Kapitel 38- Sonnenbrand

Seit den DM hatten sie sich nicht mehr gesehen. Klausurenphase sei Dank. Paul hatte sie vermisst. Oft hatte er überlegt, doch noch schnell vor dem Training im Café vorbeizuschauen in der Hoffnung, sie würde arbeiten. Das letzte Wochenende, das sie zusammen verbracht hatten, war so wunderbar entspannt gewesen. Er hatte sich schon lange nicht mehr so entspannt gefühlt. Gutes Essen, gute Gespräche und noch besserer Sex. Man konnte wohl kaum nach mehr fragen.

So freute es ihn auch, als er nach seiner letzten Klausur für die Phase eine Nachricht von Anna auf seinem Handy sah. „Treffen wir uns am Club?"

Mit einem breiten Grinsen tippte er, „Klar", zurück. Vorfreude stieg kribbelnd in ihm hoch und am liebsten hätte er sich sofort auf sein Fahrrad geschwungen und wäre zum Club geradelt. Sein Professor war allerdings noch in einen Monolog über irgendwelche Teilchen versunken und die Zeiger der großen Uhr über dem Saalausgang schienen sich einfach nicht bewegen zu wollen, egal wie oft er zu ihr herüberschielte.

Anna lehnte gelangweilt am geöffneten Tor des Bootshauses, als Paul davor zum Stehen kam. „Ich dachte schon, du fängst jetzt an wie Niklas."

„Und komme grundsätzlich immer zu spät? Nee, lass mal." Lässig schob er sein Fahrrad an ihr vorbei. „Kannst dir schon mal einen Einer holen."

Anna stieß sich vom Tor ab und schüttelte entschieden den Kopf.

„Du willst doch rudern, oder?", fragte er und musste sich ein spöttisches Lächeln verkneifen. Warum hatten bloß immer alle so einen Respekt vor dem Einer?

Anna verzog das Gesicht und schob genervt die Unterlippe vor. Wie sollte er sie so ernst nehmen? Seine Schwester konnte das auch. Anna konnte sich die Nummer also sparen.

Gemächlich schob er sein Fahrrad ans Ende der Bootshalle und nahm, dann ein Paar Skulls von der Wand. Seine Skulls. Vernünftige Skulls. Präzise, gepflegt und nicht so abgestoßen wie die des Ruderclubs. Sie würde ihm noch danken. Niklas war wohl schon da gewesen, zumindest hingen die Skulls seines Doppelpartners neben seinen und es tropfte immer noch etwas Wasser von den Blättern.

„Ich rudere keine Fatblade!"

Er lachte bloß. Irgendwann war immer das erste Mal. Sie konnte nicht ewig Macone rudern.

„Alternativ hängt hier irgendwo noch ein Paar Smoothie."

Anna blieb hinter ihm stehen und griff nach einem Paar klassicher Macone, die neben ihm hingen. „Ruder du deine Fatblade, ich bin damit zufrieden."

„Wie kannst du damit zufrieden sein, wenn du noch nie Fatbalde ausprobiert hast?"

„Aber doch nicht im Einer."

„Leah rudert die mittlerweile auch im Einer."

„Wir reden hier über Leah. Die hat immer Niklas dabei, der mit Argusaugen auf sie aufpasst, sobald sie draußen ist."

Paul rollte mit den Augen. Sie traute ihm auch gar nichts zu. „Und ich schaffe es nicht, auf dich aufzupassen?"

„Wir wissen beide, wie es um deine erste Hilfekenntnis steht. Wie hast du deinen Trainerschein bekommen? Im Lotto gewonnen?"

Pfh. Was wusste sie schon? Nur weil er damals wie eine Salzsäule neben Leah gestanden hatte, als jene sich mit einem Skull ausgeknockt hatte.

„Okay. Dann ruder deine Macone. Ich zieh mich eben um und mach mir selber meinen Einer fertig. Kannst ja meine Skulls schon mal mitnehmen." Seufzend übergab er ihr seine Ruder und wollte sich gerade zur Tür drehen. „Hast du Niklas gerade noch getroffen?"

„Der ist gerade weg als ich kam. Aber er hat mir gnädigerweise das Bootshaus aufgelassen."

Paul verzog das Gesicht. Also keine spontane, entspannte Runde im Doppel.

In Unisuit , Sonnenbrille auf der Nase und Wasserfalsche in der Hand kam er wenig später zurück ins Bootshaus und fischte sich den Schlüssel zum Profischuppen aus einem kleinen Eimer an der Wand.

Anna hatte ihren Einer schon auf dem Wasser und schien auf ihn zu warten.

