Von Hoffnung und Erinnerungen
01. März 1822
Nassau
„Im Leid steckt eine große Kraft,
die Veränderungen schafft."
~ Marion Gitzel
Nur langsam kamen sie voran und das lag weniger an den Schmerzen, die von ihrem Fuß und der verletzten Schulter her ausstrahlten, sondern viel mehr an Samuels Bewusstseinszustand. Nach wie vor war der Quartiermeister äußerst blass im Gesicht. Die Hand mit den fehlenden Fingern hielt er eng an seinen Oberkörper gepresst, während sie ihn in Richtung Searose begleitete.
Auch wenn ihre Gedanken nun ganz und gar bei dem Verletzten sein sollten, ertappte sie sich wiederholt dabei, wie sie zu Jack abdrifteten. Sie betete zu den Göttern, dass Blackbeards Spielchen wirklich vorüber war und er spätestens in ein paar Stunden zu ihnen stoßen würde. Eigentlich hatte alles in ihr danach geschrien, ihn nicht zurückzulassen, aber Teach hatte es nicht wie eine Frage formuliert, als er sie aufforderte mit Samuel zu verschwinden und sie hatte es nicht gewagt seinen Wahnsinn, der sich zum Schlummern niedergelegt hatte, erneut zu wecken, indem sie ihm widersprach. Zudem hatte sie Samuel so schnell wie möglich von der Revenge schaffen wollen, ehe er erneut zur Schachfigur werden konnte.
Blackbeards Männer hatten sie nur bis zu dem schweren Eisentor eskortiert und sie anschließend vor Schadenfreude lachend sich selbst überlassen. Es war ihr recht gewesen. Sie brauchte keine Wachhunde.
Keuchend hielt Samuel an und klammerte sich an einen halbhohen Holzpfosten. Besorgt musterte Anne ihren Freund. Es ärgerte sie, dass sie ihn ihrer eigenen Verletzungen wegen nicht stützen konnte, aber es fiel ihr bereits schwer genug, sich selbst den Weg am Pier entlang zu schleppen. Die gebrochene Nase bereitete ihr zusätzliche Probleme, da es ihr wegen der Schwellung unmöglich war, durch sie zu atmen. Tief holte sie also durch den Mund Luft, beruhigte ihre eigene erhöhte Atemfrequenz, bevor sie sich dazu in der Lage sah, tatsächlich Worte an den bleichen Mann neben ihr zu richten. "Geht ... Geht es?"
Seine hellblauen Augen fixierten sie. Sie hatten nicht einen Satz miteinander gewechselt, seit sie unter sich waren. Anne konnte die Anspannung spüren, die wie ein Blitz zwischen ihnen schwebte, der kurz davor war sich zu entladen. Gab er ihr die Schuld? Wie viel hatte er mitbekommen? Wie viel hatte Blackbeard ihm erzählt? Aber wenn er von Sully wusste, dann musste er sie doch verstehen! Er hatte sie einen Tag nach dem schrecklichen Vorfall in dem Bordell in die Arme geschlossen. Zwar war er nicht derjenige gewesen, der ihre zerbrochene Seele wieder zusammengesetzt und ihr unmissverständlich klargemacht hatte, dass sie wegen dem, was ihr widerfahren war, nicht sterben würde, aber er hatte dennoch die innere Pein in ihren Augen erkennen können und ihr ein offenes Ohr und eine Schulter zum Anlehnen dargeboten. Wenn er nicht verstand, was sie dazu bewogen hatte, die Möglichkeit der Rache zu ergreifen ... Sie hatte geglaubt, das Richtige zu tun. Aber war es das gewesen? Das Richtige?
Verflucht ... Das Richtige hatte sie beinahe das Leben gekostet! Jack hatte auf sie geschossen. Aber das Magazin des Revolvers war leer gewesen. Und Samuel ... Er war nicht mit einem Scheinangriff davongekommen. Ihn hatte ihr von Rache besessener Verstand zwei Finger gekostet. Nicht nur irgendwelche. Daumen und Zeigefinger. Das machte die betroffene Hand so gut wie unbrauchbar.
