nightmares

Schweißgebadet wache ich auf, setze mich aufrecht hin und versuche langsam meinen hohen Puls unter Kontrolle zu bekommen. Währenddessen streiche ich meine leicht feuchten Haare zurück, um mir einen neuen Dutt zu machen. In der Nacht muss er wohl aufgegangen sein, weil ich mich wieder zu viel herumgewälzt habe. In den letzten Tagen verfolgen mich jegliche Albträume, die mich kaum schlafen lassen, sodass es mir immer mehr an Energie fehlt und ich es so kaum noch über den Tag schaffe.

Seit Levi nicht mehr da ist, geht mein ganzes Leben den Bach runter – so fühlt es sich zumindest an. Zwar sind erst fünf Tage vergangen, als er mit Christa nach Frankreich geflogen ist, jedoch waren wir sehr lange nicht mehr für so einen langen Zeitraum getrennt gewesen und es macht mir tatsächlich mehr zu schaffen, als ich dachte. Ich verflechte mich regelmäßig in meinen Gedanken, bekomme Flashbacks zu meiner Zeit bei Erwin und selbst in meinen Träumen werde ich von allen schlimmen Ereignissen, die passiert sind, nicht in Ruhe gelassen.

Sei es der Tod meines besten Freundes, mein Drogenabsturz, der Streit mit Levi, der kalte, widerliche Entzug, den Erwin angestachelt hat... oder das Date mit dem durchgeknallten Fan, der mich fast um meine große Liebe gebracht hat. Meine Träume lassen nichts aus und scheuen sich auch nicht davor, einzelne Sachen auszuschmücken oder sogar zu vermischen.

Mit einem unguten Gefühl im Magen, stehe ich langsam vom Sofa auf und laufe in die Küche, wo ich das Licht anschalte; auf die Uhrzeit brauche ich gar nicht schauen, da ich genau weiß, dass es sowieso mitten in der Nacht sein wird. Mein Schlafrhythmus ist durch die Albträume komplett im Arsch, daher bin ich auch auf dem Sofa eingeschlafen. Widerwillig bereite ich mir einen Kaffee zu, ehe ich die Treppe in die höhere Etage hochsteige und die Tür zur Dachterrasse öffne. Dort lasse ich mich auf einen der Holzliegen nieder, nehme einen Schluck vom Kaffee und schaue anschließend in den Sternenhimmel. Es ist etwas frisch, aber das stört mich eher weniger, da ich von eben sowieso noch total verschwitzt bin.

Stunden vergehen, bis sich der Sonnenaufgang ankündigt und der Himmel sich in ein schönes rotorange verfärbt, während ich in meinen Gedanken versunken bleibe und das Schauspiel dabei beobachte. Das Koffein aus dem Kaffee hat mir nicht viel gebracht, was aber zu erwarten war. Den Geschmack mag ich sowieso nicht, hätte jedoch gehofft, dass er wenigstens ein kleinen wenig wirkt...

Seufzend stehe ich also wieder auf, nehme die Tasse, die ich neben mir auf den Boden gestellt habe und gehe wieder runter in die Küche, wo ich sie in den Geschirrspüler räume. Theoretisch müsste Levi mittlerweile wach sein, weshalb ich aus dem Schlafzimmer mein Handy hole und es entsperre. Tatsächlich hat er mir schon vor ein paar Minuten einen guten Morgen gewünscht, mir ein Bild von seiner Tasse Schwarztee geschickt und gefragt, wie ich geschlafen habe. Ein leichtes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen; wenn ich daran denke, dass er früher kaum von sich aus mir geschrieben oder generell kaum mit mir getextet hat, freue ich mich über diese kurzen Nachrichten gleich viel mehr.

Schnell schreibe ich ihm zurück, dass ich ihn vermisse und frage im gleichen Zug, wie es bei ihm läuft. Die Frage, wie ich geschlafen habe, ignoriere ich absichtlich, da ich ihn nicht anlügen, aber auch nicht die Wahrheit sagen will, da er sich sonst wieder unnötig Sorgen macht und vielleicht sogar früher nach Hause kommt. Das möchte ich um jeden Preis verhindern, da ich ihm schließlich zugesichert habe, dass er nach Frankreich fliegen kann und ich alleine zurechtkommen werde.

Nur habe ich nicht erwartet, dass es mir so schlecht gehen würde... trotzdem noch kein Grund, ihm das jetzt zu schreiben, ich kann es ihm immer noch erzählen, wenn er wieder hier ist. Vielleicht tut es ihm auch gut, ein bisschen Zeit für sich zu haben, wer weiß? Und vermutlich würde mir etwas Ablenkung auch ganz guttun? Die ganze Zeit hier in der Wohnung zu hocken, den Schlafproblemen ausgesetzt zu sein und Löcher in die Wand zu starren ist von außen betrachtet schon erbärmlich, wenn man dabei bedenkt, dass ich nur darauf warte, dass mein Freund zurückkommt und danach wieder alles gut ist.

