Kapitel 26
Ein ohrenbetäubender Lärm ertönte und während ich mir die Ohren zuhielt, konnte ich beobachten wie etwas Schwarzes auf uns zuraste. Es kam von der Seite und mein langsames Gehirn versuchte zu verstehen.
Bevor ich überhaupt einen klaren Gedanken fassen konnte, riss Cen mich am Arm hinter sich her. Ich stolperte mehr, als dass ich lief, aber das war mir in diesem Augenblick egal. Mit vor Schreck geweiteten Augen sah ich, wie Henri Cens Hand umklammert hielt und unsere kleine Karawane sicher versuchte über die Bretter zu lotsen.
Da ich meine Ohren nicht mehr verschlossen hielt, konnte ich auch das durchdringende und permanente Rauschen hören, welches in der Luft lag.
Ich wollte irritiert inne halten, aber Cen ließ nicht mit sich reden. Sein Griff war eisern und unnachgiebig. Ich hörte wie mein Herz immer schneller schlug und betete, dass wir es noch rechtzeitig schafften. Egal, ob uns die Späher bereits entdeckt hatten, das war bei unserem Gekeuche und den lauten Schritten so sicher wie das Amen in der Kirche.
Waren es vielleicht die Späher, die über weitere Bretter von links kamen? Hatten sie uns schon am Strand gesehen und waren uns heimlich gefolgt? Ich kannte die Antwort nicht, aber dann traf es mich mit voller Wucht. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Kalt, nass und riesengroß traf die Welle auf uns. Klein, unvorbereitet und mit zu wenig Halt begegneten wir ihr.
Ich hatte keine Chance. Die Wassermasse erwischte mich an meiner linken Körperhälfte und zog mich nach unten. Für einen kurzen Moment, als ich unter Wasser war, war es friedlich und still um mich herum. Nichts schien mehr wichtig zu sein oder von Bedeutung. Ich fühlte, wie sich meine Haare wie Algen um mich herum ausbreiteten und die kleinen Härchen mich an meiner Schulter kitzelten.
Mein gesamter Körper war schwerelos und ich schwebte inmitten der Wassermassen. Ein Lächeln umspielte meine Lippen. Wieso hatte ich mir so große Sorgen gemacht? Das Wasser war sanft zu mir, dachte ich träge. Dann schloss ich glücklich, aber müde die Augen. Kurz bevor meine Wimpern meine Wangen berühren konnten, wurde ich von dem Wasser brutal nach oben gestoßen. Ich schoss wie ein Flummi auf die Oberfläche zu und durchbrach das schwarze Nass. Hustend und prustend nahm ich den lebensspendenden Atemzug.
Ich merkte wie das Wasser nun wilder wurde und ungeduldig an meinem Körper zog. Während ich mit der Strömung trieb, versuchte ich mich zu orientieren. Ich suchte hektisch nach zwei weiteren Köpfen, aber konnte keine entdecken. Die Panik drückte mir fast die Kehle zu.
„Cen, Henri!", rief ich, aber meine Stimmbänder waren durch das Salzwasser so beansprucht worden, dass ich nur ein Krächzen heraus bekam.
Ich würgte und spuckte Wasser aus. Verzweifelt paddelte ich gegen die Strömung, aber diese trieb mich unbeirrt weiter. Meine Augen suchten das Lager von Daray, fanden es, aber ich stutzte. Ich sah nur noch die Häuser der Elfen, die Pfähle waren im Wasser verschwunden. Es sah fast so aus, als würden sie auf dem Wasser treiben. Richtig unheimlich mit den Fackeln, die zuckend und qualmend kleine Lichtpunkte in der Dunkelheit bildeten.
Ich kämpfte mich weiter durch die Massen und sah kurz vor mir einen langen Pfahl, der für mich wie gerufen kam. Keine Planke oder gar eine dieser Pfahlhäuser musste es tragen. Ich fokussierte mich und steuerte mit meiner gesamten Kraft auf meinen rettenden Anker zu. Meine Kraft stand dem der Natur entgegen, denn ich merkte wie die Strömung mich wieder wegschieben wollte. Ich biss die Zähne zusammen und schwamm mit zwei kräftigen Bewegungen Richtung Holz. Immer wieder rang ich nach Atem, weil das Wasser mir in den Mund schwappte oder in die Augen drang. Sie brannten höllisch und durch schnelles Blinzeln wollte ich verhindern, dass ich vollkommen meine Augen schließen musste.
