Kapitel 38
Nachdem ich mich ständig von der einen zur anderen Seite gedreht hatte, legte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Meine Gedanken hielten mich wach und ich beschloss, dass ich mich ein wenig bewegen musste. Ich konnte nicht einfach weiter so neben Tine liegen, die anscheinend keine Probleme beim Schlafen zu haben hatte. Das verwunderte mich aber nicht, schließlich war ich jetzt bei ihr und sie war sich sicher, dass zwischen uns wieder alles gut war.
Vorsichtig setzte ich mich auf und schob die dünne Sommerdecke beiseite. Ich rutschte langsam zur Bettkante, um meine Füße möglichst geräuschlos auf den Boden zu setzen, damit ich aufstehen konnte. Ich schlich zur Schlafzimmertür, die immer offen war, und drückte die Klinke nach unten, damit es nicht laut klickte, wenn ich sie schloss. Als ich in der Küche stand, atmete ich tief durch. Ich war so konzentriert gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, wie ich gespannt die Luft angehalten hatte.
Ich schob einen Stuhl leise zurecht und setzte mich darauf. Ein Seufzen kam über meine Lippen und ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Es schien, als gäbe es für das Ganze keinen Ausweg.
"Was zur Hölle soll ich tun?", flüsterte ich wütend und fuhr mir durch die Haare.
Kaum hatten diese Worte meine Lippen verlassen, schon wanderte mein Blick zu unserem Alkoholschrank. Zwar war es mitten unter der Woche, aber ein bisschen Wein konnte mir nicht schaden. Vielleicht würden meine Gedanken dann endlich Ruhe geben und ich konnte einschlafen. Die Uhr an der Wand mir gegenüber zeigte schon halb zwei an und ich atmete genervt aus. Wie sollte ich in ein paar Stunden bitte wieder aufstehen?
"Scheiß drauf", murmelte ich, stand auf und öffnete die Tür möglichst leise.
Die Flaschen klapperten zwar wie üblich leicht, aber Tine schien davon nichts mitbekommen zu haben, sonst würde sie schon längst in der Küche stehen. Mit meinen Fingern wanderte ich über die verschiedenen Verschlüsse und suchte nach unserem billigsten Wein. Ich wollte nicht, dass meine Freundin wütend auf mich war, weil ich den für besondere Anlässe einfach nachts ohne einen für sie ersichtlichen Grund getrunken hatte. Ein Glas aus dem Schrank zu holen fand ich im Moment ein wenig zu riskant, weshalb ich einfach aus der Flasche trinken wollte.
"Sieht sie ja nicht", versicherte ich mir selbst ruhig, bevor ich den Schraubverschluss öffnete.
Die ersten Schlucke waren nicht gerade die besten, aber je mehr ich trank, desto erträglicher wurde es. Tine hätte mir wahrscheinlich einen langen und ausführlichen Vortrag darüber gehalten, dass ich den Wein davor in den Kühlschrank hätte stellen oder zumindest atmen hätte lassen sollen. Das war mir im Moment aber egal, ich wollte einfach nur, dass meine Gedanken verschwanden.
Durch den Wein schien es jedoch nicht besser geworden zu sein. Jetzt war ich betrunken und in meinem Kopf drehte sich alles nur noch um meinen Fehler.
Joggen.
Ich musste einfach ein paar Runden laufen gehen. Das machte Tine oft, wenn sie den Kopf freibekommen wollte.
Bevor ich überhaupt richtig darüber nachgedacht hatte, hatte ich mein Handy zusammen mit meinen Kopfhörern aus dem Wohnzimmer geholt, mir Schuhe angezogen und mit dem Schlüssel in der Hosentasche die Wohnung verlassen. Es fiel mir ein wenig schwer, die Kopfhörer zu entwirren, aber letzten Endes steckte ich sie mit zwei kleinen Knoten einfach an. Das war gerade mein geringstes Problem.
"Überraschend warm", kommentierte ich gerade die angenehme Nachtluft, die sicher um die zwanzig Grad hatte.
Dann machte ich irgendein Lied an und lief los. Mir kam bis auf ein junger Mann mit seinem Hund niemand entgegen. So konnte man seine Nacht auch verbringen - Gassi gehen. Augenblicklich musste ich grinsen. Was genau daran jetzt witzig war, wusste ich auch nicht, aber trotzdem lachte ich eine Zeit lang über diese seltsame Begegnung. Wahrscheinlich hatte er es auch komisch gefunden, dass ihm um diese Uhrzeit noch eine Joggerin über den Weg lief. Kam sicher auch nicht so oft vor.
