Kapitel 42

Nachdem wir am Dienstag Abend endlich wieder miteinander geschlafen und uns somit unserer Anziehung hingegeben hatten, waren wir an den zwei Folgetagen viel ausgeglichener. Ich hatte vor, sie am Nachmittag, wenn sie von der Schule kam, in das versteckte Café einzuladen, in dem ich vor einigen Wochen zusammen mit Tiffany, Mareike und Manuela gewesen war. Wir wollten eigentlich schon seit Langem dort einen Kaffee trinken gehen, aber irgendwie waren wir nie dazu gekommen.

Ich wartete schon seit einer halben Stunde auf sie, weil sie heute eine Konferenz wegen irgendeiner Schulsache - vielleicht der letzten Noten - hatte. Sie sollte aber innerhalb der nächsten viertel Stunde nach Hause kommen. Ich hatte in der Zwischenzeit schon geduscht, mich leicht geschminkt und einen dunkelblauen Jumpsuit angezogen. Er hatte lange Hosenbeine, die fast bis auf den Boden reichten und keine Ärmel, sondern nur breite Träger an den Schultern. Er stand mir wirklich gut und ich mochte die Geradlinigkeit.

Plötzlich wurde ich beim Betrachten meines Spiegelbildes im Schlafzimmer durch das Geräusch des Schlüssels im Schloss der Wohnungstür unterbrochen. Aufgeregt ging ich in den Flur und stand Tine gegenüber, die ein bisschen fertig wirkte.

"Was soll denn diese Aufmachung? Haben wir ein Date, von dem ich nichts weiß?", fragte sie und ihre Stimmung erhellte sich sofort.

"Sozusagen", grinste ich und ging die letzten Schritte auf sie zu.

Dann nahm ich ihre Hände in meine und zog sie an mich. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus und sie schien aufgeregt auf meinen Plan zu warten.

"Du wolltest doch mal in dieses Café gehen, in dem ich mit Tiffany, Mareike und Manuela war. Ist zwar schon ein bisschen länger her, aber wenn du immer noch Lust hast, dann könnten wir heute da hingehen", schlug ich vor und gegen Ende wurde ich ein bisschen nervös.

Vielleicht hatte sie auch keine Lust und wollte sich nach der Besprechung einfach nur hinlegen, was ich sehr gut verstehen konnte. Jedoch unterbrach sie mich, noch bevor ich weiterdenken konnte.

"Ja, sehr gerne", stimmte sie meinem Vorschlag zu und nickte bestätigend.

"Möchtest du dich noch umziehen gehen?", fragte ich vorsichtshalber noch mal nach.

"Das wollte ich gerade sagen, ich brauche fünf Minuten", gab sie mir noch Bescheid, bevor sie sich von mir löste und in Richtung Schlafzimmer verschwand.

Ich musste nicht lange warten und schon kam sie wieder zu mir zurück. Sie trug ihr weißes Sommerkleid, das sie zuletzt an ihrem Geburtstag getragen hatte. Meine Mundwinkel schnellten bei ihrem Anblick automatisch nach oben und ich sah, dass sie beschämt auf den Boden blickte.

"Du bist wunderschön", brachte ich meine Gedanken zum Ausdruck und sah sie verliebt an.

"Danke, du auch", erwiderte sie und kam zu mir.

Einen Moment später lagen unsere Lippen aufeinander und ich zog sie an mich. Ihr warmer Atem streichelte meine Haut und ich konnte ein zufriedenes Seufzen nicht zurückhalten.

"Ich hole schnell meinen Geldbeutel aus dem Rucksack", meinte sie, doch ich hielt sie zurück, bevor sie irgendetwas machen konnte.

"Nein, ich lade dich heute ein. Ich will nicht, dass du immer für mich bezahlst", bestand ich darauf, für uns beide zu bezahlen und sie einzuladen.

"In Ordnung", gab sie belustigt seufzend von sich und zog sich ihre Sandaletten aus Leder an.

Ich zog mir meine schwarzen Schuhe mit wenig Absatz an, die ich damals auch in Berlin hatte und seitdem nur noch dreimal getragen hatte.

"Wenn du schon darauf bestehst, für uns beide zu zahlen, dann tu wenigstens mein Handy in deine Tasche. Ich will es nicht ständig herumtragen", bestimmte sie und ich nahm es einfach hin, indem ich ihr Handy in meiner schwarzen Umhängetasche verstaute.

Dann verließen wir die Wohnung und gingen in die Mittagshitze nach draußen. Einerseits liebte ich den Sommer, aber andererseits waren mir dreißig Grad an mehreren Tagen hintereinander dann doch zu warm. Zum Glück war unsere Kleidung aus dünnen, luftigen Stoffen gemacht, die zuließen, dass ein leichter Hauch über die Haut strich, wenn man ging.

