Kapitel 26

Mein Unterricht war gerade zu Ende und ich hatte mich von meinen Freunden verabschiedet. Es war Donnerstag und ich wollte zu Tine in die Schule fahren. Einerseits, um sie zum Eisessen einzuladen, und andererseits wollte ich ein paar Lehrer besuchen gehen. Seit Montag war sie mit dem Fahrrad in die Schule gefahren, weil das Wetter dazu einlud, Zeit draußen zu verbringen, und sie mehr Sport machen wollte.

Ich zog mich nicht um, sondern ließ die Sachen an, die ich in der Schule getragen hatte, weil ich die weiße, luftige Bluse in Kombination mit der dreiviertel Jeans wirklich mochte. Meinen Rucksack tauschte ich jedoch gegen die schwarze Umhängetasche ein, die ich damals auch in Berlin dabeigehabt hatte. Zusammen mit meinem Geldbeutel und meinem Handy im Gepäck, lief ich in den Keller, um mein Fahrrad zu holen.

Der Weg zur Schule würde ungefähr eine viertel Stunde dauern. Im Gegensatz zu meiner Schulzeit musste ich wirklich nicht weit fahren. Von meinen Eltern aus hatte ich immer vierzig Minuten gebraucht. Das war der Grund gewesen, weshalb ich mich nur selten dazu bewegen konnte, mit dem Fahrrad in die Schule zu kommen. Auch, wenn die Strecke an sich ganz schön war. Sie führte an der Donau entlang und dann am Stadtpark vorbei. Danach konnte man neben einer mehrspurigen Straße fahren, an deren Seiten in regelmäßigen Abständen Bäume gepflanzt worden waren.

Als ich ankam, schloss ich mein Fahrrad an einem der Ständer ab. Es war ein kleiner Platz, der von Büschen und Bäumen eingezäunt war und geteert worden war. Er lag ein bisschen weiter vom Schulgebäude weg. Der Parkplatz für die Autos lag auf der anderen Seite in der entgegengesetzten Richtung. Das Wetter war sommerlich und nur kleine Wolken zierten den Himmel. Es war ziemlich warm, aber zum Glück trug ich eine luftige Bluse.

Weil ich mich beim Fahren so beeilt hatte, hatte ich noch knapp eine viertel Stunde Zeit, bevor Tine mit ihrem Kurs aufhören würde. Mein Weg führte in den ersten Stock, wo das Lehrerzimmer lag. Ich hatte die Hoffnung, auf einen Lehrer zu treffen, den ich kannte. Ich wusste leider nicht, wer jetzt noch in der Schule war. Die meisten verließen das Schulgebäude direkt nach dem Unterricht und blieben nicht lange. Das konnte ich aber gut verstehen, weil man normalerweise nicht länger als nötig in der Schule bleiben wollte.

Ich klopfte an die dicke Tür zum Lehrerzimmer und wartete aufgeregt, bis mir irgendwer öffnete. Eine mir unbekannte, junge Lehrerin mit getöteten Wangen und erdbeerblondem Haar öffnete mir die Tür und sah mich fragend an.

"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragte sie mich verwirrt, weil sie mich wahrscheinlich noch nie unter den Schülern gesehen hatte.

"Sind Herr Simon, Herr Sutor, Frau Olsen oder Frau Brünnlein da?", erkundigte ich mich freundlich bei ihr.

"Warte einen Moment. Ich sehe nach", gab sie mir Bescheid, bevor sie wieder im Lehrerzimmer verschwand und die Tür sich hinter ihr schloss.

Das blieb sie aber nicht lange, denn einen Moment später stand Frau Olsen vor mir. Sie schien erfreut und gleichzeitig verwundert zu sein. Wahrscheinlich hatte sie nicht erwartet, mich so schnell wiederzusehen, da es nicht mal zwei Wochen her war, dass wir uns während des Frühlingsfests getroffen hatten.

"Hallo Elea, schön dich wiederzusehen. Was führt dich hierher?", begrüßte sie mich lächelnd.

"Ich hole bloß Tine ab, aber ich dachte mir, dass ich gleich beim Lehrerzimmer vorbeischauen kann, um kurz mit jemandem zu reden."

"Da freut sie sich sicher. Es ist lieb, dass du an uns gedacht hast. Leider sind die anderen, nach denen du gefragt hast, schon nach Hause gefahren", erklärte sie mir.

"Ja, das dachte ich mir schon fast. Wie geht es Ihnen eigentlich?"

"Gut, die Ferien nächste Woche waren auf jeden Fall langsam nötig, aber habe ich dir bei unserem letzten Treffen nicht das Du angeboten?"

"Nein?" Völlig überrascht sah ich sie an. Damit hatte ich nicht gerechnet.

"Na dann, du kannst mich ab jetzt ruhig duzen, also Franziska", bot sie mir an und ich nickte bloß anerkennend. "Und wie geht es dir?"

"Mir geht es wirklich gut. Die Schule läuft und auch im Privaten ist alles perfekt", grinste ich.

"Das freut mich wirklich, zu hören."

