29. Immer


Der Schnee rieselte bedächtig vor dem verzauberten Fenster zu Boden. Walter bewegte sich unsichtbar zwischen glücklich tanzenden Paaren hindurch und dachte an seine Frau, zu der er später zurückkehren würde. Niemand ahnte, dass er hier war - dass er sie alle beobachtete. Er konnte sehen was sie alle bewegte, kannte ihre Wünsche und Träume und den Weg, der für sie vorgesehen war. Heute war der zweite Weihnachtstag und seine Aufgabe für ein weiteres Jahr erfüllt. Er hatte erneut zwei Herzen einander näher gebracht. Auch nach so vielen Jahren wurde er dieser Aufgabe nicht müde. Wie könnte er auch? Liebe war die größte Macht von allen auf dieser Welt und sie jemandem zu schenken, der allein nicht in der Lage gewesen wäre, diese Liebe zu finden, war für ihn eine wahre Erfüllung. Niemals hätte er gedacht, dass er nach seinem Tod einmal eine derartige Aufgabe haben würde. Generell hatte er sich vom Tod etwas gänzlich Anderes erwartet. Die Menschen hatten verschiedenste Vorstellung davon, aber keine kam der Wirklichkeit gleich. Im Tod hatten sich ihm all die Geheimnisse des Universums enthüllt. Dieses imense Verständnis, was die Welt zusammenhielt und was der Sinn hinter allem war, hatte ihn schier umgehauen. Einzig mit seiner Frau wiedervereint zu werden hatte er erhofft, aber noch so viel mehr geschenkt bekommen. Fast wie ein zweites Leben, in dem er Gutes tun konnte. Er sah jeden Tag, den er wieder unerkannt auf der Erde wandeln konnte, so viele Menschen, sah in so viele Herzen, sah ihre Verzweiflung und ihr Sehnen. Er brachte sie zusammen, auf unterschiedlichste Weise. Es ging dabei mit Nichten nur um romantische Liebe, denn es war nicht diese, die jeder von ihnen brauchte - manche brauchten nur einen Freund, einen Verbündeten im Geiste, jemand der sie verstand. Liebe hatte nicht nur eine Form, sondern Tausende. Sie zeigte sich in einem Akt des Mitgefühls, in Momenten des Glücks oder der Trauer, manchmal offensichtlich und manchmal unerkannt. Nur in den seltensten Fällen konnte er tatsächlich jemandem dabei helfen die wahre Liebe zu finden. Den Geist der Weihnacht hatte seine Frau ihn immer genannt, denn für sechsundzwanzig Tage im Jahr war es ihm gestattet auf der Erde zu wandeln und dem Schicksal auf die Sprünge zu helfen. Für jeden von ihnen gab es einen Plan - eine Bestimmung - und nur wenn der Weg sie sehr weit davon entfernt hatte, dann war es ihm möglich einzugreifen. Durch ihren freien Willen kamen Menschen tagtäglich vom Weg ab und in den meisten Fällen fingen sie sich selbstständig wieder, doch wenn nicht, dann war er da. Es gab viele wie ihn, das wusste er, aber er kannte nur wenige davon und sie alle hatten andere Aufgaben und Regeln, wann und wie sie sich auf der Erde bewegten. Für ihn war die Weihnachtszeit vorgesehen und die Aufgabe, die Einsamen zueinander zu führen - oder jedenfalls die, die sich nicht wie vorgesehen von allein fanden. Manchmal vergingen Jahre, bis er den Auftrag bekam. Warum aber gerade er das konnte, warum gerade er ausgewählt worden war, war das eine letzte Geheimnis, das auch der Tod ihm nicht offenbart hatte. Seine Frau sagte immer es läge daran, dass er Weihnachten schon immer geliebt hatte und es in all den Jahren nie müde geworden war, den Menschen, die allein ihre Bar aufsuchten und wie Hermine Granger und Severus Snape alleine tranken, Mut zuzusprechen.  