Kapitel 2

Tine wartete schon vor der Tür und ich begrüßte sie schüchtern. Das warme Licht aus den wenigen Fenstern des Restaurants fiel auf sie und legte einen blassen Schein auf ihre Haut.

"Wollen wir zu mir? Ich will nicht noch länger in dieser Kälte verbringen", schlug sie vor und ich stimmte ihr zu.

Ich wusste zwar, dass sie in irgendeiner Wohnung hier in der Innenstadt wohnte, aber nicht genau wo. Eigentlich wollte ich schon immer in der Innenstadt wohnen, weil ich es hier wirklich schön fand, vor allem die kleinen Seitenstraßen der Altstadt waren ganz nett.

"Es ist schön, dich wiederzusehen", lächelte ich.

"Finde ich auch."

Bis auf diese Worte blieben wir während des Hinwegs schweigsam und das Einzige, das die Stille der Nacht durchbrach, waren unsere Schritte auf dem Kopfsteinpflaster. Ich versuchte, mir trotz der Dunkelheit die Strecke einigermaßen einzuprägen, was mir aber nicht so gut gelang, wie ich es mir erhofft. Letzten Endes wusste ich nämlich nicht mehr, wo wir überhaupt waren. Mein Orientierungssinn war nie der Beste gewesen, aber bei Nacht versagte er komplett.

Mit einem Klimpern zog sie den Hausschlüssel aus ihrer Jackentasche und sperrte den Flur auf. Im Schein der Laterne vor ihrem Wohnblock hatte ich erkennen können, dass es ein modernes Haus war, das wahrscheinlich erst ein paar Jahre hinter sich hatte und in einem dunklen Olivgrün gestrichen worden war. Der Flur hatte ebenfalls diesen Grünton und die Treppen sowie der Boden bestanden aus einem weißen, glatt polierten Stein mit vielen schwarzen Sprenkeln.

Im ersten Stock lag ihre Wohnung auf der linken Seite und war noch einmal die linke der beiden Appartments, die dort nebeneinanderlagen. Sie sperrte die dicke, weiße Tür mit einem anderen Schlüssel an ihrem Bund auf.

Ich trat nach ihr ein und ich wurde von der Wärme und ihrem Duft erschlagen. Alles roch nach Tine und ich brauchte einen Moment, um wieder klar im Kopf zu werden. Es spielten sich in mir immer wieder Szenen aus der Nacht in Berlin ab, in der wir das erste Mal miteinander geschlafen hatten.

"Es ist schön hier", kommentierte ich ihren Flur.

Die meisten Möbel waren in einem schlichten Weiß gehalten und Akzente wurden nur durch dunkles Holz gesetzt. Die Wände waren weiß mit olivgrünen, breiten Querstreifen, die sich über die gesamten Flächen zogen.

"Ich habe mir Mühe gegeben", meinte sie anerkennend und nahm mir meine Jacke ab, die sie auf einem Kleiderhaken aufhängte.

Wir zogen noch unsere Schuhe aus, bevor sie mir andeutete, dass ich ihr folgen sollte, was ich auch neugierig tat. Wenn man ein paar Meter ging, führte vom Flur aus eine Tür auf die rechte Seite. Sie war leicht geöffnet und ich konnte ein paar Fliesen in der Dunkelheit dahinter entdecken, weshalb ich davon ausging, dass dort das Bad lag. Wir hingegen gingen durch die Tür, die gegenüber davon lag, und kamen in ein Wohnzimmer.

An der Wand rechts neben uns hing ein Fernseher, der weder zu groß, noch zu klein war. Davor stand ein Couchtisch mit weißen Beinen, aber einer hölzernen Tischplatte. Bei dem Sofa, das dahinter stand, war es genau umgekehrt: Weißes Sofa mit hölzernen Beinen. Unter dem Tisch lag ein runter Teppich, der cremefarben war und gut mit dem dunklen Parkett harmonierte. An der linken Wand standen zwei dunkle Bücherregale aus Holz, zwischen denen ein weißer Tisch Platz gefunden hatte. Wahrscheinlich war das ihr Arbeitsplatz, wo sie die ganzen Arbeiten aus der Schule korrigierte. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie viele Stunden sie dort teilweise saß.