Eine kurze Stille herrschte, bevor wir beide gleichzeitig das Wort ergreifen wollten und wir uns beide entschuldigend ansahen.

"Sie - du - kannst zuerst", bat ich sie.

"Also, ich würde mich gerne verabschieden, auch, wenn wir nicht gerade lange geredet haben. Ich muss los, sonst verpasse ich meinen Zug", lächelte sie entschuldigend.

"Kein Problem, ich wollte mich auch verabschieden. Ich muss langsam zu Tines Raum, sonst geht sie noch ohne mich", lachte ich.

"Na dann ist ja gut. Bis dann", lächelte sie und zog mich wie bei unserem letzten Treffen in eine Umarmung.

Diesmal erwiderte ich sie jedoch richtig, weil ich es schon irgendwie erwartet hatte, und verabschiedete mich noch mit einem 'Bis dann', bevor ich den Flur zum Pavillon entlanglief.

Die Tür von Tines Raum war zum Glück noch verschlossen. Ich lehnte mich an die grauen, metallenen Spinde gegenüber des Klassenzimmers und lauschte der gespenstischen Stille. Nur eine stark gedämpfte Stimme war zu hören und Tine schien ihnen gerade noch etwas zu erklären oder sich zu verabschieden. Ich ging aber von Letzterem aus, weil es kurz vor 14 Uhr war und sie immer pünktlich Schluss machte. Als es schließlich zum Ende der siebten Stunde klingelte, öffnete sich endlich die Tür und eine Gruppe Schüler kam aus dem Raum und verteilte sich in verschiedene Richtungen. Ein paar warfen mir fragende Blicke zu, sagten aber nichts, sondern wandten sich ab.

Im Zimmer selbst saßen nur noch ein paar wenige, die gerade auch zusammenpackten. Bis auf ein Schüler, der bei Tine am Pult stand und ihr beim Zusammensammeln der Arbeitsblätter half. Er erinnerte mich an mich selbst, wie ich damals immer noch ein paar Momente länger geblieben war, nur damit ich sie mit Tine allein verbringen konnte. Er lächelte sie durchgehend an und berührte beim Aufsammeln immer wieder aus Versehen ihre Hand.

Trotzdem machte ich die beiden nicht auf mich aufmerksam, sondern wartete, bis Tine und er eingepackt hatten und ihr Blick auf mich fiel. Ihr Mund verzog sich sofort zu einem Lächeln.

"Auf Wiedersehen Frau Lindner", sagte der Junge noch, bevor er mich fragend musterte und an mir vorbeiging.

"Bis nach den Ferien und danke fürs Helfen, Felix", verabschiedete sie sich und blieb bei mir stehen. "Was machst du denn hier?"

"Ich dachte, ich lade meine Freundin auf ein Eis ein", lächelte ich.

"Toll gedacht. Lass uns gehen", stimmte sie meinem Vorschlag glücklich zu und griff sofort nach meiner Hand.

Sie verschloss noch schnell den Raum, bevor wir uns auf den Weg zu unseren Fahrrädern machten. Sie standen witzigerweise nicht weit voneinander entfernt, obwohl ich beim Parken überhaupt nicht darauf geachtet hatte.

"Wo willst du denn überhaupt hin?", fragte sie mich nebenbei.

"Das siehst du schon", antwortete ich ihr bloß und schob das Fahrrad neben mir her.

Ich hatte mir eine süße Eisdiele in der Nähe der Schule ausgesucht, die auf dem Weg Richtung Stadt lag. Sie war an einer Ecke zu einer Nebenstraße und wir hatten vielleicht fünf Minuten Fußweg dort hin. Das Gebäude war in einem auffälligen Gelb gestrichen und die weiß-rot gestreiften Markisen machten das Ganze nicht unauffälliger.

Dort angekommen setzten wir uns lieber in den Innenbereich, weil es draußen nur so vor Bienen und Wespen wimmelte und der Großteil der Plätze schon besetzt war. Vor allem die im Schatten. Tine hatte sich mir gegenüber niedergelassen und als sie die Karte studierte, betrachtete ich sie genauer. Sie trug ein T-Shirt, auf das das Schullogo klein gedruckt war, mit einem tiefen V-Ausschnitt. Wenn man genau hinsah, konnte man erkennen, dass sie einen schlichten, weißen BH trug. Dazu trug sie eine hellblaue Jeans und weiße Sneaker.

"Wissen Sie schon, was Sie bestellen wollen?", fragte ein junger Kellner.

"Ja, also ich hätte gerne einen Früchtebecher", sagte Tine, woraufhin der Mann es notierte.

"Und ich bitte ein Spaghettieis, aber statt Erdbeer- hätte ich gerne Schokoladensoße", lächelte ich und legte die Karte beiseite.

"In Ordnung. Sonst noch etwas?"

"Nein, danke", schüttelte Tine den Kopf und schon war er verschwunden.

Eine Zeit lang sahen wir uns einfach nur um und betrachteten die vielen Fotografien von allem, was mit Eis zu tun hatte. Waffeln, Eisportionierer, Kinder mit Eis, verschiedene Eisdielen und Eiswägen zierten die Wände und komplettierten das Bild, das man von einer Eisdiele hatte.

