Einbruch
"Wären Sie so nett und würden mir eben einen Kaffee bringen?"
Wie oft hatte sie diesen Satz gehört. Nach ihrem langjährigen Wunsch Psychologin zu werden, ihrer anstrengenden Schulzeit, nach dem Studium in der Universität und ihren Anstrengungen, um den Master Titel zu erhalten. Nach über zehn langen Jahren war sie noch immer die Frau, welche den Männern vom Fach ihr koffeinhaltiges Suchtmittel bringen musste. Immer noch war sie engstirnigen Männern wie diesem Dr. Perceval unterstellt, die sich nicht einmal die Mühe machten die englische Sprache richtig zu lernen. Sie konnte solche Menschen nicht leiden. Aber die hatte es schon immer gegeben.
Die weißen Gänge zu ihren Seiten erinnerten die erwachsene Frau an ihr erstes Praktikum in einem Krankenhaus. Schon damals war sie einem fluchenden Doktor unterstellt gewesen, welcher mit all dem Stress ganz sicher nicht klarkam. Und dennoch hatte sie ihre Leidenschaft gefunden. Anderen Menschen zu helfen war immer ein Wunschtraum von Silvana gewesen. Besonders die Entwicklung von Kindern hatte sie immer fasziniert. Gerade Jugendliche, welche in einer Phase des Wandels mit sich rangen. Es war unerträglich für sie zu sehen, wie solche zum Teil behandelt wurden. Man sollte ihrer Meinung nach jedem Elternteil einen Grundkurs in der Erziehung von Kindern geben. Manche Menschen waren dafür einfach nicht gemacht. Fälschlicherweise war die Annahme der meisten Menschen, dass die Verhältnisse der größte Faktor für die Erziehung waren. Aber Silvana wusste es besser. Ihre Expeditionen in verschiedene afrikanische Länder bewiesen ganz klar ihren Punkt: Selbst die ärmsten Familien konnten gute Mütter und gut erzogene Kinder hervorbringen. Um genau zu sein konnte sie sogar feststellen, dass ab einem gewissen Einkommen der Eltern, die Kindern nach und nach mehr vernachlässigt wurden. Daher war es auch nicht gerade ein Wundern, dass der Großteil der Patienten des Zentrums aus besseren oder zumindest keinen schlechten Verhältnissen kamen. Natürlich war Kriminalität im Allgemeinen bei den unteren Schichten sehr viel höher, aber psychisch kranke gab es überall. Das Umfeld konnte einen Menschen zu einigem machen. – einem Dieb, einem Lügner, einem Drogendealer – aber depressiv, machte man sich nur selbst. Und Depressionen waren der optimale Nährboden für weitere Erkrankungen. Gerade deswegen waren die Zusammenhänge, welche Michael Mathewsons in seiner berühmten Rede angeführt hatte auch so gefährlich. Es waren nur Korrelationen und keine tatsächlichen Kausalitäten. Psychische Leiden machten nicht kriminell, es gab nur einige physisch erkrankte Kriminelle. Aber Menschen wie Perceval waren bestimmt auf Mathewsons Seite.
Silvana versuchte ihren Frust hinunter zu schlucken. Sie konnte sowieso nur weiter Interviews geben und Bücher schreiben und versuchen die Menschen davon abbringen, immer den einfachsten moralischen Weg zu gehen. Die Welt war laut ihr eine Leinwand aus den unterschiedlichsten Grautönen und keine Münze mit zwei Seiten. Aber das änderte nichts daran, dass sie durch den gesamten Komplex laufen musste, um beim nächsten Kaffee Automaten einen Latte Macchiato mit extra Milch und Zucker zu besorgen. Ganz wie ihn der französische Herr ihn sich gewünscht hatte. Das auch gerade jetzt während der Analyse wichtiger Daten der Automat zwei Gänge weiter nicht funktionierte. Die Psychologin traute diesem Perceval nicht. Darum beschleunigte sie ihre Schritte und die Sohlen ihrer weißen Schuhe füllten die Stille der sonst so leeren Gänge.
Auf dem Rückweg mäßigte sie ein wenig ihr Tempo, um das Heißgetränk nicht zu verschütten, wenngleich sie das am liebsten getan hätte. Mitten in sein Gesicht.
