Kapitel 50

Den restlichen Nachmittag und Abend hatten wir gestern mit Filmeschauen verbracht, weshalb Tine sich dazu entschlossen hatte, sich heute etwas zu bewegen. Sie hatte geplant, zum Baggersee eine Runde joggen zu gehen. Mich hatte sie aber nicht dazu überreden können, bei den Temperaturen da draußen Sport zu machen. Da blieb ich lieber in der Wohnung.

"Bis später", verabschiedete sich meine Freundin von mir.

Sie trug einen schwarzen Sport-BH und eine eng anliegende, graue Sporthose, die ihr bis zu der Mitte ihrer Oberschenkel reichte. Die Sachen standen ihr wirklich gut und mein Herz schlug allein bei ihrem Anblick deutlich schneller.

"Viel Spaß", wünschte ich ihr noch, gab ihr einen kurzen Kuss auf die Lippen und löste mich dann von ihr.

"Danke, bis später", lächelte sie motiviert und verließ dann die Wohnung.

Als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel, wandte ich mich von ihr ab und ging ins Schlafzimmer, wo ich mich umziehen wollte. Ich hatte nämlich immer noch eine kurze Schlafhose und ein lockeres T-Shirt an und Tine fand es sicher nicht so toll, wenn sie nach Hause kommen würde und ich immer noch dasselbe tragen würde wie nach dem Aufstehen. Außerdem würde Manuela bald auf einen Kaffee vorbeikommen und ich wollte ein bisschen ansehnlicher aussehen.

Letzten Endes entschied ich mich einfach für eine lockere Leinenhose, die ich aus Tines Sachen zog, und ein einfaches, schwarzes Spaghettiträgertop, das ziemlich eng anlag. Meine Haare band ich einfach zu einem lockeren, tiefen Dutt, der knapp über meinem Nacken saß, damit sie aus dem Weg waren. Außerdem entschied ich mich gegen irgendwelches Make-up, weil es bei der Hitze sicher schnell weggeschwitzt war und ich mein Gesicht deshalb dann nicht waschen konnte.

Plötzlich vibrierte mein Handy, das ich auf dem Bett hinter mir abgelegt hatte. Ich entsperrte es schnell und sah dann, dass Manuela mir geschrieben hatte. In ihrer Nachricht hatte sie bloß Bescheid gegeben, dass sie auf dem Weg war und bald bei mir sein würde.

Das war für mich der Anlass, schon mal Teller, Löffel und Tassen für uns im Wohnzimmer herzurichten, damit ich es nicht tun musste, wenn sie da war. Außerdem suchte ich mir eine von Tines Platten aus, die zum Anlass passen würde, und legte sie schon mal auf. In letzter Zeit hatten Tine und ich ziemlich viel Musik gehört, weil wir so viel zu Hause gewesen waren. Deshalb kannte ich mich ein bisschen besser in der Sammlung aus und wusste, was mir am besten gefiel und gleichzeitig zur Stimmung passte.

Während ich ein wenig durch die Gegend tänzelte, bemerkte ich gar nicht, wie die Zeit verging. Deshalb erschrak ich leicht, als es klingelte und ich Manuela die Haustür unten mit einem Knopfdruck aufsperrte. Währenddessen stellte ich mich schon mal in den Türrahmen der Wohnungstür und wartete darauf, dass sie die wenigen Stufen nach oben kam.

"Hallo", lächelte sie, als sie mir die letzten Schritte entgegenkam, doch es sah ein bisschen gequält aus.

"Hi", erwiderte ich und zog sie in eine kurze Umarmung, bevor wir in die Wohnung gingen und ich die Tür hinter uns schloss.

Manuela trug eine kurze schwarze Hotpants und darunter eine schwarze Strumpfhose, die schon ein paar Löcher und Laufmaschen hatte. Darüber hatte sie ein ehemals schwarzes, verwaschenes Bandshirt von irgendeiner Gruppe an, die sie schon seit Jahren hörte. Dazu ein paar alte, gleichfarbige Sneaker, die auch schon bessere Tage gesehen hatten.

"Willst du wie immer einen doppelten Espresso?", erkundigte ich mich, als ich schon halb auf dem Weg zur Küche war.

"Nein, einen Latte Macchiato", bat sie mich und hätte sie beinahe mit weit aufgerissenen Augen angestarrt.

Wenn sich irgendwas an ihrem Kaffeekonsum veränderte, dann war es ernst. Ich wusste zwar auch nicht, warum man sich so sehr selbst quälen wollte, dass man immer - zu jeder Tageszeit - nur einen doppelten Espresso trinken wollte, aber von Manuela kannte man es einfach nicht anders. Schon damals in der Realschule hatte sie dasselbe intensive Getränk getrunken. Nur Tiffany, Mareike und ich wussten, dass sie Kaffee, der viel Milch beinhaltete, nur trank, wenn sie emotional fertig war.

