Kapitel 9


„Du bist wirklich da!" Ich sah zwar ihr Gesicht nicht, aber ich hörte den Unglauben aus ihrer Stimme. Sie bebte und dann schluchzte sie laut.

„Ich dachte du kommst nicht mehr. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben." Sie begann zu zittern. Ferin strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Ruhig. Ich bin jetzt da und alles ist wieder gut." Ich liebte es, wenn er mit dieser samtenen Stimme sprach und einen dabei liebevoll anschaute. Da konnte man gar nicht anders, als ruhiger zu werden. Meine Mutter entspannte sich so weit, dass sie erschöpft ihren Kopf an seine Brust legte und die Augen schloss. Ferin lächelte und schaute sie liebevoll an. Dann guckte er zu mir und gab mir mit einem Kopfnicken zu verstehen dazuzukommen.

Einige Sekunden später umarmte ich beide heftig. Meine Mutter kicherte. Ich hatte es lange nicht mehr gehört und mir ging das Herz auf. Ich schaute glücklich auf.

„Ich wünschte der Moment würde nie zu Ende gehen!", flüsterte ich. Ferin strich mir abermals über das Haar und meine Mutter drückte mich ein wenig fester.

Dann begann sie sich zu räuspern und ließ mich los. Sie schaute ein wenig ernster, als sie mich leicht am Arm berührte.

„Indira, ich glaube, ich muss mich bei dir für mein Verhalten entschuldigen."

Sofort bekam ich einen Kloß im Hals.

„Alles gut", wiegelte ich ab. Ich hatte ehrlich gesagt, wenig Lust mit ihr alles noch einmal durchzukauen. „Ist okay. Ich weiß ja, wieso du dich so verhalten hast."

Sie schaute mich immer noch unverwandt an. „So viel Vergebung habe ich gar nicht verdient. Ich möchte es wieder gut machen." Sie holte tief Luft und ihr Blick huschte erst zu mir und dann zu Ferin.

„Wir gehen einen Tag zu den Elfen." Ich riss erstaunt die Augen auf und strahlte dann über das ganze Gesicht.

„Wirklich? Das würdest du tun?" Ich drehte mich lachend zu meinem Vater um und wollte ihn gerade an den Händen packen und mit ihm durch die Wohnung wirbeln. Ich erstarrte, als ich seinen Gesichtsausdruck bemerkte.

Mit sehr ernster Miene verkündete er: „Es bleibt uns vermutlich keine andere Wahl, als zu den Elfen zu gehen. Ich bin nur hergekommen, um euch mitzunehmen." Die Stille, die danach herrschte, war zum Schneiden dick.

Meine Mutter atmete hörbar aus. „Was ist passiert, Ferin. Erzähl uns alles!"

Kurz Zeit später saßen wir an unserem kleinen Tisch und lauschten der Erzählung.

Ferin begann. „Wir hatten es alle nicht kommen sehen. In der Zeit, in der die Bäume gerade zu sprießen begannen und die Vögel ihr Liedchen sangen, da ist sie leider von uns gegangen. Es war vor einem Vollmond." Ferin war für einen Moment still und auch meine Mutter und ich schlugen die Augen nieder. Es gehörte sich so, ob Mensch oder Elf, einem Toten kurz zu gedenken.

Irgendwann konnte ich nicht mehr an mich halten. Ich platze heraus mit „Wer ist gestorben?"

„Lyria." Die frische Trauer dämpfte seine Stimme.

Ich biss mir auf die Unterlippe und schaute bestürzt. Auch meine Mutter war wie erstarrt. „Die Lyria?"

Er nickte.

Lyria war seit gefühlt Jahrzehnten die mutige Anführerin der Elfen. Sie wusste um das schwierige Verhältnis zwischen Menschen und Elfen. Sie war zwar sehr stolz und eigen gewesen, war aber immer für ihr Volk da. Das jedenfalls erzählte mir meine Großmutter. Der Krieg der zwei Rassen erfüllte sie mit tiefer Trauer, denn sie kämpfte für den Frieden. Danach war es schwieriger für sie denn je, den Thron zu halten. Viele Elfen dachten nun nicht mehr so menschenfreundlich und sahen selbst in ihrer Anführerin eine Gefahr für die Erhaltung ihrer Rasse. Es gab Aufstände, die sie nur mit Mühe im Zaum halten konnte. Die Elfen spalteten sich weiter auf, da half nicht die beste und klügste Anführer-Strategie.