Aber im Endeffekt war es  ihm auch gleich, warum er diese Aufgabe bekommen hatte, denn zu sehen, wie glücklich diese Menschen waren, wenn sie sich fanden, das war ihm an Belohnung genug. Sie sollten erfahren, was Weihnachten wirklich ausmachte: Familie, Freunde, Liebe - in allen möglichen Gestalten. Um nichts Anderes ging es dabei. Der Mensch war nicht dafür geschaffen allein zu sein. Wobei es natürlich auch die unterschiedlichsten Formen des Alleinseins und der Einsamkeit gab. Ein Mensch konnte wie Hermine Granger eine wunderbare Familie und Freunde haben und sich dennoch allein fühlen. Oder wie Severus Snape nur sehr wenige oder sogar gar keine engen Vertrauten haben und durch eigene Gewissenskonflikte die Einsamkeit selbst wählen, ohne dass sie für ihn vorgesehen war. Tatsächlich war Severus Snape nicht zum ersten Mal auf seiner Agenda erschienen. Bereits vor einigen Jahren hatte er sich schon einmal seiner angenommen und die junge Hauselfe Willow nach Hogwarts geführt und sie hatte dafür gesorgt, dass er wieder Wohlwollen und Loyalität erfuhr. Aber sie allein hatte es nicht geschafft, ihn wirklich wieder auf den ihm zugedachten Weg zu führen. Und schließlich, als auch Hermine Granger den Weg verließ, der sie schon vor Jahren nach Hogwarts hatte führen sollen, war er erneut tätig geworden. Dafür hatte er Minerva McGonagall und Willow, die durch die alten Geschichten der Hauselfen ohnehin schon ein Gespür dafür hatte, dass das Universum anders funktionierte und es größere Mächte gab, als alle dachten, gebraucht, um die beiden ein wenig in die richtige Richtung zu schubsen. Und sie hatten ihre Aufgabe wirklich hervorragend erfüllt, es war gar nicht viel nötig gewesen, sie mussten nur darauf aufmerksam werden. Er lächelte vor sich hin, während er sich weiter durch die Paare auf der Tanzfläche bewegte. Die Standuhr schlug neun, nur noch drei Stunden würde er für dieses Jahr noch auf Erden wandeln können, aber er wusste sie würden noch früh genug hier sein. Er wusste, sie würden Antworten wollen und heute war die letzte Gelegenheit dafür. Sie würden ihn heute zum zweiten und letzten Mal sehen, danach, so war er sich sicher, würden sie ihren Weg allein finden.

*

Hermine betrachtete sich noch ein letztes Mal lächelnd im Spiegel. Genauso hatte sie in Severus' Traum ausgesehen, in dem Traum, der sie beide dazu brachte endlich über ihren eigenen Schatten zu springen. Sie hatten entschieden, die Erinnerung des jeweils Anderen zu behalten, immerhin hatte sie das erst zusammen gebracht. Ob sie wohl jemals erfahren würden, wer die Erinnerungen gestohlen und vertauscht hatte?
"Du siehst unglaublich aus", flüsterte Harry, der in der Tür lehnte, "Snape ist ein sehr glücklicher Mann." Lächelnd drehte Hermine sich um und sah ihren besten Freund dankbar an. "Ich bin so aufgeregt, dabei weiß ich bereits, dass der Abend perfekt wird."
Harry löste sich vom Türrahmen und trat auf sie zu, legte ihr die Hände auf die Schultern. "Das bedeutet, dass es richtig ist", erklärte er, "Dass er der Richtige ist. Ich freue mich wirklich sehr für dich- für euch. Niemals hätte ich gedacht, dass Träume sowas auslösen könnten."
"Ich kann immer noch nicht glauben, dass alle das so gut aufgenommen haben", sagte Hermine und schüttelte leicht lächelnd den Kopf.
"Nachdem du so ein riesen Geheimnis aus allem gemacht hast, haben sie sicher fast mit allem gerechnet", meinte Harry lachend, "Auch fast schon mit jemandem wie ihm."
"Hermine, du siehst fantastisch aus", sagte Ginny, die mit Albus auf dem Arm nun auch das Zimmer betrat.
"Danke für das Kleid", bedankte sich Hermine erneut, "Und für gestern."
