Klischee auf Abwegen 1 - Jinho
Halb tot liege ich auf dem Tisch des Cafés. Durch meine Erkältung war ich zwei Wochen nicht im Fitnessstudio, was sich jetzt natürlich rächt. Ich wollte es eigentlich ruhig angehen lassen, doch mein bester Freund Pyo hat mich ganz schön in die Mangel genommen.
Den Kaffee und den Kuchen habe ich mir nun also redlich verdient, doch ich komme kaum zum Essen. Nur die Gabel zu heben ist mir schon zu anstrengend. Und das, wo wir morgen eine Liegestütz-Leistungskontrolle im Sportunterricht haben! An einem Montag! Wie soll ich das schaffen, geschweige denn überleben? Das Training im Fitti war als Ausgleich zum Schulalltag gedacht, nicht als Maßnahme mir den Rest zu geben.
Direkt an meinem Tisch kommt ein schlanker Kerl in einer schwarzen Hose vorbei. Sein Po, der von meiner Position aus genau auf Augenhöhe ist, sieht toll aus. Er geht vorbei, hält dann an und kehrt zurück.
Langsam erhebe ich mich von der Tischplatte. Sein Gesicht ist auch schön. Er neigt den Kopf und schaut besorgt zu mir herab. "Alles okay bei dir?"
"Äh? Ja? Hatte nur... 'nen anstrengenden Tag. Alles gut."
"Okay? Na dann." Nach einem letzten prüfenden Blick setzt er sich in Bewegung und schreitet von dannen. Ich starre ihm hinterher. Gern würde ich ihn noch einmal von vorne sehen, die blond gefärbten Haare stehen ihm echt gut.
Er setzt sich an einen Tisch, an dem schon einige andere Leute sitzen. Die kennen sich wohl. Von hier habe ich einen guten Blick auf ihn, schaue jedoch schnell weg, als er mich beim Glotzen erwischt. Endlich mache ich mich über meinen Kuchen her, der köstlich schmeckt, und werfe beim Kauen noch einige Blicke auf ihn. Ich kann ja wohl nichts dafür, wenn er genau in meinem Blickfeld sitzt. Und was sieht er überhaupt so unverschämt gut aus?
Dann wirft er mir auch noch ein halbes Lächeln zu, das ich vor Überraschung nicht erwidere, sondern mich an meinem Kaffee verschlucke. Peinlicher geht's nicht. Ich bin echt nicht in Form heute.
Nicht mehr nur erschöpft, sondern auch noch genervt, beende ich meine Mahlzeit und bezahle, als die Bedienung das nächste Mal vorbeikommt. Ich werfe ihr die leere Kaffeetasse samt Unterteller auf den Fuß.
"Ahh! Das tut mir so leid!" Keine Ahnung, wie ich sowas immer schaffe.
"Nicht schlimm, nichts passiert", versichert sie schnell und hebt die Tasse auf, während ich nach dem Teller greife und dadurch unsere Köpfe zusammenstoßen.
"Autsch... Entschuldigung!"
"Schon gut." Mit gequältem Lächeln reibt sie sich die Stirn. Das Geschirr ist noch heil. Sie rettet es schnell, indem sie es vom Tisch räumt und davoneilt. Wäre ich hetero und in einer Fanfiction, wäre das die absolut schicksalhafte Begegnung, durch die wir zusammenfinden. Stattdessen hoffe ich insgeheim, bei dem bildschönen Kerl landen zu können, der von dem Desaster hier möglichst nichts mitbekommen hat.
Ein Blick auf ihn macht alle Hoffnung zunichte. Er muss sich sichtlich das Lachen verkneifen, während er mir einen vielsagenden Seitenblick zuwirft. Beschämt ergreife ich die Flucht und trete den Heimweg an.
Ich sollte jetzt nicht sagen: "Schlimmer kann es gar nicht mehr werden", weil es dann garantiert doch noch schlimmer kommt. Nach einer nur knappen Begrüßung meiner Familie verkrümele ich mich den Rest des Tages in meinem Zimmer und höre Musik.
Wie jeden Montagmorgen hadere ich mit meinem Schicksal so früh aufstehen zu müssen. Nah an der Schule zu wohnen hat seine Vorteile, ich kann mir nicht vorstellen, noch früher aufstehen und eine Stunde Bus fahren zu müssen so wie manch andere Schüler. Wie schaffen die das bloß? Ich brauch ja schon eine Stunde zum Wachwerden, Frühstücken und Stylen.
Meine Mutter könnte mich begleiten, da sie Lehrerin an meiner Schule ist, aber sie geht meist eher los. Ist eigentlich okay so. Pyo holt mich ab und lacht mich aus, weil ich Muskelkater habe, lässt sich aber dazu überreden meine Sporttasche zu tragen, die er mir erst kurz vor meinem Klassenzimmer zurückgibt. Er muss noch eine Etage höher.
"Liebe Klasse", begrüßt uns der Lehrer, was jeden einzelnen aufhorchen lässt. Seit wann ist der so nett? "Soweit ich weiß, haben wir ab heute einen neuen Schüler in der Klasse. Er holt im Sekretariat seine Materialien ab und sollte jeden Moment da sein. Bitte nehmt ihn gut auf." Kurz ist Stille. Dann schnellen diverse Hände nach oben, weil natürlich alle ihre neugierigen Fragen stellen wollen, z.B. warum wir mitten im Schuljahr einen Neuen bekommen.
Auch ich bin neugierig und rutsche hibbelig auf meinem Stuhl hin und her, während der Lehrer erklärt, dass die Eltern von diesem Kim Jisoo beruflich umgezogen sind und Jisoo deswegen die Schule gewechselt hat. Dann klopft es und er hält mitten im Satz inne. Diese Spannung ist kaum auszuhalten! "Herein", sagt der Lehrer schließlich. Langsam geht die Tür auf.
Wenn Jisoo der Typ von gestern ist, werfe ich meinen Tisch um!
"Hallo, ich bin Kim Jisoo und ab heute in dieser Klasse", erklingt ein zartes Stimmchen.
Jisoo ist nicht der Kerl von gestern. Jisoo sieht für mich eher nach einer Schülerin als einem Schüler aus. Und Jisoo wird gleich von der Strebertruppe in der ersten Reihe aufgenommen.
Das war wohl nichts. Ich lese zu viele Fanfictions. Den Hübschen aus dem Café sehe ich sicher nie wieder.
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