Bei der nächsten Bank, die unter einem Baum stand, machte ich kurz halt und atmete durch. Ich zog mein Handy schnell hervor und sah, dass es schon kurz nach halb drei war. Erschrocken starrte ich auf die Uhrzeit, blinzelte mehrere Male und wunderte mich darüber, dass es schon so spät war. Ich war fast eine Stunde draußen gewesen. Mir selbst kam es eher wie zehn Minuten vor. Wobei es mir hätte auffallen müssen, denn als ich rausgegangen war, hatte der Vollmond hell geschienen und jetzt war er schon wieder fast komplett hinter den Hausdächern verschwunden.
"Fuck", keuchte ich, als mir einfiel, dass ich in ein bisschen mehr als drei Stunden aufstehen und in die Schule gehen musste.
Schnell orientierte ich mich und rannte wieder zurück. Ich war zum Glück nicht allzu weit von der Wohnung entfernt und sperrte knapp zehn Minuten später unsere Wohnungstür auf.
Gerade als ich die Tür beinahe geräuschlos hinter mir geschlossen hatte, erklang die Stimme einer anderen Person.
"Wo warst du?", fragte Tine.
Ich konnte nicht heraushören, ob sie wütend, besorgt oder erleichtert war.
"Joggen", antwortete ich ihr und versuchte, selbstsicher zu klingen, was aber nicht so gut funktionierte.
"Um fast drei Uhr nachts, mit einer halben Flasche Wein intus und Flip-Flops?", wollte sie wissen und ich realisierte, dass sie mir es nicht abkaufen würde, wenn ich irgendeine Ausrede erfand.
Außerdem hatte ich selbst bis gerade eben nicht wirklich bemerkt, dass ich Flip-Flops getragen und wirklich eine halbe Flasche Wein getrunken hatte.
"Ja", antwortete ich bloß eingeschüchtert.
"Elea, was ist los mit dir? Du verhältst dich so seltsam und hast auch alle meine Annäherungen abgewiesen."
Ich schwieg und starrte sie einfach nur an, während ich innerlich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stand. Was sollte ich ihr bloß sagen?
"Elea, bitte. Sag mir, was passiert ist. Habe ich etwas falsch gemacht?", holte sie mich plötzlich wieder aus meinen Gedanken.
"Nein!", fiel ich ihr ins Wort, bevor sie sich noch mehr die Schuld an dieser Situation geben konnte.
"Woran liegt es dann? Du brauchst keine Angst zu haben, ich bleibe bei dir und wir haben doch ausgemacht, dass wir uns alles erzählen." Sie klang immer verzweifelter und wenn es nicht so dunkel gewesen wäre, dann hätte ich sicher den glasigen Schimmer ihrer Augen erkennen können.
"Wenn du das getan hättest, was ich getan habe, dann hättest du auch Probleme dabei, es mir zu sagen", murmelte ich und ich hätte mich für diese Worte am liebsten selbst geschlagen.
Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich musste es ihr sagen.
"Wenn du mir nicht erzählst, was passiert ist, dann kannst du es doch nicht so sicher wissen", versuchte sie, mich zu ermutigen.
"Würde es dir leicht fallen, mir zu erzählen, dass du mit deinem Ex geschlafen hast?", fragte ich und sie verstummte.
"Was?" Ihre Stimme zitterte, aber nicht, weil sie wütend war.
"Ich habe mit Manuela geschlafen", hauchte ich und klang dabei ziemlich monoton.
Für einen Moment fühlte ich mich unglaublich leer und gefühlslos. Ich wusste aber nicht, ob es am Alkohol oder der Situation lag.
"Du hattest Sex mit Manuela?", fragte sie und ich hörte deutlich, dass sie weinte.
"Ja", flüsterte ich beschämt und schluckte schwer.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte, weshalb ich auf sie zuging und umarmen wollte, aber sie stieß mich von sich.
"Fass mich nicht an!", fauchte sie schluchzend und ich wich verletzt von ihr.
"Es tut mir leid", brachte ich noch über die Lippen, bevor mir ein leises Schluchzen entglitt.
"Wie konntest du mir das bloß antun? Wie konntest du uns das bloß antun?!", weinte sie und ich hörte, wie wütend und verletzt sie war.
Mein Herz brach und ich realisierte schon wieder, was ich getan hatte. Warum war ich nur so dumm gewesen? Warum konnte ich nicht einmal in meinem scheiß Leben etwas richtig machen?!
"Ich habe doch gesagt, dass es mir leidtut!", schluchzte ich und glitt mit meinen Händen über mein Gesicht, bevor ich sie wütend in meinem Haaren vergrub und zu Fäusten ballte.
"Das ist mir egal! Du hast einfach mein Vertrauen missbraucht und es getan, obwohl dir sicher bewusst war, dass es mir mehr als alles andere wehtut. Hast du nicht einmal an mich gedacht? Wie es mir damit gehen könnte!?", warf sie mir vor und ich schluckte schwer.
"Mir ist erst danach klar geworden, was ich überhaupt gemacht habe. Ich war betrunken, okay?", versuchte ich, mich zu verteidigen, aber ich wusste, dass es dafür keine Rechtfertigung gab.
