Die Zelle am Ende des Gangs
Im Knast hat es mir besser gefallen. Klar musste man die schlechten Launen der Missgeburten von Wärtern ertragen und es passierte auch mal, dass man wegen was zu fressen fast abgestochen wurde, aber das war nun mal so. Besser als diese Scheiße war es trotzdem. All die dreckigen Gangmitglieder, deren leben nur aus Training, Schmuggel, Mordanschlägen und unnötigen Streits in der Kantine bestanden, waren immer noch bessere Gesellschaft als diese Doktoren und Krankenschwestern, die einen wie einen geistig gestörten behandeln. Schon viel zu lange bin ich in dieser Irrenanstalt eingesperrt. Und hier gibt es keine Freigänge, keinen Platz aus von dem man die Bäume der Umgebung sehen kann, wie sie in den Himmel hochragten. Dieser Ort ist rein gar nicht wie das, was ich die letzten 38 Jahre gewohnt war. Ab hier gibt es keine Wiedereingliederung mehr, ab hier folgt nur der Tod. Und ich kann ihn schon gar nicht mehr erwarten.
Damals, als ich noch in einem normalen stinkenden Staatsgefängnis inhaftiert war, gab es wenigstens Dinge mit denen man sich beschäftigen konnte. Es gab etliche Gründe sich aufzuregen, zum Beispiel über die Zellennachbarn, die sich zu laut einen runter holten, das beschissene und meistens sogar noch kalte Essen in der Kantine oder die herumschwuchtelnden Vollidioten im Trainingsraum. Vermutlich waren die aber auch nur so schwul geworden, weil sie Spaß daran gefunden hatten, von fünf anderen in der Dusche durchgenommen zu werden. Genau das passierte nämlich mit Schwanzlutschern, die keiner Gang angehörten und nur wegen Kleinigkeiten eingeknastet wurden.
Ich hatte dieses Problem von Tag eins aus nicht gehabt. Zwar war ich nur ein von mir selbst überzeugter Bankräuber, dessen letzter Coup in die Hose gegangen war, doch mit Hilfe roher Gewalt und kleinen Waffen und Zigarren, die mir mein Bruder reingeschmuggelt hatte, baute ich mir schon bald etwas auf. Erst wollte ich die Zigarren nur für mich selbst, weil ich einfach nicht davon weg kam, aber dann wurde ich von anderen Jungs danach gefragt. Mehr und mehr Knastbrüder wollten meine geschmuggelten kubanischen Zigarren haben und so erlangte ich schon früh einen guten Ruf. Doch was mir noch fehlte, war die Macht, die mir gebührte. Ramires hatte mich immer schon zurück gehalten. Wäre es nach mir gegangen, hätte ich mir eine große gefürchtete Bande aufgebaut und einen Laden nach dem anderen um seine Kohle gebracht. Genau das wollte ich im Gefängnis nachholen. Ständig hatte mein neunmalkluger Bruder versucht mich mit seinen kleinen Plänen rauszuholen, aber ich war es, der die Dinge auch mal anpackte. Und das tat ich mit Angst.
Zu allererst fing ich bei den Weicheiern an. Bei den Typen, die für die anderen die Arbeit erledigten und zu deren Vergnügen gequält wurden. Ich machte ihnen klar, dass sie so nicht überleben würden. Indem ich sie unter meinen Schutz stellte, hatte ich ab da die Kontrolle über ihr Leben. Ich konnte sie alles für mich erledigen lassen und immer mehr Waren schmuggeln und dadurch auch die Interessen der anderen erfahren. Der Anführer einer kleinen Bande, die sich nur die Black Dogs nannten, musste als erstes dran glauben. Er liebte Cheeseburger und war mir sehr zum Dank verpflichtet, weil er wöchentlich durch mich beliefert wurde. Ein anderer Typ zahlt in einer Woche mal wertvollere Tauschgüter und bekam deshalb Malcons Burger. Darauf rief dieser all seine Black Dogs zusammen und ließ meinen Lieferjungen halb totschlagen. In der Woche darauf bekam er wieder einen Burger, den er mit einem Grinsen entgegen nahm. Er wusste nichts von dem kleinen Zusatz im Fleisch und das dies sein letzter Burger werden würde. Der Junge den er fast umgebracht hatte war ein Schisser, der war mir egal, aber indem er diesen attackiert hatte, wurde auch ich indirekt angegriffen. Und niemand griff Hernandez Olivero an und kam mit dem Leben davon.
