Kapitel 46

Das letzte Wochenende war inzwischen schon fast eine Woche her und trotzdem konnte ich nicht aufhören, ständig daran zu denken. Ich konnte mich immer noch nicht entscheiden, welcher Teil des Kurzurlaubs mir am besten gefallen hatte. Das Baden bei Regen, das Schaumbad zum Aufwärmen danach, der Sex auf der Wiese oder die Rückfahrt, auf der wir den restlichen Pudding mit einer Plastikgabel aus einer Tupperdose gegessen hatten, während irgendein modernes Lied im Radio gelaufen war, das wir beide unter normalen Umständen einfach nur gehasst hätten. Spätestens jetzt hatte ich keine Zweifel mehr an der Beziehung von Tine und mir. Ich hoffte, dass es ihr auch so ging.

"Elea?", fragte Tine plötzlich und riss mich damit aus den Gedanken.

"Ja?" Ich hoffte, dass ich nicht zu verwirrt klang und sie deshalb bemerkte, dass ich ihr die letzten Minuten nicht zugehört hatte.

"Soll ich die Wassermelone aufschneiden, die ich vorher gekauft habe?", schlug sie vor und sah mich abwartend an.

"Ja gerne, aber schneide sie zu Dreiecken. Du weißt ja, wie es das letzte Mal geendet hat, als wir sie mit Löffeln gegessen haben", lachte ich und erinnerte mich noch gut an vorgestern Nachmittag.

Ich hatte beim Versuch ein großes Stück Melone herauszulöffeln zu viel Kraft aufgewendet und war dann ausgerutscht. Damit hatte ich Tine fast skalpiert, die neben mir gesessen hatte. Jetzt hatte sie auf ihrem linken Brustansatz einen dunkelroten Strich, um den sich ein grünlicher Fleck gebildet hatte.

"Natürlich weiß ich das noch, ich sehe es ja jeden Tag", beschwerte sie sich und stand von der Couch auf, um in die Küche zu gehen.

Ich hingegen lehnte mich kurz zurück und genoss für einen Moment die Zeit für mich. Dabei bemerkte ich erst, dass es schon acht Uhr war und die goldenen Strahlen der untergehenden Sonne durch die Fenster im Wohnzimmer fielen. Zum Glück war heute Samstag und wir konnten den Tag bis spät in die Nacht genießen und mussten nicht schon gegen elf Uhr ins Bett, damit wir morgen einigermaßen ausgeschlafen waren.

"Da bin ich wieder", kündigte Tine sich an, als sie wieder ins Wohnzimmer kam.

Sie hielt einen großen Teller in der Hand, auf dem die Wassermelonendreiecke lagen, den sie auf dem Couchtisch abstellte. Ich schnappte mir sofort ein Stück und Tine sah mich beleidigt an, weil sie noch nicht mal saß.

"Danke", grinste ich zuckersüß und biss ein bisschen von meiner Melone ab.

Meine Freundin ließ sich neben mir fallen, legte ihren Kopf auf meiner Schulter ab und griff ebenfalls nach einem Stück. Ich spürte, wie sie kaute und plötzlich aufhörte. Sie führte zwei Finger an ihren Mund und hielt einen Moment später einen schwarzen Kern in der Hand, den sie auf den Teller zurückwarf. Einen Moment später biss ich ebenfalls auf etwas Hartes und seufzte.

"Das ist das Einzige, was mich an Melonen stört. Sie schmecken zwar gut und sind total erfrischend, aber diese vielen Kerne. Wer hat sich das ausgedacht?", kommentierte ich genervt.

"Das frage ich mich auch immer", lachte Tine und platzierte noch einen Kern auf dem Teller.

Als wir gerade ungefähr bei der Hälfte unserer Stücke angekommen waren, hörte ich plötzlich mein Handy klingeln. Verwundert setzte ich mich auf, wobei Tines Kopf von meiner Schulter rutschte, weshalb sie genervt und erschrocken brummte.

"Was ist los?", fragte sie verwirrt.

