Kapitel 20- Tränen und konfiszierter Alkohol

Paul hängte die Skulls weg und rieb sich danach den schmerzenden Ellenbogen. Das hatte er also davon, dass er auf dem Wasser die Fresse nicht halten konnte und meinte, Niklas provozieren zu müssen.

Zähne knirschend sah er raus und den Kleinen dabei zu, wie sie die Skulls zum Steg trugen. Von Niklas fehlte jede Spur, nur William und die Mädchen konnte er auf der Terrasse der Gastro sitzen sehen.

Anna sah zu ihm herüber. Sie sah besorgt aus und winkte ihm unauffällig an ihren Tisch.

„Langsam mit den Booten und nicht anecken, bitte!", rief Paul, ehe er sich aus dem Schatten der modernen Bootshalle löste. Er hoffte, ihn hatten auch alle der kleinen Chaoten gehört. „Kleinboote zuerst!" Wenn sie das hinbekämen, konnte selbst Niklas sie trainieren. Wie der seinen Trainerschein bekommen hatte, war Paul seit eh und je ein Rätsel, obwohl sie ihn zusammen gemacht hatten. Wie so vieles in ihrem Leben.

„Deine Wange sieht schon wieder übel aus." Anna klopfte auf den Stuhl vor Kopf und öffnete den Verbandskasten, den die Bedingung nur wenige Sekunden vor seinem Eintreffen am Tisch abgegeben hatte.

William kräuselte die Nase und nahm seinen Kaffee entgegen. „Ich frage mich so langsam, was in euren Köpfen vorgeht. Ihr seid doch nun wirklich keine pubertierenden Jungs mehr."

„Ich hab Niklas provoziert. Meine Schuld." Paul zuckte zusammen, als Anna nach seinem Kiefer griff.

„Halt still! Da frage ich mich echt, wie Niklas dich immer so easy zusammengeflickt bekommt." Anna zog mit der freien Hand eine Flasche mit Desinfektionsmittel aus dem kleinen Koffer. Wortlos reichte sie die an Leah weiter und besah sich seine Abschürfung mit kritischem Blick. „Brennt das nicht?"

Paul zuckte mit den Schultern und wollte gerade fragen, ob er auch einen Kaffee haben konnte; da nahm Anna das geöffnete Desinfektionsmittel entgegen und sprühte es auf die Wunde. „Also jetzt brennt es auf jeden Fall, fuck! Vorwarnen wäre schön gewesen."

„Mein Gott, buhu! Heul leise! Wenn ihr euch auch kloppen müsst." Anna ließ seinen Kiefer los und schloss das Mittel wieder. Sie hatte die Haare geöffnet und sie fielen ihr in sanften Wellen bis zum Schlüsselbein. Sie sah genervt aus, wie sie die Stirn in Falten legte und die Lippen zu schmalen Strichen verzog.

„Niklas ist auf mich losgegangen." Also, man musste da ja auch bitte mal korrekt sein. Wenn jetzt alle Schuld wieder auf ihm abgewälzt werden würde, konnte er sich auch in sein Zimmer begeben und auf das Abendessen warten.

William schüttelte den Kopf. Seine blauen Augen richteten sich auf ihn. „Ihr seid beide momentan problematisch! Was ist nur los mit euch? Ich will wieder das Golddoppel zurück. Vielleicht sollte ich mal deinen Vater anrufen."

Augenblicklich musste Paul schlucken und sah aufs Wasser. Das wäre sein Untergang. Schneller als er auch nur protestieren könnte, wäre er wieder zu Hause. Besonders seit Amelie ihre vielversprechende Karriere im Einer an den Nagel gehängt hatte.

Leah verspannte sich und Paul richtete sich dankbar für diese Ablenkung in seinem Stuhl auf. Er konnte Niklas Anwesenheit spüren, eher er ihn auch nur sah.

Immer noch eher Ähnlichkeit mit einem begossenen Pudel, allerdings nun in trockenen Klamotten, stand er am anderen Tischende und sah Leah verwirrt an.

„Nein!" ließ seine Freundin ihn gar nicht erst zu Wort kommen.