Noch ein kleines Stück, feuerte ich mich an und dann endlich umklammerten meine nassen Hände das glitschige Holz. Mit aller Macht presste ich meinen Körper an den Pfahl und atmete erst einmal mehrere Minuten lang. Erschöpft lehnte ich meinen Kopf gegen den Stamm, zwang mich ruhig zu bleiben und schloss meine Augen kurz. Ich sah, als ich sie wieder aufmachte, dass ich gar nicht so weit vom feindlichen Lager entfernt war. Nur ein paar Meter trennten mich von einem dieser schwarz aussehenden Pfahlhäuser.
Ich wusste nicht, wo Henri oder Cen waren, und so beschloss ich erst einmal ins Trockene zu gelangen. Ich betete zu den Naturgeistern und dem einen großen Gott, dass sie am Leben waren. Ich wüsste nicht, was ich sonst in dieser Situation für sie tun könnte. Um sie mussten sich nun die größeren Mächte kümmern.
Die nächste große Welle abwartend, sammelte ich mich noch einmal und schätzte die Entfernung. Für mich sah es nicht so weit aus, aber meine Großmutter lehrte mich, dass man das Wasser nicht unterschätzen sollte. Es konnte sehr tückisch sein. Woher sollte sonst der Satz „Stille Wasser sind tief" kommen?
Ich atmete noch einmal tief ein und aus und schwamm weiter. Als hätte es mir gutgetan mich kurz auszuruhen, kam ich diesmal besser voran. Die Strömung war zwar immer noch mein Feind Nummer eins, aber ich nutzte es zu meinem Vorteil und ließ mich auch ein Stück weit treiben, um den nächsten Pfahl zu erreichen. So hangelte ich mich bis zum Pfahlhaus weiter.
Die Erbauer dieser Häuser hatten kleine Veranden um die Gebäude gebaut, sodass die eigentlichen Häuser auf kleinen Inseln aus Holzplanken standen. Zum Glück für mich, denn so konnte ich mich leicht auf die Veranda hieven. Meine Hände suchten Halt am rauen Holz und mit einem leisen Ächzen schob ich meinen nassen schweren Körper auf die Plattform. Schwer atmend lag ich wie ein Sack Mehl dort und sortierte mich.
Versteck dich, drängte eine Stimme in mir und ich stemmte mich auf meine Hände und schaute mich um. Ich sah ein paar Meter weiter eine Ansammlung von braunen Fässern, die ich nun kriechend ansteuerte. Mir erschien es sicherer erst einmal in einer gebückten Haltung zu bleiben, außer Reichweite von irgendwelchen Spähern.
Ich erreichte die Fässer ohne weitere Zwischenfälle. Sie verdeckten mich glücklicherweise vollkommen, weil mehrere Fässer übereinander gestapelt worden waren. Ich tippte auf Esssensvorräte oder sauberes Trinkwasser.
Mit zitternden Händen strich ich mir durch meine nassen Haare und wrang sie Stück für Stück aus. So gut es ging tat ich es auch mit meiner Kleidung. Jedes kleine Gramm an meinem Körper könnte mir bei einer Flucht hinderlich sein. Als ich mit dieser Tätigkeit fertig war, linste ich durch eine Lücke bei den Fässern. Ich hörte zwar Stimmen, aber sah niemanden in meiner Nähe. Ich strengte mein Gehör noch mehr an, aber verstehen konnte ich nichts. Ich musste näher heran. Es könnte sein, dass ich dort auch Cen und Henri traf.
Langsam schob ich mich Stück für Stück aus meinem Versteck, meine Augen wachsam und aufmerksam die Umgebung musternd. Ich mied offene Fenster und Türen und huschte dicht an die Wand gedrängt an dem Pfahlhaus entlang. Um die eine Ecke musste ich noch, denn von dort kamen die Stimmen. Die Holzfassade roch nach Wald und ein wenig nach Meersalz. Wenn ich mir vorstellte, dass sie vor einem Jahr noch als wundervolle Eichen am Seeufer standen, drehte sich mir der Magen um und meine Hände ballten sich automatisch zu Fäusten. Ich verstand immer noch nicht, wie man so rücksichtslos und egoistisch sein konnte, sich sein Lager aus Holz zu bauen. Clever war es, dass gab ich grummelnd zu. Besonders, dass sie es auf dem See gebaut hatten, so weit vom Ufer entfernt, dass man sich nicht traut zu schwimmen und so hoch, dass unliebsame Besucher sich dreimal überlegten, ob sie mit dem Boot an einen der Pfähle anlegen sollten und den Rest kletterten, immer mit der Gefahr, dass sie abstürzen könnten und in die kalten Fluten fielen. Vor Menschen war dieses Lager alle mal gesichert, da die wenigsten aus der Stadt schwimmen konnten. Und wenn, dann wären sie bei dem Versuch gestorben, besonders dann, wenn die Elfen Wind davon bekamen und so wie bei uns, den See überfluteten. Ich vermutete, sie hatten den Fluss, der in diesen See floss und am Ende als kleiner Nebenarm Richtung Stadt floss, oben in den Bergen gestaut und warteten nur auf den richtigen Augenblick. Die Natur als Waffe nutzen. Vor Ärger und Wut hätte ich am liebsten der neuen Anführerin ordentlich meine Meinung ins Gesicht gesagt. Aber dazu, musste ich sie erst einmal finden und vorher gute Argumente hervorbringen, wieso sie eine miese Schlange war.
