Kapitel 2
Wir hielten an, kurz bevor ich mir überlegte in eine künstlich herbeigeführte Ohnmacht zu fallen oder einfach abzuhauen.
„Danke", brachte ich mühsam heraus. Das Wort kam eher zögerlich über meine Lippen. Mein Blick huschte misstrauisch zu meinem Gegenüber und dann beäugte ich witternd und immer noch auf der Hut meine Umgebung.
Wir waren in einer Gegend, die mir gänzlich unbekannt erschien.
„Wo sind wir?" Oh super, höhnte eine kleine fiese Stimme in meinem Kopf. Ist das die einzige Frage, die dir durch den Kopf schießt? Nein, gab ich ihr genervt Konter, aber die erste greifbarere.
Der Junge lächelte verschmitzt und machte eine ausladende Handbewegung.
„Das hier", er ließ eine Pause entstehen, um es zu dramatisieren und Spannung aufzubauen, „ist mein Zuhause."
Ich brauchte meine ganze restliche Kraft, um ihn nicht anzuglotzen oder meinen Mund offen stehen zu lassen. Eines stand definitiv fest: Er war kein Prinz.
Das, worauf ich blickte, war, wenn man es wohlwollend betrachtete, ein kleines Haus. Es grenzte an zwei viel größere Häuser und sah verglichen mit denen eher schmächtig und nichtssagend aus.
Ich brachte nichts über meine Lippen. Ich wollte mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Ehrlich gesagt lebte ich nicht weniger ärmlich.
„Und, wenn du es noch genauer haben möchtest: Ich wohne am Rande der Stadt, am Osttor." Ach, deswegen kannte ich das Viertel noch nicht. Es war das Elfen-Viertel. Meine Mutter verbot mir, mich hier herumzutreiben. Dort lauern die schlimmsten Gestalten, Indira, sagte sie mir immer. Ich konnte es nicht mehr hören. Umbringen kann man mich überall, war mein Gegenargument. Immer in der Hoffnung, dass sie mal vernünftig diskutierte, aber danach seufzte sie nur. Sie hasste Streit und ging ihm lieber aus dem Weg, als sich ihm zu stellen. Ganz anders als ich. Oma hatte immer mit einem Lächeln gesagt, ich wäre schon immer wild und unnachgiebig gewesen. Diskussionen liebte ich. Mit einer Ausnahme: Die Umhang-Typen sollte man in kein Wortgefecht verwickeln. Da wäre ich dann wirklich tot. Und zwar schneller, als ich A sagen konnte. Ich schüttelte mich unmerklich, um die düsteren Gedanken loszuwerden und kam wieder in die Gegenwart zurück.
„Ich habe noch eine kurze Frage", begann ich. Ich wollte so schnell wie möglich aus dem Gefahrenbereich heraus und nach Hause. Wie es ausschaute, hatten wir meine Verfolger abgehängt, aber sie konnten auch jeden Moment wieder auftauchen. Der Junge hielt mitten in der Bewegung inne Er wollte gerade hinein gehen, aber dann drehte er sich noch einmal zu mir um. Sein durchdringender Blick durchbohrte mich.
„Schieß los", meinte er.
„Erst einmal: Wie heißt du?"
Er schaute mich kurz an und sagte dann: "Cen."
Ich nickte und stellte dann eine weitere Frage: "Kanntest du meine Verfolger?"
Cen seufzte tief. „Ja, und die sogar mit Vornamen."
Ich wartete geduldig, aber mein Gegenüber schien in Gedanken versunken.
„Geht es noch etwas genauer?" Meine Stimme wurde ungeduldiger.
„Komm herein, dann erzähle ich dir ein bisschen mehr."
Nun wurde ich wieder misstrauisch. Genau genommen, kannte ich den Typen nicht und ich hörte meine Mutter wieder, wie sie mir einschärfte, mich bloß nicht auf Fremde einzulassen.
Ich druckste herum. „Nun, äh danke vielmals, aber ich verzichte." Ich drehte mich um und wollte davon gehen. Schließlich musste ich zurück nach Hause.
„Bist wohl doch nicht so neugierig, hm?" Ich hörte den Spott in seiner Stimme und sah wie sich sein Gesicht zu einem neckenden Grinsen verzog.