Ich kam ihrem Wunsch, so schnell es ging, nach und gesellte mich mit einer Tasse Kakao zu ihr auf die Couch. Im Hintergrund spielte ein Lied von Elvis und Manuela schien ziemlich in ihren Gedanken versunken gewesen zu sein, als ich mich neben sie setzte. Sie war jedoch schnell wieder in der Realität angekommen, als ich ihr die Tasse gereicht hatte.

"Wie geht es dir? Gibt es schon etwas Neues von Quentin?", erkundigte ich mich vorsichtig und nahm einen Schluck von meinem Kakao.

Sie schüttelte bloß den Kopf und seufzte schwer, bevor sie ebenfalls ein bisschen von ihrem Kaffee trank.

"Das tut mir leid", murmelte ich und verzog bemitleidend meinen Mund zu einem traurigen Lächeln.

"Es ist einfach alles so scheiße und kompliziert." Sie schien verzweifelt und wütend zu sein, denn sie gestikulierte mit ausschweifenden Bewegungen, bevor sie ihr Gesicht in ihren Händen vergrub.

"Du solltest ihn einfach vergessen, auch wenn das im Moment unmöglich scheint", meinte ich und schluckte schwer.

"Ich weiß, aber ich hoffe immer noch ständig, dass er plötzlich anruft oder vor meiner Tür steht und uns eine letzte Chance gibt", murmelte sie durch ihre Hände hindurch.

Zwischen ihren Fingern tropfte schon eine kleine Träne durch und landete auf der schwarzen Nylonstrumpfhose.

"Denkst du denn, dass er jemals bei irgendwem so etwas machen würde?", wollte ich wissen.

"Vielleicht bei Leuten, die er schon lange kennt, aber bei mir sicher nicht. Für ihn bedeutet betrügen, dass die Beziehung vorbei ist", erklärte sie. "Trotzdem hoffe ich, dass er zurückkommt."

Der letzte Satz hätte auch von mir im Bezug auf Tine sein können. Ich verstand, dass sie nicht wollte, dass es endete.

"Vielleicht solltest du wieder mal ein bisschen feiern gehen? Dann triffst du hoffentlich jemanden und kommst schneller über ihn hinweg. Außer natürlich, du willst nicht, dann ist das auch okay, aber wenn du nur zu Hause bleibst und dich nicht mal nach draußen bewegst, dann wird es schwer, neue Leute kennenzulernen", schlug ich vor und versuchte, ihr begreiflich zu machen, dass sie ihr Leben nicht so weiterführen konnte, in der Erwartung, dass sich von selbst etwas ändern würde.

"Ich weiß, aber hätte ich dasselbe zu dir gesagt, dann wärst du doch auch lieber zu Hause geblieben. Du könntest dir niemanden außer Tine bei dir vorstellen. Du willst niemand anderen."

Bei diesem Vergleich musste ich kurz überlegen, aber mir fiel schnell etwas ein, das ich erwidern konnte. Trotzdem hatte sie recht. Ich wollte niemand anderen mehr an meiner Seite außer Tine. Vor allem jetzt nicht, nachdem wir inzwischen mehrere Monate zusammen waren und meine Gefühle für sie nicht im geringsten schwächer geworden waren.

"Ich bin mir sicher, dass er nicht deine Tine war", behauptete ich.

"Warum nicht? Ich habe ihn sogar mehr geliebt als dich." Sie schien verwirrt zu sein und sah aus ihren Händen zu mir auf.

"Na ja, ich meine, für ihn war sofort Schluss, als er davon erfahren hat, dass wir miteinander geschlafen haben. Natürlich war es bei Tine und mir ähnlich, aber sie hat mir eine Chance gegeben, alles zu erklären. Natürlich ist es ein Fehler gewesen, bei dem eine Beziehung Zeit braucht, um darüber hinwegzukommen. Trotzdem beendet man doch nicht alles auf der Stelle, wenn man die Person wirklich liebt und den Rest seines Lebens mit ihr verbringen möchte", erklärte ich mich.

Diese Worte schienen sie ziemlich zu treffen, denn ein Schluchzen entfuhr Manuela und sie vergrub ihr Gesicht wieder in ihren Händen, deren Handinnenflächen wegen der verschmierten Wimperntusche schon dunkelgrau waren.