"Warum werde ich um die Uhrzeit angerufen?"

"Ist das denn so ungewöhnlich?" Sie schien es noch nicht wirklich zu verstehen.

"Ich habe meine Freunde gebeten", ich stand währenddessen auf und lief in die Küche, "mich nur anzurufen, wenn es ein Notfall ist, weil ich sonst auch ziemlich schnell auf Nachrichten reagiere."

Ich hatte Glück, dass mein Handy immer noch klingelte, als ich es auf der Arbeitsfläche liegen sah. Ich hielt es mir so schnell ans Ohr, dass ich ganz vergessen hatte, nachzusehen, wer mich überhaupt anrief.

"Ja?", fragte ich gehetzt.

"Elea?" Ich erschrak, als ich erkannte, wer da am anderen Ende der Leitung war.

"Manuela?!"

"Ich weiß, du wolltest erst mal Abstand von mir und nichts mehr von mir hören, aber", sie schluchzte laut, "aber ich brauche dich gerade wirklich."

Sie schien wieder in Tränen auszubrechen und ich versuchte, die richtigen Worte für sie zu finden.

"Okay, wo bist du gerade? Du kannst sicher zu uns kommen. Tine kann ich schon irgendwie überzeugen, mach dir da keine Sorgen", redete ich beruhigend auf sie ein.

"Ich stehe vor eurem Haus auf dem Bürgersteig." Das kam unerwartet.

"Oh okay ... warte kurz, ich lasse dich gleich rein", versicherte ich ihr und wartete noch einen Moment, bis ich auflegte.

"Danke", wimmerte sie noch und legte dann auf.

Ich legte mein Handy etwas zu schwungvoll wieder auf die Arbeitsfläche, sodass es ein unschönes Geräusch von sich gab. Dann ging ich schnell ins Wohnzimmer, wo Tine mich fragend ansah und anscheinend zu warten schien, dass ich ihr sagte, worum es in dem Gespräch ging.

"Manuela kommt jetzt her", fast hätte sie mich unterbrochen, doch ich redete schnell weiter, "ich weiß, dass du nicht begeistert von ihr bist, aber sie braucht mich gerade."

Ich konnte nicht erkennen, ob sie schockiert oder verletzt war oder es akzeptierte. Fast hätte ich versucht, sie zu überreden, doch dann nickte sie seufzend. Es schien okay für sie zu sein.

"Danke", brachte ich noch hastig hervor, ehe ich aus der Wohnung, die Treppe runter zur Haustür hastete.

Dann stand Manuela plötzlich wenige Meter von mir entfernt auf dem Gehweg. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und dir Haare, die ihr Gesicht umrahmten, waren ebenfalls komplett nass und klebten an ihrer Haut. Sie sah schrecklich aus und ich wollte am liebsten gar nicht wissen, was so einen ruhigen und starken Menschen wie Manuela so zerstörte.

"Hey", begrüßte ich sie mit sanfter Stimme und sah sie bemitleidend an.

"Elea", schluchzte sie und fiel in meine Arme, die ich leicht ausgebreitet hatte.

"Alles wird gut Manuela, aber lass uns zuerst reingehen und dann erzählst du mir alles", redete ich beruhigend auf sie ein und löste mich nach einiger Zeit vorsichtig von ihr.

Gemeinsam gingen wir zu mir und Tine in die Wohnung, die schon auf uns wartete. Sie stand im Flur und der Ausdruck in ihrem Gesicht wurde automatisch weicher, als sie Manuela sah. Sie sagte jedoch so lange nichts, bis ich und meine Ex-Freundin auf der Couch saßen.

"Soll ich dir vielleicht einen Tee oder Kaffee machen?", fragte sie Manuela fürsorglich und sah sie bemitleidend an.

Es bedeutete mir unglaublich viel, dass Tine sich zurückhielt und über ihre Missgunst gegenüber meiner Freundin hinwegsah. Dafür liebte ich sie in diesem Augenblick wirklich sehr.

"Ein Früchtetee wäre gut", wimmerte sie und meine Freundin ging sofort in die Küche.

