Kapitel 8
Nachdem ich mein Auto auf dem Parkplatz beim Stadttheater geparkt hatte, machte ich mich auf den Weg zum Vorplatz des großen Gebäudes, wo Tine und ich uns treffen wollten. Ich war vorgestern am Abend noch bei ihr gewesen und wir hatten ein wenig darüber gesprochen, was wir tragen wollten. Letzten Endes hatten wir uns beide dafür entschieden, als Katzen zu gehen. Vielleicht war es nicht das einfallsreichste Kostüm, aber wir beide hatten Katzenohren und den passenden Schwanz dazu und mussten uns somit nichts Neues kaufen.
Meine Interpretation von "Katze" war eher in Richtung "nuttige Katze" geschweift. Ich trug einen kurzen Rock, der mir von der Taille bis knapp über meinen Hintern ging, und darunter eine Netzstrumpfhose. Mein Oberkörper wurde knapp von einem engen, bauchfreien Top bedeckt, das in Kombination mit einem Push-up-BH und meiner Körbchengröße ein hübsches Dekolleté darbot. Dazu hatte ich noch meine schwarzen Stöckelschuhe angezogen, was ich später wahrscheinlich bereuen würde, da ich sie zu selten trug, um nicht nach einer Stunde in ihnen Schmerzen in meinen Waden und Füßen zu bekommen. Mein Make-up war ziemlich aufwendig, da ich mir nicht nur auf die Spitze meiner Nase und ein paar Striche auf die Wange gemalt hatte, sondern auch meine Augen mit einem Cat-Eye-Look in verschiedenen Brauntönen stark betont hatte. Vielleicht war es ein wenig zu viel, aber es sah mehr als gut aus.
Die Kälte zerrte an mir und ich bereute es gerade, dass ich zu meinem freizügigen Outfit keinen richtigen Mantel, sondern nur eine dünne Lederjacke angezogen hatte - und das nur wegen der Ästhetik. Ich zitterte immer stärker und verschränkte meine Arme vor der Brust, nachdem ich die Jacke enger um mich gewickelt hatte. Tine war zwar nicht zu spät, aber ich war wie immer überpünktlich. Deshalb wollte ich anfangs auch, dass ich sie bei ihrer Wohnung abholte, aber sie wollte selbst hierherkommen. Wahrscheinlich hatte sie Angst gehabt, dass wir sonst den ganzen Abend nicht mehr aus ihren vier Wänden gekommen wären. Damit hatte sie auch sicher recht gehabt, was der Grund war, weshalb ich mich geschlagen gegeben hatte, und mich dazu überreden hatte lassen, uns erst beim Stadttheater zu treffen.
Plötzlich sah ich zwischen den ganzen Menschen, die sich dem Platz näherten, eine Frau, die sofort meine Aufmerksamkeit erregte. Sie war eine Katze und ich konnte sie innerhalb von Millisekunden als Tine identifizieren. Ich winkte ihr leicht zu. Sie schien mich aber nicht zu sehen, denn sie schaute sich suchend in der Menge um. Es brauchte jedoch nicht lange, bis sich unsere Blicke trafen und ein Lächeln auf ihren Lippen erschien. Sie schlängelte sich durch die Menge und umarmte mich zu Begrüßung, bevor sie mir einen leichten Kuss auf den Mund hauchte.
"Hey Elea." Sie klang aufgeregt.
"Hey Tine."
"Wollen wir reingehen? Du siehst aus, als könntest du ein wenig Wärme vertragen."
"Ja unbedingt, ich friere mir hier draußen alles ab. Ich wusste ja nicht, dass es heute so kalt wird, wo es die letzten Tage noch einigermaßen aushaltbar war", beschwerte ich mich und wir stellten uns in die Schlange, die zum Glück nicht allzu lang war.
Ein leichtes Lachen war ihre einzige Antwort und sie kramte in ihrer kleinen Tasche nach den Karten für uns. Sie fand sie kurz bevor wir an der Reihe waren, nacheinander unsere Taschen auf den Tisch legen mussten und dann abgetastet wurden.
Kurz danach standen wir auch schon im Garderobenraum, der direkt unter dem Theatersaal lag. Dort war es nicht so überfüllt wie im großen Vorraum, von dem eine kleine Treppe auf die Ebene des großen Saals führte. Ich wartete auf Tine, die gerade unsere Jacken und Taschen in den schalldichten Raum hinter dem Theatersaal brachte, der für die Lehrer gedacht war, wenn sie eine Auszeit brauchten. Konnte ich auch vollkommen verstehen, denn die Vertrauenslehrer mussten von Anfang bis Ende bei der Party bleiben und wurden wahrscheinlich von zig Schülern angesprochen.
"Hallo Elea, schön dich wiederzusehen!", begrüßte mich plötzlich die Stimme von Herrn Simon, meinem ehemaligen Englischlehrer.
"Herr Simon, wie schön Sie wiederzusehen", lächelte ich ihm zu.
