Kapitel 32- Sowas wie Eifersucht
Pauls Finger schwebte immer noch unschlüssig über dem Sendenbutton. Es kam ihm vor, als wäre er gerade erst gegangen, obwohl er schon in einer Vorlesung saß, eine Runde um den See gejoggt war und mit Niklas eine komplette Gewichtssession durchgezogen hatte.
Nach einem tiefen Durchatmen drückte er doch auf Senden und legte sein Handy neben sich auf sein Sofa, auf dem er der Länge nach ausgebreitet, mit Blick an die Decke lag. Es war so still, dass er seinen eigenen Herzschlag hören konnte. Ein laues Lüftchen kam durch eines der großen Fenster herein. Kurz wandte er den Blick zum eingestaubten Fernseher. Aber die Motivation aufzustehen fehlte ihm, um sich die Fernbedienung zu schnappen. Außerdem wüsste er sowieso nicht, was er gucken sollte.
Sein Handy pingte und er griff so schnell danach, dass es ihm beinahe aus der Hand gefallen wäre. Beim Lesen der Nachricht bildete sich ein breites Grinsen auf seinen Lippen.
Es klingelte zwanzig Minuten später an seiner Wohnungstür. Sofort sprang Paul vom Sofa auf.
„Noch nicht platt vom laufen?", feixte Anna als er ihr die Tür öffnete.
„Da brauch es schon mehr als diese paar Kilometer und ein paar Gewichte." Gemächlich schloss er die Wohnungstür hinter ihr.
Schmunzelnd schob Anna sich an ihm vorbei. „Du hättest ruhig mal sagen können, dass du so wohnst." Mit großen Augen sah sie sich um und drehte sich dann erstaunt zu ihm um.
„Was meinst du?" Besonders fand er seine Wohnung nun wirklich nicht. Vielleicht etwas unpersönlich, wenn man von den wenigen Fotos vom Rudern an den Wänden mal absah.
„Ich kenne Niklas kleine Wohnung, in der man ja fast immer einen Lagerkoller bekommt, sobald mehr als vier Leute da sind. Ich kenne Leahs Wohnung, bei der ich jedes Mal denke, dass sie viel zu groß für eine Person alleine ist. Beide Wohnungen passen perfekt zu den Bewohnern. Und jetzt sehe ich das hier und frage mich, ob ich dich überhaupt kenne."
„Wenn du die Möbel meinst, das war hauptsächlich meine Mutter und dass ich hier eine Wohnung gefunden habe, war pures Glück."
Anna schüttelte ungläubig mit dem Kopf. „Ich muss gerade erst mal mein Bild von dir updaten. Warum haben wir uns als Gruppe nie hier getroffen?"
„Wie viele Chancen hatten wir dazu? Außerdem ist es bei Leah wirklich gemütlicher."
Anna ließ ihre Tasche von der Schulter gleiten und schüttelte immer noch den Kopf. „Bekommst du das im Winter überhaupt warm hier drin?" Sie legte den Kopf in den Nacken und sah an die hohe Decke.
„Nein. Thermodynamik sei Dank. Ich könnte mir das Heizen auch sparen."
„Weißt du was hier fehlt?"
Er schüttelte den Kopf. In ihren Augen glitzerte etwas auf und sie grinste ihn breit an, als sie sich auf das Sofa fallen ließ.
„Pflanzen. Hier ist es eigentlich nur grau, Holz und Stein. Etwas grün würde es gemütlicher machen." Sie sah sich um. „Und mehr Bilder."
So schnell sie sich gesetzt hatte, stand sie schon wieder an und betrachtete eines der Bilder in einem schwarzen Rahmen.
Amelie, sein Vater und er beim Rudern. Da waren sie noch Kinder gewesen und ab und an mal samstags zusammen gerudert, während ihr Vater im Einer nebenher gerudert war.
„Ist das deine Schwester?"
„Ja. Sie ist das eigentliche Genie von uns beiden."
„Dein Vater sieht auf dem Foto, trotzdem aus als wäre er stolz auf euch beiden. Du siehst ihm echt ähnlich."
Das hörte er eigentlich nicht so häufig. Sein Vater war blond, hatte blaue Augen und ein kantigeres Gesicht, als er selbst. Seine Mutter sagte immer sie hätten dasselbe Lachen.
„Hast du nochmal mit ihnen gesprochen?"
„Nein." Amelie hatte ihn anscheinend blockiert und sein Vater hatte sich heute über Niklas nach ihm erkundigt, aber seit Wochen nicht mehr angerufen. Selbst seine Mutter ließ nichts von sich hören, obwohl sie sich vor wenigen Wochen noch beinahe jeden Tag danach erkundigt hatte, ob er auch ja genug aß und auch wirklich seine zwei Liter Wasser pro Tag trank.
Anna atmete scharf ein und löste sich von dem Foto. „Meine Mutter hat mich heute Vormittag erst angerufen." Sie seufzte und ließ sich wieder auf das Sofa fallen. „Paulchen, ich brauche dich nächstes Wochenende."
„Wofür?", misstrauisch zog er die Augenbrauen zusammen und kam langsam näher.
Anna setzte einen betretenen Gesichtsausdruck auf. „Meine Mutter hat meinen Ex getroffen und er hat ihr wohl gesteckt, dass ich einen Neuen habe. Sparen wir uns die Details. Sie will, dass ich dich am Samstag mitbringe und ich könnte dich als Alibi echt gut gebrauchen, sonst versuch sie mich an das halbe Dorf zu verscherbeln."
