Kapitel 18- Picknicktische

„Mehr, oder hast du für heute schon genug?" Niklas grinste Paul breit an und zog die Klemmen von der Hantelstange, neben der er in die Hocke gegangen war.

Paul fuhr sich durch die verschwitzten Haare. „Wie viel ist jetzt drauf?"

„90. Wir haben mal mehr geschafft."

Das hatten sie und Niklas sah auch noch deutlich fitter aus als er.

Paul sah sich im kleinen Raum um und blickte in den kleinen Spiegel hinter der Gewichtsablage. „Ja, gut. Machen wir 120 drauf und noch drei Sets."

William war nicht aufgetaucht, um Protokoll zu führen, wahrscheinlich saß er vor der Herberge mit einer Stoppuhr in der Hand und rollte die Augen über seine Jungs.

„Holst du dann mal zwei von den Roten, müssten die 15ner sein, oder?" Niklas deutete auf die Ablage mit den bunten Gewichtsscheiben.

Paul setzte sich nur langsam in Bewegung. Morgen hätte er eindeutig Muskelkater und würde sich selbst für diesen Vorschlag verfluchen.

„Was ist jetzt eigentlich mit Dana?"

Paul rollte mit den Augen und zog die beiden Scheiben aus dem Gestell. „Kann mich mal!"

Niklas zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wow, dass ich das mal so ernsthaft von dir höre!"

„Was soll das jetzt heißen?" Krachend ließ er die Gewichte vor Niklas und der Hantelstange auf den Boden fallen.

Vorwurfsvoll sah Niklas ihn an. „Warum musst du die Gewichte nur immer so schmeißen? Ablegen ist ein Fremdwort, ne?"

Wenn Niklas auch so dumme Aussagen machte, dann sollte er sich nicht wundern, wenn Paul ihn fast mit einer Hantelscheibe erschlug.

„Du rennst Dana immer hinterher. Ihr zofft euch, schlaft miteinander und zofft euch danach wieder. Das ist wie ein Fluch."

Paul verzog nur die Mundwinkel nach unten und löste die Klemme auf der anderen Seite der Hantel, um eine weitere Scheibe nachzuschieben. Fluch war ein guter Vergleich. „Hast du sonst noch ein Kommentar dazu, oder können wir trainieren?"

Mit einem Schnalzen erhob sich Niklas und sah ihn ernst an. „Paul, wir machen uns alle Sorgen um dich. Ich dachte, wir könnten mal in Ruhe reden."

„In Ruhe? Hier? Du meinst wohl eher alleine."

Niklas machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Paul sprach einfach weiter. „Ich sehe dich nur noch mit Leah. Und auch hier habe ich das Gefühl, sie kommt jeden Moment rein, weil irgendetwas ist."

Niklas musste zu seiner Überraschung schmunzeln. „Bist du eifersüchtig?"

„Warum sollte ich das sein? Mir geht es nur so verdammt auf die Nerven, dass du sie auf einen Thron gehoben hast und ich seitdem nicht mal eine Chance hatte dich mal wirklich alleine zu treffen." Seine Stimme wurde schneidender und schon beim Reden merkte Paul, dass er sich im Ton vergriffen hatte.

Niklas hob beide Augenbrauen und atmete tief durch, ehe er ihm antwortete. „Du hast hier die Chance mit mir zu reden, du hattest oft genug die Chance alleine mit mir zu reden, aber hast sie einfach ignoriert. Außerdem hast du keine Ahnung von irgendetwas!" Paul lief ein Schauer über den Rücken, als er Niklas in die braunen Augen sah. „Weißt du was? Mach deinen Scheiß hier alleine. Ich hab für heute genug von dir! Du hast hier auch nötiger als ich."

Das hatte gesessen! Paul wollte sich sofort entschuldigen, aber Niklas drehte sich einfach um und ging.

„Fuck, man!" Paul stiegen die Tränen in die Augen. Warum musste er immer so ein Esel sein? „Fuck! Fuck! Fuck!"

Ohne Niklas war das Krafttraining nicht dasselbe gewesen. Das Gym zu groß, die Musik zu laut und die Gewichte zu schwer.

Als Paul gegen Mittag wieder aus seinem Zimmer kam, war der Flur leer. Die Kinder machten wohl im Gemeinschaftsraum ihre Hausaufgaben und Leah und Niklas würde bestimmt mittendrin sitzen und ihre Unisachen hinter sich bringen. Ein Grund, mehr sich weiträumig vom Saal fernzuhalten.