Anna warf ihm einen eindeutigen Blick zu. Während Niklas bei Leahs ruppigen Ton zurückzuckte und nur ein stummes „Okay." Mit den Lippen formte.

„Hau ab! Ich rede erst wieder mit dir, bis du dich zumindest bei Paul entschuldigt hast!" Wie um die Ernsthaftigkeit ihrer Worte zu untermalen, verschränkte Leah die Arme vor der Brust und stierte Niklas genervt an.

Sofort glitt Niklas Blick zu Paul, dann drehte er sich jedoch um und lief zum Steg, auf dem sich der Achter drängte, aber das Doppel einfach nicht vorbeiließ.

„Wow. Leah, du kannst auch mal sauer auf ihn sein." Anna sah belustigt aus.

„Pf! Nach der Aktion. Paul, was kannst du schon gesagt haben, dass es die Schläge wert war?"

Paul spürte, wie ihm das Blut in die Wangen schoss und versuchte nervös irgendwo einen Fixpunkt zu finden. „Nicht der Rede wert."

Die Kellnerin kam wieder und stellte drei Stück Kuchen auf den Tisch. Der Schokoladenkuchen sah saftig aus und war mit einer dünnen Schokoladenschicht glasiert worden. Gerne hätte Paul auch ein Stück gehabt und der Geruch erinnerte ihn nur daran, dass er wie immer nach dem Rudern einfach nur Hunger hatte. „Haben sie auch Obst auf der Karte?"

Die Kellnerin guckte nicht sehr irritiert, lächelte und nickte. „Natürlich. Apfel? Birne? Was Exotisches?"

„Zwei Äpfel, bitte und noch ein Wasser." Er lächelte und sah der Frau nach, wie sie nach drinnen verschwand.

„Ich hätte so blöd geguckt, hätte jemand mich das in der Oase gefragt." Anna kicherte und stach in ihr Stück Kuchen.

William tat es ihr gleich. „Rudergastro eben."

Die Kellnerin kam wieder raus. Das Glas Wasser stellte sie schwungvoll vor ihm auf den Tisch und legte die zwei ganzen Äpfel daneben. „Strunk bitte nicht an die Enten verfüttern, die kommen sonst immer wieder."

„Kein Ding. Danke schön." Paul nickte ihr zu, schnappte sich dann einen der Äpfel und stand auf.

Die fragenden Blicke der Anderen ignorierend, lief er zum Steg, auf dem inzwischen etwas Ordnung eingekehrt war. Niklas koordinierte gerade die Kleinboote, die schon mal bis zur 250-Meter-Marke auf zwei Bahnen aufwärmen sollten.

„Hier." Er blieb neben ihm stehen und hielt ihm den Apfel hin.

Niklas wandte verwirrt den Kopf zu ihm, sah dann den Apfel und nahm ihm die rote Frucht ab. „Danke."

Nervös fuhr sich Paul durch die Haare. „Können wir später reden, oder-?"

Tief atmete Niklas durch und sah wieder aufs Wasser. „Ja. Nach dem Abendessen?"

„Gut. Ist, glaube ich, nötig."

„Mhm. Droht William mit Thomas?"

Paul sah weg. War das so offensichtlich. „Darum geht es nicht. Ich will das so nicht mehr!"

„Lass mich jetzt meine Arbeit machen."

„Ich kann helfen."

„Geh wieder zu den Anderen."

„Ich sage Leah du hast dich bei mir entschuldigt."

„Danke." Niklas biss in den Apfel und hob sein Fahrrad vom Boden vor ihm auf. „Macht mit dem Achter mal etwas hinne."

Die Jungs auf dem Steg murrten nur leise, bewegten sich allerdings nicht schneller.

Ohne noch ein weiteres Wort an Paul zu richten, schwang Niklas sich auf sein Fahrrad und fuhr los.

Einsam und mit einem mulmigen Gefühl im Bauch blieb Paul am Steg zurück und sah ihm nach.

Das Abendessen war unspektakulär gewesen. Leah hatte Niklas wohl noch nicht verziehen und ignorierte ihn. Anna und William hatten sich derweil die ganze Zeit über Gott und die Welt unterhalten.

