Kapitel 19- Eskalation auf dem Bootsplatz
Paul zuckte wieder mit den Schultern, wie er es immer tat, wenn er wohl nichts zu sagen hatte. Sein sommersprossiges Gesicht wurde vorteilhaft von der Sonne angestrahlt, sodass seine Wangenknochen und die feine Kieferpartie mal zur Geltung kam. Die moosgrünen Augen funkelten und ein verschmitztes Grinsen zierte seine schmalen Lippen.
Warum guckten so viele Mädchen eher Niklas hinterher? Sie war da ja auch keine Ausnahme, aber Paul war doch nun auch alles andere als hässlich.
Plötzlich fehlten ihr die Worte und vor der gelösten Stimmung war nichts mehr zu spüren. Unsicherheit machte sich in ihr breit. Unschlüssig sah sie zur Terrassentür.
Wie als hätte ein höheres Wesen erbarmen mit ihr gehabt, kam einer der Jungs aus dem Achter zu ihnen raus. „William hat gesagt, ich soll euch zum Mittagessen reinholen." Seine Stimme überschlug sich leicht. Da war wohl jemand im Stimmbruch.
„Wir kommen, danke." Anna sprang sofort vom Tisch runter und konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie Paul das Gesicht verzog. Mit Niklas an einem Tisch zu sitzen, war wohl keine gute Aussicht für ihn. War auch irgendwie nachvollziehbar.
Leah und Nikals saßen mit William schon an ihrem Tisch. Alle drei sahen auf als sie hereinkamen.
„Hast du Lust, gleich mit Leah noch mal Doppel zu rudern?" William rücke mal wieder seine abgewetzte blaue Kappe zurecht.
Anna blickte zu Leah herüber, die sie hoffnungsvoll ansah. „Sicher." Sie würde Leah doch nicht hängen lassen, alternativ bliebe da ja nur der Einer, mit dem Leah auf Kriegsfuß stand.
„Perfekt. Und Jungs, Bene hat mir gestern nochmal geschrieben, dass ihr auf jeden Fall Doppel rudern sollt, da müsst ihr an der Harmonie arbeiten."
Niklas zeigte keine Regung, sondern sah nur auf die Tischplatte. Paul hingegen stöhnte laut auf und dachte anscheinend nicht daran, sich hinzusetzen. „Mit dem Hornochsen? Lass mal! Da hab ich mehr Hoffnungen auf Harmonie in einem Novizenboot."
William seufzte. „Reißt euch doch bitte zusammen! Die Jungs blicken zu euch auf, also bitte rudert Doppel und macht keine Szene."
Warnend fixierte sich Niklas Blick auf Paul. Ein Wort von irgendeinem von beiden und es würde eskalieren. Das lag eindeutig in der Luft.
„Was gibt es zu essen?", fragte sie schnell, um auf ein anderes Thema zu kommen.
„Entweder Fisch, oder Bandnudeln in einer Pilzsoße." Leah deutete hinter sich auf die Tafel über dem Buffet mit Salat.
„Paulchen wird garantiert wieder Fisch in sich reinschaufeln und ich mag den Geruch nicht, wer tauscht mit mir Plätze?" Hoffnungsvoll lächelte Anna in die Runde. Irgendwer würde sich doch bestimmt rühren.
William deutete auf Niklas. „Rüber! Dann könnt ihr euch auch schon mal an die Nähe des anderen gewöhnen, ohne einander gleich verprügeln zu wollen."
Niklas wollte widersprechen, aber Leah klopfte ihm auf die Schulter und sah ihn mit einem Blick an, der keine Widerrede duldete. Wie ein viel zu stolzes Rind, das zur Schlachtbank geführt wurde, lief Niklas um den Tisch herum und nahm Annas Platz ein.
Mit einem dankbaren Lächeln nickte sie ihm zu und setzte sich neben Leah.
„Also größentechnisch sind eure Doppel echt genial!" William sah zwischen ihnen hin und her.
Zweieinhalb Stunden waren seit dem sehr angespannten Mittagessen vergangen. William hatte sich zu aller Überraschung ein Motorboot geschnappt und fuhr in einem gemäßigten Tempo neben ihnen her. In einem ruhigen und entspannenden Rauschen glitten die Blätter ihrer Skulls durch das Wasser und das schmale Rennboot lag beinahe durchweg komplett gerade auf.
„Sehr gut. Tempo bis zur roten Boje halten und dann will ich einen Seitenwechsel sehen. Anna ein bisschen gerader im Rücker. Leah Schultern locker."
Vor ihnen konnte man das kräftigere Schlagen von Skulls hören und damit kündigte sich wohl auch an, dass die Jungs sie bald überholen würden.
Dieses Geräusch löste Herzflattern in Anna aus. Sie verband es mit so vielen positiven Erinnerungen und vor allem fantastischen Fotos.
Das Rennboot geriet etwas aus der Balance. „Fokus Mädchen! Auch wenn die Jungs gleich an euch vorbei brettern, behaltet den Fokus. Ich will heute niemanden aus dem Wasser fischen."
Anna musste schlucken. Schwimmen gehen wollte sie jetzt auch nicht unbedingt.
Die Jungs überholten sie auf Steuerbord mit einer Geschwindigkeit, die sie und Leah wohl niemals erreichen könnten. Das sollte ihr Trainingstempo sein?
„Zieht mal ein bisschen an. Ihr schlaft ja fast ein!", hörte Anna William den Jungs mit reichlich Spott in der Stimme zurufen.
Ja, das würde sie nie können. So viel Kraft hätte sie nicht mal über 250 Meter. Die mindestens zehn, wenn nicht sogar fünfzehn Jahre mehr im Training unter Toptrainern macht sich da absolut bemerkbar.