Ich war mir sicher, dass sie das als Vorwand nahm, um uns ein bisschen Privatsphäre zu geben.

"Also, was ist passiert?", fragte ich vorsichtig und hoffte, dass das nicht zu früh war.

Meine Vermutung bestätigte sich jedoch, als die junge Frau erneut in Tränen ausbrach und ich sie daraufhin wieder in meine Arme schloss. Manchmal fiel es mir schwer, die richtigen Worte zu finden, was gerade der Fall war. Ich beschloss einfach zu warten, bis sie von selbst sprach, weil ich sie zu nichts drängen wollte.

"Ich habe den Tee", kündigte sich Tine an und stellte die Tasse vorsichtig auf den Couchtisch vor uns.

"Danke", hauchte ich, weil ich wusste, dass Manuela gerade zu sehr weinte, um ein richtiges Wort herauszubekommen.

Tine wusste zuerst nicht, wohin mit sich, bis ich ihr andeutete sich neben mich zu setzen. Sie tastete sich langsam mit ihrer Hand vor und streichelte dann behutsam über Manuelas Oberschenkel. Sie wirkte trotzdem ziemlich hilflos, doch es ging mir nicht anders, weil ich nicht mehr tun konnte, als sie zu umarmen und abzuwarten, bis sie redete.

"Willst du nicht einen Schluck trinken?", fragte ich und zu meiner Überraschung spürte ich Manuelas Nicken.

Ich ließ langsam von ihr ab, sie setzte die Tasse an und trank einen Schluck, bevor sie sie wieder abstellte. Sie atmete noch einmal tief durch, ehe sie anscheinend bereit war, mit der Sprache rauszurücken.

"Also ich ... ich hab Quentin davon erzählt", presste sie hervor und ich sah sie überrascht an.

"Anscheinend ist es nicht gut gelaufen", stellte ich fest.

Manuela nickte und bestätigte somit auch das, was sie mir bei unserem letzten Treffen erzählt hatte.

"Er hat gesagt, dass ... dass ich ekelhaft bin und er mi- mich nie wieder ... sehen will", schluchzte sie und brach dann wieder in Tränen aus, weshalb sie ihr Gesicht in ihren Händen vergrub.

Ich war überfordert damit, was ich ihr sagen sollte. Wie konnte ich sie wieder aufmuntern und ihr Hoffnung machen?

"Vielleicht braucht er jetzt erst mal Zeit, um das alles zu überdenken. Die hat Tine auch gebraucht und jetzt wird alles langsam wieder besser."

"Aber, was wenn nicht?", warf sie ein, bevor ich weiterreden konnte.

"Elea, vielleicht sollte ich ein bisschen mit ihr reden? Dann weiß sie, wie sich Quentin wahrscheinlich fühlt", schlug Tine vor und ich sah sie überrascht an.

"Okay, danke", hauchte ich meiner Freundin zu, ehe wir Plätze tauschten.

Ich lehnte mich zurück und atmete tief durch, während sie sich Manuela zuwandte. Für einen Moment schien sie sich die Worte im Mund zurechtzulegen, um der jungen Frau irgendwie zu helfen.

"Als Elea es mir gesagt hat, wollte ich sie zuerst auch am liebsten nie wieder sehen. Aber ich habe irgendwann gemerkt, dass ich nicht ohne sie kann, weil ich sie liebe. Das hat zwar ein bisschen gedauert, aber Quentin muss sich sicher auch erst seiner Gefühle klar werden und ob er auf Dauer darüber hinwegsehen kann."

Ihre Worte rührten mich und ein leichtes Lächeln schlich sich auf meine Lippen.

"Und wenn er mich nicht genug liebt?", schluchzte Manuela.

"Das weißt du doch nicht. Gib ihm einfach Zeit. Die habe ich auch gebraucht, auch wenn ich Elea wirklich sehr liebe." Das ermutigende und einfühlsame Lächeln, das auf Tines Lippen lag, konnte ich deutlich heraushören, obwohl ich nicht ihr Gesicht sehen konnte.