Ich biss fest meine Zähne zusammen, um vor Wut nicht zu explodieren. Er wollte mich piesacken, aber nicht mit mir! Entschlossen drehte ich mich weiter von ihm weg und wollte wortlos davon gehen.
"Halt, warte, du kannst nicht zurück. Es ist viel zu gefährlich." Jeglicher Humor war aus seiner Stimme verschwunden. Fast klang es so, als wäre er besorgt.
Ich merkte die Wut noch höher kochen und bevor ich mich versah, herrschte ich ihn schon an: „Was fällt dir ein über diese Situation zu urteilen. Ich kann mich sehr gut selbst schützen. Ich brauche keine Hilfe!" Wenn ich eines nicht leiden konnte, war es die Tatsache, dass ich so aussah, als könnte ich keiner Fliege etwas zu Leide tun. Die Wahrheit war, dass ich die Fliegen am Leben ließ, das stimmte also, aber dennoch fand ich es ungerecht, von der Körperstatur auf den Charakter zu schließen.
Es war glatt gelogen, dass ich keine Hilfe brauchte, aber ich wollte mich nicht in irgendeine Abhängigkeit stürzen, dachte ich mal wieder viel zu stolz.
Ich hatte die Rechnung nicht mit meinem Körper gemacht. Langsam merkte ich, wie das Adrenalin nachließ und mein gesamter Körper anfing zu zittern. Er schrie nach Ruhe und Erholung, aber noch war ich stur.
Obwohl sich langsam alles begann sich um sich selbst zu drehen, ging ich schnurstracks fort von dem kleinen Haus.
Das Problem bei dramatischen Abgängen war, dass sie nicht immer funktionierten. Jedenfalls bei mir nicht. Ich wollte wütend meine Haare nach hinten schwingen und mit festen selbstbewussten Schritten Richtung Westtor gehen. Stattdessen klappte ich wie ein schwerer Sack Mehl zusammen. Nun hatte ich meine Ohnmacht.
Meine Augenlider waren noch so schwer, dass ich sie beim ersten Mal öffnen nicht auseinander bekam. Ich musste mehrmals blinzeln, bis es mir gelang. Ich starrte an eine braune Decke. Ich blinzelte noch einmal langsamer. Dann rieb ich mir über das Gesicht und reckte mich. Mein Kreislauf musste wieder in Schwung kommen. Während mein Körper erst wieder langsam wach wurde, routierten meine Gedanken umso schneller: Hatte ich etwa geschlafen? Und wenn ja, wie lange?
Und, wo zur Hölle war ich?
Es war schummerig in dem Zimmer, wo ich gelegen hatte. Ich sortierte meine Gedanken: auf dem Boden auf einer dünnen Matte, eine Decke über meinen Beinen. Die Schuhe hatte man mir ausgezogen, stellte ich fest, als ich mich von der Decke befreit hatte. So langsam kehrte die Erinnerung an die letzte Stunde zurück und der Drang nach Normalität nahm zu.
Wild entschlossen nach Hause zu gehen, stieg ich vom Lager auf und wankte durch das Zimmer. Es war kaum möbliert. Ein grob gehauener Esstisch, ein Kamin, ein kleines Regal und die dünne Schlafmatte, auf der ich genächtigt hatte. Ich war es gewohnt auf dem Boden zu schlafen, aber ein Sprint durch die Stadt nicht, deswegen taten mir sämtliche Muskeln und Knochen weh. Ich versuchte den schmerzenden und geschundenen Körper zu ignorieren.
Gerade wollte ich durch die Tür in ein angrenzendes Zimmer, da hörte ich zwei Stimmen.
„Ich verstehe es nicht. Sie reagiert überhaupt nicht auf mich. Noch nicht einmal ansatzweise. So, als würde sie mich gar nicht mehr erkennen. Ich begreife es nicht..." Wenn mich nicht alles täuschte, war das die Stimme des Jungen, der mich rettete.
Dann vernahm ich eine andere männliche Stimme: „Cen, beruhige dich. Es gibt bestimmt eine Erklärung dafür. Lass ihr Zeit."
Ich kam mir ein wenig dümmlich vor, die zwei Männer zu belauschen, wie sie ganz offensichtlich über irgendeine verflossene Liebe sprachen, also machte ich im Nachbarzimmer ein wenig Lärm.