Als ich dann noch eine Nachricht von Christa bekomme, die ein Foto von ihr und Levi beinhaltet, überkommt mich schlussendlich doch die Einsamkeit. Ich habe bisher fünf Tage in dieser Wohnung gegammelt, will ich das wirklich so weiter durchziehen und mir die Gelegenheit entgehen lassen, mich mit alten Freunden zu treffen? Wahrscheinlich kommen diese Albträume auch nur, weil ich mich mit nichts anderem beschäftige, obwohl ich die Möglichkeit dazu habe?

Schneller als mein Gehirn überhaupt schalten kann, öffne ich den Chat mit meinem besten Freund und berichte ihm, dass ich heute nach Köln fahre und auf ein paar Drinks vorbeikommen würde. Man mag es sich nicht gut vorstellen können, aber in den zwei Jahren, in denen Levi und ich schon hier wohnen, hat sich so einiges geändert. Ich trinke zum Beispiel wieder Alkohol, aber nur in Maßen. Es gab lange Gespräche darüber, am Anfang kam es mir auch nicht richtig vor, jedoch wollte ich unbedingt an mich selbst glauben und mir eine Sache gönnen können, egal was ich bis dato durchgemacht habe – zumal der Alkohol nicht das eigentliche Problem war. Nach einigen Tests und durch Ausprobieren habe ich meine eigene Grenze gefunden, die ich bisher auch nicht überschritten habe.

Für mich und für meinen Freund möchte ich auf alle Fälle ein Blackout vermeiden.

Noch dazu habe ich mittlerweile einen Führerschein und ein eigenes Auto. Es hat sich angeboten und war auch wichtig, da Levi oft unterwegs ist und ich mich sonst nicht selbstständig um die einfachsten Dinge, wie Einkaufen zum Beispiel, kümmern konnte und es seitdem reibungslos funktioniert.

Nachdem ich von Armin ein 'Gerne! Du bist immer willkommen :)' als Antwort erhalte, steht mein Vorhaben für heute fest – ich fahre nach Köln. Da die Fahrt einige Stunden dauert, mache ich mich am besten jetzt schon fertig, weshalb ich mein Handy beiseitelege, nachdem ich Levi darüber informiert habe und mich im Bad unter die Dusche stelle. Das Adrenalin, welches gerade durch meinen Körper strömt, puscht mein Energielevel extrem, weshalb es sich so anfühlt, als wäre ich endlich wieder mal richtig ausgeschlafen. Ich hätte schon früher auf diese Idee kommen sollen.

Nach der Dusche föhne ich meine Haare trocken und binde sie zu einem Half Bun zusammen, was seit einer geraumen Zeit meine Lieblingsfrisur ist und betrachte mich anschließend noch einmal im Spiegel. Über die Zeit sind noch ein paar weitere Tattoos hinzugekommen, die meinen Körper schmücken und egal um welches Tattoo es sich handelt, ich bereue kein einziges davon. Viele habe ich mit einer Bedeutung stechen lassen, ein paar auch einfach nur, weil ich sie schön oder witzig finde und trotzdem bereue ich nichts. Sogar Levi hat sich mittlerweile ein paar stechen lassen, auch, wenn es nur kleine sind.

Eines ist am rechten Unterarm, eine Art Pflanze, die er in unserem letzten Urlaub gesehen und fotografiert hat, da er sie sehr schön fand, ein weiteres befindet sich hinter seinem linken Ohr, ein schwarz ausgemalter Halbmond. Ich erinnere mich noch daran, wie er mir erklärt hat, weshalb er es unbedingt haben wollte, obwohl er es ziemlich kitschig fand;

Für einen Moment schaue ich mir über den Spiegel in die Augen, ehe ich mich von ihm abwende und im Schlafzimmer nach einem geeigneten Outfit suche. Zwar habe ich schon lange nicht mehr gemodelt, gebe aber dennoch sehr viel auf mein äußeres Erscheinungsbild, weshalb es schwierig ist, etwas Geeignetes für die Fahrt und für den anschließenden Besuch bei Armin zu finden. Nach langem Überlegen entscheide ich mich schließlich für eine lockere Cargohose und ein oversized T-Shirt, beides in schwarz gehalten. Simpel und doch durch die Tattoos, die dadurch zu sehen sind, schön anzusehen. Mit meinen Fingern streiche ich über die Kette, die mir mein Freund damals geschenkt hat und fange an zu lächeln. Seitdem habe ich sie nie wieder abgenommen, sie ist quasi ein Teil von mir geworden und erinnert mich immer daran, wie froh ich über die zweite Chance sein kann, die er mir gegeben hat.