Ohne zu zögern, schüttelte Paul den Kopf. „Vergiss es! Das war nie auch nur ansatzweise Teil unseres Deals."
„Bitte, Paulchen! Du würdest mir damit den Arsch retten."
„Nein." Das konnte sie getrost vergessen. Er hatte nie mit den Eltern seiner Bekanntschaften zutun gehabt, nicht mal mit denen von Dana und das wollte er bestimmt nicht ändern.
Anna legte den Kopf schief und schob die Unterlippe vor. „Bitte, bitte, bitte." Dann schien ihr eine Idee zu kommen. Sie entspannte sie wieder und klopfte neben sich. „Ich kann dich ja nicht zwingen."
Interessanter Stimmungswechsel. Aber wenn sie eine Alternative hatte, umso besser. „Was hast du bisher gemacht?"
„Ach, Fotos bearbeitet. Ihr müsstet die eigentlich alle schon per Mail bekommen haben. Ein bisschen was für die Uni musste ich auch machen, aber das war echt nicht viel. Wie war die Vorlesung?"
Er zuckte mit den Schultern und setzte sich neben sie. „Wie immer." Ins Detail gehen musste er nicht. Anna wäre bei der Hälfte eh raus.
„Und das Training?"
„Ich laufe mit Niklas nie wieder an einem Café vorbei." Er musste lachen. Das war so typisch gewesen. Langsam bezweifelte Paul, dass Niklas das nicht auch auffallen musste.
„Spill the tea! Was hat der Idiot schon wieder gemacht?"
„Eigentlich gar nichts. Eine ganze Frauengruppe hat sich nur nach uns verrenkt."
Anna musste ebenfalls lachen. „Nein! Ich sehe es beinahe bildlich vor mir."
Paul überlegte kurz, ob er das wirklich fragen konnte, aber tat es dann trotzdem. „Sei ehrlich, du warst auch mal so ein bisschen verschossen in ihn, oder?"
Anna lief rot an und nickte dann zögerlich. „Man guckt ihn sich eben gerne an."
„Was habt ihr bloß alle mit seiner Optik? Seine Ex war deswegen ja auch nur mit ihm zusammen."
Anna zuckte mit den Schultern. Ihr Blick glitt zur Decke. „Er ist jemand, mit dem man angeben kann. So der Typ Mann, den man gerne mal im Bett hätte, nur um zusagen, dass man bei ihm landen konnte. Egovögeln könnt nicht nur ihr Männer."
Paul verzog das Gesicht. Wie schön, dass er sich dazu anscheinend nicht eignete. „Na, hellste Kerze ist er ja nicht. Versteh mich nicht falsch. Ich liebe ihn echt wie einen Bruder, aber in Mathe war er das Highlight meiner Schulzeit."
„Sei nicht so schadenfroh." Anna musste lächeln und ihre braunen Augen blitzten vergnügt auf, ehe sie etwas wehmütig wurden. „Ich finde es echt toll, dass er in Leah jemanden gefunden hat, der ihn wirklich für seinen Charakter haben will."
Sofort legte sich eine eigenartige Spannung auf ihn. „Das wärst gerne du gewesen, oder?"
„Nein!" Anna lachte lauthals los. „Niklas finde ich so langweilig, mit ihm würde ich nie auf einen gemeinsamen Nenner kommen. Ich kenne niemanden, der so kontrolliert ist in allem, was er tut, und trotzdem immer zu spät kommt."
Paul atmete unweigerlich auf. „Das konnte er schon immer gut. Nur beim Training mit meinem Vater war er immer pünktlich. Aber auch nur, weil Papa ihn einmal ins Wasser geschmissen hat und für mindestens fünf Minuten nicht rausgefischt hat. Es war arschkalt und am Nieseln."
„Oh Gott."
„Er hat es gut weggesteckt, aber war wohl eine Lehre."
„Habt ihr schon mal überlegt, wieder bei deinem Vater zu trainieren?"
Paul wiegelte den Kopf hin und her. Gesprochen hatten sie darüber noch nie, aber er wünschte es, sich insgeheim viel zu oft.
Anna seufzte. „Was machen wir jetzt?"
„Ich könnte anbieten, zehn Kilometer zu laufen, oder einen Film zu gucken."
„Bei dem Wetter nehme ich lieber den Film. Bist du morgen am Club?"
„Nein. Trainingsfreier Tag, aber Niklas ist da und quält Leah." Geschmeidig stand er auf und schnappte sich die Fernbedienung vom Sideboard.
Anna verzog kurz die Mundwinkel. „Dann rudere ich wohl mit Leah unter Niklas Aufsicht Doppel."
Paul schaltete den Fernseher ein. „Könnte doch schlimmer sein. Du kennst meine Schwester nicht. Die ist ein Teufel im Boot. Kein Ruderpartner war je schnell genug für sie." Er musste lachen, als er daran dachte, wie Amelie ihn immer zur Sau gemacht hatte, als sie noch Doppel gerudert waren.
Sie sahen vielleicht die ersten zehn Minuten des Films, da rutschte Anna schon näher an ihn heran. Ihre Hand wanderte wie von selbst unter seinem T-Shirt, und als er sie ansah, hatte sie schon wieder dieses Glitzern in den Augen, das sein Herz schneller schlagen ließ.
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