"Setz dich doch", bot sie mir an und ich machte es mir auf dem weichen Sofa bequem.

Ich hatte so viele Fragen an sie, wollte ihr aber gleichzeitig die Kleidung ausziehen und sie einfach nur überall anfassen und küssen. Ich war hin und hergerissen.

"Willst du Wasser oder Alkohol? Ich hätte Wein da", bot sie mir an, aber ich verneinte.

Dann setzte sie sich mit ein wenig Platz zwischen uns neben mich und sah mich auffordernd an. Doch ich wollte nicht so weit von ihr weg sein und Abstand halten, davon hatten wir die letzten zwei Jahre genug gehabt. Deshalb rutschte ich zu ihr und umarmte sie.

"Ich bin, nachdem du gegangen bist, fast gestorben", murmelte ich in ihre weichen Haare, die meine Nasenspitze leicht kitzelten. "Ich habe sicher einen Monat lang nur in meinem abgedunkelten Zimmer verbracht und geheult."

Voller Schmerz erinnerte ich mich daran zurück. Ich war einfach nur hilflos gewesen und hatte nichts gegen das schwarze Loch, in dem ich gefangen war, tun können.

"Ich auch Elea, ich wäre dort auch noch viel länger geblieben, wenn ich in der Woche nach deinem Abschluss nicht unterrichten hätte müssen."

Wir lösten uns kurz voneinander und sahen uns gegenseitig einfach nur an.

"Es tut mir so leid, dass ich nicht in die Schule gekommen bin, um mit dir zu reden. Ich hab es einfach nicht geschafft", schluchzte ich leicht und sah sie entschuldigend an.

"Das ist nicht schlimm Elea. Wir mussten beide erst mit dem Schuljahr fertig werden. Vielleicht hätte es nicht geklappt, wenn das alles noch zwischen uns gestanden hätte."

Ich konnte den Worten aus ihrem Mund zuerst nicht glauben. Sie verzieh mir? Ausgerechnet mir, wegen der sie ihr gesamtes Liebesleben aufgegeben hatte? Ihre Verlobung und somit auch Hochzeit aufgelöst hatte, nur weil vielleicht die Chance bestanden hatte, dass wir zusammen kommen würden.

"Hattest du nach mir noch jemanden?" Bei dem Gedanken, dass sie mit einer anderen Frau geschlafen hatte, traten mir Tränen in die Augen. Auch, wenn ich es hätte verstehen können.

"Ich habe zuerst versucht, dich irgendwie zu vergessen, aber außerhalb von ein paar Nächten mit diversen Männern gab es nichts. Alles hat noch an dir gehangen und ich konnte mir auch nie vorstellen jemals jemand anderen außer dir zu haben", erklärte sie mir und ich konnte nicht verhindern, dass vor Rührung die ersten Tränen über meine Wangen liefen. Aber ich fühlte mich umso schuldiger, dass ich mit Manuela versucht hatte, eine langfristige Beziehung zu führen.

"Tine es tut mir so leid, dass ich Manuela hatte", schluchzte ich und vergrub mein Gesicht an ihrer Schulter.

Sie zog mich näher zu sich und strich mir sanft über meinen bebenden Rücken. "Alles okay. Du hättest ja nicht wissen können, dass wir uns überhaupt noch einmal über den Weg laufen."

Mit so viel Verständnis hatte ich nie gerechnet, aber auch wenn sie versuchte, möglichst aufbauend zu klingen, hörte ich einen traurigen Ton in ihrer melodischen Stimme. Ich sah zu ihr auf und ein wenig Wimperntusche war unter ihrem Auge verschmiert. Ich wollte nicht, dass sie meinetwegen weinte.

"Eigentlich hätte ich nie mit Manuela zusammen sein dürfen ...", flüsterte ich traurig.

"Warum denn das? Wir waren doch zu diesem Zeitpunkt nicht zusammen und du hättest eine Beziehung haben dürfen." Sie klang verwirrt und ich sah ihr bestärkend in ihre kastanienbraunen Augen, die wegen der Tränen schon leicht rot unterlaufen waren.

"Weil ein Teil von mir dich immer geliebt hat."

"Bei mir war es nicht nur ein Teil, sondern ich. Ich habe dich immer geliebt", gestand sie mir und ich küsste sie bestätigend.