So war das früher noch gelaufen. Innerhalb von gerade Mal drei Jahren gehörte das halbe Gefängnis mir und selbst der Direktor bekam ein nasses Höschen bei dem Gedanken sich mit mir anzulegen. Alles lief gut, bevor beschlossen wurde mich zu verlegen. In meinem zweiten Knast brauchte ich trotz meiner Erfahrung etwas länger, da viele etablierte Clans den Komplex beherrschten. Wenn ich mir den falschen Boss geholt hätte, wäre ich heute wahrscheinlich nur noch ein Kopf in einem Grab. Aber auch mit anfänglichen Schwierigkeiten, war ich dreißig Jahre später schon das fünfte Mal beinahe entkommen und der Boss der neuen Amerikanischen Arier massierte mir die Füße. Das blieb so, bis zu dem Tag an dem mein Tod beschlossen wurde. Sie hatten die ganze Wahrheit hinter dem Raub herausgefunden und mich auf den Weg in die Todeszelle geschafft. Doch dort kam ich nie an. Alles was ich seitdem gesehen hatte, waren die verfickten weißen Wände dieser Irrenanstalt.
Ich sehe mich um in meiner Zelle, in deren Mitte ich auf dem Boden sitze. Die Wände sind wie der Boden und die Decke aus irgendeinem weißen Material. Sie sind glatt, stabil und eintönig. In dem Raum indem ich mich befinde gibt es außerdem noch eine metallene Toilette und ganze vier Kameras. Diese sind aber hinter Panzerglas in den Wänden eingelassen und es ist mir nicht möglich sie kaputt zu machen. Außerdem ist mein Fuß mit einer kühlen metallenen Fessel an einer Einfassung im Boden festgemacht, die mir nicht erlaubt bis vor die Tür zu treten. Das hier ist schlimmer als das Loch in den beiden Gefängnissen die ich kennengelernt habe. Zwar gibt es durch eine Art Katzenklappe drei Mal am Tag eine warme oder kalte Mahlzeit, die mit einem Stab zu mir geschoben wird, doch sonst überhaupt nichts. Immerhin wird der Raum am Tag von einem sterilen Licht von der etwa drei Meter hohen Decke bestrahlt. Aber das Schlimmste ist nichts von alledem, sondern die anderen Insassen. Das hier ist am Ende kein Gefängnis indem mal einer in der Nacht meint herumzubrüllen und im Anschluss von den Wärtern zu Brei geschlagen wird, denn hier kann man so laut sein wie man will. Mal unterhält sich eine beknackte Frau mit sich selbst, hin und wieder beginnt einer die amerikanische Nationalhymne zu trällern und ab und an schreit ein Typ durch die Gänge, er wolle sein Spielzeug wiederhaben. Das Weinen und Schluchzend dagegen ist wie Musik, wie der Nieselregen, der mir das Einschlafen erleichtert. Ein lauter Schrei dazwischen wie der Donner, der mich im Schlaf aufschrecken lässt und der eine Typ, der jeden Morgen wie ein Hahn kräht, ist der Hahn der mich weckt. Ich verfluche lautstark die Tür, welche nicht den Sinn der Lärmabschirmung erfüllt, denn der Typ gegenüber von mir hat wieder begonnen sein Todesgedicht aufzusagen.