Mit einem Mal erstarrte Silvana und einige Tropfen der hellbraunen Flüssigkeit schwappten über die Schaumkrone und aus dem Gefäß heraus. Das konnte nicht sein. Vorsichtig stellte sie die Tasse auf der Ablagefläche der Anmeldung ab und spickte um die Ecke. Ein Mann, in nicht zu einander passenden Klamotten in falscher Größe, stand im Eingangsbereich. Und vor ihm der so sehr verehrte französische Doktor. Sie hatte dieses Gesicht mehr als einmal in den Nachrichten gesehen, aber was machte er hier im hohen Norden? Es würde sehr viel Sinn machen ihn hier zu den anderen Schwerverbrechern zu stecken, aber sie erinnerte sich ganz genau, dass das nicht passiert war. Er sollte in ein Supermax kommen und so wie er nach dieser Entscheidung gegrinst hatte, war das auch ganz nach Trevor Cunninghams Willen gewesen. Was suchte dieser Mann also hier? Ruckartig versteckte sich die Psychologin wieder hinter der Wand. Hatte er sie etwa gesehen? Leise ausatmend versuchte sich die Frau zu beruhigen.
Perceval war korrupt. So sehr überraschte sie diese Erkenntnis nicht, aber wie war er an den Killer gekommen? Soweit die Nachrichten berichtet hatten sollte es sich um eine Racheaktion handeln. Die Hinterbliebenen seines Angriffes würden ihn entführt haben, um ihn foltern zu können. Das klang einiges plausibler, als was auch immer in jenem Moment passierte.
„Kommen sie raus. Na los."
Die raue Stimmte jagte der erfahrenen Psychologin einen Schauer über den Rücken, der sie zusammenzucken lies. Das war nicht die Stimme des Doktors gewesen. Vorsichtig kam sie mit erhobenen Händen ums Eck gelaufen. Niemand richtete eine Waffe auf sie, aber wenn man sich Trevor so aus der Nähe ansah, war er Waffe genug. Dem Doktor gefiel die Situation ebenfalls nicht. So langsam hatte Silvie eine Idee was hier gespielt wurde. Der Automat in der Nähe war gar nicht kaputt und der Franzose hatte sich bestimmt eine Sitzung mit Trevor erhofft. Aber warum ließ Phronesis all das zu?
„Was sollen wir mit ihr machen Doc?", fragte der Killer den hilflos dreinblickenden, korrupten Doktor.
„Schaff sie in die Anmeldung. Tape und ein Stuhl müssten dort sein. Zur Not kannst du sie auch bewusstlos schlagen. Ich kümmere mich derweil um die Wachmänner auf deinem Weg."
Silvana konnte es nicht fassen. Der Doktor sprach seine Worte in einem so gleichgültigen Ton, als würde er lediglich einen Patienten in einen anderen Raum bringen lassen. Sie hatte nicht damit gerechnet, wie eiskalt er im Inneren war. Vermutlich war er bösartiger als so mancher Patient.
Trevor beeindruckte das nur wenig. Er begann aus ganzer Kehle zu lachen, während der Doktor im signalisierte leiser zu sein.
„Ich weiß nicht was du mit dem Bohnenfresser ausgemacht hast, aber ich scheiß auf eure Abmachung. Ich hole den Drecksack von seinem Bruder hier raus und das wars. Auf ein Arschloch wie dich höre ich nicht!"
Während dem letzte Satz drückte er den bestimmt nicht leichten Franzosen gegen die Wand, als wäre er ein Fliegengewicht. Silvana wusste nicht, ob das die Situation für sie besser machte, aber ein wenig Schadenfreude konnte sie nicht unterdrücken.
Mit gleichbleibend lautem Ton redete er weiter.
„Wir machen das jetzt so. Du und dein Zuckerpüppchen gehen jetzt in den Kontrollraum und bleiben da. Ihr öffnet mir die Türe von Hernando oder wie er heißt und fünf Minuten später auch alle anderen Türen. Und wenn ihr euch nicht daran haltet ...", er nahm ein Wegwerfhandy aus einer Hosentasche seiner viel zu engen Jeans, „ ... dann sag ich den schießwütigen Fernandos da draußen, dass sie ihre Waffen entsichern sollen."
Sowohl Ainsworth, als auch Perceval erschauderten bei der Vorstellung.
„Habe ich mich unklar ausgedrückt?", fragte er in gespielt nettem Ton in die Runde.
„Nein", erwiderte Silvana sofort und auch der Doktor nickte.
„A-Aber", begann Perceval und man merkte, wie sein französischer Akzent immer mehr zum Vorschein kam, wenn er Angst hatte. „W-Was ist denn mit den ganzen Wachen?"
Cunningham begann über das ganze Gesicht zu grinsen.
„Ich nehme einmal an Schusswaffen sind hier nicht erlaubt"
Perceval nickte.
„Dann lassen sie die mal ganz meine Sorge sein. Und jetzt schwingt eure Ärsche. Wir haben einen Verrückten zu retten."
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