Sofort unterbrachen sie ihr Gespräch und kamen in das Zimmer.
Cen lächelte, als er mich sah.
„Oh, du bist wach!" Ja, natürlich bin ich wach, wollte ich knurren, aber ich schluckte den Ärger herunter und versuchte mich im Lächeln.
„Ja, danke für das Lager. Wie lange habe ich geschlafen?" Ich hielt mich so kurz wie möglich. Die Ungeduld in meiner Stimme war kaum zu überhören und nervte mich am allermeisten. Aber während ich sprach, kam ich nicht umhin meinen Retter aus nächster Nähe zu betrachten. Im Licht der Sonne konnte ich ihn viel besser erkennen, als unter dem Leinensack. Nun bemerkte ich, dass ich ihn viel jünger eingeschätzt hatte, als er vom Aussehen her war. Seine dunkelblonden Haare waren kurz, aber dennoch so lang, das einige Strähnen immer wieder in seine Augen fielen. Mit unachtsamen Gesten strich er sie immer wieder, in seine verwuschelten Haare zurück. Seine Hände waren feingliedrig und braun von der Sonne. Er trug eine weinrote enganliegende Hose und ein, seinen Körper locker umfließendes, grünes Hemd. Seine Füße steckten in braunen Stiefeln. Seine Augen waren genauso braun und musterten mich aufmerksam. Er hatte es sich wohl zur Aufgabe gemacht mich nicht mehr alleine zu lassen, denn seine Blicke folgten mir. Auch, als der unbekannte Mann hinter ihm hervor trat.
„Ungefähr einen halben Tag. Ich bin übrigens Henri." Er kam mit einem breiten Grinsen auf mich zu und schüttelte mir die Hand. Ich schnappte so rasch nach Luft, dass ich Sterne vor den Augen sah.
„Oh Gott", japste ich und umklammerte die Hand noch fester.
Er lächelte immer noch.
„Gott hat damit nichts zu tun. Diese Wirkung hatte ich schon immer."
Er hatte Recht. Die Wirkung war erstaunlich: ein Prickeln ging von seiner Hand in meine und wanderte den Arm hoch und dann in meinen Körper. Ich wusste zwar, dass die Elfen eine besondere Beziehung zur Natur hatten, aber das sie so intensiv war, hätte ich nicht für möglich gehalten. Durch ihn konnte ich ein grünes Blätterdach über mir sehen, hörte das Vogelgezwitscher und roch den süßen Duft des Waldes. Ich fühlte mich gleich viel besser.
„Danke", stotterte ich. „Ich heiße Indira", brachte ich noch heraus, dann verstummte ich und betrachtete Henri voller Faszination. Er sah so jugendlich aus und gleichzeitig sehr erwachsen. Seine blauen Augen konnten funkeln, wie die eines Kindes an seinem Geburtstag. Dennoch ließen die leichten Falten auf der Stirn darauf schließen, dass er schon einiges erlebt hatte und sich Gedanken darüber gemacht hatte. Im Gegensatz dazu trug er ein weißes Leinenhemd und eine grüne Hose, die ihm wieder eine gewisse Leichtigkeit zurück brachten. Seine Haare waren hellbraun und fielen ihm bis zu den Schultern. Am Ende kräuselten sie sich leicht. Er war sehr muskulös vermutete ich, denn das Spiel seiner Armmuskeln konnte ich deutlich durch das weiße Shirt sehen. Während er sich im Raum bewegte machte er kaum einen Laut. Was ihn aber am verletzlichsten machte, war die Tatsache, dass er barfuß war.
Es irritierte mich und bevor ich meine Zunge hüten konnte, hörte ich mich schon fragen: „Wieso bist du barfuß. Ist dir nicht kalt?"
Henri lachte ein charmantes Lachen, das den gesamten Raum ausfüllte. „Nein, im Haus bin ich immer barfuß. Ich mag es einfach meinen Zehen ein wenig frische Luft zu gönnen."
Nun war ich es, die lachte.
„So habe ich das noch nie betrachtet." Ich musste schmunzeln, obwohl ich es nicht wollte. Herrje, Indira, reiß dich zusammen, schalt ich mich. Trotzdem merkte ich, wie mir leichter ums Herz wurde und der Drang zu meine Mutter zu kommen, nachließ. Merkwürdiger Mann.