Lange Zeit hatte sie ihn dafür gehasst, dass er sie vor zwei Monaten dazu getrieben hatte ihre wahre Identität preiszugeben. Dafür, dass er sie in die Enge gedrängt, sie erpresst und ihr damit keine andere Wahl gelassen hatte. Doch mittlerweile hätte sie ihm dafür die Füße küssen können. Es war das Beste gewesen, das ihr hätte passieren können, denn seither war sie frei. Und sie gehörte als Anne Bonny zur Crew. Aber das, was sie hier zu verantworten hatte ... Sie konnte es verstehen, wenn er ihr das niemals verzeihen würde. Die zwei Finger würden niemals mehr nachwachsen. Er hatte damals aus Liebe gehandelt und sie ...
"Er hätte dich umgebracht, Anne. Er hat dich umgebracht." Der Blitz entlud sich und verfehlte sein Ziel nicht. Die Worte trafen sie mitten ins Herz. Weil sie der Wahrheit entsprachen. Aber Samuel ließ da ein entscheidendes Detail in Vergessenheit geraten ...
"Ich habe ihn dazu gedrängt. Er hätte es niemals getan, wenn ich ihn angefleht hätte, nicht abzudrücken. Aber das habe ich nun einmal. Es war meine Entscheidung. Nicht seine."
Samuel sog hörbar die Luft durch seine Nase ein und stieß sie ebenso geräuschvoll wieder aus. Dann schüttelte er den Kopf.
Nicht schon wieder dieses Thema.
Anne wollte es nicht hören. Wollte nicht, dass er ihr erneut einen Vortrag darüber hielt, dass Jack ihr Untergang werden würde. Wie ironisch, wenn man von Jonahs Weissagungen bezüglich ihrer Person wusste.
„Kannst du weitergehen?", fragte sie ihn, bevor er das leidige Thema weiter ausführen konnte.
Er ließ den Holzpfosten los, aber anstatt den Weg wieder aufzunehmen, trat er auf sie zu. Die verletzte Hand noch immer an die Brust gedrückt, griff er mit der anderen nach ihrer Taille. Und ehe sie sich versah, zog er sie an sich heran. Sie wusste nicht, was sie tun, wie sie reagieren sollte, als seine Lippen den ihren gefährlich nahekamen.
„Sam ... wir hatten darüber gesprochen ...", sagte sie leise und hielt dabei den Blickkontakt zu ihm. Ihr Atem ging schneller.
„Ich weiß." Seine Finger wanderten ihre Seite nach oben, streichelten über ihren Hals, über ihre Wange und fassten am Ende eine ihrer Locken.
Anne wollte wütend werden. Aber der Zorn blieb aus, egal wie sehr sie ihn sich herbeisehnte. Wie konnte sie ihm für seine Gefühle zürnen? Er liebte sie. Noch immer. Und er hatte ihr bei ihrem letzten Gespräch deutlich gemacht, dass er das bis zu ihrem Todestag tun würde.
„Ich dachte, ich hätte dich verloren", wisperte er. „Als er den Abzug betätigt hat ... ich dachte, ich würde mit dir sterben. Ich dachte ..." Jedes Wort war leiser als das zuvor. „Anne ..." Sein warmer Atem zog gleich einer lauen Sommerbrise über ihre Haut.
„Nicht, Sam. Küss mich nicht, sonst ..."
„Sonst was, Anne? Willst du mich schlagen? Nur zu. Nicht einmal der Schmerz, der mich überkam, als Blackbeard mir die Finger abschnitt, ist vergleichbar stark mit dem, der in meinem Herzen tobt, wenn ich dich ansehe. Weil ich weiß, dass du mich niemals so ansehen wirst, wie du ihn ansiehst. Weil du mir niemals sagen wirst, dass du mich liebst. Weil ich ein Narr bin, dass ich die Hoffnung dennoch nicht loslassen kann. Sie nicht loslassen will."
Anne legte ihre gesunde Hand an seine Brust und schob ihn von sich. „Wir sollten weiter." Sie wandte sich von ihm ab und wollte ihren Weg fortsetzen, aber Samuel folgte ihr nicht.
„Willst du denn gar nichts dazu sagen? Kein einziges Wort?"
Die Verzweiflung in seiner Stimme zerriss etwas in Annes Innerem. Sie sah ihn nicht an, als sie ihm antwortete. „Wir haben oft genug darüber gesprochen. Und jetzt komm. Mary sollte sich deine Hand ansehen und ich habe etwas Ruhe dringend nötig. Die vergangenen Stunden waren turbulenter als die letzten zwei Monate."