Er huschte möglichst unauffällig durch den Flur und raus auf die kleine Terrasse mit Blick auf die Ruderstrecke. Auf einem massiven Picknicktisch saß Anna, die dunklen Haare im Nacken mit einer Klammer zusammengefasst und kritzelte gedankenverloren etwas in ein Buch.

Unschlüssig blieb Paul an der Tür stehen. Stören wollte er sie nicht, aber drinnen fiel ihm die Decke auf den Kopf.

Als Anna seine Anwesenheit spürte, zuckte sie plötzlich zusammen und fuhr herum. „Verdammt, Paulchen! Wie lange stehst du schon da?"

„Nicht lange, ich war auch am überlegen, ob ich wieder rein will." Unweigerlich schoss Paul das Blut in die Wangen.

„Niklas hat ja schon wieder echt gute Laune. Hast du ne Idee, was da gerade los ist. Das kann nicht nur Leah sein."

Paul stöhnte auf. „Ich kann es bald nicht mehr hören! Leah hier, Leah da!"

Anna lachte auf und klopfte neben sich. „Kotz dich aus."

Mit einem tiefen Seufzten, ließ Paul sich neben sie fallen. „Wir sind beim Krafttraining aneinandergeraten. Renkt sich wieder ein. Mich fuckt es nur so ab, dass ich Niklas kaum noch alleine sehe."

„Ich würde ja sagen ihr braucht eine Paartherapie, weiß aber nicht, ob die auch für Ruderdoppel funktionieren."

Paul lächelte matt. „Ich glaube, das Doppel hat sich bald. Was machst du da eigentlich?"

Anna zuckte mit den Schultern. „So, dies das."

„Aha, und dafür braucht man einen Bleistift und ein Skizzenbuch?"

„Wie kommst du darauf, dass es ein Skizzenbuch ist?"

Paul wies auf das schwarze Büchlein. „Die Seiten sehen anders aus als bei einem Notizbuch und ich habe dich schon oft damit gesehen."

Anna legte den Kopf schief und zog die Stirn in Falten. „Warum überraschst du mich immer wieder?"

„Damit du keine Langeweile bekommst?" Paul grinste unschuldig und ließ sich mit dem Oberkörper nach hinten fallen. Das Holz war kühl und rau in seinem Rücken und über ihm strahlte der Himmel blau und wolkenlos.

„Glaub mir, die würde ich auch so nicht bekommen. Sonst alles gut bei dir?"

Paul zuckte mit den Schultern. Was wusste er schon?

„Lass dich davon nicht so auffressen. Niklas und Leah, da scheint echt ne Menge im Argen zu sein."

Paul wandte Kopf in Annas Richtung und konnte sehen, wie sie ein Grinsen verbergen musste. „Was weißt du?"

„Ich dachte, du hast von dem Thema genug?"

Paul stützte sich auf die Ellenbogen und schüttelte den Kopf. „Fürs Lästern bin ich immer zu haben, solltest du doch eigentlich seit gestern wissen."

Anna zögerte kurz, dann beugte sie sich zu ihm herüber und wisperte aufgeregt. „Also... Sex haben die nicht. Nie."

„Oh, na das erklärt Niklas Stimmungsschwankungen."

„Ist noch nicht mal alles. Leah hat inzwischen ein schlechtes Gewissen Niklas gegenüber, weil sie glaubt, nicht so für ihn da sein zu können, wie er es für sie ist."

„Langweilig. Da fand ich Teil eins spannender."

„Wie ich bei so vielen Büchern." Annas Stimme triefte nur so vor Sarkasmus.

Wieder etwas, das Paul über Anna nicht gewusst hatte. Er hätte sie nie für eine Leseratte gehalten, eher für die flippige Künstlerin, die überall zurechtkommt.

„Mal Spaß beiseite, so lustig ist das eigentlich gar nicht. Stelle ich mir ziemlich Scheiße vor. Ich weiß vor allem auch gar nicht, ob ich das könnte." Gedankenverloren tippte Anna mit dem Ende ihres Bleistiftes gegen den Leineneinband ihres Skizzenbuches. „Könntest du das?"

„Öh, ist das ne Fangfrage?" Bei Frauen wusste man das ja so nie.

