Kapitel 11

"i'm sorry" - Joshua Bassett

https://youtu.be/m16iDG1XjxM

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Angespannt betrachtete ich die geschlossenen Türen vor mir, während der Fahrstuhl in Taes Stockweg fuhr.

Ein Teil von mir war froh, dass ich heute bereits einen Termin mit ihm hatte.

Die restliche Schicht über hatte ich mich so schlecht konzentrieren können, dass ich gar nicht wissen wollte, wie es gewesen wäre, wenn ich meine Gedanken mehrere Tage mit mir hätte herumschleppen müssen.


Nach wie vor war ich nicht wirklich sicher, was ich mir von dem heutigen Termin erhoffte...

Jimins Beschreibung zu Folge konnte es eigentlich nur Tae gewesen sein, der mich im Café gesehen hatte.

Realistisch betrachtet war es wahrscheinlich auch besser, wenn er es war.

Meine andere Kunden traf ich hauptsächlich, um mit ihnen zu schlafen.

Obwohl ich mich nicht übermäßig verstellte, war es trotzdem eine Art Berufspersönlichkeit, mit der ich ihnen gegenüber trat.

Bei Tae war es anders...

Ihm gegenüber benahm ich mich viel normaler.

Viel mehr wie ich.

Der Gedanke, dass einer der anderen Kunden auf diese Art und Weise in meine Privatsphäre und mein alltägliches Leben eingedrungen sein könnte, fühlte sich viel seltsamer an, als der Gedanke, dass Tae es gewesen sein könnte.


Irgendwer hatte mich gesehen.

Diesen Fall vorausgesetzt, war Tae nüchtern betrachtet der best case.


Trotzdem wünschte ein Teil von mir sich, dass es nicht so war...

Auch ohne diese offensichtliche Grenzüberschreitung hatte ich nicht gewusst, wohin mit meinen Gefühlen.

Solange es nur kleine Dinge gewesen waren, hatte ich es einfach als 'unbedenklich' abtun können.

Ich hatte mir einreden können, dass ich trotzdem noch die Kontrolle hatte.

Doch jetzt...


Unschlüssig kaute ich auf meiner Lippe herum.

Ich wusste noch nicht, was ich tun würde, falls ich von Tae die Bestätigung bekommen würde, dass er mich gesehen hatte.

Hobi riet uns immer dazu, schnellstmöglich Abstand zu suchen.

Letztendlich war es für beide Parteien, vor allem aber für den Dienstleister, sicherer, wenn derartig persönliche Informationen geheim blieben und der Kontakt abgebrochen wurde, falls dem nicht mehr so war.


Ich wusste all diese Dinge...

Bei jedem anderen Kunden hätte ich ohne zu zögern die nötigen Schritte eingeleitet.

Doch bei Tae...

Immer wieder stellte ich fest, dass das mit ihm anders war.

Nichts an ihm fühlte sich an, wie meine sonstigen Kunden.

Weder sein Anliegen...

Noch unser Umgang...

Erst recht nicht diese sonderbare Leichtigkeit, die ich verspürte, wenn ich bei ihm war...


Obwohl ich wusste, dass es eigentlich die intelligentere Wahl wäre, wollte ich unser Verhältnis nicht beenden.

Alles in mir strebte sich dagegen...



Unschlüssig, wohin mit dieser Erkenntnis, hielt ich kurz die Luft an, als der Fahrstuhl stoppte.

Meine Zeit zum Grübeln war vorbei.


Gleichermaßen erleichtert und verunsichert, weil die Dinge von nun an ihren Lauf nehmen würden, schaute ich dabei zu, wie die Türen vor mir auseinander fuhren.

Ich beschloss es auf mich zukommen zu lassen.

Zu sehen, wie Tae sich verhalten würde.


Je nachdem, wie er auf die Grenzüberschreitung reagierte, würde es für mich vielleicht leichter werden, eine Reaktion für mich zu finden...



Wie immer wartete Tae bereits mit geöffneter Tür auf mich.

Ich meinte mir einzubilden, dass er etwas unruhig wirkte...

Allerdings konnten das genauso gut meine eigenen Gefühle sein.


"Hey.", begrüßte ich ihn mit einem kleinen Lächeln.

Ich gab mir Mühe, nicht gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.

Trotzdem spürte ich die Anspannung.

Ich vermisste meine Pizza-Witze der letzten Treffen...


Kaum hatte ich ihn angesprochen, zuckte Tae ein bisschen zusammen.

"H-hey...", verließ es stammelnd seine Lippen.


Ich stockte, als unsere Blicke sich trafen.

Der von Tae triefte förmlich vor Nervosität.

Von der Lockerheit der letzten Male war nichts übrig...


Sein Verhalten erstmal hinnehmend, betrat ich das Apartment, als Tae mir Platz machte.

Auch wenn unsere Situation hochsensibel war, machte ich mir keine Gedanken um meine Sicherheit.

Tae würde mir nichts tun.

Eher im Gegenteil...

So wie er gerade geschaut hatte, war es wahrscheinlich eher er, um den man sich Sorgen machen musste.



"Wie war dein Tag?", fragte ich, nachdem Tae die Tür geschlossen hatte.

Obwohl ich es natürlich nicht war, versuchte ich beiläufig zu klingen.

Ich wollte Tae nicht direkt nach dem Café fragen.

Ein Teil von mir hoffte, dass er es von sich aus ansprechen würde.

Dass er mir irgendwas geben würde...

Etwas, was dafür sorgen würde, dass ich das zwischen uns nicht beenden musste.


Trotz meiner Hoffnungen wusste ich nicht, wie dieses "etwas" aussehen sollte.

