Kapitel 51

Der erste Tag der vorletzten Schulwoche war zu Ende und ich machte mich auf den Weg nach Hause. Der letzte Unterrichtsblock war aufgrund der Hitze in den Klassenräumen ausgefallen und ich hatte Tine Bescheid gegeben, dass ich früher zu Hause sein würde. Sie hatte mir jedoch geantwortet, dass sie schon in der Wohnung war und auf mich wartete. Das war aber nicht wirklich überraschend, weil vor allem die Stunden der letzten zwei Schulwochen mehr als oft ausfielen oder zu Kurzstunden wurden.

Ich war froh, nach dem kurzen Weg nach Hause endlich in die kühle Wohnung zu kommen. Es war nicht mal Mittag und die komplette Innenstadt fühlte sich an wie Sauna. Vor allem wehte kein bisschen Wind, was es nur noch schlimmer machte.

"Bin da", gab ich mit erhobener Stimme von mir und schlüpfte währenddessen aus meinen Sneakern.

"Hi, willst du Eis?", begrüßte mich Tine und bei ihrer Frage wurde ich hellhörig.

Ich ging sofort die wenigen Schritte in die Küche, aus der die Stimme gekommen zu sein schien. Ich behielt recht, denn meine Freundin saß am Küchentisch mit einer beinahe leeren Schüssel und einem Glas kalten Wasser, an dem schon feine Tropfen kondensiert waren, vor sich.

"Hast du welches gekauft?", wollte ich neugierig wissen, obwohl es wegen der Schale eigentlich klar war.

Wir hatten selbst bei dieser Hitze so gut wie nie Eis im Gefrierfach, was mich jedes Mal aufs Neue enttäuschte, wenn ich nachsah. Das lag wahrscheinlich daran, dass wir beim Einkaufen irgendwie immer vergaßen, Eis mitzunehmen, weil es nur selten auf der Einkaufsliste stand und selbst wenn es das tat, dann hatten wir eigentlich nie eine Kühltasche dabei.

"Ja, ich dachte, dass es langsam mal wieder Zeit dafür wird", erwiderte sie und beobachtete mich bei meinem Tun.

"Welche Sorte?", fragte ich nebenbei, während ich mir eine Schüssel und einen kleinen Löffel holte.

"Haselnuss", sie lächelte, "aber ich habe auch noch Stracciatella, weil ich weiß, dass dir das besser schmeckt."

"Ich liebe dich", grinste ich und kam zu ihr, um ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen zu geben.

Dann holte ich mir die Packung meines Lieblingseises aus dem Gefrierfach und versuchte mit meinem Löffel ein paar Kugeln zu formen, die mir aber nicht mal ansatzweise gelangen. Ich verdrehte belustigt die Augen und zuckte dann resignierend mit den Schultern, bevor ich das Fach wieder schloss, um mich mit meiner Schale zu Tine an den Tisch zu setzen.

Ich sah sie abwartend an und sie schien für einen Augenblick nicht zu verstehen, was ich von ihr wollte.

"Wie war der vorletzte Montag in diesem Schuljahr?", fragte ich und sie verstand endlich, worauf ich mit meinem Blick hinausgewollt hatte.

"Freiarbeit und ein paar Zusammenfassungen von den letzten Themen, ansonsten haben wir nicht wirklich viel gemacht", erzählte sie und ich musste grinsen.

"Dasselbe haben wir heute auch gemacht", schmunzelte ich und aß einen Löffel von meinem Eis, das mir sofort auf der Zunge zerging.

Ich schloss kurz die Augen, um die cremige Nachspeise zu genießen, und Tine lächelte mich zufrieden an.

"Wie ich sehe, habe ich das Richtige gekauft", meinte sie und deutete mit einem leichten Nicken auf die Schüssel vor mir.

"Es ist fantastisch", gab ich zurück und nahm einen weiteren Löffel in den Mund.