"Tut mir leid. Komm her", entschuldigte ich mich und forderte sie noch im selben Atemzug dazu auf, in meine Umarmung zu kommen.

Sie kam dem nach und ich schloss meine Arme fest um sie, um ihr Geborgenheit und Unterstützung zu geben. Es tat mir einfach nur leid.

"Du solltest nicht allein sein, sondern jemanden haben, der dich wirklich liebt. Du bist so ein schöner Mensch, immer ruhig und ausgeglichen, außerdem total witzig und immer für deine Freunde da. Wer könnte dich bitte nicht wollen?", versuchte ich, sie zu trösten.

"Du", murmelte sie.

"Bei mir ist es etwas anderes. Ich zähle nicht", schmunzelte ich.

Dann schwiegen wir für eine Weile und die Musik im Hintergrund war schon seit einer guten Zeit verstummt. Manuela hatte sich ein bisschen beruhigt, doch ich wusste, dass sie noch ihre Zeit brauchte, um wieder ein bisschen bessere Stimmung zu haben.

"Das Schlimmste ist, dass es meine Schuld ist." Dieser Gedanke hatte mich in letzter Zeit sehr oft gequält, vor allem wenn ich an Manuela gedacht hatte und wie schlecht es ihr ging.

"Nein, warum?" Meine Freundin löste sich aus der Umarmung und sah mich mit geröteten Augen an.

"Hätte ich nicht angefangen, dich zu küssen, dann wäre das alles nicht passiert und wir beide hätten nie Probleme mit unseren Beziehungen gehabt", schilderte ich ernst und wusste, dass es dagegen nicht wirklich irgendwelche Argumente gab.

Das war die Wahrheit. Hätte ich damals nicht diese dumme Entscheidung getroffen, dann wäre einfach alles gut.

"Aber ich habe mitgemacht. Außerdem warst du meinetwegen betrunken."

Ich wusste nicht, ob sie das sagte, weil es die Wahrheit war oder weil sie nicht wollte, dass ich mich so Schuld an der Situation fühlte.

"Ich hätte einfach nur einen Moment an jemand anderen außer mich denken sollen", seufzte ich schwer und griff nach meinem Kakao, den ich mit einem Mal zur Hälfte austrank.

Er war inzwischen eher lauwarm als irgendetwas anderes.

Manuela trank ebenfalls mehrere Schlucke von ihrem Latte Macchiato und sah mich dann selbstsicher an.

"Weißt du was? Wir lassen das alles einfach hinter uns. Es ist unnötig, ständig daran zu denken. Das wird alles schon wieder."

Für einen Moment war ich wegen ihres Stimmungsumschwungs verwirrt, musste dann aber lächeln. Das klang einfach zu sehr nach ihr.

"In Ordnung, wollen wir es mit irgendwas besiegeln? Ein Shot?", grinste ich.

"Vielleicht wäre es bei meinem mentalen Zustand nicht so gut, wenn ich etwas trinke, außerdem habe ich die letzten Tage etwas übertrieben", erzählte sie und ich sah sie tadelnd an.

"Du machst Sachen. Ich hoffe, dein Verhalten bessert sich in der nächsten Zeit", scherzte ich.

"Wie wäre es mit einem finalen Kuss?", fragte sie plötzlich.

"Hältst du das für eine gute Idee?"

"Alles hat mit einem Kuss angefangen, also sollte es auch mit einem enden. Natürlich nur auf platonischer Ebene", erklärte sie ihren Vorschlag.

"Okay", stimmte ich ihr zu und zuckte mit meinen Schultern.

Dann lagen unsere Lippen aufeinander, doch wir vertieften den Kuss nicht. Es waren einfach nur unsere warmen Lippen, die sich kurz und sanft streiften. Auch wenn es so simpel war, bedeutete diese Geste der Abschluss für einen Fehler, den wir beide - aber vor allem ich - begangen hatten.

Nachdem wir uns kurz danach voneinander gelöst hatten, mussten wir beide grinsen. Gemeinsam nahmen wir einen Schluck und Manuela verzog dabei ein bisschen das Gesicht.

"Ein Schuss wäre doch eine gute Idee. Der Kaffee ist einfach so nichtssagend", lachte sie und ich erkannte allein daran, dass es ihr besser ging.

"Ich sollte noch Whiskey von meinem 18. Geburtstag haben, den mir meine Eltern damals geschenkt haben. Diese kleine Flasche. Ich weiß nicht, ob du dich noch daran erinnern kannst, aber ich habe sie nie geöffnet."

Ich lief schnell in die Küche, um dort neben dem Wein, Wodka, einer Flasche Sekt und Sex on the Beach besagten Alkohol zu finden. Auf der Flasche stand mit goldenem Edding ein Geburtstagsgruß in der ordentlichen Schrift meiner Mutter geschrieben.

