20. Begleitung
Am nächsten Morgen waren sowohl Severus als auch Hermine viel ausgeglichener, denn auch Hermine hatte an dem Abend nicht mehr ruhen können und damit angefangen, alle Erinnerungen an die Träume und die Verwirrung diese betreffend aus ihrem Kopf zu ziehen und in Phiolen zu verstauen und sie akribisch geordenet, um bei Zeiten damit anzufangen sie noch einmal anzusehen und sich hoffentlich einen Reim darauf machen zu können. Müde begrüßte sie ihren Tischnachbarn, der gerade eingehend den Tagespropheten studierte. Sie hatte für die Phiolen in sein Labor eindringen müssen, etwas, von dem sie sich nach der fünften Klasse geschworen hatte, es nie wieder zu tun. Aber es hatte eine Menge davon gebraucht, genauer gesagt zweiunddreißig Stück. Die ersten dreizehn hatte sie noch mit Hilfe von Verwandlung herstellen können, aber es gab Grenzen bei der Transformation von Dingen in eine andere Form und ihr waren schließlich die Dinge ausgegangen, die sie einerseits nicht unbedingt brauchte und sich andersherum auch noch in Glasphiolen verwandeln ließen. Also hatte es ab einem bestimmten Punkt keine andere Möglichkeit mehr gegeben, es sei denn, sie hätte stattdessen die Elfen in Aufruhr versetzt, weil sie aus der Küche Teetassen entwendet hätte. Sie bezweifelte, dass es Severus nicht auffallen würde, wenn achtzehn Phiolen fehlten, aber sie traute sich auch nicht es ihm zu gestehen, er würde immerhin fragen wofür sie sie gebraucht hatte und das wollte sie ihm im Moment noch weniger sagen. Sie hoffte also einfach darauf, dass er dieses eine Mal nachlässig war und nicht genau wusste, wie viele Phiolen sich in seinem Labor befinden müssten. Schon als sie sich nun neben ihn setzte und er ihr nur eine knappe Antwort auf ihren Gruß gab, merkte sie, dass es sie weniger aufwühlter in seiner Gegenwart zu sein schien. Und Snape ging es, ohne dass sie es ahnte, ähnlich. Auch er fühlte sich in ihrer Gegenwart nun weniger angespannt und das bedeutete für ihn, dass es die richtige Entscheidung war, auch wenn er seinen achtundzwanzig Phiolen nach dem Traum der letzten Nacht eine weitere hatte hinzufügen müssen. Die Tatsache, dass er das musste sagte ihm, dass er es nicht für immer so machen konnte, sonst würde er irgendwann in Phiolen ertrinken, aber für den Moment funktionierte es. Jetzt konnte er sich sicher sein, dass seine Gefühle echt waren und nicht von Träumen verfälscht und es würde sich zeigen, welche das waren, wenn er jetzt mehr Zeit mit ihr verbrachte. "Du wirkst müde", stellte er fest, ohne die Zeitung runter zu nehmen und hielt sich so an seinen Vorsatz, etwas mehr Zeit mit ihr zu verbringen, sich mehr mit ihr zu unterhalten und dadurch hoffentlich herauszufinden, wie er ihr gegenüber tatsächlich eingestellt war. "Gestern war ein langer Tag", sagte sie nur, "Ich hatte noch Aufsicht." Er nickte nur, überflog einen weiteren Artikel. "Irgendetwas Interessantes?", erkundigte Hermine sich, deutete auf die Zeitung und griff anschließend nach der Kaffeekanne. "Das Übliche", antwortete er, "Aber es scheint als suche das Ministerium schon deinen Nachfolger."
"Ich habe Kingsley vorgestern mitgeteilt, dass ich vermutlich nicht zurückkommen werde. Egal ob Minerva und du mich nach der Probezeit noch beschäftigen wollt oder nicht", informierte sie ihn und jetzt legte er tatsächlich die Zeitung beiseite und sah sie an. "Ist das so?", fragte er, "Du hast dich tatsächlich für Hogwarts entschieden?"
"Solange Hogwarts mich auch will, ja. Aber selbst wenn nicht..", sie zuckte die Schultern, "Ich habe mich vorrangig gegen das Ministerium entschieden. Da gehörte ich einfach nicht mehr hin."
"So erfolgreich du dort auch gewesen sein magst, ich denke du hast ohnehin nie dorthin gehört", sagte er ohne nachzudenken. Überrascht und auch fragend sah Hermine ihn an und Severus hätte sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Da war immer noch eine Vertrautheit, die er fühlte, die ihn dazu brachte zu sagen, was ihm in den Sinn kam. "Wohin gehöre ich dann?", fragte sie leise, sah ihm geradewegs in die Augen. Es war als würde ihr auch ohne die entsprechenden Erinnerungen eine Stimme zuflüstern, dass sie zu ihm gehörte. Sie sah ihn nun ohne die Verklärung durch die Träume und sie stellte fest, dass sie ihn falsch eingeschätzt hatte. Seit sie sich ausgesprochen hatten war er so anders und sie fragte sich, ob sie diese Seite von ihm schon früher gesehen hätte, wenn sie nicht so stur gewesen wäre, für zehn Jahre wütend auf ihn zu sein - wenn sie ihm nur früher gesagt hätte, wie sehr er sie damals verletzt hatte.