Schnell schloss er das kleine Bootshaus auf und holte sich seinen leichten Renneiner, der so viel schmaler neben Annas breiten Costal aussah.

„Dich mal mit Sonnenbrille zu sehen. Ich dachte schon du bist immun gegen die Spiegelung auf dem Wasser."

„Wenn ich Einer rudere, muss ich auch Strömungen sehen. Niklas ist ja nicht dabei, um meinen Kurs zu korrigieren."

Anna nahm beide eingehängen Skulls in die linke Hand und schwang das linke Bein ins Boot. „Ich glaube, ich sollte mir auch langsam mal einen Unisuit zulegen. Was meinst du rosa oder Flamingos?"

„Meinst du das Ernst?" Er legte seinen Skull zur Stegseite hin ein und schloss die Dolle.

Anna kicherte und stieß sich vom Steg ab. Als sie sicher im Boot saß, erklärte sie, „Leah und ich rudern doch jetzt im Training Doppel, da müssen wir doch auch stimmig aussehen."

„Nennt ihr euch dann die Barbie Bitches, oder was?"

Wenn Blicke töten könnten, müsste er sich gar nicht weiter sein Boot fertig machen.

„Du bist so ein Idiot manchmal!"

„Und trotzdem gibst du dich mit mir ab. Scheiße, Anna! Was sagt das nur über dich aus." Auch der Skull zur Wasserseite lag und er prüfte mit einem Blick die Strömung und den Abstand zu Annas Boot und dem Steg. „Ruderst du mal so vier Schläge vor."

Anna seufzte, kam aber seiner Bitte nach und er stieß sich kräftig mit dem rechten Bein vom Steg ab. Das Boot schwankte leicht, als er auf dem Rollsitz Platz nahm und nur mit den Armen anfing sich Richtung Ruderstrecke zu ziehen.

Nachdem er selbst ungefähr vier Kilometer gut gerudert war und es bei dem Sonnenschein für gut befunden hatte, hatte er Anna noch ein paar Manöver beigebracht, dann machten sie sich beide wieder auf den Rückweg.

Annas Wangen leuchteten rot und ihre Augen glitzerten. Sie sah wirklich glücklich aus und auch er kam mit einem Grinsen im Gesicht wieder am Steg an.

Paul schloss gerade wieder den Profischuppen ab, da hatte Anna schon beide Skullpaare vom Steg eingesammelt und brachte sie zum Bootshaus. Sie war immer noch ziemlich rot.

„Hast du dich vor dem Rudern eingecremt?"

Sie blieb stehen und stöhnte auf. „Scheiße! Total vergessen."

„Denk das nächste Mal dran. Du bist immer noch knallrot."

„Herr Haber, liegt Ihnen etwa etwas an mir." Sie verengte die Augen und lachte. Die Skulls rutschten ihr dabei gefährlich von der Schulter.

Beherzt griff Paul zu, ehe seine geliebten Concept 2 noch die rauen Pflastersteine küssten. „Mir liegt eher mehr dran, dass mein Equipment heil beleibt. Du hast da fast tausend Euro auf der Schulter."

Anna schüttelte immer noch lachend den Kopf über ihn und drehte sich um. Beinahe hätte sie ihn mit den Blättern seiner eigenen Skulls erwischt. „Männer und ihr Spielzeug."

Paul streckte ihr die Zunge heraus und schnappte sich seine Wasserflasche von der niedrigen Steinmauer zwischen dem Platz vor dem Bootshaus und der Wiese vor dem Profischuppen. Mit einem Satz war er auf dem gepflasterten Platz und nahm mehrere große Schlücke aus seiner Wasserflasche. „Du solltest gleich auch noch mal was trinken, nicht dass du 'nen Sonnenstich hast."

„Paul!"

„Was? Wasser funktioniert als ..." Sie unterbrach ihn.

„Schon gut! Keine Belehrungen. Ich war heute schon in einer Vorlesung."

„Was heißt hier Belehrung."

„Ich weiß, du wolltest mir nur mal wieder beweisen, was für ein Nerd du bist." Anna ließ die Skulls von ihrer Schulter geleiten und wuchtete beide Paare nacheinander in ihre Ablagen.

„Was ist jetzt der Plan?", entspannt lehnte er sich gegen das kühle Metalltor.

Anna drehte sich zu ihm um und zuckte mit den Schultern, auf denen sich deutlich abzeichnete, dass sie gerade noch die Skulls getragen hatte. Sie hatte eindeutig einen Sonnenbrand. „Zu mir?"

Er nickte. „Können wir machen." 

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