"Gefunden", lächelte ich, als ich das Wohnzimmer wieder betrat.

"Fantastisch", erwiderte Manuela erfreut und reichte mir sofort ihre Tasse.

"Wie ich höre, hast du dir was von Kiss ausgesucht", schmunzelte ich, als ich im Hintergrund eines ihrer Lieder hörte.

Ich kannte den Namen akut nicht, aber es war eines ihrer eher unbekannteren Lieder, wie mir Tine eines Tages erklärt hatte.

"Darauf, dass der Kaffee jetzt besser schmeckt", grinste Manuela und stieß ihre Tasse gegen meine.

Ich kommentierte das Ganze nur mit einem Lachen und trank einen Schluck. Ich hatte nicht viel reingekippt, damit Tine nicht bemerkte, dass ich etwas getrunken hatte.

Nach einer Weile waren unsere Tassen beide leer und Manuela stand wieder mit ihren Schuhen angezogen vor mir.

"Danke für alles", murmelte sie, als sie mich umarmte, und ich erwiderte die Geste sofort.

"Ich bin dir auch dankbar, dass wir das alles hinter uns lassen können", lächelte ich.

Dann lösten wir uns voneinander und kurze Zeit später stand ich allein im Wohnzimmer. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, bis Tine zurückkam, also legte ich mir eine neue Platte ein.

Gerade als ich ein bisschen zu ihr tanzen wollte, hörte ich den Schlüssel im Schloss der Wohnungstür. Fröhlich lief ich in den Flur und stand meiner verschwitzten, roten Freundin gegenüber.

"Und, wie war es?", erkundigte ich mich und sie schien noch ein bisschen außer Atem zu sein.

"Anstrengend, aber gut", lächelte sie. "Wie war es mit Manuela?"

"Quentin hat sich immer noch nicht gemeldet, aber sie versucht jetzt, das Ganze hinter sich zu lassen", erzählte ich ihr das Gröbste. Sie musste ja nicht jedes Detail von Manuelas Problemen wissen.

"Oh, das tut mir leid", murmelte sie und seufzte.

"Das wird schon wieder", versicherte ich ihr und lächelte bestärkend.

Dann kam sie auf mich zu und küsste mich sanft. Sie roch ein bisschen nach Schweiß und ihrem Deo, das sie immer benutzte, aber das störte mich nicht. Selbst diesen Geruch mochte ich auf eine seltsame Art und Weise.

Als wir uns lösten, fiel mir die Musik aus dem Wohnzimmer wieder ein, die immer noch spielte, und ich sah Tine abwartend in die kastanienbraunen Augen, bis sie es bemerkte.

"Du hast Musik an?", fragte sie neugierig, weil wir sonst nur gemeinsam welche im Hintergrund spielen ließen.

"Ja, kommst du mit ins Wohnzimmer?", forderte ich sie auf und sie kam dem natürlich nach.

Ich ging zum Plattenspieler, stoppte ihn und suchte etwas in ihrer Sammlung. Sie sah mir neugierig vom Sofa angelehnt aus dabei zu, wie ich durch die verschiedenen Umschläge blätterte. Als ich endlich das gefunden hatte, was ich gesucht hatte, stellte ich mich so hin, dass sie nicht sehen konnte, welche Platte ich einlegte.

Einen Moment später erklang 'Put Your Head On My Shoulder' von Paul Anka. Tine schien sofort hellhörig zu werden, und ich ging ein paar Schritte auf sie zu.

"Darf ich dich um einen Tanz bitten?", fragte ich höflich, wobei ich ein Grinsen unterdrücken musste, und reichte ihr meine Hand.

"Natürlich", lächelte sie glücklich und ergriff sie sofort.

Sie platzierte eine Hand auf meiner Schulter und die andere verschränkte ihre Finger mit meinen. Ich legte meine noch freie an ihre Taille und zog sie damit zu mir.

"Wie bei deinem Abschluss", lächelte sie und ich legte meine Lippen bestätigend auf ihre.

"Bloß das konnten wir nicht machen", schmunzelte ich und einen Moment später küsste sie mich noch mal.

Als wir uns voneinander lösten, legte ich meinen Kopf auf ihrer Schulter ab und genoss ihren warmen Körper, der sich an meinen schmiegte. Sanft bewegten wir uns im Takt der Musik und ein erleichtertes Seufzen kam von ihr.

"Ich liebe dich", hauchte ich an ihr Ohr.

"Ich liebe dich auch", erwiderte sie sanft.

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