"Vielleicht tatsächlich hierher", antwortete Severus ein wenig zögernd, aber mit fester Stimme, "Ich denke eine längere Probezeit wäre unnötig. Ich bin bereit zuzugeben, dass dein Einfluss auf die Schüler wirklich gut ist und dass ich dich unterschätzt habe."
Jetzt war sie vollends überrascht, ein solches Zugeständnis hatte sie nicht erwartet. "Danke", hauchte sie und wäre fast errötet. Ein Lob von Severus Snape, dass ich das noch erlebe, dachte sie. Sie freute sich, dass er ihre Arbeit anerkannte, dass er der Meinung war, dass sie ihre Sache gut machte. Denn manchmal fühlte sie sich trotz aller Vorbereitumg und Gedanken, die sie sich bezüglich ihres Unterrichtes immer machte doch unsicher, ob es der richtige Ansatz war.
"Hermine", sprach Aurora Sinistra sie von ihrer linken Seite aus an, "Ich hoffe ich unterbreche euch nicht." Severus schüttelte den Kopf und schlug die Zeitung wieder auf, dachte über das nach, was er eben so geradeheraus verkündet hatte und Hermine wandte sich ihr zu. Sie unterhielten sich nur selten, da Aurora häufig von Filius Flitwick, der auf ihrer anderen Seite saß, in ein Gespräch verwickelt wurde, wenn sie zum Essen zusammen saßen. "Ich wollte dich fragen ob du die Aufsicht in Hogsmeade mit mir tauschen würdest. Ich bin am Mittwoch dran und soweit ich weiß, bist du am Samstag eingetragen."
"Ja, natürlich", stimmte sie sofort zu, sie hatte ohnehin am Wochenende Ginny besuchen wollen, bevor ihr die Aufsicht dazwischen gekommen war. "Oh, ich danke dir. Meine kleine Enkelin hat am Mittwoch Geburtstag, sie wird drei", erklärte sie und Hermine wunderte sich für einen Moment. Aurora sah damals, als sie selbst nach Hogwarts kam, so unglaublich jung aus, dass sie nicht erwartet hatte, dass sie inzwischen eine erwachsene Tochter oder einen Sohn hatte, der oder die bereits selbst schon Kinder hatte. Sie hatte damals bei ihrer Einschulung nicht älter ausgesehen als mitte zwanzig. "Kein Problem, ich freue mich, dass du dann deine Enkelin besuchen kannst", teilte sie ihr mit. "Mein Mann und meine Tochter werden ganz aus dem Häuschen sein, dass ich doch kommen kann", freute sich Aurora und Hermine lächelte über ihre Freude und dachte erneut darüber nach, wie falsch sie doch viele Menschen um sich herum eingeschätzt hatte. Ihr war nicht einmal klar gewesen, dass Aurora einen Mann hatte. Es kam ihr auch schwer vor, eine Beziehung zu führen, wenn man fast dauerhaft in Hogwarts wohnte. Und nun hatte sie sich selbst dafür entschieden, dachte sie und ihr kam der Plan, an Weihnachten jemanden zu haben, den sie Molly stolz als ihren Freund vorstellen konnte, wieder fast unmöglich vor. Jedenfalls in der Hinsicht, dass es längerfristig halten könnte, denn wenn es ihr nur darum gehen würde jemanden vorzustellen, dann hätte sie auch Sebastian oder Mason mitnehmen können. Aber das hätte das Ganze zu einer noch größeren Lüge gemacht, als es das bereits schon war. Aber wer wollte schon eine Frau, die neunzig Prozent ihrer Zeit in einer Schule wohnte und daher nicht wirklich an seinem Leben teilnehmen konnte? Aber es war ja offensichtlich nicht ganz unmöglich, wie Aurora ihr vor Augen führte. Aber vielleicht hatte sie auch erst hier angefangen, nachdem sie verheiratet war oder ihre Tochter selbst bereits eingeschult war, denn auch so etwas wie Familienleben kam ihr unter diesen Vorzeichen fast unmöglich vor. Du wirst wohl doch einsam sterben, meldete sich ihr Sarkasmus zu Wort. "Wer sollte am Samstag mit dir die Aufsicht führen?", fragte Aurora nach und Hermine musste für einen Moment scharf nachdenken, sie hatte nicht mit einer weiteren Frage gerechnet. "Ähm, mit Septima", brachte sie schließlich hervor. "Wunderbar, dann werde ich mich mit ihr abstimmen", meinte sie vergnügt und senkte ihre Stimme. "Du müsstest dann am Mittwoch mit Severus zusammen gehen", sie klang ein wenig entschuldigend und ein leichter Ruck ging durch Hermines Körper. Fast freute sie sich darauf, mit ihm zur Aufsicht eingeteilt zu sein, denn es würde ihr die Chance geben, weitere Einblicke in seine Person zu bekommen, ohne die Erinnerungen an die Träume in ihrem Kopf. "Das ist kein Problem", sagte Hermine ihr lächelnd und überraschte Aurora damit. "Oh, na dann. Ich dachte nur, dass es vielleicht.. Nun ja, Septima ist eindeutig eine geselligere Begleitung und Severus hat am Mittwoch die dritte Klasse Gryffindor und Slytherin, da ist er immer am schlechtesten gelaunt", erklärte sie.