Meine Haut kribbelte und meine Hände fuhren durch ihre flauschigen, braunen Haare, die sich kein bisschen verändert hatten. Sie trug sie immer noch so, wie an dem Tag, als wir gemeinsam in der Damentoilette am Rastplatz auf dem Weg nach Berlin gestanden hatten und ich ihr Taschentücher zum Händetrocknen angeboten hatte. Ich konnte mich an jede Sekunde mit ihr erinnern und lächelte in unseren Kuss hinein.

"Habe ich dir jemals gesagt, dass du die schönste Frau bist, die ich kenne?", fragte ich sie zwischen unseren Küssen und sie schüttelte leicht den Kopf. "Dann weißt du es jetzt."

"Und ich fand dich schon immer schön. Als du das erste Mal in meinen Klassenraum gekommen bist, hast du diese Perfektion einfach nur ausgestrahlt. Du warst wie eine wunderschöne, einsame Rose zwischen lauter Unkraut", meinte sie und gab mir einen sanften Kuss.

"Mir ging es genauso. Du standest dort vorne an der Tafel und ich konnte einfach nicht aufhören dich anzusehen. Ich denke, ich war die aufmerksamste Schülerin, die du jemals hattest. Auch wenn ich die meiste Zeit nur über dich und nicht den Unterricht nachgedacht habe", erzählte ich ihr mit einem beschämten Lächeln.

"Du bist mit der Zeit nur noch schöner geworden. Du siehst so erwachsen aus und bist nicht mehr so dünn", komplimentierte sie mich und ich schenkte ihr ein Lächeln.

"Ich konnte einfach nicht essen und habe nichts mehr runterbekommen. Außerdem hatte ich mich so ekelhaft benutzt gefühlt, weil du erst mit mir geschlafen und mich dann ignoriert hast." Es tat mir weh, daran zu denken, wie sie mich auf dem Gang und im Unterricht an manchen Tagen keines Blickes gewürdigt hatte, auch wenn ich sie teilweise begrüßt hatte.

"Das wollte ich alles nicht. Ich hatte bloß keinen blassen Schimmer, wie ich mit dir umgehen sollte, ich durfte dich nicht lieben, aber habe es trotzdem getan. Vor allem durfte nicht auffallen, dass ich Gefühle für dich hatte, sonst wäre ich in sehr große Schwierigkeiten geraten", entschuldigte sie sich und ich schloss sie erneut fest in die Arme.

"Wir sollten die Vergangenheit einfach hinter uns lassen und uns auf das Jetzt konzentrieren", beschloss ich und verschränkte ihre Finger mit meinen.

"Ja, finde ich auch", nickte sie zustimmend und küsste mich zur Bestätigung.

Ich konnte es gar nicht fassen. Bis vor wenigen Stunden hätte ich es nie geglaubt, wenn mir jemand erzählt hätte, dass ich meine ehemalige Lehrerin wiedersehen würde.

"Wann musst du eigentlich nach Hause?", fragte sie mich plötzlich und riss mich damit aus meinen Gedanken.

"Ich wohne inzwischen alleine, also ist es egal." Ich zuckte mit den Schultern. Am liebsten wollte ich hier gar nicht mehr weg.

"Ist es weit von hier? Sonst kannst du bei mir bleiben und ich leihe dir morgen für die Schule oder Arbeit ein paar Sachen von mir", schlug sie vor.

"Ich wohne noch im selben Ort in der Nähe von meinen Eltern. Ich müsste mit dem Bus nach Hause, außerdem habe ich morgen Schule. Meine Sachen habe ich zum Glück vor dem Wochenende in weiser Voraussicht dort in den Spind geschlossen", lächelte ich und sie nickte nur.

"Okay. Ich werde dann auf der Couch schlafen und du kannst in mein Zimmer."

"Du wohnst hier, du kannst ruhig mit mir in einem Bett schlafen. Es ist ja nicht so, dass ich nicht schon andere Dinge mit dir gemacht habe." Ich sah sie wissend an und sie wurde ein bisschen rot.

"Ich zeige dir einfach mal das Schlafzimmer", lächelte sie, stand auf und zog mich mit sich.

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