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nineteen years ago:

Was ist ein Freund?

Mir ist aufgefallen, dass ich darüber bis jetzt noch nie nachgedacht habe.

Ich habe den Begriff einfach so hingenommen, ohne ihn genauer zu hinterfragen.

Immerhin habe ich Freunde.
Jin ist mein Freund, Oma und Opa sind auch meine Freunde.

Mittlerweile habe ich gelernt, dass Menschen Schmetterlinge und andere Insekten nicht als Freunde betrachten.

Mit anderen Tieren wiederum verhält es sich da ganz anders. Hunde und Katzen sind ganz selbstverständlich Freunde von Menschen. Aber wo ist der Unterschied von einem Hund zu einem Schmetterling?
Das kann mir irgendwie niemand so genau erklären. Schmetterlinge sind doch viel faszinierendere Tiere.
Trotzdem bin ich diese Ansicht mittlerweile gewöhnt.

Aber als Papa mich heute davon überzeugen wollte, dass weder Jin, noch Oma, noch Opa wirklich meine Freunde sein können, hat meine eigene Vorstellung von Freundschaft plötzlich keinen Sinn mehr gemacht.

"Freunde sind Menschen in deinem Alter. Nicht dein Onkel, auch wenn der irgendwie im Teenageralter hängen geblieben ist. Und schon gar nicht deine Großeltern."

Aber wieso denn nicht?

Eigentlich wollte ich Jin fragen, sobald ich wieder Zuhause bin, aber der ist noch bei der Arbeit. Deshalb habe ich in seinem Regal nach dem großen Buch mit den Worterklärungen gesucht.

Lesen ist immernoch sehr schwer und ich habe lange gebraucht, bis ich das gesuchte Wort entdeckt habe.

Freundschaft bezeichnet ein auf gegenseitiger Zuneigung beruhendes Verhältnis von Menschen zueinander, das sich durch Sympathie und Vertrauen auszeichnet. Eine in einer freundschaftlichen Beziehung stehende Person heißt Freund oder Freundin.

Ich verstehe nicht alles, was da steht. Warum muss das denn auch so kompliziert erklärt werden?

Aber da steht nichts von Altersunterschied.
Nach dieser Beschreibung ist Jin doch also mein Freund, oder nicht?

Und überhaupt, was weiß Papa denn eigentlich von Freundschaft? Er hat doch selbst nur seine Arbeit, da ist keine Zeit für Freunde, sagt er selbst immer.

Ich lasse mich seufzend neben das aufgeschlagene Buch auf den Boden fallen und starre die Decke an.

Irgendwie sind die Leute in meinem Alter so... anders als ich. Und sie scheinen mich auch nicht wirklich gerne zu mögen. Das ist mir egal, es ist immerhin ihre Sache.

Aber eigentlich möchte ich gerne einen Freund haben.
Jin muss in letzter Zeit immer häufiger lange arbeiten und Oma und Opa machen immer nur was im Garten. Das ist zwar auch toll, aber ich möchte nicht jeden Tag Grünzeug zupfen.

Ich möchte jemanden haben, der mit mir auf den Spielplatz geht und nicht nur neben dran steht und mir zu lacht. Ich möchte jemanden haben, der mit mir Spiele spielt, mit mir im Garten übernachtet. Ich möchte jemanden haben, der mit mir auf die großen Obstbäume klettert. Oma und Opa erlauben mir das nicht alleine, weil ich noch zu klein bin. Und sie sagen, sie selbst sind zu alt dafür. Dabei sind Oma und Opa noch so jung.

Manchmal habe ich das Gefühl, sie sind jünger als Papa, obwohl ich weiß, dass das nicht sein kann. Aber Papa ist generell irgendwie kompliziert.

Seufzend lasse ich mich neben dem dicken Buch auf dem Boden fallen und starre an die Decke.
Eigentlich müsste Jin bald...

Genau in diesem Moment höre ich endlich einen Schlüssel im Schloss und setze mich erwartungsvoll auf. Nur Sekunden später öffnet sich die Tür von Jins Büro und der liebste Mensch dieser Welt steckt seinen Kopf in den Raum.

Sofort springe ich hoch und laufe auf ihn zu, falle ihm um den Hals und werde von Jin hochgehoben und durch die Luft gewirbelt.

"Na mein kleines Baby, wie geht es dir?", erkundigt er sich nach der stürmischen Begrüßung liebevoll, stupst mit seiner Nase gegen meine und pustet mir danach ins Ohr, woraufhin ich glücklich lache.

"Gut!", rufe ich fröhlich und klammere mich mit meinen Fingern in Jins weichem Pulli fest.

"Das klingt ja super.", er grinst mich zufrieden an und wirft dann einen Blick durch den Raum.

"Was hast du denn hier gemacht?"

Er läuft, mit mir in seinen Armen, auf das Buch zu und wirft einen Blick auf die geöffneten Seiten.

"Papa hat gesagt, dass du nicht mein Freund bist.", flüstere ich leise und Jin schaut mich sofort entsetzt an.

"Was ist das denn für n Scheiß? Ich bin dein bester Freund verdammt nochmal! Und generell, über Freundschaft redest du am besten nicht mit meinem Bruder, der hat nämlich wirklich keine Ahnung davon."

Er presst mich fest an sich und überhäuft mich anschließend mit so vielen Küssen, dass ich gar nicht anders kann, als laut zu lachen. Dabei wäre das gar nicht nötig gewesen, ich lache schon wieder seitdem Jin angefangen hat sich über meinen Papa aufzuregen.

Er lächelt jetzt ebenfalls zufrieden und wuschelt mir durch die Haare, bevor er mich auf dem Boden absetzt und das dicke Wörterbuch zurück ins Regal räumt.

Dann zieht er mich mit sich ins Wohnzimmer und wir machen es uns auf dem großen Sofa gemütlich.

"Also kleiner Mann, du hörst mir jetzt ganz genau zu."

Jin sieht plötzlich sehr ernst aus.

"Egal was mein Bruder zu dir sagt, du bist mein bester Freund. Und die anderen Kinder in der Schule haben alle keine Ahnung. Die haben nicht so einen tollen Freund, wie du. Und die haben dich auch gar nicht verdient."

Er zögert kurz und greift dann nach meinen Händen, nimmt sie fest in seine und drückt sie.

"Dein Papa ist manchmal sehr seltsam, weißt du? Und er wird Dinge sagen, die dich verletzten. Aber eigentlich meint er es nicht so. Er hat dich lieb. So so sehr. Er hat nur verlernt, dir das zu sagen.
Aber dafür bin ich ja da. Und ich werde dich immer daran erinnern, was für ein wundervoller kleiner Mensch du bist Taeby."

Er stupst sanft gegen mein Kinn und grinst mich dann glücklich an.

"Ich hab dich lieb Jinnie!"

"Ich dich auch mein Kleiner."

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