„Ruhe vor mir. Ich verstehe schon. Und Ruhe, um auf deinen geliebten Käpt'n zu warten."
Schritte ertönten in ihrem Rücken und dann stürmte er an ihr vorüber, als würde der Blutverlust ihm nicht länger die Sinne benebeln.
***
Die Sonne war bereits untergegangen und ein dunkel schimmerndes Blau erfüllte das Firmament über den Laternen und Fackeln der Straßen, als Jack den Pier der Revenge endlich verließ. Hier draußen war die feuchte Luft geschwängert vom betörenden Duft exotisch blühender Pflanzen, der sich mit der sanften Süße des allgegenwärtig ausgeschenkten Rums vermischte.
Es gelang dieser lebendigen Komposition dennoch nicht, den Geruch von Blut aus seiner Nase zu vertreiben, den er noch immer glaubte auf seiner Zunge zu schmecken. Der Odeur hatte sich an den Innenseiten seiner Nasenflügel eingebrannt und schien daran zu haften wie Teer.
Er machte ein paar unentschlossene Schritte auf der inzwischen überfüllten Straße, auf welcher feiernde Männer und geldgierige Huren mit entblößten Brüsten Arm in Arm umher wankten, wie auf einem unheiligen Gemälde. Dann blieb er stehen.
Am Ende des Weges zweigte ein Steg zum Ankerplatz der Searose ab, wo alle auf ihn warten würden. Jonahs sehendes Auge würde sich in sein Hirn brennen, Annes mitleidiges Lächeln würde ihn in Schuldgefühlen ertrinken lassen und Cherletons hasserfüllter Blick würde ihm durch jede beschissene, versiegelte Planke den Tod an den Hals wünschen. Ein Haufen Männer würde sich das Maul über das zerreißen, was passiert war und das leise Gemurmel der Wahrheit würde sich in Gerüchte und Behauptungen verwandeln. Und über all diesen Dingen stand noch immer die Pflicht der Käpt'n über hundertsechzig Menschen und eine ganze Fregatte zu sein, aufgrund derer ihn die gesamte Royal Navy bis zu seinem Todestag über alle sieben Weltmeere jagen würde.
Er atmete aus. Überwältigt schüttelte er den Kopf. Einmal. Zweimal. Dann griff er in die Innenseite seines Mantels und drehte sich mit flinken Fingern eine Zigarette, die er sich zwischen die Lippen steckte.
Er wusste nicht, wohin er wollte, als er dem Weg, der ihn zur Searose führte, den Rücken kehrte. Er brauchte ein paar Momente mehr, um zurück in das Konstrukt von Calico Jack zu finden, das er sich seit zwei Jahren so mühevoll mit Jonahs und Bens und zuletzt auch mit Annes Hilfe aufgebaut hatte.
Heute war es nicht mehr als das. Ein Konstrukt. Eine erdachte, schillernde Legende, die in der Realität nicht mal halb so eindrucksvoll zu strahlen vermochte, wie in den Köpfen der Männer, die er anführte.
Eine Lüge.
Calico Jack war nichts weiter als ein Hirngespinst.
Vor einem Schaufenster blieb er stehen. Im Inneren des Geschäfts war es dunkel, sodass er sein eigenes Spiegelbild im Glas des Fensters sehen konnte. Sein Blick fiel auf einen Riss, der quer durch die Scheibe verlief und mitten durch sein Gesicht schnitt, bis hinunter zu seiner Brust.
Sein Herz. Es schlug.
Anne.
Oh zum Henker, er verdiente diese Frau nicht. Hatte nicht den Mut dazu aufgebracht, sie vor Blackbeard zu verteidigen, geschweige denn vor seiner gesamten Mannschaft zu ihr zu stehen, ehe sie diese Bürde selbst auf sich genommen hatte.
Der Kaperbrief, der die Gewissen so vieler seiner Männer in Sicherheit wog, war eine beschissene Lüge.
Er hatte die Searose nicht in einem ehrenhaften Gefecht geentert, sondern sich feige vor einer anstehenden Meuterei auf der Castor in die Arme der Marine geworfen und gehofft, dass jene genügend der aufständischen Besatzungsmitglieder beseitigen würden. Dass er die britische Fregatte danach übernommen hatte, war pures Glück gewesen.
Er hatte sich geschworen, Rache an Charles Vane zu üben, nachdem jener sein Heim und seine Familie geschändet und niedergebrannt hatte. Und was war aus ihm geworden? Dessen verfluchter, ergebener Steuermann.