Ich wusste nicht, was es brauchte, damit ich eine derartige Grenzüberschreitung übersehen konnte.


Ich wusste es nicht, bis Tae seinen Mund öffnete...


"Kookie, I-Ich...", setzte er an.

Noch bevor er weitersprechen konnte, sammelten sich bereits ein paar Tränen in seinen Augenwinkeln.

"Es tut mir so leid, ich...", mit jedem Wort klang seine Stimme aufgelöster.

"I-ich hab total...M-Mist gebaut...", verließ es kleinlaut seine Lippen.


Ich konnte spüren, wie mein Herz einen überforderten Schlag aussetzte, als Tae mich ansah.

Die Aufrichtigkeit floss ihm förmlich aus den Augen.


Ich kam gar nicht dazu, 'unwissend' nachzufragen, da sprach Tae bereits weiter.

"E-Ein Kollege von mir...", fing er an.

"Er hatte von diesem tollen Café erzählt...", erzählte er.

"D-Deshalb...", leise schniefte er.

"Deshalb wollte ich es mir ansehen...", hilflos schaute Tae den Boden an.

"A-aber ich..."

Er verstummte.


Sekunden vollständiger Stille vergingen, bevor Tae seine Stimme wiederfand.

"Ich..."

Sie war nur ein Flüstern...

"Ich hab nicht gewusst, dass du dort arbeitest..."

Kaum hörbar...


Fassungslos schaute ich mein Gegenüber an.

Ich versuchte diesen Moment zu verarbeiten.

Diesen Anblick.

Dass er von meinem Job erfahren hatte, schien Tae viel fertiger zu machen, als mich.

Mehr noch...

Es fraß ihn auf.

Ich konnte es sehen...


Unwillkürlich schluckte ich, während ich mich fragte, wie andere Kunden in einer solchen Situation reagiert hätten.

Ob auch nur einer von ihnen es sich so sehr zu Herzen genommen hätte, wie Tae.

Regungslos schaute ich dabei zu, wie die ersten Tränen den Weg über seine Wangen fanden, während ich mir sicher war, die Antwort zu kennen.

Mit ihr auch die Antwort auf die Frage, die mich den ganzen Tag über gequält hatte...


Von all meinen Kunden...

Ich griff in meine Tasche.

...war Tae der einzige.

"Hey...", ich trat einen kleinen Schritt auf ihn zu, um ihm die Taschentuchpackung hinzuhalten.

Der einzige...

"Nicht weinen...", flüsterte ich.

...bei dem es okay sein konnte.


Tae war nicht nur der "best case".

Er war etwas ganz Besonderes...

Jemand, dem so viel an unseren Terminen lag, dass seine Hände zitterten, während er nach dem Taschentuch griff.

Jemand, dem so viel daran lag, dass er...


"Ich verstehe, wenn du nicht mehr herkommen kannst...", schniefte er.

...solche Dinge sagte.



Ungläubig lächelnd schaute ich Tae dabei zu, wie er sich die Nase putzte.

Komplett mit sich beschäftigt, bemerkte er meinen Gesichtsausdruck überhaupt nicht.

Stattdessen flossen immer mehr Wörter aus seinem Mund.

"Ich weiß, dass das nicht geht...", erneut schnäuzte er.

"Das stand ja im Vertrag...", fügte er hinzu.

"Es...", leise schluchzte er.

"Es tut mir nur so leid...", komplett wässrig schauten seine Augen mich schließlich doch an.


Meine sowieso schon kaputte Herzfrequenz geriet noch mehr durcheinander, als Tae erneut zu sprechen ansetzte.


Rein aus Prinzip hatte ich wahrscheinlich angenommen, dass es Tae letztendlich primär um sich selbst gehen würde...

Um sein Wohnbefinden.

Seine Einschlafhilfe.


Wie man es auch drehte und wendete...

Meine Anwesenheit war eine Dienstleistung.

Ich wäre nicht hier, wenn Tae nicht etwas von mir wollen würde.


Nie wäre mir in den Sinn gekommen, dass er diese Tatsache einfach ausblendete...



Nie wäre mir in den Sinn gekommen...

"Es tut mir so leid, Kookie...", wisperte er.

...dass seine Tränen...

"I-Ich..."

...gar nichts mit ihm zu tun hatten.


"Ich wollte dich nicht unwohl fühlen lassen..."


Kleiner Funfact:
Mein Plan für dieses Kapitel war: "Okay, Tae macht sich so fertig, dass es ihn fast zum weinen bringt."
Ich, nachdem ich gefühlte zwei Sekunden im Kapitel war:
"....na oder er weint einfach das ganze Kapitel über. Optional."
xD
Charaktere und ihr Eigenleben, I swear...

Wie hat euch das Kapitel gefallen?
Vor allem in Kombi mit dem letzten?
Habt ihr exakt diese Reaktion erwartet oder eher nicht?
Please let me know <3

Tbh bei Insomnia hab ich 24/7 irgendwie Angst, dass alles zu schnell oder unlogisch wirkt...
Vor allem Kookies Gedanken gegenüber Tae.
Das Pacing dieser Story ist einfach so krass anders, als bei den meisten meiner anderen Geschichten...
Beim Schreiben fühlt sich immer alles gut an, aber sobald ich fertig bin, bin ich immer so: "...is this any good? ...Ist diese Geschichte einfach viel schlechter als meine anderen?"
Sehr verunsichernd..^^" 

Aber ich hoffe, es passt...
Und ich hoffe, es hat euch gefallen <3
(Glücklicherweise unterscheidet eure Wahrnehmung sich ja oft von meiner ^^)

Wish you sweet dreams~

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