„Wieso bist du so eine MISSGEBURT von Tür?! Und du, du scheiß gruseliger Teenie wannabe-Killer, halt endlich deine ELENDIGE Schnauze!!"
Der Junge hält nicht seine Schnauze und mein Hals brennt. Ich habe mich am heutigen Tage geweigert zu trinken und mehr rumgeschrien als sonst. Spätestens Morgen werden sie mir das benötigte Wasser einfach einflößen, ob ich will oder nicht. Allgemein stehe ich hier dauerhaft unter Aufsicht und rege mich deshalb auch nur wenig. Jeder Selbstmordversuch wäre sinnlos und würde mit noch ätzenderen Maßnahmen in Zukunft unterbunden werden. Das weiß ich, seitdem ich in eine Zelle mit Fußfessel gebracht wurde, nachdem mir die Idee kam gegen eine der Wände zu rennen. Ich wette als nächstes würde erst die Zwangsjacke und dann die Gummizelle folgen. Einmal hatte ich darüber nachgedacht mir die Zunge so abzubeißen, dass ich daran verbluten würde, doch leider werden meine Vitalwerte überwacht und am Ende würde ich das Essen noch per Magensonde bekommen. Ich schließe die Augen und versuchte mich zusammen zu reißen. Es ist die Hölle hier.
"..eine andere Chance für Vergebung bekommst du nicht, also sieh mir ins Gesicht! Alle Menschen müssen sterben...", kommt es in einem gemäßigten Ton aus der anderen Zelle.
Ich habe ihn zwar nie selbst getroffen, aber seine Stimme verrät sein junges Alter, obwohl er vor sich hin redet, als habe er die Weisheit der ganzen Welt in sich aufgenommen. Und im Gegensatz zu den anderen, redet er tatsächlich mit jemand anderem. Er redet mit all seinen Zellenkameraden. Wen genau er dabei ansprechen will, weiß ich nicht. Vermutlich aber einfach, wer sich selbst gemeint fühlt. Mindestens dreifach am Tag betet er das Gedicht sieben Mal am Stück vor sich hin und schweigt dann wieder. Es ist wie ein religiöser Ritus, indem er die Schuld der Menschen anspricht und mehr oder weniger droht all ebenjene Schuldigen umzubringen.
Am Anfang war ich noch immun gegen seine Worte gewesen, sie waren nur Lärm den ich ausgeblendet hatte. Doch durch die Wiederholung zu vollkommen zufälligen Uhrzeiten, haben sich die Reime in meinen Kopf gebrannt. Ich habe begonnen hin und wieder ernsthaft darüber nachzudenken, ehe ich ihn wieder beschimpfe. Nach etlichen Jahren ohne Reue ist es aber nicht gerade mein Ziel mich davon irgendwie noch auf meine letzten Tage runter ziehen zu lassen. Ich halte mir die Ohren zu, denn beim letzten Teil wird er immer besonders ekstatisch. Doch seine Stimme ist längst in meinem Kopf. Ich kenne das Gedicht bereits auswendig und spreche es innerlich schon mit, obwohl ich das nicht will.
„HALT DIE FRESSE!", schreie ich unter Schmerzen, doch die Stimme in meinem Kopf ist lauter.