Paul hatte den Glauben fast schon daran verloren, dass Niklas wirklich mit ihm reden wollte, da klopfte es nur fünfzehn Minuten, nachdem sie alle den Speisesaal verlassen hatten, an seine Tür.

Paul sprang vom Bett auf und sein Herz schlug ihm bis zum Hals, als er Niklas die Tür öffnete und ihn reinließ.

Für einen Moment standen sie sich einfach nur stumm gegenüber. Keiner sagte etwas oder bewegte sich. Unschlüssigkeit waberte zwischen ihnen durch die kühle, abgestandene Luft.

Paul war es, der sich als Erster, wieder bewegte. Mit einem tiefen Einatmen ließ er sich auf das Bett fallen. „Tut mir leid, Niki. Alles."

„Das soll ich dir glauben? Paul, ich erkenne dich nicht mehr wieder." Niklas stand immer noch mitten im Raum und sah ihn vorwurfsvoll an.

„Hast du auch jedes Recht zu. Ich bin ein Arschloch."

„Ich bin auch nicht besser." Niklas machte einen großen Schritt und sank dann neben ihn auf die Bettkante. „Alles okay bei dir?"

„Ich habe Dana endlich gesagt, dass es endgültig vorbei ist. Für sie waren wir eh seit Jahren nicht mehr zusammen."

„Hast du das wirklich noch geglaubt?" Niklas klang ehrlich erschüttert.

Paul nickte. „Ich wollte es, glaube ich, glauben." Ein trauriges Lächeln legte sich auf seine Lippen. „Ist bei dir alles Okay?"

Niklas atmete scharf ein und verspannte sich.

„Es ist nicht nur Leah, oder?"

Niklas schüttelte den Kopf. „Zwischen meinen Eltern eskaliert es wieder und ich soll mich entscheiden." Seine Stimme klang rau und als er ihm den Kopf zudrehte, konnte Paul sehen, wie seine Augen anfingen zu spiegeln. „Mama hat mich sogar rausgeworfen. Ich darf nicht mehr nachhause kommen, nur noch um ein paar Sachen zu holen."

„Was?" Paul riss erstaunt die Augen auf. „Warum hast du nichts gesagt?" Sein Herz wurde schwer und plötzlich war auch ihm zu heulen zumute.

„Wann, Paul? Wann?" Niklas schluckte schwer und wischte sich über die Augen. „Scheiße."

„Hängst du deshalb so viel bei Leah?"

Niklas nickte. „Ohne sie würde ich durchdrehen. Seien wir mal ehrlich, wen habe ich noch wirklich außer ihr?"

Paul wischte sich jetzt ebenfalls über die Augen. „Ich habe auch Angst, meinen Eltern gegenüberzutreten. Papa wird sauer sein und Mama enttäuscht. Wie soll ich bitte erklären, dass ich dieses Jahr meinen Bachelor nicht mache und dass wir uns zerstritten haben? Ich habe auch niemanden mehr." Mit zitternder Stimme fuhr er fort. „Niklas, ich brauche dich. Ohne dich komme ich da nicht raus." Dann brachen die Tränen aus ihm heraus.

Stumm saßen sie da. Hingen beide ihren Gedanken nach und starrten an die gegenüberliegende Wand.

Niklas räusperte sich. „Weißt du noch früher?"

„Ja. Wir zwei. Brüder im Geiste." Paul verzog die Lippen zu einem traurigen Lächeln. „Wann haben wir aufgehört, so zu sein?" Seine Kehle fühlte sich sofort wieder eng an.

„Ich weiß es nicht! Aber ich hasse es", wisperte Niklas tonlos.

Paul nickte. „Ich auch. Können wir bitte einfach damit aufhören?"

Niklas wollte gerade noch etwas sagen, da hörten sie lautes Gepolter aus dem Nebenzimmer, gefolgt von einem leisen Klirren.

„Gehst du, oder geh' ich?"

Paul stand auf. „Ich mache das schon!" Er hatte das Gefühl, er müsste Niklas beweisen, dass er sich einbringen wollte und Verantwortung übernehmen konnte.