"Nicht der Rede wert", winkte sie lächelnd ab. Ginny war diejenige gewesen, die Severus sein Auftreten als der Mann an ihrer Seite so angenehm wie nur möglich gemacht hatte. Immerhin hatte sie von allem gewusst und war nicht von seinem Erscheinen überrascht worden. Ihr war es zu verdanken, dass nicht lange überraschtes Schweigen geherrscht hatte, sondern dass Severus sich willkommen gefühlt hatte. "Teddy lässt fragen ob du ihm bei seiner Krawatte hilfst", ließ Ginny Harry wissen, "Er wollte gerne, dass du ihm zeigst, wie man sie auf Muggelart bindet." Harry lachte und nickte. "Dann werde ich mich mal darum kümmern", er strich Hermine noch einmal über die Schulter und verließ das Zimmer. Teddy war auch am gestrigen Tag noch zum Essen gekommen. Er hatte den Heiligabend mit seinen Freunden in Hogwarts feiern wollen und war dann nach der Bescherung von Professor McGonagall gebracht worden.
"Ich will auch tanzen", quengelte Albus, der zum Ball im Ministerium nicht mitgehen würde. Er war noch zu jung und sollte daher eigentlich auch schon längst schlafen. Audrey hatte sich bereiterklärt mit den Jüngsten im Fuchsbau zu bleiben, damit alle anderen tanzen gehen konnten. "Dann tanze ich jetzt mit dir", sagte Hermine und Albus streckte bereits freudig die Arme nach ihr aus. Hermine schwang den Zauberstab und eine kleine Harfe spielte Musik. Sie nahm Ginny den Kleinen ab und wiegte sich mit ihm im Takt und machte auch einige langsame Drehungen mit ihm, er jauchzte vergnügt. "Siehst du, jetzt tanzt du auch", sagte sie lächelnd zu ihm. Ginny ging das Herz auf, wie sie die beiden so ansah und strich in Gedanken über ihren gewölbten Bauch. Sie könnte sich für ihre kleine Tochter wirklich niemand Besseren als Patentante vorstellen als ihre beste Freundin. Sollte ihr und Harry jemals etwas zustoßen, dann musste sie sich nicht darum sorgen, dass es ihren Kindern wie Harry ergehen würde. Sie würden geliebt werden und eines Tages würde Hermine sicher auch selbst eine fantastische Mutter sein. Seit sie das mit Severus geklärt hatte war sie so viel hoffnungsvoller und beschwingter. Es war, als wäre Hermine aus einem tiefen Schlaf erwacht und sie wünschte ihr, dass all diese Träume der letzten Wochen für sie nun wirklich wahr würden.

"Also Severus, ich muss schon sagen, nachdem sie so ein Geheimnis aus allem gemacht hatte, hatten wir ja mit allem gerechnet", plapperte Molly auf ihn ein, als er kam um Hermine abzuholen.
"Aber damit offensichtlich doch nicht", stellte er fest und Molly nickte.
"Das war wirklich eine ganz schöne Überraschung. Wann genau hat das denn angefangen?"
Jetzt sah er sich in Erklärungsnot. Das Letzte was er wollte, war Hermines Lüge jetzt doch noch zu offenbaren und Molly verletzen, aber er wollte sie auch nicht anlügen. Trotz allem war Molly ihm doch all die Jahre freundlich begegnet, während so viele Andere ihm misstraut hatten. Aber irgendetwas musste er sagen. "Eigentlich schon vor einigen Jahren", hörte er sich plötzlich sagen, "Jedenfalls in gewisser Weise." Er dachte dabei an ihre Besuche im Sankt Mungos, die ihm rückblickend sehr geholfen hatten, auch wenn er damals nicht in der Lage gewesen war sich das einzugestehen. Ihre beharrliche Art, mit der sie ihm klar machen wollte, dass er eine zweite Chance verdienen würde, hatten ihn unterschwellig dazu gebracht, wieder auf die Beine zu kommen. Wäre er damals schon in der Lage gewesen seine Mauern abzubauen, wäre ihm vielleicht früher klar gewesen, dass es eine Verbindung zwischen ihnen gab und es hätte nicht erst diese Träume und zehn lage Jahre voller Groll ihrerseits gebraucht. Wie er Mollys verwirrten Gesichtsausdruck musterte, wusste er, dass sie die falschen Schlüsse zog.