Sie legte ihre freie Hand auf meine und verschränkte unsere Finger miteinander. Meine Hände kribbelten aufgeregt und mein Herz schlug für einen Moment schneller, bis es sich wieder ein bisschen beruhigte. Ich genoss jede Sekunde, in der sie mich berührte. Immer noch. Und daran würde sich auch nichts ändern.

Nachdem wir uns für eine kurze Zeit ins Bett gelegt hatten, weil wir wegen der dreißig Grad, die draußen herrschten, keine Motivation gehabt hatten, etwas zu machen, war die Mittagshitze etwas abgeklungen. Es war zwar immer noch warm, aber bei Weitem nicht so lange wie noch vor ein paar Stunden.

"Was haben wir eigentlich heute Nachmittag noch vor?", erkundigte ich mich.

Ich hatte den Drang, mich ein bisschen zu bewegen. Ich konnte nicht noch länger nur herumliegen.

"Also ich hätte da vielleicht eine Idee", deutete Tine an und ich war überrascht, dass sie schon etwas im Kopf hatte.

"Und die wäre?", hakte ich nach.

Ich hatte mich aus ihrer Umarmung gelöst, um sie anzusehen. Egal wie warm es war, wir kuschelten miteinander.

"Verrate ich dir nicht, aber zieh dir schon mal etwas Normales an. Ich hole kurz etwas aus dem Keller", lächelte sie und stand voller Elan auf.

Für einen Moment saß ich noch verwirrt im Bett, bevor ich ihr nachkam. Ich zog mich bis auf die schwarze Spitzenunterwäsche aus und suchte mir eine kurze Hotpants zusammen mit einem grauen Tanktop aus. Dadurch, dass die Ärmel weit ausgeschnitten waren, konnte man die verzierten Seitenteile meines BHs sehen.

Ich wartete gespannt in der Küche auf Tine, die schon nach kurzer Zeit vor mir stand. Sie hielt zwei Paar Inlineskater in den Händen und legte sie grinsend auf den Küchentisch.

"Die habe ich ja seit dem Umzug nicht mehr gesehen", lachte ich und griff nach einem meiner komplett schwarzen Schuhe.

Ich strich über das Plastik, das schon einige Schrammen und Kratzer hatte. Letzten Sommer war ich noch viel gefahren, aber irgendwie war ich dieses Jahr noch nicht dazu gekommen, obwohl Tine viel sportlicher war als Manuela.

"Ja, ich habe sie neulich erst durch Zufall wiedergesehen und als du mich vorher gefragt hast, ob wir heute noch was vorhaben, sind sie mir sofort ins Gedächtnis gekommen", erklärte sie.

"Und dir ist nichts Besseres eingefallen, was wir den Nachmittag über machen können?", fragte ich belustigt.

"Gefällt dir meine Idee nicht? Wir können auch was anderes -", begann sie, aber ich fiel ihr ins Wort.

"Nein, passt schon. Ich würde gerne mit dir Inliner fahren gehen", versicherte ich ihr.

Sie schien erleichtert zu sein und ihre warmen Augen strahlten.

"Dann können wir doch los?"

"Ja, aber warte noch kurz", bat ich sie und holte eine nicht allzu teure Flasche Wein aus unserem Alkoholschrank, die ich fast komplett in eine Thermosflasche füllte.

"Möchtest du mich abfüllen?", fragte sie lachend und deutete auf das Gefäß, das ich in einen Sportbeutel steckte, den ich sofort anzog.

"Natürlich, ich will nämlich nichts davon trinken", witzelte ich ironisch.

Tine lachte bloß und wir machten uns anschließend auf den Weg nach unten. Die Inliner würden wir erst auf dem Bordstein vor der Haustür anziehen, weil es sicher zu einem Unfall gekommen wäre, wenn wir mit ihnen die Treppe benutzt hätten.

"Ich hoffe, ich bin nicht zu sehr aus der Übung", lachte ich ein wenig besorgt, als wir uns gerade die schweren Rollerblades anzogen.

Sie hatte mir noch nicht verraten, wo genau wir hinfahren würden und wie lange es dauern würde. Ich hoffte, ich machte nicht auf halber Strecke schlapp.

