können nach Hause zu kommen.
Sie gähnte und fuhr sich durch die dunkeln schulterlangen Haare. Sie war echt durch. Das Backend hatte sie auch noch so weit gerichtet. Paul war noch lange da gewesen. Hatte tatsächlich die ganze Zeit konzentriert gelernt und dabei in seinen Block gekritzelt. Irgendwelche Symbole, Formeln und komische Zeichnungen. Sie wusste, wenn sie ehrlich war gar nicht, was er studierte und hatte ihn nicht stören wollen, um zu fragen.
Sie ließ die Träger ihres Rucksackes von ihren Schultern sinken. Der Laptop musste dringend an den Strom und sie wollte sich ihre Skizze von heute Nachmittag noch einmal ansehen.
Den Rucksack ließ sie auf dem Sofa liegen, die Jacke pfefferte sie achtlos auf eine der Armlehnen und die Schuhe kickte sie sich einfach von den Füßen. Der Laptop landete auf ihrem Bett und am Ladekabel. Nur das Skizzenbuch nahm sie mit zum Schreibtisch.
Gedankenverloren blätterte sie durch das Büchlein und blieb an einer Zeichnung von Niklas und Leah hängen. Sie hatten an einem der Tische gesessen. Beide einen Laptop vor der Nase und über irgendetwas gelacht. Sie hatten so viel Liebe für den Anderen im Blick, dass Annas Herz schwer wurde.
Sie wollte auch mal so geliebt werden und so lieben dürfen. Manchmal kam sie sich vor wie eine hoffnungslose Romantikerin, die sich in ihrem Lieblingsbuch verloren hatte.
Schnell trennte sie die Seite säuberlich aus dem Buch und legte sie zur Seite. Sie wollte noch nachgucken, wer von den beiden zuerst Geburtstag hatte. Ein Geschenk hatte sie damit schon.
Sie blätterte weiter. Vorbei an Kaffeetassen auf dem Tresen, einer Skizze der Brücke mit der Ruderstrecke unterhalb. Dann stockte sie und zog die Seite mit der Skizze von Paul näher zu sich, darauf bedacht keine Linie mit den Fingern zu verwischen.
Hatte sie ihn gut getroffen? Na ja schon. Sie sah ihn viel zu selten. Das war schade. Sie kannte Paul nicht wirklich. Gerade als sie dabei gewesen waren sich besser kennenzulernen, war Paul abgedriftet.
Es war ziemlich plötzlich gewesen. Von heut auf Morgen.
Seitdem vertrugen sich auch die Jungs nicht mehr so gut. Die wenigen Wochen, die sie sich durch das Training gekannt hatten, waren die beiden eine beeindruckende Einheit gewesen. Pech und Schwefel. Unterschiedlich wie die Nacht und trotzdem irgendwie eins. Es hatte sie fasziniert. So eine tiefe Freundschaft hatte Anna noch nie erlebt. Daher hatte es sie auch getroffen, als Niklas Paul das erste Mal eine reingehauen hatte. Oder war es andersherum gewesen? Sie wusste es nicht mehr. Nur noch wie William die beiden hatte auseinanderziehen müssen. Niklas hatte sich danach bei ihr ausgekotzt und kurz hatte sie geglaubt, dass sie mit ihm vielleicht hätte glücklich werden können. Zum Glück hatte sie schnell gemerkt, dass Niklas hübsch anzusehen war, aber ziemlich langweilig und viel zu verfahren in seinen Routinen für ihren Geschmack. Niklas war nicht überraschend oder gar aufregend. Er war Niklas und ihr bester Freund. Für Leah mochte das richtig sein, für sie ein Albtraum, der nur eine kurze Schwärmerei gewesen war.
Auch die Zeichnung von Paul riss sie heraus und griff nach ihrem neuen Aquarellset.
Ab heute ist auf Patron Teil 3 im regelmäßigen Upload!
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