Er will bezwecken, dass ich in meinen letzten Wochen vor meiner Hinrichtung zu meinen Taten stehe und Reue zeige, bevor ich ins Gras beiße. Doch ich habe nicht vor ihm diesen Erfolg zu gönnen. Erst recht nicht einem gottverdammten Jüngling wie ihm, der selbst zum Tode verurteilt wurde. Ich habe in meinem Leben noch nie etwas bereut und selbst die Folgen meiner spontanen Wutausbrüche sind mir seither scheißegal. Jeder einzelne Bastard, der direkt oder indirekt im Knast durch mich umkam, bedeutet mir überhaupt nichts. Das waren Typen, die genauso schlimm oder schlimmer waren als ich und es allemal verdient hatten. Dann taucht wieder ein anderes Bild vor meinen Augen auf. Eines, das ich nicht einfach so verdrängen kann. Es macht mich gleichzeitig aggressiv und geilt mich auf. All diese in meinen Adern wild pulsierende Wut staut sich wieder an. Nur wegen diesen drei Frauen sitze ich nun hier. Nur weil irgendjemand herausgefunden hat, was ich mit ihnen gemacht habe. Um unsere Spuren damals zu verschleiern, brannten wir einige der Räume wieder. Nur die Geiseln waren sicher vor dem Feuer. Alle bis auf diese drei, denn ich musste ihre Körper verschwinden lassen. Irgendetwas musste von ihnen übrig geblieben sein, was mich mit ihnen in Verbindung gebracht hatte. Irgend ein scheiß Ermittler hatte sie gefunden und diese Huren untersucht. Irgend ein scheiß Hinweis hatte überlebt und war in irgendeiner scheiß Asservatenkammer gelandet, bis die Kriminologie weit genug fortgeschritten war um ihn gegen mich zu verwenden.
Ja, ich hatte sie kaputt gemacht und das hatte mir mehr Freude bereitet als alles, was ich davor jemals in meinem Leben getan hatte. In diesem Raum war ich allmächtig gewesen, zwar nur für eine viel zu kurze Zeit, aber für den Moment zumindest. Sie waren meine Figürchen gewesen und ich ihr Gott. Bis heute denke ich noch daran, wenn ich einen schlechten Tag habe. Ich lecke mir die Lippen und sehne mich nach dem Gefühl, doch es kommt nicht wieder. Es war wie eine Droge, süchtig machend machte es auch mich kaputt. Doch im Gefängnis gab es nur Kerle mit denen ich Spaß haben konnte und keiner von denen war so hilflos, keiner hatte denselben Blick in den Augen gehabt. Es ist der reine Überlebenswillen, der in einem solchen Moment das Bewusstsein übernimmt. Und er suggestiert bis zum letzten Moment, dass der Betroffene überleben wird. Aber wenn man einen Menschen so fixiert, dass er sich nicht bewegen kann, wenn man ihm die Knochen bricht und sagt was man mit ihm machen wird, wenn er zu strampeln beginnt und sich nicht bewegen kann, dann ist er wie ein Hai im Netz. Er stirbt schon in dem Moment, indem er sich nicht mehr bewegen kann. Vor Angst, vor Schmerz oder weil man ihn angebunden hat. Ab diesem Augenblick ist die Hoffnung tot und alles was diesen Menschen je zu dem gemacht hatte was er ist. Dann blickt dich nur noch eine Hülle an, voller köstlicher Verzweiflung, die es bis zum letzten Augenblick auszuwringen gilt. Das ist das Gefühl einen Menschen umzubringen, das ist es was mich hier her gebracht hat. Der gottverdammte Apfel vom Baum, den man nicht essen darf. Die größte aller Freuden, die schlussendlich zum Tode führt. Doch des Teufels Verführungen sind zu blutig für die meisten, aber ich bin noch nie wie die meisten gewesen. Ich habe Tiere gefoltert und Kinder verprügelt, da verkauften die meisten noch Limonade vor den Häusern ihrer Nachbarn. Ich bin genau dieses Böse, dass in dem Gedicht des Jungens erwähnt wird, einfach nur, weil ich dem Hedonismus fröne, als gäbe es kein verficktes morgen. Doch mit seinen letzten Zeilen hat der Junge Recht. Denn diese sind schon immer meine Lebensmaxime gewesen, auch wenn sie mich eines Tages selbst erreichen werden. Denn eines Tages wird jeder sterben.
Ich lege mich vollständig auf den Boden und spreche mit ihm die Wörter wie ein letztes Gebet.
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