Eine gottlose Liste
03. April - Bahamas
Kurs unbekannt
"There's a rising on the street tonight
Every woman, man and child
Through the struggle we will all unite
Watch the cities running wild
'Cause we've been lied to by the liars
We've been sold what we can't buy
In our hearts there's a fire
You can see it in our eyes" - Jack Savoretti, Written in Scars
Jack drehte das letzte der Blätter am Stängel zwischen Daumen und Zeigefinger hin und her. Hin und her, wie das immerwährende Auf und Ab der Wellen. Das regelmäßige Tropfen von Kerzenwachs auf den Boden. Hin und her, wie das allgegenwärtige Schaben des eisernen Schlüsselbundes an seinem Haken, der in greifbarer Nähe und doch so unendlich weit entfernt war. Keine zwei Meter trennten ihn von dem Schlüssel zur Freiheit.
Hin und Her.
Die Rückseite des getrockneten Pflanzenstücks war pelzig und rau, die Oberfläche hingegen von einem ledrigen, dunklen Grün. Sonnenstrahlen fielen durch die undichten Stellen der Bordwand und tauchten es in ein schimmerndes Licht.
Hin und her.
Der Wind frischte auf. Das Schiff, dessen Namen er nicht einmal kannte, krängte nach steuerbord. Das goldene Sonnenlicht veränderte sich, wurde diesiger, ehe es von Wolken verdeckt wurde.
Hin und her.
Das unregelmäßige Atmen des noch immer bewusstlosen Jungen, den sie vor einem Tag beim letzten Landgang mitgenommen hatten.
Hin und her.
Seine aufgeplatzte Lippe pochte. Der Geschmack von Blut hatte sich seit gestern Abend in Davies Kajüte nicht mehr von seiner Zunge vertreiben lassen. Die Haut seiner Handgelenke schmerzte. Sein Magen knurrte nach Tagen des Maisbreis und seine Kehle verzehrte sich nach einem einzigen Schluck von etwas anderem, als dem ekelhaften, abgestandenen Wasser.
Seine letzte Hoffnung war dahin. Er würde sich das Stück Pflanze für den Moment aufheben, in dem man ihn vor die Gesamtheit der Marine zerren und reden lassen würde. Vielleicht konnte er sich eine Lüge einfallen lassen, die die Lebensweise der Piraten retten konnte. Er würde Zeit haben, darüber nachzudenken. Lange und viel. Die Dunkelheit und die feuchte Kälte seines Gefängnisses würden seine Inspiration bilden. In seiner Vorstellung formte sich ein Plan.
Oder aber er würde es sich aufheben für den Tag, an dem man ihm die Schlinge um den Hals legen würde. Heute, morgen, übermorgen.
Hin und her.
Jack atmete tief ein und aus. Das Auf und Ab des Schiffes auf den Wellen verstärkte sich. Das Knirschen des Metalls des Schlüsselbundes wurde lauter und eindringlicher, als wollte es ihn auf etwas hinweisen.
Jack sah auf.
Das Schiff krängte so stark, dass der Schlüssel auf eine beinahe surreale Weise von der Wand abstand. Der Abstand zum Ende des Hakens verringerte sich mit jeder Welle, die der Kiel des Schiffes durchschnitt.
Gespannt beobachtete er, wie der Ring bis zum Ende des Hakens rutschte, wo das Metall einen geschmiedeten Winkel formte. Und dort hängen blieb. Noch eine Welle. Ein weiteres Baumeln des Schlüsselbundes.
Hin und her.
Jack stand auf und ließ das Stück Blatt in der Innenseite seines Mantels verschwinden. Unschlüssig legten sich seine Finger wie von selbst an das tote Metall der Gitterstäbe seines Gefängnisses. Er fixierte den Schlüssel, als könnte er ihn durch bloße Willenskraft dazu bewegen, von seinem Haken zu fallen.