Vorsichtig wagte ich einen Blick um die Ecke und hielt vor Schreck die Luft an. Zwei Wachen versperrten mir den Weg zu den anderen Pfahlhäusern. Ich war auf einer der entlegensten „Bretterinseln". Alle anderen Pfahlhäuser waren nur über Hängebrücken erreichbar, die bei dem hohen Wasserspiegel kanpp über dem Wasser schwebten.
„Wachablösung", ertönte auf einmal eine Stimme vor mir und ich fuhr verängstigt zusammen. Eine dritte Person erschien in meinem Blickfeld und die Fackel, die eine der Wachen hielt, wurde dem Neuankömmling überreicht.
„Alles ruhig nach der Flut. Mögliche Verfolger haben wir damit abgeschüttelt." Der erste Wachmann ergänzte etwas, aber ich verstand nichts mehr, da der aufkommende Wind seine Worte in die entgegengesetzte Richtung trieb. Der Neue antwortete: „Ja, die anderen sind gerade angekommen. Sie befinden sich im Gespräch mit Daray. Haben behauptet, dass sie den toten Körper abholen wollten. Ich weiß nicht, ob ich denen das abkaufen würde. Sie kamen mit großen Kisten, sahen aber eher aus wie arme Gefolgsleute, die einem längst vergangenen Anführer hinter hertrauern. In dem jetzigen Zeitalter sind sie noch nicht angekommen." Alle drei lachten und ich dachte an die würdevolle Gestalt von unserem Anführer. Wie ein Gefolgsmann sah er für mich nicht aus.
„Sie hatte angeordnet, doppelte Wachen an der Totenstätte aufzustellen. Nur zur Sicherheit, wie sie sagte. Ihr sollt euch als Unterstützung auch dort auf den Weg machen. Viel Spaß auf dem Weg dahin. Einige Bretter der Hängebrücke sind morsch, passt auf. Ich werde sie morgen austauschen." Mit den Worten wurde abgelöst und die zwei Wachen gingen Richtung Hängebrücke. Der Neue stellte sich währenddessen breitbeinig mit der Fackel in der einen Hand und einem sehr scharf aussehenden Dolch in der anderen, direkt vor meine Lichtquelle.
Ich schlich einen Meter nach hinten und verschmolz wieder mit der Dunkelheit.
Jedenfalls hatte ich nun ein grobes Ziel. Blöd nur, dass die Wachen direkt vor der Hängebrücke standen, auf die ich hoffte, zu der besagten Totenstätte der alten Anführerin zu gelangen. Bevor ich überhaupt einen weiteren Gedanken an mein weiteres Vorgehen verschwenden konnte, packte mich jemand von hinten und presste mir seine Hand auf den Mund. Mein Körper versteifte sich im gleichen Moment und ich schlug um mich. Ich traf meinen Angreifer mit meinem Ellenbogen im Bauch. Er ächzte und ließ ein wenig locker. Sofort schlug ich die Hand weg, drehte mich um und wollte mit einem weiteren Stoß den Jemand in das kalte Nass stoßen.
Als ich sah, wer hinter mir stand, hielt ich mitten in der Bewegung inne und starrte Cen ungläubig an, der sich schmerzverzerrt seinen Bauch hielt.
„Wusste nicht, dass du so gut zuschlagen kannst", flüsterte er mit einem Grinsen und kam wieder näher.
Ich wollte etwas erwidern, da hörten wir beide die Stimmen der Wachen.
„Hey, Erasmus, ich glaube, ich habe etwas gehört. Ich sehe einmal nach!" Seine schweren polternden Stiefelschritte schon in meinen Ohren, glaubte ich das mein letztes Stündlein geschlagen hätte.
Aber Cen ließ sich nicht so schnell aus der Ruhe bringen, sondern zerrte mich schon mit sich. Mal wieder...