Wenig später stand er im Gruppenzimmer des Achters und konnte gerade noch aus dem Augenwinkel sehen, wie einer der Jungs versuchte, eine Wodkaflasche unter dem Bett verschwinden zu lassen.

Er seufzte und zog die Augenbrauen hoch. „So, her damit! Ich bin nicht gerne der Spielverderber, aber Jungs, Alkohol ist beschissen. Passt damit auf."

„Muss das sein?", fragte der Schlagmann. Ein dunkelhaariger mit olivfarbenem Teint.

Paul streckte fordernd die Hand aus. „Ja, alles! Macht hier keine Szene, dann wird William auch nicht wissen, aus welchem Zimmer ich die Flaschen habe."

Die Jungs wechselten Blicke und gaben dann zögerlich einer nach dem anderen je eine Flasche Bier und insgesamt drei liederlich versteckte Flaschen Wodka bei ihm ab.

„Ist das alles?" Ein Feuerzeug lag sehr offensichtlich auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers. „Zigaretten und Co will ich auch haben. Rauchen ist nicht besser und macht euch auch nicht cool, Mensch! Ich habe auch in eurem Alter gekifft, aber guckt euch an, was aus mir geworden ist."

„Wir haben kein Gras!", protestierte ein kräftiger Junge. Mittelposition würde Paul wetten.

„Kommt, verarscht mich nicht. Her damit! Ich kenne die Tricks."

„Du bist genauso uncool wie Niklas!" Die Mittelposition gab ihm mit einem Augenrollen einen fertig gedrehten Joint.

Paul grinste. „Nö, der wäre uncooler und würde dafür sorgen, dass ihr Stress bekommt." Er hielt den Joint hoch. „Drehen müsst ihr noch üben und mal so als Hinweis, im Zimmer rauchen ist ne ganz blöde Idee. Hier sind Rauchmelder und man riecht es!"

Auf dem Flur hatten sich auch die Anderen eingefunden, als Paul mit seiner Beute aus dem Zimmer kam.

„Na, was hast du alles? Anna hat oben gerade eine Flasche Sekt und drei Wodkamischungen eingesammelt. Die anderen Zimmer haben nichts." William schloss gerade wieder die Tür zu seinem und Pauls Zimmer.

„Drei Flaschen Wodka und Bier."

Niklas nahm ihm ein paar Flaschen ab, während William die Tür wieder aufschloss.

„Fahr ins Trainingslager, haben sie gesagt. Ganz liebe Kinder haben sie gesagt", grummelte William und versuchte die Flaschen in dem kleinen Regal alle unterzubekommen. „Was machen wir jetzt damit?"

„Trinken?", schlug Anna sarkastisch vor und bekam von Leah einen vorwurfsvollen Seitenblick.

Niklas klang da schon bedachter. „Die Mischen würde ich wegkippen, sowie alles, was schon auf ist und die geschlossenen Flaschen sackt entweder der Club für die nächste Party ein oder wir drücken sie den Eltern in die Hand."

„Die Idee mit der Clubparty gefällt mir." William seufzte und setzte zum ersten Mal seine Kappe ab um sich das schüttere, dunkelblonde Haar zu raufen. „Niklas, wir gucken die anderen Jungenzimmer durch."

So blieben Anna, Leah und Paul alleine auf dem Flur zurück.

„Ist zwischen euch wieder alles okay?" Leah musterte ihn. „Hast du geweint?"

Paul presste die Lippen aufeinander. „Geht schon."

Leah klopfte ihm auf die Schulter und wandte sich an Anna. „Ich gehe hoch. Fühlt sich nicht gut an die Mädels alleine zu lassen."

Paul wartete, bis Leah Schritte sich weit genug entfernt hatten, ehe er den Joint aus seiner Hosentasche zog. „Den habe ich gerade auch noch einkassiert. Und dachte ..." Er sprach nicht zu Ende, sondern grinste Anna einfach nur an.

„Können wir machen. Wenn William und Niklas wieder hier sind, draußen?"

„Klingt gut!" 

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