"Was hast du im Sinn, Ben?"
Jérômes Stimme durchschnitt die Konzentration, mit der er sich auf den Schlüssel zur Freiheit fixiert hatte. Jack wandte sich um. Sein Zellennachbar bedachte ihn mit einem berechnenden Blick. Noch ehe Jack über eine Antwort nachdenken konnte, fuhr er bereits fort. "Wir legen keinen Wert auf weitere Scherben im Essen, einen ausgepeitschten Rücken oder tagelange Dunkelheit ohne Kerze. Lass es einfach!"
"Willst du die ganzen nächsten Wochen darauf warten, dass jemand deinen Hinrichtungsschein unterzeichnet, Jérôme? Willst du deine letzten Stunden hier unten verbringen, wie ein verfluchtes Stück Schinken, das die Marine sich zum Frühstück servieren lässt?", zischte Jack ihm zu und trat nahe an das eiserne Gitter heran, das ihre Zellen voneinander trennte.
Unbeeindruckt sah der Mann zu ihm auf.
"Du weißt, dass ich recht habe!"
"Aye, ich weiß es. Aber ich akzeptiere es nicht." Wut loderte in seinem Inneren auf, wie eine hungrige Flamme. "Wenn du nicht..."
"Scht scht! Seid leise!", unterbrach Tom ihren aufflackernden Streit. "Hört ihr das?"
Jack zuckte herum. Die Flamme in seinem Inneren erlosch so plötzlich wie sie entfacht war. In dem monotonen Knirschen des Metalls und dem Raunen der Wellen war eines der Geräusche zum Erliegen gekommen. Ein schmerzhafter Stich fuhr in sein Herz. Der Junge von der Insel atmete nicht länger.
"Mist." Zerknirscht trat George gegen die Stäbe seines Gefängnisses. "Der geht auf deine Rechnung, Tom. Jetzt sind wir wieder quitt."
Jack warf ihm einen wütenden Blick zu. Ein frustriertes Knurren entrang sich seiner Kehle.
"Genug."
"Was soll das heißen, genug? Hättest ja mit wetten können, aber du warst zu beschäftigt, irgendwelche Dinger mit der Navy zu drehen, die doch nicht geklappt haben!", ranzte George ihn an.
Toms weiches "Halt die Klappe, George!", ließ den kleinen Giftzwerg jedoch kleinlaut verstummen.
Jack ließ seinen Blick wandern. Tom und George waren aufgestanden und beobachteten ihn aufmerksam. Der alte Hal starrte apathisch an die Wand seines Gefängnisses, wie jeden Tag. Lediglich Jérôme schüttelte leicht den Kopf. Jack erkannte Zweifel auf seinen Zügen. Entschlossen langte er nach dem Blatt in seinem Mantel, schob es sich zwischen die Zähne und kaute einige Augenblicke darauf herum, ehe er begann zu sprechen.
"Wir sind vier Männer", zählte er auf. "Das mag wenig erscheinen. Wir sind müde und hungrig, verletzt und fern von dem Ort, den wir ein zu Hause nennen." Zustimmendes Brummen erklang.
"Man hat uns dem Tod in den Rachen geworfen und er hat uns wieder ausgespuckt." Mit einem Kopfnicken deutete er in die Richtung des namenlosen toten Jungen. "Manche von uns hat er bereits bei sich behalten und verschlungen." Er atmete tief ein und aus. Kopfschüttelnd fuhr er fort. "Wir werden ihm nicht entgehen können. Niemand kann das. Aber ich will lieber im Ozean ertrinken, den Wind auf meiner Haut spüren und mich von der Sonne blenden lassen, als hier in Ketten darauf zu warten, dass mir ein bekacktes Marineschwein die Schlinge um den Hals legt!" Seine Hände ballten sich zu entschlossenen Fäusten. "Wir sind wenige, aye! Aber wir haben den Moment der Überraschung auf unserer Seite. Wir können uns verborgen halten, und es ungesehen bis ans Deck schaffen. Dort angelangt ist es nicht weit. Das Einauge ist nicht an Bord. Die Kajüte des Käpt'n ..."