Er beobachtete sein eigenes Abbild dabei, wie der glimmende Tabak seine Züge erhellte, als er daran zog. Ihm entfuhr ein abfälliges Geräusch.
Hinter ihm auf der anderen Seite der Straße wurde eine Tür geöffnet und ein absurd kaltweißes Licht drang aus dem Inneren heraus. Eine kleine Gestalt stand in der Tür, offenbar unschlüssig, ob sie die Tür weiterhin geöffnet halten, oder wieder schließen sollte.
Es gelang ihm nicht, im falschen Abbild der Fensterscheibe Details zu erkennen, doch mit einem Mal kam es ihm so vor, als würde die Person ihn beobachten.
Er drehte sich um.
Eine Frau stand dort, die ihm lediglich bis an die Brust reichte. Das blonde Haar mit den verfilzten Strähnen fiel ihr offen über die knochigen Schultern und endete an ihren schmalen Hüften. Trotz der Straße, die zwischen ihnen lag, meinte er ein wahnsinniges Funkeln in den hellblauen Augen erkennen zu können. Und ... fehlte ihr etwa eine ihrer Brauen?
Ein verspieltes Kichern sprang über ihre trockenen Lippen. Mit einer eindringlichen Geste ihrer Hand winkte sie ihn zu sich.
Jack runzelte die Stirn. Diese Frau schrie nach Irrsinn und davon hatte er heute eigentlich genug erlebt. Dennoch konnte er es nicht verhindern, dass er versuchte zu entziffern, was da auf dem Schild oberhalb der Eingangstüre geschrieben stand. Es gelang ihm lediglich ein paar gemalte Blätter und Pflanzen auszumachen. Schulterzuckend zog er am Tabak und schnippte den Rest über die Schulter, bevor er sich gemächlich dem Laden näherte.
Sie musterte ihn ein weiteres Mal von Kopf bis Fuß, ehe sie beiseite trat und ihm Einlass gewährte. Jack folgte ihr ins Innere des Verkaufsraumes. Pflanzen mit gigantischen Blättern hingen von der Decke, standen in Töpfen, auf kleinen Tischen, auf dem Boden und überall herum, bis Jack die Tiere erkannte, die sich in gläsernen Terrarien dazwischen befanden. Seltsam anmutende, pickelige Kröten, kleine, hellgrüne Frösche, Nattern und Echsen wanden sich um geschwungene Hölzer. Als hätte er einen Fuß in Südamerikas Urwald gesetzt.
"Was zur Hölle...", entfuhr es ihm heiser. "Was verkaufst du?" Sein Blick glitt über ein Regal an der Rückwand, das mit allerhand farbigen Flüssigkeiten in bauchigen Gefäßen gefüllt war.
Sie grinste. "Wonach suchst du denn?", schnurrte sie mit französischem Akzent. Ihre Worte klangen herausfordernd. Als Jack weiterhin schwieg, begann sie aufzuzählen. "Suchst du nach der großen Liebe, die dein Herz beflügelt? Nach amüsanter Zerstreuung? Oder nach einer Nacht voller ungestörtem Schlaf? Ich habe alles da, kann dir alles bieten."
"Ich verstehe..." Er hatte die Straßenstände und Bauchladenverkäufer gesehen, die einen Reibach damit machten, Betrunkenen, ihren Hokuspokus anzudrehen. Doch ein erfolgreiches Geschäft mit einem festen Standplatz, das sich hielt, war entweder der Geldwäsche verschuldet oder einen Versuch wert.
"Ich kann dir auch den Tod verkorken, falls es das ist, was du benötigst." Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als hätte sie die Worte nicht aussprechen wollen. "Nur rate ich dir, nicht Hand an einen von Blackbeards Männer zu legen, das sieht er gar nicht gern."
"Ich kann dir auch den Tod verkorken, falls es das ist, was du benötigst." Sie hielt sich die Hand vor den Mund, als hätte sie die Worte nicht aussprechen wollen. "Nur rate ich dir, nicht Hand an einen von Blackbeards Männer zu legen, das sieht er gar nicht gern."
„Oder ist es ein Liebestrank, den du suchst? Warst du denn jemals verliebt? Deine Augen sehen eher so aus, als wärst du der kälteste Mensch, dem ich jemals begegnet bin", plapperte sie unaufhaltsam weiter.
