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Taehyung

"Schlechte Nachrichten kommen immer zum falschen Zeitpunkt."

Diesen Satz habe ich schon so oft gehört, aber nie habe ich ernsthaft darüber nachgedacht. Ich bin davon ausgegangen, die Menschen sagen das nur so vor sich hin, ohne sich wirklich bewusst zu sein, was sie da sagen. Deshalb war ich nie der Meinung, dass etwas an diesem Satz der Wahrheit entspricht.

Denn warum sollte man eine schlechte Nachricht mit der Situation in Verbindung bringen, in der man sie erhalten hat? Das ist doch nicht ausschlaggebend für den Inhalt der Nachricht, oder doch?
Und haben schlechte Nachrichten dann überhaupt die Möglichkeit, jemals richtig anzukommen?

Denn auch wenn viele Leute im Nachhinein oft denken, dass ein schlechtes Ereignis zu einem anderen Zeitpunkt besser gewesen wäre, dass sie gelassener hätten reagieren können- letztendlich ändert die Situation nichts an der Nachricht an sich und dadurch auch nichts an den Reaktionen darauf.

Schlechte Nachrichten sind wohl einfach... schlecht.
Logisch, sonst würden sie diesen Namen auch nicht tragen.

Vermutlich sind sie zu negativ, als dass irgendein Moment positiv genug sein könnte, um der Wirkung dieser Nachricht entgegen zu wirken. Und deshalb kommen sie immer falsch an.

Aber trotzdem...
Auch schlechte Nachrichten müssen doch etwas positives haben, oder nicht?

Immerhin haben alle Dinge dieser Welt ihre positiven Seiten. Nichts ist ausschließlich schlecht, davon bin ich überzeugt.

Nachdenklich lasse ich meinen Blick über die zahlreichen Autos vor mir wandern. Die strahlenden Bremslichter leuchten fröhlich vor sich hin, glitzern durch die dicken weißen Flocken, die meine Windschutzscheibe so sehr zuschneien, dass meine Scheibenwischer garnicht mehr hinterher kommen.
Normalerweise hätte ich gelacht. Normalerweise hätte dafür schon der Stau gereicht.

Ich liebe Stau und verstehe gar nicht, wie so viele Leute ihn hassen können.
Beziehungsweise habe ich es davor nie verstehen können.

Aber heute, mit meinem Kopf voller schwerer Gedanken, schlechten Nachrichten und Krankenhausbetten, kann ich es plötzlich viel zu gut nachvollziehen.

Ich habe das Gefühl, verrückt zu werden.
Ich bin geradezu eingesperrt hinter meinem Lenkrad, kann nicht nach vorne und nicht zurück. Die dicken Flocken, die mich sonst immer zum Lachen gebracht haben, nehmen mir heute zum aller ersten Mal die Luft zum Atmen, verstopfen meinen Hals, so wie sie schon den Verkehr vor mir verstopft haben.

Ein Auto schiebt sich gemächlich in mein Blickfeld und hält direkt neben mir. Ich werfe einen Blick ins Innere, wo eine junge Frau auf ihrem Sitz hin und her tanzt.

Es sieht ein bisschen so aus, als sei sie in einer Schneekugel gefangen. Aber andersrum. Die Schneeflocken wirbeln um sie herum, aber kommen nicht an sie heran, immerhin sitzt sie im Auto und die Fensterscheiben hindern das kalte Eis daran, zu ihr zu kommen.

Aber vielleicht liegt es auch an ihrer Aura und nicht an dem Glas.
Sie bewegt ihre Lippen und wirft zwischendurch den Kopf fröhlich in den Nacken.
Sie lacht. Ohne Zweifel.
Sie sieht glücklich aus. Befreit. Die Wetterlage kann ihr gar nichts anhaben.

Sie ist wie ein Abbild meiner Selbst bei Stau im Schnee mit guter Musik.
Oder besser gesagt, meines ehemaligen Selbst. Obwohl ehemalig nicht der richtige Begriff ist. Diese Version von mir, mein wahres Ich ist noch irgendwo in meinem Körper. Sie ist versteckt hinter der leeren Hülle, die nun vor der unausweichlichen Zukunft steht, die ich am liebsten einfach ignorieren würde. Das Ereignis, das Jin mir eiskalt über eine Textnachricht mitgeteilt hat. So eiskalt wie der Schnee.

Der Schnee... Der mich und mein verstecktes Ich immer weiter zuschneit und unter einer dicken weißen Decke versteckt.

Es wird nicht mehr lange dauern, da werde ich mich nicht mehr ausgraben können aus dem riesigen Berg aus Kälte, der auf mir lastet.

Werde ich überhaupt wieder zu mir selbst werden können?
Zu der Person, die genauso glücklich wie die Frau zur Radiomusik tanzt? Genau der Musik, die ich heute aus meinem Auto verbannt habe, weil ich das unbekümmerte Gedudel heute genauso wenig ertragen konnte, wie das Wetter und die Autofahrt.
Existiert sie noch? Oder ist sie schon erfroren?

Nicht darüber nachdenken!

