third

Jin zieht mich in eine warme, feste Umarmung, noch bevor ich den Flur betreten kann. Ich spüre noch die Kälte der Schneeflocken um mich herum, bilde mir ein, wie sie mein Gesicht bedecken und mich einhüllen, einschließen. Fröstelnd drücke ich mich enger an Jin, konzentriere mich ganz auf die Wärme, die von ihm ausgeht.

"Hey Taeby.", flüstert er mir ins Ohr und ich genieße eine Weile seinen vertrauten Geruch, während er mir liebevoll über den Rücken streichelt.

Am liebsten würde ich für immer so stehen bleiben und Jins Herzschlag lauschen, aber nach einer Weile wird meinem menschlichen Kuschelkissen wohl kalt und er zieht mich in den warmen Flur. Geräuschvoll fällt die Tür hinter uns ins Schloss und sperrt die frostigen Wintertemperaturen aus. Aber die Kälte in mir drin kann nicht so einfach ausgeschlossen werden.

Sofort klammere ich mich wieder an Jins Oberteil und vergrabe mein Gesicht in seiner Brust, will diese besondere Wärme fühlen, die von ihm ausgeht. Ich spüre, wie seine Finger sich sanft in meinen Haaren vergraben. Es fühlt sich an, wir endlich wieder nach Hause zu kommen. So wie immer.

Immer...

Dabei ist immer mittlerweile schon ziemlich lange her.
Das letzte Mal als ich Jin gesehen habe, liegt schon einige Monate zurück. Nicht einmal für Weihnachten letztes Jahr konnte er nach Seoul kommen.

Und trotz dieser langen Zeit...

Ist es tatsächlich schon mehr als ein Jahr her, seit wir uns getroffen haben?

...trotzdem ist er mir so vertraut. Als wäre er nie weg gewesen.

Ich möchte, dass er nie wieder weg geht. Dass er bei mir bleibt.

Wenigstens solange, bis ich wieder glücklich bin.

"Taetae?", höre ich seine liebevolle Stimme direkt neben meinem Ohr.

Nur zögerlich öffne ich meine Augen wieder, die ich zusammengepresst habe, um die Tränen zurück zu halten.
Ich will jetzt nicht weinen. Ich will nicht traurig sein, sondern mich einfach freuen, Jin wieder zu sehen. Ich will den Grund vergessen, wieso wir hier sind. Wieso er jetzt wieder bei mir ist, obwohl er erst in drei Monaten nach Hause kommen wollte.

Die Glühbirne über unseren Köpfen flackert leicht vor sich hin, während Jin mich ein wenig von sich wegdrückt und mein Gesicht zwischen seine Hände nimmt, um mich besorgt anzuschauen.

"Wie geht es dir Taebaby?", erkundigt er sich und erst jetzt realisiere ich vollständig, wie sehr ich ihn die ganze Zeit wirklich vermisst habe.

Ausschließlich Kontakt über Nachrichten und Telefonate ist nun einmal kein Vergleich zu realem Kontakt.
Vor allem, wenn es um Jin geht. Die eine Person, die mein ganzes Leben lang bei mir war. Mein Ersatzelternteil.

Er ist immer da gewesen, seit ich denken kann. Aber je erfolgreicher er wurde, desto häufiger wurden auch die Reisen.
Und irgendwann kam ich wohl in das Alter, in dem von mir erwartet wurde, dass ich mein Leben auch alleine auf die Reihe bekommen würde. Ohne täglich meinen Onkel an meiner Seite zu haben, der sich von Anfang an um mich gekümmert hat, weil mein Vater meine Erziehung vernachlässigte.

Aber trotzdem brauche ich ihn noch in meinem Leben. Auch wenn ich mittlerweile schon längst groß bin.
Oder vielleicht gerade weil ich mittlerweile groß bin.
Weil alle von mir erwarten, dass ich es alleine schaffe. Aber ich mich eigentlich noch längst nicht groß genug dafür fühle.

Ich brauche diese Nähe in meinem Leben, mein Zuhause an meiner Seite.

Opa hat mich das wieder realisieren lassen.

"Okay denke ich, aber das ist nicht wichtig. Wie geht es Opa, warst du schon bei ihm?"

Genau in diesem Moment gibt die flackernde Lampe ihren Geist auf und wir finden uns ihn völliger Dunkelheit wieder.

Ich hatte nie Angst vor der Dunkelheit, schon als Kind nicht. Aber in diesem Moment wirkt das plötzliche, alles verschlingende Schwarz viel bedrohlicher, als je zuvor.

Sofort spüre ich auch Jins verkrampfte Hand an meinem Arm und werde wenig später durch den düsteren Flur ins Wohnzimmer gezogen, wo uns wohlige Wärme und das Knistern des Kamins empfängt.

In dem hellen Licht erkenne ich die Sorgenfalten auf der Stirn meines Onkels noch viel deutlicher.
Ich möchte nicht, dass er wegen mir so traurig schaut. Das mit Opa ist schon schlimm genug, er soll sich nicht auch noch Gedanken um mich machen müssen.

Bevor ich dazu komme, mich aus dem dicken Mantel und dem riesigen Schal zu kämpfen, hilft Jin mir schon dabei und hängt meine Kleidung ordentlich über die Sofalehne. Genau wie er es gemacht hat, als ich kleiner war.

"Ich hab Socken für dich aufgewärmt.", sagt er, als ich gerade aus meinen Stiefeln schlüpfe, und greift nach den dicken wollenen Strümpfen, die vor dem Kamin hängen.

Es sind Opas Socken. Von Oma gestrickt.

Sie tauen meine kalten Zehen auf und erwärmen auch mein Herz endlich ein wenig, das irgendwo auf dem Weg nach Daegu den Kampf gegen die eisige Kälte aufgegeben hat.

Jin tut sein übriges, indem er mich in eine dicke Decke wickelt und vor dem Kamin platziert.

"Wann besuchen wir Opa?", erkundige ich mich.

Es ist das einzige, was mich interessiert.

Dabei will ich eigentlich viel mehr wissen.

Ich will, dass Jin mir von seinen letzten Shootings erzählt. Von den Orten, zu denen er gereist ist, die ich nur von seinen Fotos kenne.
Ich will von Namjoon erfahren.

Einfach eine normale Unterhaltung führen, wie man das tut, wenn man sich zum ersten Mal nach einer langen Zeit wieder sieht.

Aber alles, worüber wir normalerweise reden würden, ist nicht relevant in diesem Moment.
Eigentlich ist es wichtig und das alles interessiert mich auch. Aber in Anbetracht der jüngsten Ereignisse, sind diese ganzen Dinge unwichtig geworden. Keine Unterhaltung mehr wert.

Alles, woran ich denken kann, ist Opa.

Und eigentlich will ich nur, dass er durch die Tür kommt und uns heiße Schokolade und Omas Apfelkuchen bringt.

So wie früher...

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top