"Ach nenn' mich doch einfach Alexander", bot er mir plötzlich an und ich nickte ein wenig überrascht.
"Okay Alexander", meinte ich und war gespannt darauf, über was er mit mir reden wollte.
"Was hast du in den paar Jahren gemacht?", frage er mich und ich begann ihm von meiner Ausbildung zu erzählen und entschuldigte mich auch dafür, dass ich nie zum Frühlingsfest oder die Schule besuchen gekommen war, weil ich jeden Tag bis 16 Uhr in der Arbeit gewesen war.
"Hallo Elea und Alexander", grätschte Tine plötzlich in unser Gespräch ein, in das ich anscheinend so vertieft war, dass ich sie gar nicht kommen gehört hatte.
"Hallo Tine", begrüßte er sie mir einem kurzen Nicken und sie stellte sich neben mich.
"Wollen wir nach oben?", wandte sie sich mir zu.
"Gerne", stimmte ich ihr zu, ergriff ihre Hand und verschränkte ihre Finger mit meinen, bevor ich mich von meinem ehemaligen Englischlehrer verabschiedete.
Wir gingen auf die obere Ebene und ich sah mich nach weiteren bekannten Gesichtern um. Leider entdeckte ich auf die Schnelle niemanden und widmete meine volle Aufmerksamkeit Tine, die mich von der Seite musterte.
"Alles okay?"
"Ich wollte dich bloß noch mal an unsere Abmachung erinnern", erklärte sie mir mit einem ernsten Unterton in ihrer Stimme, obwohl sie eher peinlich berührt klang.
"Okay, ich werde mich dran halten, versprochen", versicherte ich ihr mit ein wenig Nachdruck. Sie sollte nicht denken, dass ich mich nicht an irgendwelche Regeln halten konnte, auch wenn es mir schwerfiel.
"Entschuldige, dass ich dich daran erinnern muss, aber es ist wichtig. Hier sind so viele Schüler und ich sollte nicht meine Autorität verlieren, indem ich mit meiner Freundin in aller Öffentlichkeit rummache", versuchte Tine mir klarzumachen, was sie aber nicht nötig hatte, weil ich sie verstand.
"Hey, ist schon okay, auch wenn es schwer wird, dir zu widerstehen", murmelte ich und grinste anzüglich, bevor meine Lippen kurz auf ihren landeten.
"Willst du schon reingehen?", wechselte sie schließlich das Thema.
"Ja klar und noch mal danke, dass du mir die Karte geholt hast, auch wenn ich den ganzen Abend bei den Lehrern rumhängen darf", beendete ich den Satz lachend.
Sie grinste: "Sei nicht zu vorlaut, immerhin gehöre ich auch zu ihnen."
"Na ja du bist ja auch nicht wie die anderen, du bist bei Weitem die schönste, intelligenteste und witzigste Lehrerin, die ich jemals kennengelernt habe."
Sie lächelte nur beschämt und strich sich die Haare hinter ihr rechtes Ohr, bevor sie ihre Lippen aufeinanderpresste. Als dann auch noch ihre Wangen Rot wurden, musste ich grinsen und zog sie einfach hinter mir her in den Saal.
Die schreiend laute Musik begrüßte uns zusammen mit dem lauten Bass und ich sah mich erst einmal kurz um. Alles war wie jedes Jahr, irgendwelche Stoffe, die über geometrische Rahmen aus Draht gespannt worden waren und von der hohen Decke viele Meter über unseren Köpfen hingen. Am DJ Pult stand ein junger Mann, der angeregt an den Reglern drehte und die wenigen Menschen in der Mitte des Saals zum Tanzen anspornte. Wirklich in Stimmung waren ich und Tine aber noch nicht, weshalb wir nur ein wenig mitwippten.
Von Zeit zu Zeit wurde es zum Glück voller und auch ein paar Lehrer konnte ich hin und wieder zwischen den ganzen Schülern entdecken. Tine und ich bewegten uns schon ausgelassener als zuvor und wir genossen unsere Zweisamkeit zwischen all diesen Menschen. Es war verrückt nach drei Jahren wieder in diesem Saal zu stehen. Bei dem Gedanken an das letzte Mal wurde mir heiß und ich musste mich bei dem Gedanken zusammenreißen, nicht dämlich zu grinsen. Es war wunderschön gewesen.
"Wollen wir kurz etwas zum Trinken kaufen und dann rausgehen?!", schrie mich Tine über die Musik hinweg an und ich stimmte ihr zu, woraufhin sie hinter die Bühne verschwand, um Geld zu holen.
Ich ging schon mal zur Bar, hinter der ein paar Leute vom Theaterrestaurant hin- und herrannten. Sie hatten sicher viel Stress bei all dem Andrang, den es gab, denn man durfte keine Getränke mitnehmen. Für Lehrer gab es sicher eine Ausnahme, schließlich passten sie hier auf und hatten das alles organisiert.
