24. Enttäuschung
Ginny konnte die Musik schon vor der Tür hören, noch bevor sie überhaupt klingelte und ihr geöffnet wurde.
I want to hold you so hear me out. I want to show you what love's all about.
Ginny seufzte, sie wusste was das bedeutete. Wenn Hermine am Wochenende in ihrer Wohnung war und sie hier her bestellte und sich Dirty Dancing ansah, dann musste es ihr wirklich nicht gut gehen. Sie selbst hatte den Film bis vor einigen Jahren nicht einmal gekannt, immerhin war sie in der magischen Welt aufgewachsen. Aber wenn Hermine die Schallplatte mit dem Soundtrack aufgelegt hatte, dann hatte sie sie gemocht. Und als das kleine Kino an der Ecke den Film wieder ins Programm aufnahm, hatte Hermine sie schließlich mitgeschleift. Sie hatte immer gesagt der Film erinnere sie an ihre Mutter, die selbst in jungen Jahren viel getanzt hatte und sogar an Turnieren teilgenommen hatte und diesen Film liebte. Nachdem sie ihren Eltern die Erinnerungen genommen hatte, wurde der Film zu einer Art Seelentröster für sie, wann immer es ihr nicht gut ging oder sie ihre Mutter vermisste, denn dann fühlte sie sich ihr nah, wie an all den Abenden, da sie den Film zusammen angesehen hatten.
One look at you and I can't disguise
I've got hungry eyes. I feel the magic between you and I.
Ginny klingelte und wartete. Die Musik verstummte nicht aber sie hörte, wie Hermine den Sicherheitsriegel an der Tür löste und schließlich öffnete. Sie wirkte müde auf sie, irgendwie traurig und sie fragte sich, was wohl vorgefallen war, dass es ihr nun so ging. "Dirty Dancing, hm?", fragte sie, "So schlimm?"
"Schlimmer", antwortete Hermine und ließ sich von Ginny fest umarmen, "Ich brauchte den Film jetzt einfach."
Ginny betrat die Wohnung und schloss die Tür, entledigte sich Mantel und Schuhen und folgte Hermine ins Wohnzimmer, wo sie gerade die beiden Hauptdarsteller sah, die den Tanz für die Aufführung probten. Noch immer lief das gleiche Lied und Hermine hüllte sich wieder in ihre Decke, zog die Beine an ihren Oberkörper und starrte gedankenverloren auf den Bildschirm.
"Entschuldige, dass ich dich in dem Zustand herbestellt habe", flüsterte Hermine, "Aber ich weiß nicht wohin mit mir und meinen Gedanken."
"Was ist denn passiert?", fragte Ginny, griff nach der Fernbedienung und verringerte die Lautstärke. Sie sah ihre beste Freundin besorgt an und setzte sich schließlich neben sie auf die Couch.
"Ich hab mich verliebt", sagte Hermine frei heraus und sah aus, als wäre sie den Tränen nahe. Im ersten Moment war Ginny erfreut, diese Worte nach der Trennung von Ron vor so vielen Jahren, wieder einmal aus ihrem Mund zu hören. Aber die Tatsache dass sie hier saß wie ein Häufchen Elend sagte ihr, dass es doch keine so gute Nachricht war. "Und was ist das Problem?", versuchte sie mehr zu erfahren.
"Dass er mich niemals lieben wird."
"Ist er gebunden?", wollte Ginny vorsichtig wissen.
"Nein", antwortete Hermine sofort wie aus der Pistole geschossen, dann dachte sie noch einen Moment darüber nach, "Oder vielleicht doch."
"Du weißt es nicht?", fragte Ginny überrascht und runzelte die Stirn.
"Ich meine er ist nicht so gebunden, wie du es meinst. Ich glaube aber, dass sein Herz es noch ist, auch wenn die Frau schon lange nicht mehr lebt."
"Er ist also Witwer?", versuchte sie es erneut.
"Nein."
"Ach, Mine. Jetzt lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen. Wer ist er? Und was macht dich so sicher, dass es aussichtslos ist?", wollte sie nun mit etwas mehr Nachdruck wissen. Sie hatte Hermine schon lange nicht mehr so erlebt.
"Es ist Severus", brachte Hermine nun endlich heraus und für einen Moment dachte Ginny sie hätte sich verhört.
"Severus wie Severus Snape?", fragte sie, "Sex-Traum Snape?" Für einen Moment wollte Hermine über ihre Entgeisterung lachen, aber es war nicht zum Lachen. Es tat weh.
"Wenn er doch nur in diesen verdammten Träumen geblieben wäre", schniefte sie.