Mit einem Handgriff schnappe ich mein Handy und meinen Schlüsselbund, ehe ich meine Wohnung verlasse und mit dem Aufzug runter in die Tiefgarage fahre. Währenddessen schaue ich auf die Nachrichten, die ich bekommen habe und antworte auf sie. Levi hat mir nur viel Spaß gewünscht und mir noch erklärt, was er heute mit Christa machen muss, wo und wann er wieder Zeit hätte, sich wieder bei mir zu melden; wie immer also, so läuft es, seitdem er mit ihr losgefahren ist. Süß ist es aber schon.

Armin berichte ich noch, dass ich jetzt losfahren werde und wann ich ungefähr ankomme, zusammen mit meinem Livestandort, damit er wenigstens weiß wo ich bin. Aufgeregt steige ich aus dem Aufzug und laufe durch die Tiefgarage zu meinem Auto; dort angekommen setze ich mich direkt rein und fahre auch schon los, nachdem ich eine passende Playlist ausgesucht habe.

Die Fahrt verläuft relativ ruhig, da ich natürlich alleine im Auto sitze und nur der Musik lauschen kann, um nicht zu tief in meinen Gedanken zu versinken, schließlich muss ich mich noch auf den Straßenverkehr konzentrieren. Die Stunden vergehen, bis ich endlich an meinem Ziel ankomme: Köln. Seitdem ich ausgezogen, bin ich nicht mehr hier gewesen, weshalb mir ein wenig unwohl wird; die Straßen, durch die ich fahre, geben mir ein ungutes Gefühl und erinnern mich an die Vergangenheit.

Kurz vor dem Ziel fahre ich an meinem damaligen Lieblingsort vorbei – das Bootshaus. Viele Erinnerungen hängen an diesem Club, positive sowie auch negative, die ich bis vor ein paar Wochen komplett verdrängt habe. Der eine Abend, an dem ich Levi dazu zwingen wollte, mit mir zu schlafen, ist mir dabei am meisten in Erinnerung geblieben. Ich bin immer noch unendlich froh darüber, dass er mir das verziehen hat...

Mit noch gemischteren Gefühlen als vorher, biege ich in die Einfahrt ab und parke vor Armins Wohnblock, ehe ich aussteige und tief Luft hole. Bevor ich losgehe, möchte ich mich mental darauf vorbereiten, ein sehr langes Gespräch mit meinem besten Freund zu führen, jedoch möchte er mir diese Zeit nicht geben, denn als ich zufällig zur Haustür seines Blocks sehe, kommt er gerade von dort aus auf mich zu gerannt. Sofort fällt mir auf, dass er sich kein bisschen geändert hat und immer noch genauso aussieht wie vor zwei Jahren. Ein glückliches Grinsen liegt auf seinen Lippen, als er mich erreicht hat und mir schon fast in die Arme springt.

“Ich habe dich so vermisst”, nuschelt er in mein Shirt, während er sich noch fester an mich drückt und sich nach kurzer Zeit wieder löst. Die blonden Haare fallen ihm leicht ins Gesicht, die er sich direkt wegwischt. “Tut mir leid, dass ich mich nicht so oft gemeldet habe”, entschuldige ich mich sofort, ehe wir zusammen zum Gebäude laufen.

“Absolut nicht schlimm! Ich weiß doch, wie viel du um die Ohren hast, umso schöner ist es, dass wir uns jetzt sehen und uns alles Wichtige erzählen können.” Armin schließt die Tür zu seiner Wohnung auf und lässt mich zuerst rein. In Flur ziehe ich direkt meine Schuhe aus und laufe in sein Wohnzimmer; auch hier hat sich rein Garnichts verändert, was ich tatsächlich sehr gut finde, denn so fühle ich mich hier direkt wohl. Auch, wenn ich sehr überrascht bin, dass er nicht umgezogen ist. Soweit ich es noch in Erinnerung habe, hat er sein Dasein als Dealer und die Herstellung von Drogen auf Eis gelegt und sich einen normalen Job gesucht? Da wäre eine neue Wohnung als Neustart doch sinnvoll gewesen, denke ich jedenfalls.

Nachdem Armin aus der Küche zwei kühle Flaschen Bier geholt hat, drückt er mir eine davon in die Hand und lässt sich anschließend neben mir auf dem Sofa fallen. “Bist du wirklich sicher, dass du wieder trinken möchtest? Ich habe kein Problem damit, wenn wir bei Wasser oder Cola bleiben”, spricht er an, als er dazu ansetzt, die Flasche zu öffnen.