"Du willst eine Meuterei anzetteln? Und dabei in Kauf nehmen, dass wir alle draufgehen?", fragte Tom ruhig.
Jack spürte, wie seine Mundwinkel in freudiger Aufregung zu zucken begannen. Es gelang ihm, ein irres Lachen zu unterdrücken, das dem Blackbeards alle Ehre gemacht hätte.
"Aye, eine blutige Meuterei. Draufgehen werden wir ohnehin irgendwann. Spätestens in dem Moment, in dem wir das Festland erreichen, wird unser Schicksal besiegelt sein. Aber bis dahin will ich kämpfen. Und mit einem jeden von euch an meiner Seite habe ich sogar Hoffnung." Er meinte es fast genauso, wie er es sagte. Tatsächlich war er sich darüber bewusst, dass das Mitwirken eines jeden der Mitgefangenen nötig war, um seiner Eingebung zu folgen.
"Schön und gut, Ben! Was für eine Rede", warf Jérôme gelangweilt ein. "Wie willst du jetzt an den beschissenen Schlüssel kommen? Das letzte Mal war dein Arm auch nicht lang genug."
"Heißt das, ich kann auf deine Mithilfe vertrauen?"
Jack beobachtete gespannt, wie sich der ehemalige Mann Blackbeards mit der Hand übers Gesicht fuhr. "Drauf geschissen, aye. Kannst du."
"Aye!" Tom.
"Aye!" George.
Jacks Herz tat einen Satz, als er seinen Fokus weiter wandern ließ und realisierte, dass der alte Hal sich von seiner Pritsche erhoben und sich auf zitternden Beinen an die Tür seiner Brigg vorgewagt hatte. Er öffnete den Mund, in dem keine Zunge mehr vorhanden war und kein Laut kam über dessen trockene Lippen, doch sein Nicken jagte Jack einen Schauer der Zuversicht durch die Adern.
Entschlossen hebelte er das Stück Planke aus der Bordwand, durch die sogleich das schäumende Wasser der Gischt hereinspritzte. Konzentriert ließ er das lange Holz durch das eiserne Gitter gleiten, wobei ein schabendes Geräusch erklang. Sein Fokus richtete sich erneut auf den im Wellengang tanzenden Schlüsselbund, als er es ganz durch die Gitterstäbe seiner Brigg hindurchsteckte. Er ließ seine Hand und seinen rechten Arm folgen, soweit es möglich war. Soweit es die eisernen Fesseln an seinen Handgelenken zuließen. Sorgsam achtete er darauf, die Kerze zu verschonen, um das Licht zu erhalten, das sie für ihre Unternehmung so dringend brauchten. Das lose, spitze Ende der Planke wankte für einen kurzen Moment unentschlossen in der Luft. Jack streckte sich weiter. Das Metall der eisernen Handschellen schnitt schmerzhaft in seine Haut.
Noch einen Zentimeter. Seine Muskeln zitterten vor Anspannung.
Das Holz der Planke berührte klackernd den Ring des Schlüsselbundes.
Noch ein Stück. Schmerzende Blitze zuckten über seine Arme.
Er traf den Ring. Die hölzerne Spitze schob sich durch das Metall.
"Was zum Henker ist das denn?" Georges laute Stimme. "Siehst du das, Tom? Siehst du die Ringe auf seinem Unterarm?" Die Worte des kleinen Mannes überschlugen sich.
"Halt deine verfluchte Fresse, George!", versuchte Jérôme den Segelmacher zum Schweigen zu bringen. "Der Mann muss sich konzentrieren, sonst verkackt er es wieder."