Plötzlich tauchte Tine mit ihrem Geldbeutel neben mir auf. Eigentlich wollte ich nicht, dass sie für mich bezahlte, weil ich ihr nicht auf der Tasche hängen wollte, aber sie hätte sicher meinen Geldbeutel mitgenommen, wenn es ihr etwas ausgemacht hätte, für mich zu bezahlen.
"Ein Wasser und eine Orangenlimonade bitte!", brüllte sie den Typen ihr gegenüber an, der wahrscheinlich nichts verstand und einfach nur gut im Lippenlesen war.
Wir stellten uns nach draußen und lehnten uns an das Betongeländer der Treppen. Nach dem ersten Schluck meiner Limonade fühlte ich mich schon viel besser. Tine war ein bisschen Rot im Gesicht und wahrscheinlich sah ich genauso aus. Mein Outfit war jedoch nicht so bedeckt wie Tines, die eine schwarze, enge Jeans zusammen mit einem schwarzen Langarmshirt trug. Ich konnte mir gar nicht vorstellen, wie heiß es ihr - vor allem in meiner Anwesenheit - sein musste.
"Hallo Elea, Hallo Tine", sprach uns plötzlich Herr Sutor an, der mein damaliger Geschichtslehrer war.
Er hatte sich als eine Art Ritter verkleidet, zumindest ließen sein unechtes Kettenhemd, der Plastikhelm und die Rüstung darauf schließen.
"Hallo, wie geht es Ihnen?", begrüßte ich ihn.
"Ganz gut und dir? Was machst du denn hier?"
"Ja mir auch. Tine hat mich eingeladen, also bin ich ihre Begleitung", lächelte ich und tastete nach ihrer Hand, die kurz danach in meiner lag.
Seine Augen weiteten sich kurz und er grinste danach wissend. "Na sieh mal einer an, die ehemalige Schülerin hat sich die begehrteste Lehrerin der Schule geschnappt."
"Ach hör doch auf Christian", lachte sie und ich war irgendwie erleichtert, dass er es so locker auffasste.
"Wie lange seid ihr denn schon zusammen? Und natürlich herzlichen Glückwunsch", fragte er neugierig nach.
Ich sah Tine ein wenig überfordert an. Unser Verhältnis während meiner Schulzeit durfte auf keinen Fall erwähnt werden, was mir sicher irgendwie passiert wäre, denn wenn ich nervös wurde, dann redete ich sehr viel.
"Also ... ähm ... wir", stottere ich, bis Tine das Wort übernahm.
"Wir haben uns vor Kurzem wiedergetroffen und, na ja, dann hat es irgendwie gefunkt", erzählte sie und das war ja eigentlich auch die Wahrheit.
Herr Sutor nickte anerkennend und teilte uns dann mit, dass er sich wieder auf den Weg machen würde.
Wir verabschiedeten uns kurz und ich atmete erleichtert aus. Ich war unglaublich froh, dass Tine das Sprechen übernommen hatte und nicht ich. Trotzdem machte ich mir Sorgen, dass es jetzt die große Runde bei ihr im Kollegium machen würde und sie dadurch Nachteile hatte. Oder dass irgendwer annahm, dass sie noch während meiner Schulzeit mit mir zusammen gewesen war.
"Hey, was ist los?" Sie sah mich besorgt an und ich schluckte schwer. Sollte ich es ihr sagen? Dann hätte ich wahrscheinlich den Abend verdorben, weil sie dann darüber nachdenken würde.
"Nichts, alles okay", rang ich mich zu einem Lächeln durch und nahm zwei große Schlucke aus meiner Flasche.
"Wir können auch später darüber reden, wenn du willst", sie küsste mich kurz und drückte bestärkend meine Hand.
"Danke. Können wir gleich wieder rein?"
"Gerne, lass mich bloß noch fertig trinken."
Nachdem wir die Flaschen geleert und abgegeben hatten, gingen wir zurück in den Theatersaal. Die Luft war heiß und die Stimmung ebenfalls. Die Masse an Schülern tobte zur Musik und ich fühlte mich sofort wohl, vor allem, weil Tine bei mir war. Zusammen gingen wir weiter in die Mitte der Tanzfläche, wo wir durch die ganzen anderen eng aneinandergepresst wurden. Meine Hände legten sich wie selbstverständlich auf ihre Hüfte und ihre legten sich auf meine Schultern.
Es war so schön mit ihr zu tanzen, weil es sich anfühlte, als würden wir die Bewegungen, die die andere als Nächstes machen wollte, kennen. Als hätten wir eine seelische Verbindung, die uns ohne Worte kommunizieren ließ. Vielleicht sollten wir das öfter machen, einfach nur das Leben für einen Moment vergessen und Spaß haben. Obwohl mir meine jetzige Situation niemals besser hätte gefallen können.
Ich liebte Tine und sie mich, besser konnte es nicht sein.
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