"Jetzt erzähl mir erstmal alles in Ruhe und der Reihe nach."
*
"Master Severus sind heute sehr nachdenklich", bemerkte Willow zur selben Zeit, als sie mit ihm beim Schachspiel saß. "Das muss dich nicht bekümmern", sagte er nur und bewegte einen Turm über das Feld.
"Aber Severus ist Willow wichtig", beteuerte die kleine Elfe und sah ihn besorgt an. Nachdem gestern Hermine das Schloss direkt nach ihrem Unterricht verlassen hatte, um das Wochenende außerhalb von Hogwarts zu verbringen und dabei nicht gerade glücklich aussah, schwante ihr, dass ihr Plan womöglich in die völlig falsche Richtung gelaufen war. Denn seit dem war auch Severus komisch gelaunt. Willow war es gewesen, die jeweils eine Phiole von beiden entwendet hatte. Zur Strafe für diesen Vertrauensbruch hatte sie einen kompletten Tag nicht gegessen, aber sie hatte gehofft, dass sie beiden dann endlich miteinander sprechen würden - Dass endlich heraus käme, dass sie die selben Träume hatten und dass sie sich endlich eingestehen würden, dass sie zusammen gehörten. Die Zeit war davon gelaufen, in zwei Tagen war bereits Heiligabend und sie hatte keinen anderen Weg mehr gesehen. Aber sie konnte es jetzt auch nicht beichten, das würde auch nicht den gewünschten Effekt haben. Sie war gewissermaßen ratlos und besorgt.
"Ich habe mich in etwas getäuscht", vertraute Snape ihr nun an, "Und das beschäftigt mich mehr als es sollte." Hermine war vor ihm weggerannt, vermutlich in dem Moment, als ihr klar wurde, dass er drauf und dran war sie zu küssen und sie hatte das nicht gewollt. Sie würde ihn niemals wollen. Das hatte er immer gewusst und doch hatte er sich irgendwie eingeredet, dass es anders sein könnte. Er war ein Idiot, ein törichter Hornochse. Er hätte diese verdammten Träume unterbinden sollen, sie loswerden und auslöschen sollen, als sie noch keinen Schaden angerichtet hatten - Noch bevor er anfing sich auch im wahren Leben zu verlieben. Aber er hatte es nicht kommen sehen. Und die Erinnerungen wieder zurück in seinen Kopf zu stecken hatte es nur noch schlimmer gemacht. Wenn sie wenigstens wirklich diejenige gewesen wäre, die die Erinnerung gestohlen hatte, dann könnte er sich jetzt einfach nur über sie ärgern und wütend sein, dass sie sein Vertrauen missbraucht hatte. Aber sie war es nicht gewesen, viel mehr hatte man ihr dasselbe angetan. Und nun konnte er nur hier sitzen und sich in Selbstmitleid suhlen - oder auch Liebeskummer, wie man es wohl gemeinhin nennen würde. Nur weil er erneut so dumm gewesen war, sein Herz zu öffnen. Er hatte es besser gewusst und doch hatte er gehofft, es wäre dieses Mal anders. In seiner törichten Art hatte er sogar für einen Moment geglaubt, diese Träume wären wirklich eine höhere Macht, die ihnen sagte, dass sie zusammen gehörten - dass sie ebenfalls die gleichen Träume hätte. Dass das Universum ihm sagte, dass er doch mehr verdiente als seine selbst auferlegte gedankliche Geißelung für vergangene Fehler. Wie dämlich konnte er eigentlich sein?
*
"Und du glaubst wirklich, dass er nichts für dich empfindet?", fragte Ginny, nachdem Hermine ihr die ganze Geschichte erzählt hatte, "Vielleicht hast du sein Zögern missverstanden."
"Nein, ich bin mir sicher. Er hat gesehen, was ich wollte und hat mich nur angesehen und ich konnte sehen, dass er nur nach einem Weg gesucht hat, mir zu sagen, dass er das nicht will", beharrte Hermine. "Es ist etwas ironisch, weißt du? Ich wusste bis zu diesem Moment nicht einmal selbst, dass ich ihn will. Ich wollte diese Träume, den Mann, der er dort war. Aber ich glaube da besteht kein Unterschied. Die letzten Wochen haben mir gezeigt, dass er genau dieser Mann ist."
"Und dann läufst du weg und lässt das so stehen?", fragte Ginny überrascht, "Nach so vielen Jahren verliebst du dich endlich wieder und gibst dann direkt auf?"