Von unserer Wohnung aus brauchten wir zum Glück nicht so lange, wie als wir damals von meiner Schule aus zum Café gegangen waren. Das war der Grund, weshalb wir schon nach zehn Minuten vor dem kleinen Haus standen. Tine musterte die von blühenden Kletterpflanzen gezierten Rankgitter und versuchte dann, einen Blick durch die großen Fenster zu erhaschen. Dann entdeckte ich plötzlich das kleine Schild mit den Namen des kleinen Ladens: Marthas Café.

"Es sieht sehr schön aus", kommentierte sie den Anblick, der sich ihr bot.

"Warte ab, bis wir drinnen sind", lächelte ich und ich zog sie an unseren verschränkten Händen leicht in die Richtung des Eingangs.

Als wir den Raum durch die Holztür betraten, kam uns der Geruch von Kaffee entgegen. Es roch himmlisch und ich schloss für einen Moment die Augen, atmete tief durch und ließ alles auf mich wirken.

"Wo wollen wir uns hinsetzen?", fragte Tine mich mit gedämpfter Stimme und sah mich an.

"Da links am Fenster ist noch ein Tisch für zwei Leute frei", schlug ich vor und deutete auf die Plätze, auf denen das letzte Mal, als ich hier war, ein älteres Paar gesessen hatte.

"Dann nehmen wir den", stimmte Tine meinem Vorschlag zu und wir gingen gemeinsam dort hin.

Wir setzten uns gegenüber auf die bequemen Holzstühle und nahmen die Speisekarten in die Hand. Ich blätterte ein wenig herum und hatte mich am Ende für ein Stück Schokokuchen und einen Eiskaffee entschieden. Mein Blick wanderte über den oberen Rand der Karte zu Tine, die noch gespannt die verschiedenen Gerichte studierte.

Plötzlich wurde das angenehm ruhige Gemurmel der anderen Gäste von der freundlichen Stimme der älteren Dame übertönt: "Wisst ihr denn schon, was ihr wollt?"

"Ich denke, ich nehme den American Apple Pie zusammen mit ein bisschen Sahne und einem normalen Kaffee", sagte sie nachdenklich mit dem Blick auf den Seiten vor ihr und sah dann auffordernd zu mir.

"Ich hätte gerne einen Schokokuchen und einen Eiskaffee", lächelte ich die Frau an und sie notierte sich alles auf einen kleinen Notizblock, bevor sie wieder ging.

Dann legten Tine und ich unsere Karten beiseite, um uns gegenseitig wieder die Aufmerksamkeit zu schenken.

"Wie gefällt es dir?", fragte ich sie gespannt.

"Es ist wirklich schön hier und auch gar nicht so voll, wie ich es um die Uhrzeit erwartet hätte. Danke, dass du mich eingeladen hast." Sie lächelte mich an und nahm meine Hände in ihre.

"Das ist schön. Wir können das gerne öfter machen, wenn du willst?", schlug ich ihr vor und ich wusste, dass ihre Antwort ein Ja sein würde.

"Unbedingt."

"Wie war eigentlich die Konferenz? Du sahst ein bisschen mitgenommen aus, als du nach Hause gekommen bist", wechselte ich das Thema.

"Wir haben bloß über die Abschlussprüfungen geredet - alles organisiert und über die Umsetzung gesprochen. Allein das war schon anstrengend, weil es eigentlich jedes Jahr dasselbe ist: Wie sollen wir die Plätze auslosen? Wie schaffen wir es, dass die Schüler während der Prüfungen nicht an einem Hitzeschlag sterben? So was halt", lachte sie.

"Aber das klingt jetzt gar nicht mal so schlimm", wandte ich ein.

"Das war es auch nicht, aber im Lehrerzimmer war es unglaublich heiß und lüften konnten wir auch nicht, weil es draußen noch wärmer war als drinnen", erklärte sie und lächelte erschöpft.

"Bei uns in der Schule war es nicht anders", ich musste bei dem Gedanken an meine Klassenkameraden, die sich Fächer aus ihren Arbeitsblättern gefaltet hatten, lachen, "wir haben so Glück gehabt, dass wir schon um halb zwei aus hatten. Länger hätten wir sicher nicht durchgehalten. Mir tun bloß die Leute aus der zweiten Gruppe leid, die heute statt unten im Werkraum im Keller zu sitzen, in der heißen Turnhalle Sport hatten. Das hätte ich nicht geschafft."

Bevor sie antworten konnte, kam plötzlich die ältere Frau zusammen mit einem Tablett an den Tisch und verteilte unsere Bestellung.

"Dankeschön", brachten wir beide noch hervor, bevor sie uns einen guten Appetit wünschte und wegging.

"Das sieht wirklich gut aus", kommentierte meine Freundin ihren American Apple Pie.

"Warte, bis du es probiert hast", grinste ich und biss mir dann auf die Lippe.