"Halt selber die Fresse, Jérôme! Kapierst du nicht, was das bedeutet?" George wartete nicht auf eine Antwort, sondern redete einfach weiter, wurde lauter und lauter. "Das Gerücht ist mehr als wahr. Nur der Käpt'n der Searose trägt die Ringe auf seinen Armen, die seine Kaperungen verraten! Das hier ist kein unwichtiger Steuermann der Searose! Das hier ist der Käpt'n höchst selbst. Calico Jack!"
Jack ließ seinen Arm sinken. Die Spitze der Planke war leer. Der Schlüssel baumelte an Ort und Stelle weiter vor sich hin.
"George, das stimmt nicht, das ist... Jeder auf der Searose hat..."
"Hör auf uns in die bekackte Fresse zu lügen!", brüllte der kleine Mann ihn an. Dann rief er nach den Wachen und schlug mit dem Eimer auf die eisernen Stäbe seiner Zelle ein. "Schiff Ahoi, Schiff Ahoi. Hier unten. Hier unten. Calico Jack versteckt sich unter falschem Namen unter euren Männern!"
"Sprich keine Dinge aus, von denen du nicht weißt, was sie bedeuten, George! Wir versuchen zu fliehen, wir müssen alle an einem Strang ziehen, damit wir...", versuchte Tom ihn zu beruhigen.
"Du kannst mich mal!", fuhr George in an. Jérôme wollte zu sprechen ansetzen, doch George fiel ihm ohne Weiteres ins Wort.
"Ich weiß, was ich gesehen und gehört habe. Kam euch die Rede vorhin, wie die eines zweiten Steuermannes vor, hm? Seid nicht solche Trottel! Wir haben doch zu viert niemals eine Chance gegen eine gesamte von der Marine geknechtete Mannschaft. Was wir haben, ist Wissen, das wir für unser Leben eintauschen können. Ich ziehe mein Leben einem Selbstmordkommando vor." Der Blick des Segelmachers fiel auf ihn. Noch ehe Jack weitere Worte des Verhandelns vorbringen konnte, ertönte das Geräusch schwerer Stiefel auf dem Treppenabsatz.
Furcht fuhr ihm in alle Glieder und er beeilte sich, die lose Planke wieder an Ort und Stelle zu verstecken. Keine Sekunde zu früh. Die beiden Wachhunde erschienen mit zwei Laternen samt des Käpt'n Mr. Davies.
"Was zum Henker ist hier unten los?", ereiferte sich dieser und wedelte erbost mit einem zusammengerollten Stück Pergament in der Hand in der Luft herum. . "Ich versuche dort oben an Deck eine Ansprache zu halten und Sie veranstalten hier unten ein derart lautes Getöse, dass ich mein eigenes Wort kaum verstehe, wenn ich spreche!"
"Calico Jack!" George deutete atemlos auf ihn. "Das da ist nicht Ben Bonny, er hat sich getarnt und hat gelogen, Sir! Ich habe ihn entlarvt. Er hat sich durch seine Tätowierungen verraten!" Falscher Stolz und Hoffnung schwang in der Stimme des kleinen Segelmachers mit.
In einem seltsamen Anflug von Klarheit registrierte Jack, wie Jérôme sich in einer Geste vollkommener Verachtung über die Stirn rieb, ehe er mit den Schultern zuckte. "Du bist der Trottel, George!" Der Mann Blackbeards hatte es gewusst. Und er hatte geschwiegen.
Angst engte sein Sichtfeld ein, als Davies mitsamt der Wachhunde an seine Zellentür trat und schnürte ihm schließlich ganz die Kehle zu. Die Wut des Käpt'n schlug ihm entgegen. Als er zu sprechen begann, vibrierte dessen Stimme vor angespannter Zurückhaltung. „Ist das wahr, Mr. Bonny?"
Jack schüttelte den Kopf. "Nein, Sir."
Ein Nicken. "Dann werden Sie nichts dagegen haben, wenn ich Sie an Deck bringen lasse, um mir die Behauptung über Ihre Tätowierungen zu Gemüte zu führen."