"Wie lange bist du denn schon nicht mehr gefahren?", ächzte sie und hatte anscheinend Schwierigkeiten, in ihren linken Schuh zu kommen.

"Seit letztem Sommer nicht mehr, und du?"

"Das letzte Mal vor drei Jahren", lachte sie.

"Okay gut, das übertrifft mich. Du hast gewonnen", gab ich mich geschlagen und war dann auch endlich mit den letzten Anpassungen fertig.

Tine hingegen kämpfte noch immer mit ihrem linken Schuh, der nicht so wollte wie der rechte, den sie problemlos angezogen bekommen hatte.

"Soll ich dir vielleicht helfen?", bot ich ihr an und sie blickte erleichtert zu mir.

"Ja bitte", nahm sie mein Angebot an und einen Moment später drückte ich gegen den Schuh, was wegen der Rollen bei uns beiden ein bisschen kompliziert war, da ich drohte, abzurutschen.

"Endlich", stöhnte sie erleichtert, als der Schuh nach ein bisschen herumprobieren richtig saß.

Ich stand auf, während sie den Inliner noch schloss, und half ihr dann beim Hochkommen. Unsere Hände ließen sich jedoch nicht los, sondern wir verschränkten unsere Finger miteinander. Nicht nur, weil ich es liebte, wenn wir Hände hielten, sondern auch, weil wir uns gegenseitig ein bisschen stützten. Der Gehweg war zwar besser als das Kopfsteinpflaster der Straße, aber trotzdem noch unebenen genug, dass wir ein bisschen unsicher fuhren.

"Wohin fahren wir eigentlich?", fragte ich beiläufig, als wir endlich einen geteerten Radweg erreichten, auf dem wir eine Weile fahren konnten.

"Verrate ich nicht, aber es wird ein bisschen dauern", antwortete sie und wirkte ein wenig triumphierend, weil sie wusste, dass ich das Ziel wissen wollte.

Mit der Angabe, die sie mir gegeben hatte, hätten wir sonst wo hinfahren können. Die Gegenden um Ingolstadt herum - besonders die Vororte - waren recht ländlich und man brauchte ein bisschen Zeit dort hin.

Als wir nach ungefähr einer halben Stunde Fahrt aus dem Hauptteil der Stadt rauskamen, konnten wir auf der Straße fahren. Sie war wenig befahren und nur noch zweispurig, was gut mit dem Fakt, dass wir uns inzwischen ans Fahren gewöhnt hatten, zusammenspielte.

"Wann sind wir da?", fragte ich ein bisschen außer Puste.

Es war zwar angenehm warm und nicht zu heiß, aber das Inlineskates fahren wurde langsam anstrengend.

"Nur noch zehn Minuten", versicherte sie mir und schien trotz ihrer besseren Kondition auch etwas erschöpft zu sein.

Tatsächlich fuhren wir nur noch eine kurze Strecke, bevor wir an einer entlegenen Wiese ankamen. Das Gras reichte bis zu der Hälfte meiner Waden und ich konnte Grillen zirpen hören. Zwischen den verschiedenen, von der Hitze ausgetrockneten Gräsern konnte ich ein paar bunte Wildblumen mit kleinen Blüten erkennen. Sie wirkten wie kleine Farbspritzer in dem Gelb und Grün der anderen Pflanzen. Das goldene Sonnenlicht schmiegte sich an meine Haut und wärmte mich.

"Und hier wolltest du her?", fragte ich verwirrt nach und wollte sichergehen, dass das wirklich unser Ziel war.

"Ja, es wirkt gerade vielleicht ein bisschen uninteressant, aber wir müssen bloß ein bisschen durch die Wiese gehen und ein paar Stunden warten", erklärte sie und ich wusste noch nicht so ganz, worauf sie hinauswollte.

Dann begann sie, ihre Rollerblades auszuziehen, und ich tat es ihr gleich. Unsere Socken steckten wir gleich in die Schuhe und liefen dann barfuß durch die Wiese. Die Grashalme brachen unter unseren Füßen und piksten mich bei jedem Schritt leicht.