„Ihr könnt nach dem Seitenwechsel auch ein bisschen Tempo aufnehmen. Wir sind hier ja nicht beim Kaffeetrinken, obwohl das können wir gleich machen, wenn Niklas die Kleinen übernimmt, oder Mädels."
Leah vor ihr nickte nur und auch Anna fühlt sich nicht in der Lage verbal zu antworten.
Sie hatten ihr Boot aus dem Wasser und analysierten mit William gerade ihre Einheit, als Paul und Niklas mit schnellen Schlägen am Steg vorbeischossen und schließlich erst kurz vor der Wendung stoppten. Sie verharrten in der Wendung, schienen zu diskutieren, wendeten schließlich und ruderten wieder zum Steg.
An ihren Gesichtern konnte man eine kollektive Unzufriedenheit ablesen und Paul wartete nicht auf Niklas, sondern sprang einfach schwer atmend und rot im Gesicht aus dem Boot.
William hatte sein Gespräch mit Leah unterbrochen und ihm entfloh nur ein, „Oje!"
Niklas stieg schließlich aus dem Boot, zog die Skulls auf der Wasserseite raus und ließ sich wortlos vom Steg ins Wasser geleiten. Er schwamm ein paar Züge raus in die leere Bahn und dann zurück, um sich am Steg wieder aus dem Wasser zuziehen. Hatte der Unisuit vorher schon gut angelegen, zeichnete sich unter dem dunkelblauen Oberteil seine Bauchmuskeln deutlich ab.
Alle wandten sich schon ab und dachten damit hätten sich die Gemüter beruhigt, aber Niklas sprintete plötzlich los und mit einem Satz lagen beide Jungs im Staub und warfen sich, wer weiß was an den Kopf.
Anna sah hilflos dabei zu, wie Paul sich unter Niklas wand und ihm einen Schlag zwischen die Rippen verpasste. Auch Leah sah reichlich geschockt aus, als Anna sich Hilfe suchend zu ihr umdrehte.
William war der Einzige, der gefasst aussah. Mit festen Schritten lief er auf die Jungs zu, packt den, den er eben zu fassen bekam an den Schultern und rissen damit Niklas nach hinten von Paul weg.
„Sacht mal!", brüllte William und zog damit auch das letzte bisschen Aufmerksamkeit auf das Geschehen. „Ihr habt doch beide echt den Arsch offen!"
Paul machte den Mund auf. „Was brüllst du mich jetzt an! Der stützt sich wie so ein Irrer auf mich!"
Niklas rappelte sich wieder vom Boden auf. Der Ellenbogen blutete und er hatte eine kleine Abschürfung am Oberarm. „Ja, wer hat denn gerade ..."
„Ich will es nicht hören! Ich habe euch darum gebeten, dass ihr euch verdammt noch mal zusammenreißt! Keine Ahnung was eurer Problem miteinander ist, aber ihr arbeitet dran!" William schnaufte genervt auf. „Ihr holt jetzt das verdammte Boot aus dem Wasser, Niklas zieht sich etwas Trockenes an und Paul überwacht das Aufwärmen der Kinder. Ich brauche meinen verdammten Kaffee jetzt noch dringender als vorher und ein Stück Kuchen für die Nerven!"
Beide Jungs sahen einander genervt an, aber trotteten wortlos und mit hängenden Schultern zurück zu ihrem Boot.
„Ich hole dir ein Handtuch", rief Leah Niklas kleinlaut nach. Sie hatte immer noch nicht wieder wirklich Farbe im Gesicht.
Anna verschränkte die Arme vor der Brust. „Verhätschle den nicht! Er hat sich schließlich gerade auf Paul gestürzt!"
Leah lief trotzdem los.
„Mein Gott! Ich bin Rudertrainer und kein Kindergärtner. Wirklich Jungs, super Vorbilder seid ihr!", murmelte William und wandte sich nur langsam von dem Bild auf dem Steg ab. „Anna, bitte sag mir, du bist noch normal. Weder komplett bescheuert, mit irgendwem verkracht, noch sonst etwas."
„Ich bin gerade eigentlich eher verwirrt und überlege, Gutscheine für Paartherapien zu verschenken."
„Gute Idee." William rückte seine Kappe zurecht und lächelte mild. „Auch Kuchen? Geht auf den Club."
„Gerne, wenn die was mit Schokolade haben. Das können Leah und ich wohl nach der Nummer beide gut gebrauchen."
Was ging nur bei den Jungs ab? Reden war echt Lava für sie.
Anna bliebe stehen und beobachtete wie das gelbe Doppel auf die Böcke gehoben wurde und Paul loslief, die Skulls einsammeln. Er sah genickt aus, blutete ebenfalls aus einer Schramme am Ellenbogen und hatte eine Abschürfung an der Wange. Desinfektionsmittel wäre jetzt wohl nützlich.
Leah kam wieder zu ihnen und drückte Niklas kaum, dass er damit fertig war, das Boot einmal mit klarem Wasser abzuspritzen, ein Handtuch in die Hand. Er wollte noch etwas sagen, aber Leah drehte sich wortlos weg.
„Gibt Schokokuchen, Mädels, und sollten wir uns alle irgendwann mal beruhigt haben, auch Verbandszeug für die Jungs." William winkte von einem Platz unter einem riesigen dunkelblauen Sonnenschirm.
Leah steuerte mit undurchdringlicher Miene auf ihn zu und harkte sich im Vorbeigehen bei Anna unter. Niklas ließ sie einfach stehen. „Keine Ahnung, was das sollte, aber ich rede erst wieder mit ihm, wenn er mit Paul gesprochen hat!"
„Na, vielleicht ist das der Arschtritt, den sie brauchen." Anna bezweifelte das eher.
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