“Ja, es ist okay. Ich habe lange mit Levi daran gearbeitet und mir eine Grenze gesetzt, bisher funktioniert es sehr gut”, erwidere ich darauf und freue mich innerlich darüber, dass er es mir trotzdem angeboten hat. Schließlich hat er mich auch schon in schlimmen Zuständen gesehen und ist noch auf dem Stand, dass ich gar nichts mehr trinke.

“Wie läuft es denn generell so? Ich habe auf Insta gesehen, dass er gerade mit Christa in Frankreich ist?” Kurzerhand öffnet er unsere Flaschen, anschließend stoßen wir an und trinken gleichzeitig den ersten Schluck. Die kühle Flüssigkeit hinterlässt sofort ein angenehmes Gefühl, welches mich ein wenig runterkommen lässt.

“Ja, die beiden sind da schon ein paar Tage. Tatsächlich wollte Levi erst nicht gehen, weil er mir damals versprochen hat, keine Auslandsreisen zu machen, jedoch habe ihn dann doch dazu überredet. Zwar wollte ich es immer nicht, aber mir ist bewusst geworden, wie egoistisch das eigentlich ist und ich damit auch Christas Karriere immens einschränke. Ich habe mich deswegen so schlecht gefühlt, dass ich Levi quasi rausgeschmissen habe”, erzähle ich ehrlich und trinke danach einen weiteren Schluck.

“Er schreibt mir jeden Tag und schickt mir morgens ein Foto von seinem Frühstückstee”, füge ich noch grinsend hinzu und zeige eines der Fotos, was Armin zum Lachen bringt. Es hat sehr lange gedauert, bis Levi so wurde und es freut mich so sehr, weil er sich endlich mir gegenüber komplett geöffnet hat. Was man von mir leider nicht behaupten kann. Ich warte noch auf den richtigen Zeitpunkt, es ihm zu erzählen.

“Ich habe schon auf deinen Fotos gesehen, dass er viel glücklicher aussieht als damals. Das freut mich echt für euch.” Armin holt sein Handy heraus, tippt darauf herum und hält es mir anschließend hin. Es ist ein Foto von ihm und einem Mann, den ich nicht kenne. Sein Aussehen erinnert mich ein bisschen an... “Das ist mein Freund.” Geschockt löse ich meine Augen von dem Bild und schaue hoch zu Armin. “Du bist der erste, dem ich das erzähle. Wir sind noch nicht lange zusammen, aber du bist der erste, der das wissen sollte und ich wollte es dir unbedingt persönlich sagen. Er... ist Jean sehr ähnlich, wahrscheinlich mag ich ihn deshalb, aber meine Gefühle ihm gegenüber sind trotzdem aufrichtig”, erzählt er weiter und schaut lächelnd auf das Foto.

“Das ist super! Ich dachte schon, du bleibst ewig Single”, schießt es aus mir heraus, wofür Armin mir leicht in die Seite boxt. “Jean bleibt zwar noch in meinem Herzen aber ich bin jetzt soweit, ihn gehen zu lassen. Schließlich war es sowieso einseitig und hoffnungslos.”

“Sorry, das war ziemlich gemein von mir...” Mein bester Freund winkt lächelnd ab. “Er würde sich im Grab umdrehen, wenn er wüsste, dass wir immer noch um ihn trauern. Auch ich muss irgendwann loslassen können.” Sein lächelnd wird etwas trauriger, wahrscheinlich ist es trotz seiner Worte weiterhin ein sensibles Thema bei ihm. Ich kann es ihm nicht übelnehmen, mir geht es genauso. Nur, weil ich so einen Rotz von mir gebe, heißt es nicht, dass mir sein Tod mittlerweile egal ist – im Gegenteil sogar, meine Träume sprechen Bände.

“Gehst du eigentlich immer noch zur Therapie?” Gottseidank ändert Armin das Thema, auch, wenn dieses nicht gerade besser ist; erzählen wollte ich es ihm eh. Endlich alles rauslassen, was mich beschäftigt und mir eine andere Meinung anhören, anstatt es in mich hineinzufressen und mich damit noch mehr kaputt zu machen.

“Ich gehe einmal im Monat hin, die Gespräche sind aber hauptsächlich darauf ausgelegt, mein post-akutes Entzugssyndrom zu behandeln. Also sie fragt mich einfach gesagt nach meinen Entzugserscheinungen, wann sie auftreten und schlägt vor, was ich dagegen tun kann. Aber das läuft bisher sehr gut.” Nervös stelle ich das Bier auf dem Couchtisch ab und schaue auf meine Finger, mit denen ich anschließend rumspiele. Das ganze hier ist schwieriger als ich dachte.

“Aber, ähm, wie fange ich das an... Ich habe schon eine Weile diese Albträume.”

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top