Kapitel 4


Ich lebte schon seit vielen Jahren in dieser Stadt. Die meisten Sachen waren mir vertraut: die Häuser, die Gassen, die Gerüche und selbst einige Menschen. Es gab bei uns immer einige fahrende Händler, die mal mehr und mal weniger regelmäßig zu den Markttagen kamen. Die Menschen auf dem Markt kannte ich mit Vornamen. Was nicht selbstverständlich war, denn die meisten, die hier in der Stadt lebten, waren Menschen und die sahen Halbelfen nicht gerne. Ich litt sehr darunter. Meine Mutter auch, denn sie verbot mir viele Dinge, die ich als reinblütiger Mensch oder Elf ohne zu überlegen gemacht hätte, so zum Beispiel ohne Bescheid zu geben rauszugehen.

Sie wird sehr böse sein, wenn ich auftauchte. Dieser Gedanke schwirrte mir durch den Kopf, als ich an den Häusern vorbeiging. Ich verfiel in einen leichten Trab, um nicht noch mehr Zeit zu verlieren. Sie machte sich bestimmt schon Sorgen und dann habe ich auch noch bei Elfen übernachtet, ausgerechnet. Ich spürte mein schlechtes Gewissen und lief noch ein wenig schneller. Meine Gedanken peitschten wild umher und ich trieb mich innerlich und äußerlich immer weiter an. Nur einmal blieb ich kurz stehen und pflückte einige hübsche Blumen vom Wegesrand. Blumen halfen bei ihr immer.

Tief in Gedanken versunken erreichte ich unser Haus. Es drängte sich grau und unscheinbar an die Nachbarshäuser, so als wollte es unter keinen Umständen auffallen. Und das tat es nicht, aber das war nicht unserer Fassade geschuldet, sondern dem Viertel, in dem wir wohnten. Das Arbeiterviertel im Westen ist berühmt berüchtigt für seine grauen Steine und den immer rauchenden Schornsteinen. Nur flüchtig streiften mich die Erinnerung an ein helles Grün und warmes Lachen. Meine Mutter sorgte dafür, dass ich vergaß.

Ich schüttelte mich, um den Gedanken Einhalt zu gebieten und stieg die Treppen zu unserem kleinen Haus hoch.

Mechanisch stieß ich die Tür auf und überlegte dabei, ob ich nicht noch Wasser vom Brunnen holen sollte, statt gleich unser Trinkwasser zu nehmen.

Ich betrat die Wohnung und blieb wie angewurzelt stehen.

Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. Mit wachen Sinnen ging ich den dunklen Flur entlang und hielt vor Angst den Atem an.

Stück für Stück arbeitete ich mich vorwärts, bis ich in unsere Wohnstube blicken konnte. Erleichtert atmete ich auf, als ich meine Mutter auf dem Schemel sitzen sah. Sie hatte sich zum Fenster gewandt und saß mit dem Rücken zu mir.

„Guten Tag, Mutter", sagte ich langsam und ging auf sie zu.

Auf einmal fuhr sie herum und stand blitzschnell vom Sessel auf. Sie drehte sich nun vollends zu mir um. Ich erschrak, als ich sie anblickte.

Sie war kreidebleich und hatte tiefe Schatten unter den Augen.

„Indira, was hast du getan? Mit wem hast du dich eingelassen?"

Ich blickte betreten zu Boden und schon sprudelte es so aus mir heruas: „Es tut mir Leid. Ich wollte eigentlich nicht mitgehen, aber er hat mich mit sich gezogen und dann bin ich in Ohnmacht gefallen. Anscheinend war ich so müde, dass ich mehrere Stunden geschlafen habe, danach gaben sie mir zu essen und du hast gesagt eine Mahlzeit, die einem geschenkt wird, sollte man nicht ablehnen."

Ihre Miene verhärtete sich. Ich hätte den letzten Satz wohl nicht sagen sollen.

„Du warst viel zu lange alleine draußen! Weißt du eigentlich, was alles hätte passieren können? Wie oft hat deine Großmutter dich ermahnt, dich vor den Umhängen in Acht zu nehmen?"

„Oft, ich weiß, aber sie haben mich vor denen gerettet, Mutter, dass musst du mir glauben." Mein Unterton war flehend geworden, ich kannte diese Stimmungsschwankungen meiner Mutter sehr gut. Sie war kurz vor dem Explodieren. Ich hatte das ungute Gefühl, dass es noch nicht alles war, was sie mir erzählen wollte.

„Wovon redest du?", fragte sie barsch.

„Die zwei Jungen haben mich gerettet, sie haben mich bei sich aufgenommen und mir essen gegeben."

Meine Mutter wurde noch bleicher, wenn das überhaupt ging. Mitgefühl wallte in mir auf und ich schalt mich noch mehr, weil ich einfach so unachtsam war. Sie hatte mit allem Recht. Ich hätte vorsichtiger sein sollen. Ich wusste doch, wie sehr es sie zusetzen würde, nach alldem was passiert war, hatte sie noch mehr Sorge und Angst um mich. Sie hatte nur eine andere Art es auszudrücken. Das redete ich mir schon seit Monaten ein, aber ich wusste auch, dass sie die Vergangenheit immer noch sehr mitnahm. Und ich wusste überhaupt nicht, wie ich ihr helfen konnte.

Etwas hilflos stand ich neben ihr und hielt die Blumen umklammert.

„Ich habe dir ein paar Blumen mitgebracht", flüsterte ich.

„Sie werden welken." Ihre tonlose Stimme stach in meiner Brust und ich merkte die Gefühle hochkochen. Es passierte mir in letzter Zeit häufiger, dass ich sie kaum in Schach halten konnte. Frustriert knallte ich sie auf unseren kleinen Tisch und wollte mich mit lautem Stampfen nach Draußen aufmachen.

„Halt, Indira." Ich lächelte grimmig. Es klappte also immer noch: Das beleidigte nach Draußen-gehen nötigte meine Mutter zu einer Gefühlsregung.

„Bitte, gehe nicht. Du bist doch gerade erst wiedergekommen." Noch so ein interessanter Satz, den man erst einmal aus seiner Schale schälen musste, um den Kern zu erkennen. In Wirklichkeit wollte sie sagen: Ich brauche dich.

Diese Worte kamen aber seit einiger Zeit nicht mehr über ihre Lippen.

Ich drehte mich um und nickte kurz. Dann kam ich zurück und setzte mich.

„Die Wäsche ist schmutzig. Wir sollten sie waschen." Gehorsam holte ich den Waschzuber und die Schmutzwäsche. Danach ging ich in unsere kleine Abstellkammer und holte kaltes Wasser in einem Eimer. Das Wasser schüttete ich in den größeren Behälter. Es wurde noch nicht einmal halb voll.

„Ich hole Wasser", sagte ich schnell und schnappte mir den Eimer. Ich wusste genau, dass ich vor meiner Mutter floh, aber ich konnte nicht anders. Mit jedem Tag wurde es schlimmer und ich hasste die Anspannung, die nun in unserem Haus herrschte.



Hey ihr Lieben!


Mich würde interessieren, wie ihr bis jetzt die Charaktere findet. Verbesserungsvorschläge?

Immer her mit den Kommentaren =)


Liebe Grüße!

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