„Quatsch. Jetzt, mal ernsthaft! Könntest du das?"

Kurz musste Paul nachdenken, dann schüttelte er den Kopf. „Ich weiß nicht, warten ist nicht so unbedingt meine Stärke."

„Meine auch nicht. Zwei Monate und ich wäre wahrscheinlich weg. Also so ganz ohne? Nee."

„Da muss man wohl schon sehr verknallt sein." Paul ließ sich wieder nach hinten sinken, bis sein Rücken wieder auf der Tischplatte lag. „Was malst du da eigentlich?"

Er konnte spüren, wie Anna plötzlich nervös wurde, und drehte den Kopf, um ihr zumindest etwas ins Gesicht zu sehen. Sie war rot geworden und die Wangen glühten förmlich.

Sie sah weg, irgendwo in die Ferne. „Nichts. Ich sammel nur Inspiration für eine Unisache. Musst du nicht auch etwas für die Uni machen?"

„Und mich zu unserem Traumpaar und dieser Schaar pubertierender Hormonbomben setzten? Nein, danke!"

„Du musst doch auch Abgaben haben, oder hat der Herr vor ewig zu studieren?"

„Natürlich nicht. Aber die Abgaben schaffe ich schon. Ist nichts Weltbewegendes."

„Was studierst du eigentlich? Ich weiß nur etwas mit Mathe."

„Oh, es ist sogar irgendetwas mit Naturwissenschaften."

Anna ging auf seinen flapsigen Tonfall ein und riss gespielt erstaunt die Augen auf. „Da warst du aber ganz schon verrückt drauf, als du deinen Studiengang gewählt hast."

„Ich war sogar so verrückt drauf, dass ich meinen Laptop am ersten Unitag trotz Notiz, dass wir ihn zuhause lassen sollten, dabei hatte."

„Du Rebell!", rief Anna empört aus und machte eine übertriebene Handbewegung.

Paul musste lachen und auch Anna prustet nur einen Wimpernschlag später los.

Mit Anna könnte es hier auch ohne Niklas erträglich werden. Sie übertraf Pauls Erwartungen stetig! Irgendwie war das ganz schön cool.

„Ich bin sogar noch rebellischer. Ich habe, als wir in Amsterdam Regatta gerudert sind, auf der Afterparty mit einigen Niederländern, ohne dass irgendwer es mitbekommen hat, einen durchgezogen."

Anna sah ihn wieder an und verengte die Augen. „Paulchen, Paulchen, Paulchen. Pass auf, dass ich das nicht petze."

Paul fasste sich theatralisch ans Herz. „Nein, tu mir das nicht an! Ich habe schon genug Zorn auf mich gezogen."

Anna lachte. Ihr Lachen war schallend, so eins das die Sonne aufgehen ließ an schlechten Tagen. Eines das einen magisch anzog und neugierig machte auf die Person, die so befreit und locker über einen blöden Witz lachte. Sie fuhr sich durch die glatten Haare, die sich mittlerweile schon sehr aus der Plastikklammer gelöst hatten, und sah ihn dann enttäuscht an.

Paul rechnete schon damit einen draufzubekommen dafür, dass er, der sogenannte Leistungssportler, gekifft hatte, da sagte sie mit geknickter Stimme, „Ich will auch mal wieder kiffen. Das habe ich zuletzt auf dem Gymnasium. Das ist Jahre her!"

Paul schenkte ihr ein mitleidiges Lächeln. „Bei den Engeln gibt es weder Alkohol noch Gras. Ich frage mich, ob ich im Trainingslager auch so langweilig war. Ich kann mich zumindest noch daran erinnern, wie wir uns an meinem Vater vorbei mit zwölf Jungs an den See geschlichen haben, um heimlich etwas zu trinken. Der ist am nächsten Tag so ausgeflippt, weil irgendwer vergessen hatte, die Falschen wieder zu verstecken."

„War Niklas auch mit dabei?"

„Na klar! Wir waren damals unzertrennlich, der war mehr bei uns zuhause, als bei seinen Eltern."

„Was man so alles über euch lernt..." Anna grinste ihn an und ihren Augen leuchteten im Sonnenschein, sodass die Iris in einem hellen und warmen Braunton leuchtete, als hätte jemand hinter ihnen eine Glühbirne angeknipst.

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