Aber leider gibt der Stau und der einfarbig weiße Schnee nicht wirklich viel her, worüber ich nachdenken könnte.

Deshalb beobachte ich weiter die Frau im Auto neben mir.

Sie tanzt noch immer und strahlt mit ihren bunten Haaren um die Wette.

Eine tolle Farbe.

Mintgrün.

Wie Zuckerwatte.

Zuckerwatte...

Ich wollte mir meine Haare auch immer schon färben in ziemlich genau diesem Farbton, aber mein Vater war der Meinung, dass bunte Haare ein schlechtes Image für die Firma sind.

Dabei kann ich das überhaupt nicht nachvollziehen. Farbenfrohe Haare sind doch viel spannender als das normale, langweilige dunkelbraun. Ich zumindest bekomme immer gute Laune, wenn ich Menschen mit leuchtenden, bunten Köpfen sehe.

Ich sollte es einfach machen. Egal was mein Vater sagt.

Opa würde es mir bestimmt erlauben. Er hat mir generell immer alles erlaubt. Er war der liebevolle Vater, den ich nie hatte. Wahrscheinlich hätte er mir sogar höchstpersönlich die Haare gefärbt. Einfach nur, um mir eine Freude zu machen. Und vielleicht auch ein bisschen, um meinen Vater zu ärgern.

Aber jetzt wird das wohl nichts mehr werden...

Nein, nicht weiter darüber nachdenken!
Meine Gedanken flattern wieder, würde Jimin jetzt sagen. Ich muss aufpassen, dass sie mir nicht wieder wegfliegen.

Vielleicht kann Jin mir die Haare färben?
Opa wird sich sicher über die bunte Farben freuen, wenn wir ihn besuchen kommen. Und ich würde gerade alles tun, um ihm eine Freude zu machen und ihm etwas Gutes zu tun.

Bunte Haare sind nunmal einfach gut. Und das schlechte Image, das dabei mit einhergeht ist einfach nur die schlechte Seite davon.

Denn nichts ist ausschließlich gut und nichts ist ausschließlich schlecht...
Davon bin ich eigentlich überzeugt.

Aber wie verhält es sich mit der Nachricht von heute morgen? Wie kann etwas daran positiv sein?

"Warum ausgerechnet jetzt?!", klingt die Stimme meines Chefs immer noch durch meinen Kopf.

Ich habe nicht nachvollziehen können, warum er, statt sich über die Nachricht an sich zu ärgern, den Zeitpunkt verflucht hat.
Denn mir war die Situation um uns herum herzlich egal gewesen, der Inhalt der SMS war als einziges entscheidend.

Vielleicht regen Menschen sich aber genau deshalb über die Situationen auf, in denen sie schlechte Nachrichten enthalten.
Sie können nichts an dem Negativen ändern, von dem sie gerade erfahren haben, also ärgern sie sich über das Erstbeste, das für sie nicht ganz so mächtig und beängstigend wirkt.
Die Situation.

Und vielleicht fliegen meine Gedanken schon längst, ohne dass ich es wahrgenommen habe. Fliegen weg durch den Schneesturm auf der Suche nach etwas Positivem.

Jimin sagt, dass ich immer und überall nach positiven Dingen suche.
Dabei mache ich das überhaupt nicht mit Absicht. Ich entscheide mich nicht einmal bewusst dafür, über gewisse Dinge nachzudenken, das passiert einfach automatisch. Meine Gedanken fliegen ganz von alleine, flattern wie die Flügel eines Schmetterlings.

Der kleine Falter ist mittlerweile wieder von Jimin zurück in die Firma geflattert.
Vielleicht hat Herr Kim sich wirklich nur über die Tatsache geärgert, dass die SMS genau während unserer wichtigen Konferenz eingetroffen ist.

Immerhin kennt er Opa garnicht, warum sollte er sich also viel aus der Nachricht machen?
Alte Menschen werden nun einmal krank. Und jedes Leben hat irgendwann ein Ende.

Im Hinblick auf die Firma trifft außerdem sogar der Satz mit dem Zeitpunkt für schlechte Nachrichten zu.

Ich war heute morgen gut vorbereitet, hätte einen unglaublichen Vortrag präsentiert, aber nachdem mein Handydisplay jene verhängnisvolle SMS verkündet hat, bin ich nicht mehr in der Lage gewesen, mir noch irgendwelche Gedanken über das große Projekt von Herrn Kim, Jimin und mir zu machen, für das wir wochenlang gearbeitet haben.

Aber wenn ich jetzt so weiter darüber nachdachte...
Dieses Projekt war mir sowieso nicht so wichtig. Jedenfalls nicht so wichtig, wie Opa.
Und auf mich traf die Aussage auch gar nicht zu. Es war vielleicht nicht der beste Zeitpunkt, aber auch definitiv nicht der schlechteste Gewesen. Ganz gewiss kein "falscher" Zeitpunkt.

Obwohl ich ja sowieso immer noch der Meinung bin, dass er keinen falschen Zeitpunkt gibt.

Der Tod kommt wohl einfach nur nie zum richtigen Zeitpunkt.

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