Jack musste schlucken. Wieder schüttelte er den Kopf. „Nein Sir, habe ich nicht." Sein unsicherer Tonfall strafte seiner Worte Lügen.
"Sind Sie sicher? Sie könnten mir zuvor eine Erklärung abliefern", schlug Davies vor. Er hob ein Blatt Pergament an, das er bereits die ganze Zeit über in der Hand gehalten hatte. Gemächlich entrollte er es, als hätte er sich auf diesen Moment der Enthüllung vorbereitet. "Zum Beispiel, warum Sie gestern auf dem Dokument Ihres Geständnisses nicht mit Ben Bonny, sondern mit Calico Jack unterschrieben haben?"
Stille.
Es bedurfte keiner weiteren Worte.
"Tut mir leid, Mann. Ich dachte wirklich, wir hätten es schaffen können." Jérômes Flüstern drang an seine Ohren, in denen es unaufhörlich rauschte. "Du bist ein mieser Verräter, George!"
"Schafft ihn rauf!" Ein geknurrter Befehl.
Die Tür zu seiner Zelle wurde aufgerissen und die Hände der beiden Wachhunde schlossen sich gleich der eisernen Fesseln um seine Oberarme, als sie ihn mit sich zerrten, genau wie am ersten Abend.
Jack versuchte zu atmen. Er versuchte Luft in seine Lungen zu zwingen, doch es wollte ihm kaum gelingen. Die Hoffnung und Zuversicht, die vor einer halben Minute noch sein Denken erfüllt hatten, waren durch seine geschlossenen Hände geflossen, wie Wasser.
"Ich könnte Sie einfach hinrichten, Mr. Calico", begann Davies im leichten Plauderton, als würden sie sich auf einem Spaziergang befinden, während sie die Treppen hoch an Deck eilten. "Allein Ihre Leiche würde mir und meinen Männern endlich die Freiheit erkaufen."
Die Helligkeit des Tages schlug ihm entgegen, wie Davies Faust am Abend zuvor und er musste sich die Tränen aus den Augen blinzeln. Grob zogen sie ihn mit sich, hin zum Großmast, an dem ein Haken eingelassen war, gleich dem in Davies Kajüte. Er versuchte sich zu wehren, aber sein kleiner Protest wurde im Keim erstickt, als einer der Wachhunde die Kette über seinem Kopf am Mast fixierte, die seine Handschellen miteinander verband.
Einige schichthabende Mannschaftsmitglieder versammelten sich um sie, murmelten und tuschelten hinter vorgehaltenen Händen. Jack blendete sie aus.
Davies trat nahe an ihn heran, sodass er die feinen Pickelchen auf dessen Nase erkennen konnte. "Ich habe Ihnen einige ungewöhnliche Privilegien eingeräumt, was meine Gastfreundschaft anbelangt, Calico. Und wie haben Sie es mir gedankt? Sie haben mich nach Strich und Faden belogen." Ein siegessicheres Lächeln breitete sich auf den Lippen des Käpt'n aus. "Welchen armen Mann haben Sie mir beschrieben, als ich e nach dem Aussehen Ihres Käpt'n fragte? Oder wollten Sie nur den Verdacht so weit wie möglich von sich ablenken?" Er lachte leise.
Es gelang Jack nicht länger, die Kontrolle über sich zu behalten. Er sammelte sich und spuckte dem Käpt'n in sein ekelhaft grinsendes Gesicht.
Die Faust eines Wachhundes traf ihn mitten in die Magengrube und ihm entfuhr ein atemloses Keuchen. Übelkeit ballte sich um sein Innerstes zusammen. Er wollte sich zusammenkrümmen, aber seine erzwungene Haltung erlaubte es ihm nicht. Ein Schimmer des Zorns tanzte über die Wangen des Käptn, als er ein weißes Taschentuch zuckte, um sich seinen Speichel aus den Augen zu wischen.