„Es fühlt sich an, als wäre ich erst letztens bei ihr gewesen und ließ mich von ihr in neuer Heilkunde unterweisen und dann von einem Tag auf den nächsten... einfach so! Ihr Leibwächter fand sie als erste. Sie lag in ihrem Bett und er dachte sie würde noch schlafen. Komisch war es schon, da er wusste, dass sie sonst immer vor Sonnenaufgang wach war und die war schon längst aufgegangen. Noch misstrauischer wurde er, als sie nicht auf seine Worte reagierte. Er hat sie geschüttelt, aber sie ist nie wieder aufgewacht."

„Ist sie einfach so gestorben oder war es Mord?"

„Mord?" Ferin schaute mich erstaunt an, als hätte ich gerade etwas sehr abwegiges gesagt. „Du weißt doch, dass wir nicht gerne kämpfen oder morden."

„Das heißt aber lange nicht, dass es trotzdem jemand tun könnte", schaltete sich meine Mutter ein.

„Das kann ich mir kaum vorstellen. Elfen sind ein friedfertiges Volk."

„Hat denn jemand nachgeschaut, ob sie einfach so eingeschlafen ist." Ich konnte die Skepsis nicht ganz aus meiner Stimme verbannen. „Das solltet ihr nachprüfen."

Ferin schaute elend, nickte aber ergeben.

„Das ist ja noch nicht das Schlimmste, Indira. Wir mussten neu wählen. Ja, du hast richtig gehört, auch Elfen haben Demokratie, was manchmal gar nicht so einfach ist, wie sich gleich herausstellen soll."

Er holte tief Luft und ich wusste, nun kam etwas Entscheidendes.

„Ein Tag nach ihrem Tod fanden die Neuwahlen statt. Es war die reinste Katastrophe. Ihre Hasser streuten Ärger und Misstrauen in unseren Reihen und ihre Anhänger waren noch durch ihren Tod in Trauer, dass sie sich kaum wehren konnten. Wäre es nur bei den Wortgefechten geblieben..." Er seufzte. „Nur leider wurden sie handgreiflich und setzten Daray auf den Thron. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie es jetzt da zu geht. Es ist alles viel strenger geworden. Sie ist sehr misstrauisch gegenüber ihrem Volk, aber versprach die tollsten Sachen. Lasst euch gesagt sein: Es gibt immer dumme Elfen, die das Gewäsch glauben." Sein Blick verfinsterte sich. „Ich habe das Gefühl, dass sie alles Gute in uns zerstören möchte. Sie ist nicht gut für uns und für euch auch nicht! Ich habe mitbekommen wie sie lauter Elfenkrieger in schwarzen Umhängen losgeschicht hat. Sie verschwanden Richtung Stadt und ich bin ihnen gefolgt. Ich hatte Angst um euch." Mein Vater versank in Schweigen.

Ich schluckte. Das waren sehr schlechte Nachrichten.

„Und was wirst du jetzt machen?" Meine Mutter schaute ihn an, ihre Augen starr und ihre Lippen fest aufeinander gepresst.

„Wie gesagt: Ich nehme euch mit und wir verstecken uns bei einer der Splittergruppen. Ihr seid hier nicht mehr sicher." Nun schaute er meine Mutter direkt an. "Ich weiß, dass du die Stadt als dein Zuhause ansiehst und ich habe das immer respektiert, sonst hätte ich euch schon viel früher geholt, aber nun ist es wirklich Zeit. Ich würde es nicht machen, wenn die Lage nicht sehr ernst ist." Meine Mutter nickte traurig, aber sie verstand ihn und billigte seine Entscheidung.

Ferin erzählte weiter: "Sie haben sich von unserem Hauptquartier abgewendet, wo wir alle wohnen und leben nun auf sich alleine gestellt in den Wäldern. Wir sind weit genug von ihr entfernt und sie wird nicht auf die Idee kommen, dass eine Halfelfin unter uns ist. Dort seid ihr erst einmal sicherer, als sonst irgendwo.