"Kann ich dann auch was von deinem Eiskaffee und dem Kuchen probieren?"

"Klar, aber nur, wenn ich auch ein bisschen von deinem bekomme."

Schon hatte sie sich an meinem Stück Kuchen bedient und genießerisch die Augen geschlossen. Ein zufriedenes Lächeln erschien auf ihren Lippen und es schien ihr zu schmecken.

"Der ist so gut", murmelte sie mit schokoladigem Mund und ich schnaubte kurz belustigt.

"Schön, dass du ihn vorgekostet hast." Ich verdrehte spielerisch meine Augen und teilte mir mit meiner Kuchengabel ein Stückchen ab, das ich mir in den Mund schob.

Wie Tine schon gesagt hatte, schmeckte es himmlisch. Sie lächelte mich einfach nur glücklich an und schien mir fairerweise den ersten Bissen von ihrem Pie abzugeben. Das ließ ich mir natürlich nicht entgehen und schon schmeckte ich die Süße und ein wenig Säuerlichkeit der Äpfel.

"Schmeckt auch gut, aber ich mag meinen lieber", grinste ich triumphierend und trank mit einem Strohhalm dann einen Schluck von meinem Eiskaffee.

Das kühlte mich ein bisschen ab und ich war sehr froh, dass ich mir keinen normalen Kaffee oder eine heiße Schokolade bestellt hatte.

Für eine kurze Zeit herrschte eine angenehme Stille zwischen uns, die guttat, weil wir kurz zur Ruhe kommen konnten. Aber ich bemerkte, dass Tine mir etwas sagen wollte, weshalb ich auch kein Gespräch begann.

"Was ich dich noch fragen wollte", begann sie und machte eine kurze Pause, "hast du am Wochenende schon etwas vor?"

"Nein, warum?", fragte ich verwirrt und war gespannt, worauf sie hinauswollte.

"Also ... ich dachte mir, dass wir uns vielleicht ein bisschen Zeit für uns nehmen und mal von daheim wegkommen könnten", murmelte sie und stocherte dabei in einem Stück Apfel herum.

"Was meinst du damit?"

"Ich würde gerne mit dir über das Wochenende in eine Berghütte an einem See fahren im Allgäu. Sie liegt zwar etwas abseits von der nächsten Siedlung, soll aber total schön sein und -"

Bevor sie weiterreden konnte, unterbrach ich sie und sah ihr mit Nachdruck in die Augen.

"Das ist eine schöne Idee. Wann fahren wir?", lächelte ich und die Anspannung in ihrem Gesicht verflog augenblicklich vor Erleichterung.

"Morgen nach deiner Schule würden wir losfahren. Die Fahrt dauert ungefähr zweieinhalb Stunden, also sollten wir noch vor sechs da sein, wenn wir keine Stopps machen", erklärte sie mir und ich hörte ihr aufmerksam zu.

Es machte mich glücklich, dass sie so oft Sachen spontan plante, weil sie wusste, dass ich eher ein Mensch war, der alles langfristig machte und nicht so sprunghaft war. Mein Herz klopfte mal wieder aufgeregt gegen meine Brust und ich musste einfach lächeln.

"Klingt perfekt, dann müssen wir aber noch heute alles packen", meinte ich.

"Macht es dir nichts aus, dass es so spontan ist? Ich weiß, dass ich dir früher hätte Bescheid geben sollen, aber ich habe gestern Abend erst die Zusage bekommen und dachte, dass ich dich vielleicht überraschen kann", wollte sie wissen und ich schüttelte leicht den Kopf, weil sie so süß war, wenn sie besorgt war und sich Gedanken machte.

"Das ist mir egal. Ich würde auch heute Abend nach Australien fliegen, solange du dabei wärst. Mit dir würde ich bis ans Ende der Welt reisen", versicherte ich ihr und streichelte mit meinen Fingern leicht über ihre, die am Henkel ihrer Tasse ruhten.

"Danke", hauchte sie, sah zu mir auf und schenkte mir ein Lächeln.

Mein Blick verschmolz mit ihrem und ich sah in ihre kastanienbraunen Augen, die mich immer wieder aufs Neue in ihren Bann zogen. Dann waren da noch ihre Haare, die immer so unglaublich weich waren, wenn ich sie durch meine Finger gleiten ließ. Oder ihre Haut, die im Winter zwar recht hell war, sich aber über den Sommer bräunte und einen gesunden Teint annahm. Sie war immer noch so perfekt wie damals in Berlin, als ich realisiert hatte, dass ich sie liebte, und es wirkte so unecht, dass sie mir gerade gegenübersaß. Es war ein Augenblick, der aus einem Liebesfilm hätte stammen können.

Doch das tat er nicht, denn er war echt und ich liebte mein Leben dafür, dass ich dieses Geschenk bekommen hatte.

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