Henri zwinkerte, als ob er wusste, dass ich über ihn sinnierte und ging pfeifend in den angrenzenden Raum, den ich noch nicht betreten hatte. Zwei Matten waren ausgebreitet und nahmen fast das gesamte Zimmer ein. Ein kleiner Schrank, vermutlich voll mit Lebensmitteln, stand in einer Ecke.
„Möchte unser Gast etwas zu essen oder zu trinken?" Henri drehte sich fragend zu mir um. Sein Gesicht war ehrlich und offen.
„Ähm." Ich fühlte mich ein wenig überrumpelt und wollte gerade ablehnen, da unterbrach mich eine Stimme.
„Wie wäre es, Henri, wenn du uns allen eine deiner Eintöpfe kochst", sagte auf einmal Cen hinter mir. Ihn hatte ich komplett vergessen.
Ich drehte mich schnell um und schaute ihn ein wenig schuldbewusst an.
„Ich glaube, ich habe mich noch gar nicht bedankt", sagte ich ein wenig lahm und widerstrebend. Nur, weil ich heute einen Mann kennengelernt hatte, der freundlich war, hieß dass nicht, dass ich alle meine Vorsätze über Männer über Bord warf. Und mich zu bedanken, gehörte nun mal nicht zu meinen Stärken.
„Oh doch, dass hast du. Kurz bevor du sehr damenhaft in Ohnmacht gefallen bist." Anscheinend musste ich ihn ein wenig entsetzt angeschaut haben, denn er sagte schnell: „Ich konnte dich aber gerade noch so auffangen und wie es sich für einen Edelmann gehört, über die Schwelle tragen." Ich hörte den Schalk aus seiner Stimme, dennoch errötete ich vor Scham. Oh, mein Gott, was dachte er jetzt bloß von mir.
Ich versuchte meine Unsicherheit zu vertuschen und so sagte ich schnell: „Dann schulde ich dir etwas." Sofort klopfte ich meine Taschen nach einem Taler ab. Ich wusste, dass ich keinen dabei hatte, aber ich tat so, als würde ich weiter suchen, um nicht gestehen zu müssen, dass ich nicht reich war.
Irgendwann gab ich auf. „Ich revanchiere mich bei der nächsten Gelegenheit", versicherte ich und schaute ihm dabei fest in die Augen. Er hatte hellblaue Augen, die mich amüsiert anblickten. „In Ordnung", sagte er langsam und sein Grinsen wurde breiter. Ich hörte meinen Herzschlag in meinen Ohren und schluckte krampfhaft. Hoffentlich hatte ich nicht zu viel versprochen. Nebenbei versuchte ich nicht instinktiv mitzugrinsen. Ich konnte es mir gerade noch so verkneifen.
Stattdessen stellte ich eine zweite Frage: „Wieso hast du mich gerettet?"
Cen schaute von mir direkt an die gegenüberliegende Wand und schwieg erst einmal. Ich zog ein wenig verärgert eine Augenbraue hoch und folgte seinem Blick auf die Wand. Sie hatte viele Risse und war grau vom Ruß.
"Steht die Antwort auf der Wand oder wieso starrst du sie an?", fragte ich spitz. Er räusperte sich und sein Blick huschte für einen Bruchteil einer Sekunde zu mir. Dann starrte er wieder zur Wand und ich seufzte genervt. Er bemerkte es, denn plötzlich ging ein Ruck durch seinen Körper.
„Ich glaube das Essen ist gleich fertig. Vielleicht sollten wir erst essen und uns dann unterhalten." Es war keine Frage, sondern eher eine Art Befehl. Ich habe früh gelernt, diesen Unterschied herauszuhören und so nickte ich knapp als Zeichen, dass ich verstanden hatte.Aber die Neugierde war immer noch da und so schnell ließ ich nicht locker. Darauf konnte er sich verlassen.
Kurze Zeit später saß ich mit zwei jungen Männern, die ich erst seit ein paar Stunden kannte, zusammen an einem Tisch und löffelte einen äußerst schmackhaften Eintopf.
An einem Tag konnte sich so viel ändern.
Das ist nun das zweite Kapitel. Schreibt mir gerne wie ihr es findet, was ich noch ändern soll oder welche Theorien ihr habt. Ich freu mich auf eure Kommentare!
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