Ich möchte dennoch wieder ins Dorf von uns. Ich muss mehr über Daray erfahren. Ich will wissen, was sie im Schilde führt." Ein grimmiger Zug erschien um seine Lippen und ließ seine Gesichtszüge härter wirken. Ich spürte seine kalte Wut wie eisiges blaues Feuer.

„Wir helfen dir!", sagte ich und meine Mutter nickte. Ich legte meine Hand auf seine und sie drückte seine Schulter.

„Schließlich sind wir eine Familie!"

Ich lächelte und ein wohliges Kribbeln breitete sich in meiner Magengegend aus. Ja, Familie hörte sich gut an.

Einige Stunden später standen wir draußen im schneidenden Wind. Wir hatten Proviant, warme Klamotten und viel Trinken in kleine Beutel gepackt und stapften zu den Stallungen in der Nähe. Ferin und ich natürlich mit Kapuze über unseren Haaren. Der Wind war so kalt, dass es kaum einem auffallen würde, wenn wir angeblich unsere Ohren wärmen würden.

„Ich habe ein Pferd dort hinten." Ferin deutete in die letzte Box. Der Pferdeherr war so nett und hat mir diese Box gegeben, die am schnellsten zu erreichen war." Ferin wirkte gehetzt, als er sprach und immer wieder schaute er sich um.

„Was ist?" Ich wurde nervös.

Ferin schüttelte verwirrt mit dem Kopf.

„Ich dachte nur, ich hätte Schritte hinter uns gehört." Ich drehte mich um, konnte aber nichts erkennen.

„Da ist aber niemand", stellte ich nüchtern fest. „Ich will ja nichts sagen, aber du leidest ein wenig unter Verfolgungswahn, oder?" Ich boxte ihm leicht in die Seite und versuchte es scherzhaft klingen zu lassen. Ich wollte nicht, dass er diesen gehetzten Blick aufsetzte. Ich hasste diese Spannung, die er dann immer ausstrahlte!

Ferin lächelte schmal und ging weiter, ohne sich noch einmal umzudrehen. Dann waren wir bei seinem Pferd und fingen an, das Gepäck auf den Rücken des Tieres zu verschnüren.

„Ihr könnt auf Esram reiten, ich werde laufen." Er schaute uns an. „Esram kennt den Weg zum Lager. Er wird sich nicht verlaufen! Wartet bei der alten Eiche auf mich, ich werde so schnell nachkommen wie ich kann."

„Wieso kommst du nicht mit uns?" Meine Mutter klang ein wenig alarmiert.

„Esram ist zwar ein sehr starkes Pferd, aber drei Personen schafft auch er nicht."

Stimmt, daran hatte ich noch gar nicht gedacht.

„Aufteilen ist vielleicht gar nicht verkehrt", meinte ich und dachte an die Phantom-Verfolger von vorhin.

Ferin lächelte und gab meiner Mutter einen Kuss zum Abschied und drückte mich.

„Ihr schafft das!" Ich sah noch einmal das Grün in seinen Augen aufleuchten, dann lief er schnell wie der Wind die Straße hinunter.

Einen Moment starrten wir ihm hinterher, als hätten wir beide einen Geist gesehen aus vergangenen Zeiten. Als Esram leise schnaubte wurden wir daran erinnert, dass Ferin nun wieder ein Teil unserer Familie war.

„Komm, lass uns keine Zeit verlieren." Meine Mutter führte das Pferd auf den Hof. Mit einer fließenden Bewegung schwang sie sich auf den Rücken und reichte mir ihre Hand.

Ich nahm hinter ihr Platz und schlang meine Arme um ihren Oberkörper.

„Halte dich gut fest", sagte sie zu mir und gab Esram die Sporen. Er gehorchte auf den Befehl und wir preschten voran. Meine Mutter hatte das Tier vollkommen unter Kontrolle. Es war quasi als wären sie ein atmendes Wesen.

Ich wunderte mich, wo sie so gut Reiten gelernt hatte. Merk es dir für später, sagte ich mir selbst und ließ die Landschaft an mir vorbeiziehen.

Nur ein Gedanke ließ mich auf der gesamten Reise nicht los. Ich wollte unbedingt wissen, ob Henri und Cen irgendetwas mitbekamen von der neuen Situation im Wald. Ich sollte ihnen einen Raben schicken, wenn wir ankamen, dachte ich noch und schloss dann die Augen. Ich brauchte meine Energie für die nächsten Tage.

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