Hatte Ginny recht? Hatte sie zu früh aufgegeben? War Severus vielleicht nur für einen Moment überrumpelt gewesen? Er hatte das ja sicher niemals kommen sehen, dass sie so für ihn fühlen könnte. Wie auch? Vor nicht einmal vier Wochen hätte sie ihm eher die Pest an den Hals gewünscht. Ja, vielleicht hatte sie ihn nur überrascht. Aber sie wollte sich auch keine Hoffnungen machen, die dann ohnehin enttäuscht würden. Sein Herz hing sicher nach wie vor an Lily Potter. Warum sonst sollte es nie eine andere Frau gegeben haben?
"Komm schon, Mine. Wo ist dein Löwenmut? Sprich nochmal mit ihm", riet Ginny ihr, strich ihr aufmunternd über den Rücken. Ginny vermutete inzwischen, dass Snapes Hauselfe vielleicht gar nicht mal so falsch lag. Vielleicht sollte es so kommen, vielleicht war es ein Schubs vom Universum. Und so wie Hermine über ihre letzten gemeinsamen Wochen sprach, worüber sie gesprochen hatten und wie er sich ihr gegenüber verhalten hatte, musste sie davon ausgehen, dass sie ihm etwas bedeutete. Snape war nicht der Mensch der andere leichtfertig herein und an sich ran ließ und sie hatte er dagegen fast mit offenen Armen empfangen.
"Ich habe Angst, Ginny", flüsterte Hermine schließlich.
"Vielleicht hat er die auch", gab sie zu bedenken und legte einen Arm um ihre beste Freundin, als sie den Kopf an ihre Schulter lehnte.
"Aber so oder so", sagte Ginny, "Klarheit wirst du nicht hier finden, sondern nur wenn du dich ihm stellst."
*
"Vielleicht muss Master Severus nur noch einmal mit Miss Hermine sprechen", gab Willow zu bedenken, die ihm inzwischen immerhin entlocken konnte, dass es tatsächlich um Hermine ging.
"Damit sie mir auch nochmal mit Worten eine Abfuhr erteilt?", fragte er sarkastisch, die Hand über den Spielfiguren kreisend, seinen nächsten Zug planend.
"Vielleicht hat Miss Hermine ja ebenfalls etwas missverstanden. Vielleicht haben Master sie überrumpelt", versuchte sie ihm eine andere Möglichkeit aufzuzeigen.
"Überrumpelt", murmelte er ungläubig vor sich hin und schnaubte. Sie hatten sich gefühlte Stunden angesehen, wie hypnotisiert. Dann hatte er einen Blick von ihr missinterpretiert, sich ohr leicht genähert und sie war geflüchtet - Ende der Geschichte. Was konnte man da missverstehen?
"Severus bedeutet die Miss doch etwas", versuchte sie es vorsichtig erneut, denn es war immer sehr heikel ihn direkt auf seine Gefühle anzusprechen. Das war häufig der Punkt an dem er dicht machte und das Thema wechselte, aber sie hoffte, dass er sich heute darauf einlassen würde. "Und selbst wenn", schnaubte er.
"Sie träumen von der Miss", sagte die kleine Hauselfe und Severus sah sie überrascht an. Sie hatte ihn noch nie direkt angesprochen, immer in der dritten Person gesprochen. Warum änderte sie das plötzlich?
"Seit Wochen sehen Sie nur Miss Hermine in ihren Träumen", fuhr sie in ihrem Vortrag fort. Sie sprach ihn nun bewusst direkt an. Sie hoffte das würde helfen, auch wenn es sich für Hauselfen nicht geziemte ein anderes Wesen so direkt anzusprechen. Aber sie war verzweifelt und hatte Angst, dass sie es nun zu verantworten hatte, dass alles in die falsche Richtung lief und sie ihre Chance vertan hätten, sobald die Träume an Heiligabend verschwanden. "Das bedeutet etwas. Und Sie fühlen das ebenfalls. Sie können jetzt nicht einfach aufgeben."
Hatte sie recht? Hatte er das alles vielleicht zu schnell als Ablehnung abgetan? Hatte sie vielleicht doch einen anderen Grund gehabt zu fliehen? Aber wie sollte er das herausfinden? Er konnte sie doch nicht einfach danach fragen. Und wenn er es doch nicht falsch verstanden hatte, dann würde er sich nur lächerlich machen und sich jetzt Hoffnungen zu machen und dann erneut abgewiesen zu werden, wollte und konnte er nicht ertragen.
"Ich werde darüber nachdenken", antwortete er nur ausweichend und machte endlich seinen Zug und sah Willow leicht lächelnd an. "Schach", verkündete er.
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