Er zog mich in das Pfahlhaus und schloss leise die Tür hinter uns. Mit zwei weiteren Schritten hockte er sich hinter ein Regal mit Flaschen und bedeutete mir, das gleiche zu tun. Mit angehaltenem Atem saß ich nun eingequetscht zwischen Cen, Spinnenweben und zerbrochenen Flaschen, die hinter das Regal gerutscht waren und lauschte den Geräuschen von draußen. Die Stiefelschritte kamen näher, stoppten vor der Tür und wir vernahmen wieder die Stimme der Wache. Diesmal ein wenig gedämpfter, aber immer noch verständlich.
„Hier ist niemand. Ich sehe jedenfalls keinen. Ich schau mal im Haus nach."
Ich zog entsetzt die Luft ein und erzeugte einen kleinen Aufschrei. Sofort schlug ich mir mit der Hand auf den Mund, wie um die letzten vorher gegangenen Sekunden rückgängig zu machen. Cen zupfte an meinem Ärmel und kroch noch tiefer hinter das Regal. Ich folgte ihm mit zitternden Knien und atmete flach.
Das Quietschen der Tür kündigte die dritte Person im Raum an. Mein Herzschlag dröhnte in meinen Ohren und der Atem klang immer abgehackter.
Cen bemerkte es und drehte sanft meinen Kopf in seine Richtung. Nun standen wir uns gegenüber. Meine eine Schulter berührte die Holzwand, die andere das Regal, für mehr war nicht Platz. Ich merkte wie mir kalter Schweiß ausbrach und als kleines Rinnsal den Rücken herunter lief. Ich begann zu zittern, teils durch Stress, teils durch die nasse Kleidung. Verzweifelt versuchte ich mich an Cen zu halten, der wie eine Statue ruhig und still da stand, nur seine Augen, die hin- und her huschten verrieten seine Aufregung.
Dann hefteten sich seine blauen Augen auf mich und bohrten sich in meine. Ich stand automatisch gerade und konnte meinen Blick nicht abwenden. Eigentlich hasste ich diesen forschen Blick, der mich immer wie nackt dastehen ließ, aber nun war ich dankbar dafür, da er mich aufrecht hielt. Ich zwang mich ruhiger zu atmen, als ich hörte, wie die Wache durch den Raum ging. Die Fackel in der Hand warf tanzende Schatten an die Wand und beleuchtete jeden dunklen Fleck. Der Rauchgeruch wurde stärker, als er sich dem Regal näherte. Ich hielt die Luft an, denn nun stand er direkt vor uns. Wir waren nur durch etwas Holz und Glasflaschen von ihm getrennt. Mein Augenlid begann zu zucken, so sehr strengte ich mich an, in Cens Augen zu schauen. Blinzelte er überhaupt einmal? Ein verzweifeltes nervöses Lachen wollte sich nach oben bahnen, aber ich presste meine Lippen aufeinander.
Die Wache brummte etwas, nahm eine Flasche aus dem Regal und öffnete den Korken mit einem lauten Plopp. Mir schwappte eine Woge Alkohol entgegen. Wir hörten wie er gierig den Inhalt leerte, laut und zufrieden rülpste und das Gefäß dann von sich schleuderte. Da ich mit dem Rücken zu dem Geschehen stand, konnte ich nur Vermutungen anstellen. Es hörte sich so an, als wäre die Flasche ganz in unserer Nähe an der Wand in tausend Einzelteile zersprungen. Ich spürte kleine Glassplitter, die an meiner nassen Kleidung abprallten und dann zur Erde fielen. Anscheinend hatte die Wache nun endlich genug vom Herumschnüffeln, denn ohne weiter zu suchen oder ein weiteres Wort, verließ sie endlich den Raum und ließ uns im Dunkeln allein.
Ich stieß einen erleichterten Seufzer aus und lächelte Cen an. Der löste sich nun auch aus seiner Starre und meinte leichthin: „Das hat doch gut funktioniert."
Meinen fassungslosen Blick, den ich ihm zuwarf, ignorierte er gekonnt und schob mich stattdessen sanft nach hinten aus dem Versteck.
„Wir sollten nach trockener Kleidung suchen." Während er das sagte, strich er sich Spinnweben und Staub von seiner eigenen Kleidung. Ich machte einen zustimmenden Laut und begann mich in meiner neuen Umgebung umzusehen.
Als Entschädigung für das lange Warten gibt es von mir ein etwas längeres Kapitel. Ich hoffe ihr hattet einen schönen sonnigen Monat und seid wieder bei Indira und ihrem Abenteuer dabei. Es geht rasant weiter, so viel kann ich versprechen! =)
Was sagt ihr zu dem Geschehen in diesem Kapitel?
Liebe Grüße und wir lesen uns in den Kommentaren!
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