"Was war das vorher eigentlich mit Felix?", fragte ich sie rein aus Neugierde.

"Ach nichts. Er scheint zwar ein wenig an mir interessiert zu sein, aber ansonsten ist da nichts", erklärte sie mir und bestätigte mir meine Vermutung.

"Dachte ich mir schon fast. Er hat mich sehr an mich selbst erinnert", schmunzelte ich.

"Ja, hat er mich auch. Deshalb bin ich erst davon ausgegangen, dass er mir schöne Augen macht. Davor dachte ich einfach, dass er nur hilfsbereit ist, bis mir aufgefallen ist, dass euer Verhalten sich ähnelt. Natürlich ist es nur eine Vermutung, aber ich habe ihn schon oft dabei erwischt, wie er mich angesehen hat, obwohl er Aufgaben zu bearbeiten hatte."

"Muss ich aufpassen, dass er dich mir nicht wegschnappt?", scherzte ich, obwohl ich wusste, dass Tine nur mich wollte.

"Na ja, man sieht ja, was aus uns geworden ist", lachte sie und nahm dabei meine Hand, die auf dem Tisch gelegen hatte.

Ihre Finger streichelten sanft über meine und ich lächelte sie einfach nur glücklich an. Es war so schön, mit ihr herumzualbern.

"Der Früchtebecher", unterbrach plötzlich die Stimme des Kellners unser intensives Schweigen.

"Für mich, danke", lächelte Tine und löste wieder ihre Hand von meiner.

"Das Spaghettieis mit Schokoladensoße."

"Dankeschön", bedankte ich mich und nahm das Eis glücklich an.

Ich hatte bis jetzt in diesem Jahr nur ungefähr zweimal Eis gehabt, was ein Rekord für mich war, denn normalerweise ging ich mindestens einmal in der Woche nach der Schule eines essen, wenn die Eisdielen nach der Winterpause gegen März wieder öffneten. Irgendwie war ich dieses Jahr nicht wirklich dazu gekommen, was wahrscheinlich auch an Tine lag, weil sie eher gesunde Dinge, wie einen Apfel einem Eis vorzog.

"Schmeckt es dir?", fragte ich und sie biss gerade von einem Stück Kiwi ab.

"Ja, das ist mein erstes Eis dieses Jahr", lachte sie und ließ gleich noch eine Erdbeere in ihrem Mund verschwinden.

"Dank dir bin ich bis auf zweimal auch noch nicht dazu gekommen", beschwerte ich mich grinsend und nahm mir den ersten Löffel.

"Wir können das gerne öfter machen", bot sie mir an.

"Du kannst mich jederzeit einladen. Was hast du eigentlich für Kugeln?"

Sie nahm von jeder Eissorte jeweils einen kleinen Löffel, bevor sie mir antwortete.

"Ananas, Erdbeere, Mango und das Hellrote sollte Wassermelone sein."

"Darf ich?", fragte ich freundlich und hatte mir schon ein bisschen Erdbeereis geklaut, bevor sie überhaupt antworten konnte.

"Ach, so funktioniert das", grinste sie und schon fehlte auch etwas von meinem Spaghettieis.

"Ey", beschwerte ich mich.

"Du hast angefangen", verteidigte sie sich und ich verdrehte bloß gespielt genervt die Augen.

Zum Glück beließ sie es dabei und wir konnten in Ruhe unser Eis genießen. Ich liebte die Sahne unter dem Vanilleeis, weil sie immer ein wenig gefror und ich das Gefühl davon mochte. Tine schien ebenfalls ziemlich zufrieden mit ihrem Eisbecher zu sein.

"Könnten wir bezahlen?", fragte Tine den Kellner, als er gerade an uns vorbeilief.

Er nickte bloß und schien schnell unsere Rechnung und einen Geldbeutel zu holen.

"Ich bezahle", bestimmte ich, als sie gerade ihren Geldbeutel hervorholen wollte.

"Aber", bevor sie weiterreden konnte, unterbrach ich sie.

"Ich habe dich eingeladen, also bezahle ich auch. Ganz einfach", bestand ich darauf und zückte meinen Geldbeutel.

Sie gab sich geschlagen und ich gab dem Kellner das, was er verlangte, und ein gutes Trinkgeld, weil es so gut geschmeckt hatte, wofür er sich bedankte.

"Danke für den Nachmittag", lächelte Tine, als wir unsere Fahrräder abschlossen, um nach Hause zu fahren.

"Kein Problem, ich hatte mir gedacht, dass es dir gefallen wird." Es klang so, als wäre es selbstverständlich, aber es machte mich unglaublich stolz und glücklich, dass Tine gefiel, was ich tat.

"Schon wieder gut gedacht", lachte sie und stieg auf.

Gemeinsam fuhren wir durch die Nachmittagssonne nach Hause und ich hätte durch die Energie, die ihre Worte mir gaben, direkt nach Berlin und darüber hinaus fahren können.

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