In ungefähr fünfzig Metern Entfernung konnte ich einen Hügel erkennen, auf den wir uns zubewegten.

Als wir endlich oben waren, ließ ich mich auf meinen Hintern fallen und legte die Inliner neben mir ab. Ich platzierte den Sportbeutel vor mir, öffnete ihn und die silberne Thermosflasche kam zum Vorschein. Tine ließ sich neben mir nieder und schnappte sich den Wein.

"Jetzt muss ich dich gar nicht abfüllen, du tust es sogar von selbst", lachte ich, als sie einen kleinen Schluck getrunken hatte.

"Sei doch leise", keuchte sie empört und drückte mir die Flasche protestierend in die Hand.

Ich nahm sofort einen Schluck und genoss den angenehm kühlen Wein, der meinen Hals hinunterlief.

Es wehte ein leichter Wind, der uns ein bisschen abkühlte und den typischen Geruch von Hochsommer verteilte. Von hier oben hatte man einen guten Ausblick auf die Umgebung, die nur aus Wiesen, geteerten Landstraßen und ein paar Feldern bestand. In ein paar hundert Metern Entfernung konnte ich sogar einen kleinen Wald erkennen, der sich mit seinem dunklen Grün von der Umgebung abhob. Das getrocknete Gras stach in meinen Hintern und meine Oberschenkel. Am Ende des Ausfluges würde ich sicher Abdrücke davon haben.

Die Stunden vergingen langsam und es wurde dunkel. Inzwischen lagen wir beide nebeneinander. Mein Kopf ruhte auf Tines Brust, die sich immer wieder hob und senkte, und unsere Finger hatten sich miteinander verschränkt. Die Luft um uns herum war immer noch angenehm warm, obwohl die Sonne am Horizont schon fast komplett untergegangen war.

"Wie findest du es?", fragte Tine und ihr Brustkorb vibrierte bei ihren Worten leicht.

"Also die Aussicht ist ganz nett", ärgerte ich sie ein bisschen.

Sie keuchte empört und stützte sich mit ihren Ellbogen auf, sodass mein Kopf von ihrer Brust rutschte, unsere Hände sich trennten und ich mich ebenfalls aufsetzte.

"Du bist so unaufmerksam, dass du dir noch nicht einmal den Himmel angeschaut hast." Sie wirkte leicht beleidigt, aber ich wusste, dass sie es nicht allzu ernst meinte.

"Ich bin nicht unaufmerksam, ich habe meinen Fokus nur auf etwas anderes gelegt", verteidigte ich mich, biss mir leicht auf die Unterlippe und warf einen Blick auf ihre Oberweite, den sie trotz der Dunkelheit erkennen musste.

"Ach ja?", hauchte sie und legte dann ihre Lippen auf meine.

Der Kuss war warm und ihr sanfter Atem streichelte meine Haut, was leicht prickelte. Ich streichelte mit meiner Hand vorsichtig über ihre Wange und sie legte ihre an meine Seite.

Dann löste sie sich von mir und raunte: "Kannst du jetzt deine Aufmerksamkeit dem Himmel widmen?"

Ich tat, was sie mir sagte, bevor ich mich in ihren dunklen Augen verlieren konnte, die immer so viel Liebe ausstrahlten.

Es war wunderschön.

Der Sternenhimmel erstreckte sich unendlich über uns. Die tiefe Schwärze der Nacht ließ die vielen Sterne nur so scheinen und wie kleine Diamanten wirken. Ich fühlte mich mit einem Mal so frei unter dem großen Universum. In diesem Moment schien die Zeit einfach nur stillzustehen und es gab lediglich mich und Tine.

Es überwältigte mich wie eine große Welle und ich spürte, wie eine Träne meine Wange hinunterlief.

"Deshalb hast du mich hierher gebracht", flüsterte ich ehrfürchtig.

Ich sah sie im Augenwinkel nur leicht nicken und wandte meine Aufmerksamkeit dann wieder komplett der Schönheit über mir zu.

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