"Okay", hauchte Manuela und nickte kaum merkbar.

Für einen Augenblick herrschte eine Stille, in der niemand von uns wusste, was wir sagen sollten.

"Also ... ich weiß, dass das zu viel verlangt ist, aber kann ich heute bei euch schlafen? Ich will nicht alleine sein", fragte meine Ex-Freundin vorsichtig und es schien, als würden sie diese Worte viel Überwindung kosten.

Tine und ich warfen uns einen kurzen Blick zu und ich hoffte, dass sie sah, wie viel es mir bedeuten würde.

Dann nickte sie plötzlich. "Natürlich. Du kannst bleiben, wenn es dir damit besser geht."

"Danke", weinte Manuela und umarmte meine Freundin vor Erleichterung.

Ich schmunzelte bei dem Anblick belustigt und wartete, bis sie sich wieder lösten.

"Ich hole mal eine dünne Decke", gab ich Bescheid, bevor ich schnell im Schlafzimmer verschwand und sie aus dem Schrank holte.

Als ich zurückkam, hatten sich beide voneinander gelöst und Manuela trank ihren Tee fertig, während Tine den Teller mit den Melonen in den Händen hielt, um ihn wahrscheinlich wegzuräumen.

"Danke", murmelte die junge Frau leicht lächelnd, als ich die Decke auf der Couch ablegte.

"Kein Problem", meinte ich und erwiderte ihr Lächeln.

Dann legte sie sich hin, nachdem sie mir die Tasse überreicht hatte. Tine und ich gingen langsam in Richtung Tür und machten das Licht aus, nachdem wir das Zimmer verlassen hatten. Die Tür schlossen wir ebenfalls, um Manuela ein bisschen Privatsphäre zu geben, und damit die Geräusche aus der Küche abgedämpft wurden.

"Tut mir leid, dass ich dich in das reingezogen habe", entschuldigte ich mich.

"Nein, muss es nicht. Irgendwie sind wir da alle drinnen. Außerdem hat sie mir echt leidgetan und mich ein wenig an dich erinnert, als du es mir erzählt hattest", lehnte sie ab.

Wir räumten in der Weile das Geschirr in die Spülmaschine und aßen nebenbei noch die restlichen Melonenstücke.

"Trotzdem danke. Ich wusste echt nicht, was ich ihr sagen sollte."

"Leider wusste ich es", murmelte Tine und ich seufzte leicht.

Ich haderte kurz mit mir, ob ich sie darauf ansprechen sollte, weil das Thema eigentlich geklärt war, aber ich wusste nicht, ob es zu irgendeinem Zeitpunkt passender war als jetzt.

"Wie geht es dir jetzt eigentlich damit?", fragte ich vorsichtig.

Meine Freundin sah zu mir auf und in ihren Augen schimmerten Tränen, die im Licht der Arbeitsplattenbeleuchtung glänzten.

"Es ist manchmal noch schwer und ich habe Angst, dass ich es nicht mehr vergessen kann, sondern immer daran denken muss", hauchte sie und versuchte dabei kläglich, ihre Stimme fest wirken zu lassen.

"Tut mir leid, ich wollte dir das alles nicht antun. Du bist die Frau, die ich für immer lieben werde und ich kann mir nicht mal vorstellen, wie du dich fühlen musst." Ich spürte, dass ich auch kurz davor war, zu weinen.

"Ich wünsche es dir nicht, dafür liebe ich dich zu sehr. Aber ich verspreche dir, dass wir das wieder hinbekommen. Alles wird gut", versicherte sie mir, während eine Träne über ihre Wange rollte.

"Ich verspreche es dir auch."

Dann küsste ich sie kurz, bevor ich sie umarmte und ihren wunderbaren Duft nach Sheabutter und Mandelmilch einatmete. Ich hatte immer noch große Angst, sie noch mehr zu verletzen und damit zu verlieren. Sie war mir wichtiger als alles andere in meinem Leben und ich wusste, dass ihr das auch so ging.

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