seventeenth
"Tae wo warst du denn?", ruft Jin mir entgegen, sobald ich in den Flur trete. Angenehme Wärme umfängt uns, sobald die Tür hinter uns ins Schloss fällt und mein Gesicht fängt langsam am, aufzutauen.
Sekunden später eilt auch schon mein Onkel in den Flur und bleibt wie angewurzelt stehen, als er meinen Gast erblickt. Jin ist selten sprachlos. So wie mir fällt ihm reden nicht schwer. Aber in diesem Moment ist er sprachlos. Und er sieht wütend aus.
Jin zu verärgern ist so gut wie unmöglich, er ist der friedlichste und entspannteste Mensch, den ich kenne. Ich kann die Ereignisse an einer Hand abzählen, an denen Jin wirklich zornig war.
"Was macht er denn hier?", fragt er kalt, und erschrocken umklammere ich die Hand von Suga, der ängstlich zu Jin schaut.
"Er besucht mich", antworte ich schlicht, drücke die Hand von meinem besten Freund einmal bestärkend und schlüpfe dann aus meinem Mantel, dem Schal und der Mütze und hänge alles ordentlich an den Haken im Flur.
Suga tut es mir nach und wirft währenddessen immer wieder besorgte Blicke in Richtung meines Onkels, der mit verschränkten Armen in der Tür steht. Ich dachte, er freut sich, meinen Kindheitsfreund wieder zu sehen, aber ganz offensichtlich ist eher das Gegenteil der Fall.
"Es tut mir leid, dass ich so lange draußen war und dass ich nicht bescheid gesagt habe", rede ich drauf los, da ich vermute, dass Jin deswegen vielleicht ein bisschen sauer ist. Sorge ist die einzige Ursache, die diese Reaktion von ihm erklären könnte. Zumindest habe ich ihn bis jetzt nur wütend erlebt, wenn er sich Sorgen um mich gemacht hat.
Er öffnet den Mund um etwas zu sagen, aber überlegt es sich offensichtlich anders und bleibt einfach nur stumm im Türrahmen stehen.
"Wir gehen hoch, okay?"
Ohne auf eine Antwort zu warten, ziehe ich Suga hinter mir her die Treppe hoch zu meinem Zimmer.
Ich sehe den warnenden Blick nicht mehr, den Jin ihm zuwirft.
~
"Es sieht fast aus wie damals", sagt Suga, sobald ich ihn sanft in mein Zimmer schiebe.
"Tut mir leid, dass Jin so komisch reagiert hat, er ist bestimmt nur fertig von dem Tag heute, er macht sich ziemliche Sorgen um Opa", antworte ich, ohne auf Sugas Aussage einzugehen.
"Kein Problem, das verstehe ich. Wenn ich gerade störe oder unpassend komme, kann ich auch wieder nach Hause gehen, vielleicht solltest du in Ruhe mit deinem Onkel reden."
Seufzend winke ich ab und lasse mich auf mein Bett fallen. "Wir hatten die letzten Tage Zeit zum Reden. Ich glaube nicht, dass er offen mit mir reden will."
Stirnrunzelnd setzt er sich neben mich. "Wieso sollte er denn nicht ehrlich mit dir reden?"
Ratlos zucke ich mit den Schultern. Es ist im Grunde nur ein Gedanke, den ich die ganze Zeit im Hinterkopf hatte. Ich habe ihn von mir weg geschoben, zu ignorieren versucht, weil ich mir nicht eingestehen wollte, dass Jin mich jemals anlügen oder mir auch nur bewusst etwas verschweigen könnte.
"Ich glaube nicht, dass er lügt", widerspricht Suga sanft und greift vorsichtig nach meiner Hand.
Mit großen Augen schaue ich ihn an. Das hat er auch damals schon immer getan. Meine Gedanken gelesen. Mir alle meine Gefühle aus den Augen abgelesen.
Es ist wie vor zehn Jahren.
Stürmisch schlinge ich meine Arme um ihn, vergrabe mein Gesicht in seiner Brust und inhaliere seinen Geruch. Auch nach dieser langen Zeit ist er immer noch genau der selbe. Wir beide haben uns nicht verändert, sind auch heute noch exakt gleich.
Die kleinen Anfangsschwierigkeiten haben wir wie von selbst überwunden und jetzt liegen wir eng umschlungen in meinem Bett, halten uns aneinander fest und genießen einfach nur die Wärme des anderen.
Alles unwichtige ist vergessen, ich verschwende keinen Gedanken mehr an unsere Vergangenheit. Es ist, als sei diese Zeit vollständig aus meinem Kopf verschwunden, sie spielt keine Rolle mehr.
Ich bin nach etwas längerer Zeit wieder hier und Suga ist immer noch mein bester Freund. So wie er es immer bleiben wird. So wie wir es immer waren.
"Ist alles okay Tae?", erkundigt Suga sich nach einer Weile und sofort nicke ich.
Mir ist ein bisschen schwindelig und mein Kopf tut ziemlich weh, aber auch das ist nicht schlimm, solange er bei mir ist.
"Willst du reden?", fragt er leise, umschließt meinen Hinterkopf sanft mit seinen Händen und schiebt mich so weit weg, dass er mir ins Gesicht schauen kann.
"Nein", flüstere ich und lächle ihn lieb an, will mein Gesicht wieder in seinem Shirt vergraben, aber Suga hält meinen Kopf fest, schaut mir tief in die Augen.
"Du wolltest doch reden, dachte ich?"
Kurz denke ich nach, ehe ich entschlossen den Kopf schüttle. Es gibt nichts zu reden, es ist doch alles okay zwischen uns.
"Willst du reden?", frage ich und Suga lässt sich Zeit mit seiner Antwort, eine ganze Weile schaut er mich einfach nur an. Ich sehe, wie sich die Gedanken geradezu überschlagen, aber ich kann nicht erkennen, worüber er sich ganz offensichtlich den Kopf zerbricht.
"Tae, wir müssen darüber reden, was passiert ist", sagt er irgendwann leise.
"Aber wieso, es ist doch alles gut zwischen uns."
Oder nicht?
Denke nur ich, dass alles in Ordnung ist? Will Suva gar nicht mehr mein Freund sein?
"Natürlich ist alles gut zwischen uns. Aber trotzdem müssen wir reden. Ich will nicht wieder mit dir streiten und dich verlieren. Deshalb müssen wir darüber reden, was damals passiert ist, damit es nicht wieder so passieren kann. Damit wirklich alles zwischen uns geklärt ist, verstehst du?"
Wovon redet er?
Wann haben wir uns denn gestritten?
Suga und ich haben uns all die Jahre lang nie gestritten, noch nicht einmal wirklich diskutiert. Wir hatten noch nie eine Meinungsverschiedenheit oder irgendetwas dergleichen.
Nur weil wir uns eine Weile nicht gesehen haben, heißt das ja nicht, dass wir einen Streit hatten. Es ist doch normal, dass man mal mehr und mal weniger Kontakt mit anderen hat, mal mehr und mal weniger Zeit, um sich zu treffen.
"Tae?"
Sugas Gesichtsausdruck ist seltsam, plötzlich wieder ganz anders.
"Reden wir morgen darüber, jetzt will ich kuscheln."
Da ist etwas in seinen Augen. Etwas, was er vor mir versteckt, mir verschweigt.
Suga...
Nein, das würde er nie tun!
Aber seine Augen sehen so aus...
Lügt er mich auch an?
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