"Aye, jeden Morgen, wenn ich in den Spiegel schaue, verliebe ich mich neu in mich selbst."
Sein Tonfall enthielt so viel Desinteresse, dass ihr ungetrübtes Lächeln langsam erlosch. Er wollte sich bereits abwenden, doch sie griff nach seinem Handgelenk.
"Ich weiß! Ich habe genau das Richtige für dich."
Sie wandte sich um, machte sich an dem Regal mit den Flüssigkeiten zu schaffen, zog einige Schubladen auf und drückte ihm schließlich eine Tüte aus Papier in die Hand.
"Du suchst den Mann, der du heute Morgen noch warst. Kau diese Blätter, vielleicht wecken sie die Erinnerung."
Noch ehe Jack ablehnen oder ihr das Papier zurückgeben konnte, hielt sie bereits ein weiteres kleines Fläschchen mit einer purpurnen Flüssigkeit in der Hand, das nicht viel größer war, als sein Zeigefinger.
"Und das hier. Man dreht euch Opium oder Laudanum an, wenn eure Wunden oder Gliedmaßen nach einem Kampf zu sehr schmerzen, dass ihr wochenlang nicht schlafen könnt. Aber das hier ..." Ihre Augen weiteten sich für einen Moment. "... ist besser." Sie schloss seine Finger darum. "Es reicht schon, wenn du einen Tropfen davon auf das Pergament streichst, mit dem du deine Zigaretten drehst. Nimm es, wenn dein Bein oder dein Herz dich schmerzt. Geht aufs Haus. Komm zurück, wenn du mehr brauchst." Sie kicherte erneut, hielt sich die Hand mit den schmutzigen Fingernägeln vor die Lippen, als hätte sie etwas Verbotenes preisgegeben. "Du kannst jetzt gehen. Ade!"
Irritiert von dem seltsamen Gehabe der kleinen Frau, ließ Jack sich ohne ein weiteres Wort des Widerstandes von ihr vor die Tür schieben, wo ihm selbst die schwüle Luft mit einem Mal um Welten angenehmer vorkam, als im Inneren des Geschäfts.
Aufmerksam betrachtete er die beiden Gegenstände in seinen Händen. Das Fläschchen würde er Read anvertrauen.
Vielleicht konnte es ihr bei der Behandlung von Cherleton von Nutzen sein. Vielleicht würde es den Quartiermeister umbringen. Beides war akzeptabel.
Dann griff er unentschlossen in das Papiertütchen mit den Blättern und holte eines hervor. Es war getrocknet und trotzdem noch immer von einer dicken, lederartigen Natur. Als er daran roch konnte er nichts Ungewöhnliches feststellen und als er mit der Zunge darüber leckte, empfand er den Geschmack als unbeschreiblich widerlich.
Trotzdem und weil er nicht wusste, wo in den verdorbenen Gassen Nassaus er sonst die Reste seines zersprungenen Selbst wieder aufsammeln sollte, steckte er es sich in den Mund und begann darauf herumzukauen.
Langsam setzte er sich wieder in Bewegung. Als Erstes spürte er, wie seine Zunge taub wurde. Dann die Innenseiten seiner Wangen. Sein Herzschlag beschleunigte sich leicht, doch nicht auf eine unangenehme Art und Weise.
"Was zum ..." Er hob das braune Papier der Verpackung an, wollte erneut eines der Pflanzenbestandteile in Augenschein nehmen, doch da fiel seine Aufmerksamkeit auf einen der schwarzen Ringe, die seinen rechten Unterarm zierten und unter dem Saum seines Ärmels hervorblitzte, wie die deutlichen, schwarzen Linien einer Seekarte. Ganz zu unterst stand ein Wort. Der Name des ersten Schiffes, das er als Käpt'n der Castor gekapert hatte.
Violett.
Der Pfad seiner erfolgreichen Plünderungen setzte sich fort. Erstreckte sich auf seinem Oberarm weiter. All die Schiffe, die der Searose zum Opfer gefallen waren, waren hier aufgelistet und bis hinauf zu seiner Schulter in Form von schwarzer Tinte verewigt.
Ein selbstbewusstes Lächeln hob seine Mundwinkel an. Die Geschichte wurde von den Siegern einer Schlacht geschrieben. Und solange er noch atmete, gehörte er noch nicht zu den Verlierern.
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