"So." Plötzlich hielt er ein Messer in der anderen Hand, das er unter den Saum seines rechten Ärmels gleiten ließ. Ein Ratschen ertönte, als die Klinge ihm den verhüllenden Stoff von den Armen schnitt.
"Was haben wir hier: Violett, Maiandra, Sirius, Searose..." Ein hämisches Lächeln schlich sich zurück auf Davies Lippen, als er damit fortfuhr Jacks Oberkörper von seinem Hemd und seinem Mantel zu befreien. "Sterrenwind, Jupiter, Bloody Jane..." Noch ein Schnitt. "Herr im Himmel, diese gottlose Liste geht ja endlos so weiter."
Die Wachhunde drehten ihn um, sodass er mit dem Rücken zum Käpt'n stand. "Kaliope, Aldebaran... Ah und hier haben wir doch wonach wir gesucht haben." Mit einem Mal strich der Wind über die bloße Haut seines Rückens. Jack spürte, wie die Klinge des Messers sanft über seine Schulterblätter fuhr und den Konturen der gekreuzten Entermesser folgte, ohne einen Kratzer zu hinterlassen.
"Die legendäre Flagge, von der alle Welt spricht." Er machte eine Pause. Als Nächstes hörte Jack die Stimme des Käpt'n nahe an seinem Ohr. "Nun, da ich um ihre wahre Identität weiß, werde ich mir mit ihrer Hinrichtung ein wenig mehr Zeit lassen. Wer weiß. Womöglich verraten sie mir doch noch einige Geheimnisse, bei denen es sich nicht nur um Lügen handelt! Doch zuvor bin ich mir wohl darüber bewusst, dass es dafür noch einiger anderer Argumente bedarf." Dann war er fort.
"Mr. Brown, bringen Sie mir die Neunschwänzige!"
Jack versuchte, sich auf das wettergebleichte Holz des Masts vor seinen Augen zu konzentrieren. Er biss die Zähne zusammen und schaffte es doch nicht, sich auf den Schmerz vorzubereiten, der unmittelbar darauf seinen Rücken entlang jagte. Beim zweiten Schlag gelang es ihm nicht länger, das schmerzerfüllte Wimmern zu unterdrücken. Er fühlte wie seine Haut riss und sich die Nässe des Blutes auf den Resten seiner Kleidung ausbreitete.
Beim dritten Schlag mischte sich ein Donnern mit in sein Schreien, das er fast überhört hätte. Alle seine Muskeln spannten sich an, doch der vierte Hieb blieb aus. Stattdessen ertönte das Grollen von Kanonen, das sich wie die schönste Musik auf seine Trommelfelle legte. Wenn sein Verstand ihn halluzinieren ließ, dann war er unendlich dankbar für die Symphonie, die jener für sein nahendes Ende ausgewählt hatte. Die Geschütze der Searose. Hoffnungsvoll wandte er den Blick. Davies schien vertieft dabei Informationen zu erhalten und Befehle zu erteilen. Jack entfuhr ein hysterisches Lachen, als es seinem getrübten Blick gelang, die Silhouette seines Schiffes am Horizont auszumachen.
"Halten Sie ihr verdorbenes Mundwerk! Schafft ihn mir aus den Augen!"
Die Wachhunde rissen ihn vom Mast weg, sodass die eisernen Handschellen in seine geschundene Haut schnitten, doch es gelang ihm nicht aufzuhören zu lachen. Davies wutentbrannter Blick traf ihn. Seine Knie gaben nach und dennoch ebbte das verhöhnende Lachen in seiner Kehle nicht ab. Die Hand eines Wachundes krallte sich in sein Haar, zwang in aufzusehen. Das stumpfe Ende der Neunschwänzigen Katze traf ihn an der Schläfe. Es wurde schwarz um ihn.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top