"Sie war in einer Zeit für mich da, in der es niemand Anderes war. Ich habe es damals nicht zu schätzen gewusst und ihr unrecht getan, das verbindet in gewisser Weise", erklärte er, "Das alles hat sich aber erst in den letzten Wochen aufgelöst, als uns ein Zufall wieder aufeinander stoßen ließ." Er war zufrieden mit dieser Erklärung, er hatte weder gelogen noch genau ausgeführt über welche Anzahl an Wochen er genau sprach. "Und ihr habt erkannt, dass eure Verbindung noch tiefer war, als ihr dachtet", vermutete sie. Severus nickte.
"Hermine ist ein außergewöhnliches Mädchen", sagte Molly und es schwang fast etwas wie mütterlicher Stolz in ihren Worten mit, "Sie sieht es, wenn jemand ein gutes Herz hat." Severus erkannte in diesem Moment, wie eng Hermines Verbindung zu den Weasleys tatsächlich war und warum sie sich so sehr für diese Lüge geschämt hatte. Molly Weasley war über die Jahre wie ihre eigne Mutter für sie geworden und gerade jetzt, wo sich ihre eigene nicht mehr an sie erinnerte, war sie es umso mehr.
"Es ist schön sie so glücklich zu sehen. Das habe ich lange nicht", sagte sie und unterbrach seine Gedanken, "Ich freue mich darüber, dass ihr euch gefunden habt. Auch du hast das nach all den Jahren verdient." Es war Severus nicht möglich darauf zu antworten, ihr zu sagen wie sehr ihre Worte ihn berührten. Es war lange her, dass er sich das letzte Mal so willkommen an einem Ort gefühlt hatte - dass er sich so angenommen gefühlt hatte. Die Tatsache, dass er Hermine glücklich machte reichte Molly, um ihn zu akzeptieren, trotz seiner Vergangenheit.
Schritte waren auf der Treppe zu hören und beide wandten sich erwartungsvoll um. Als Severus Hermine die Treppe hinunterkommen sah, meinte er sein ganzes Leben vor sich zu sehen. Er erkannte das Kleid sofort, hatte er es doch gestern Morgen erst noch im Denkarium gesehen. Aber der Traum, oder die Erinnerung daran, wurde ihr nicht gerecht, ebenso wenig wie die Gefühle aus dem Traum. Wie sie langsam auf ihn zukam, konnte er nur unbeschreibliches Glück fühlen und er musste dem Universum dafür danken, dass es ihnen diese Träume geschenkt hatte. Denn ohne diese Träume, hätten sie sich vielleicht niemals verliebt. Bilder erschienen vor seinem inneren Auge, er sah sie gemeinsam Frühstücken und sich unter der Dusche lieben, er sah sie gemeinsam im Schnee spazierten, wie er um ihre Hand anhielt und wie sie, wie jetzt auch, in einem weißen Kleid durch ein weißes Blütenmeer auf ihn zukam, um ihm ewige Liebe und Treue zu versprechen und wie sie ihm eröffnete, dass er Vater werden würde. Das alles hatte nur wenige Sekunden gedauert und sie war nun tatsächlich bei ihm angekommen. Ihm fehlten die Worte, um ihr zu sagen, was er gerade fühlte und so legte er nur die Hände an ihre Wangen und zog sie an sich, bedeckte ihre Lippen sanft mit seinen. Der Kuss war kurz, aber dafür nicht weniger innig oder gefühlvoll, er sagte alles, wozu er nicht im Stande war, es in Worte zu fassen. Er hatte wahrhaftig gesehen, wie ein Leben mit ihr sein würde, sollten all ihre wildesten Träume nun tatsächlich wahr werden und er sah jeder einzelnen Sekunde davon freudig entgegen. Solange sie nur bei ihm war, würde alles perfekt sein. Sie würden ihr Happy End haben, bis dass der Tod sie scheiden würde und vielleicht sogar auch darüber hinaus - Für immer.

-Ende-

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