"Wie kann man sich nur so wenig unter Kontrolle haben!?", fluchte sie und ich hörte ein leichtes Schleifen, was entstand, weil sie sich an der Wand abstützte.
"Es ...", zuerst wollte ich mich schon wieder entschuldigen, aber ich ließ es, "ich wünschte, ich könnte es ändern."
"Kannst du aber nicht."
Ich atmete zitternd ein und aus, bevor ich mich an der Wand herabsinken ließ. Sie sagte eine Weile nichts und ich hörte bloß ihr Schluchzen, was ein Stechen in meiner Brust verursachte.
"Wie oft?", fragte sie wie aus dem nichts.
"Ein Mal."
Ich zog meine Knie an die Brust und vergrub mein Gesicht in ihnen. Meine Hände glitten durch meine Haare und zogen wieder an ihnen.
"Und jetzt?", murmelte ich leise.
Für einen Moment verstummte sie, bevor sie sich mir zuwandte. "Was?"
"Was machen wir jetzt?", fragte ich etwas lauter.
"Ich weiß es nicht, aber vielleicht sollten wir ein bisschen Abstand halten", sagte sie und ich sah sofort zu ihr.
"Wie meinst du das?"
"Wir sollten vielleicht eine Pause machen und du solltest fürs Erste auf der Couch schlafen", murmelte sie und mir traten sofort Tränen in die Augen.
Es klang, als würde sie mit mir Schluss machen.
"O- okay", stotterte ich überrumpelt und nickte energisch, bevor ich wieder in Tränen ausbrach und meinen Kopf wieder auf meine Knie sinken ließ.
"Ich hole deine Sachen", gab sie mir beinahe flüsternd Bescheid.
Ich hörte nur ihre gedämpften Schritte, die sich von mir wegzubewegen schienen, aber nach kurzer Zeit kam sie wieder zurück. Sie ging jedoch nicht zu mir, sondern ins Wohnzimmer. Etwas schwerfällig erhob ich mich und folgte ihr. Vom Türrahmen aus beobachtete ich, wie sie im Schein des Mondes und der Straßenlaterne das Kissen und die Decke ordentlich herrichtete. Obwohl sie mich gerade nicht weniger lieben könnte, machte sie mir das Bett.
"Danke", flüsterte ich und ich wusste nicht, ob sie es überhaupt gehört hatte.
Sie sagte nichts und ging einfach an mir vorbei, ohne mich auch nur eines Blickes zu würdigen. Ich nickte bloß resignierend und ging langsam zur Couch. Ich ließ mich sinken und zur Seite auf die in der Mitte gefaltete Decke fallen. Dann liefen mir plötzlich wieder Tränen über das Gesicht und ich schluchzte leise. Es wurde von Mal zu Mal lauter und ich vergrub mein Gesicht im Kissen, damit Tine mich nicht hörte.
Dieser Schmerz in meinem Herzen war viel schlimmer als alles, was ich bis jetzt gefühlt hatte. Vor drei Jahren hätte ich mir nicht vorstellen können, dass es etwas gab, das sich schrecklicher als unerwiderte Liebe anfühlte. Doch jetzt konnte ich es, ich spürte es. Es war, wenn man seine große, erwiderte Liebe verlor und selbst daran schuld war.
"Fuck", murmelte ich in das Kissen und sah dann kurz auf.
Ich hatte keine Ahnung, wie ich das alles wieder hinbekommen sollte. Was konnte ich tun, um Tine zurückzugewinnen? Sie würde es mir nie verzeihen und mich verlassen. Dann müsste ich mir eine Wohnung suchen und weil ich niemand anderen nach ihr lieben konnte, würde ich alleine sterben. Manche würden sicher sagen, dass ich übertrieb, aber allein, dass ich Manuela nie so sehr geliebt hatte wie Tine, obwohl das letzte Treffen mit ihr zu dem Zeitpunkt schon fast drei Jahre her gewesen war, sagte schon einiges aus.
Außerdem wusste ich nicht, ob ich in ein paar Stunden überhaupt zur Schule gehen konnte. Meine Gedanken drehten sich nur noch um Tine und meine Konzentration wäre am Boden. Ich würde auch viel zu wenig Schlaf bekommen und wahrscheinlich gleich in der ersten Stunde einschlafen. Wie sollte ich bloß meine Tränen zurückhalten, die mir jetzt schon fast den Atem raubten? Jeder würde mich ansehen und mich dann fragen, ob alles okay wäre. Meine Freundinnen würden sich wieder Sorgen machen und Mareike würde mich sicher dazu überreden, ein paar Tage zu ihr zu ziehen, bis sich alles gelegt hatte und ich wieder nach Hause konnte.
Es schien einfach alles verloren zu sein und ich weinte mich die nächste Stunde in den Schlaf, während ich mich in meine Decke krallte. Wie sollte ich das alles nur hinbekommen?
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top