Hermine lachte leise. Ja, da hatte sie tatsächlich recht. Septima war durchaus sehr viel gesprächiger und Severus Mittwochs immer ein wenig schlechter gelaunt als sonst und vor zwei Wochen wäre die Aussicht, den Nachmittag mit Severus verbringen zu müssen, sicher noch einer Hiobsbotschaft für sie gleichgekommen, aber inszwischen hatte sich das geändert. "Es ist wirklich okay", versicherte sie ihr und Aurora nickte, wandte sich wieder Filius zu, der bereits darauf wartete, ihr Gespräch fortzusetzen. Auch Hermine wandte sich wieder Severus zu, der gedankenverloren die Zeitung zu studieren schien. Aber sie konnte deutlich sehen, dass er nich laß, sondern über etwas nachdachte, denn seine Augen bewegten sich nicht, sie starrten nur auf ein und denselben Abschnitt. "Ich werde dich dann wohl am Mittwoch nach Hogsmeade begleiten", teilte sie ihm also mit, riss ihn damit aus seinen Gedanken. "Aurora kann nun also doch zum Geburtstag ihrer Enkelin?", fragte er nur und Hermine war überrascht, dass er davon wusste. "Ich bin nicht ganz so ein antisozialer Zyniker, wie du vielleicht denkst", kommentierte er ihre Überraschung, "Ich mag an Konversationen zumeist nicht gerade ein gesteigertes Interesse haben, aber höre durchaus zu, wenn man mir Dinge erzählt." Hermine errötete ein wenig, es war ihr peinlich ihm erneut indirekt etwas unterstellt zu haben, das so nicht zutraf. Sie würde wohl noch häufiger überrascht werden. "Ich wollte auch nicht unterstellen.. ", begann sie, brach dann aber doch ab, sie würde sich nur um Kopf und Kragen reden. "Wie kommt es, dass sie überhaupt eingeteilt war? Warum hat sich sonst niemand gemeldet, um mit ihr zu tauschen."
"Weil sich verschiedene Wünsche im Kollegium überschnitten haben und irgendjemand muss nunmal den Kürzeren ziehen", teilte er ihr sachlich mit, "Viele haben an dem Tag schulische oder andere wichtige Verpflichtungen."
"Aber ich hatte doch keine Angaben gemacht", warf sie ein.
"Aber dein Vorgänger", sagte er, "Es war nicht abzusehen, dass er so plötzlich wieder geht. Und solche Pläne werden mit viel Vorlauf erstellt."
"Aber dann hätte sie doch nach seiner Kündigung einfach wechseln können", meinte Hermine verständnislos.
"Hätte sie wohl, wenn sie diesen Wunsch geäußert hätte", sagte er und faltete die Zeitung vor sich sauber in der Mitte zusammen, "Sicher wollte sie der neuen Professorin nicht sofort ihre Freizeit oder Zeit zur Unterrichtsvorbereitung rauben, so kurz nach Antritt der Stelle. Noch irgendwelche anderen organisatorischen Fragen?" Er sah sie mit einem Blick an, der fast belustigt war und erst jetzt fiel ihr auf, dass diese Diskussion irgendwie sinnlos gewesen war. "Nur die, wie es Mittwoch ablaufen wird", sagte sie. "Am Ablauf hat sich seit deiner Schulzeit nichts verändert. Wir treffen uns um eins am Schlossportal und tragen die Schüler ein. Um halb zwei gehen wir ihnen hinterher ins Dorf und um fünf geleiten wir die letzten wieder hinauf zum Schloss und kontrollieren, dass alle Schüler wieder dort sind.", ratterte er herunter und sie nickte, dieser Ablauf war ihr wirklich nicht neu.
"Und in Hogsmeade?", fragte sie.
"Ich werde dort den Buchladen und das drei Besen besuchen, was du dort machst ist dir überlassen."
"Auch ob ich mich dir anschließe?", fragte sie vorsichtig. Er sah sie unbewegt an, aber im Inneren war er überrascht über ihre Frage. Er hatte nicht erwartet, dass sie die Zeit im Dorf mit ihm würde verbringen wollen. Einen Moment zögerte er, aber vielleicht war das doch keine so schlechte Idee. Er könnte seine Gefühle sie betreffend dort weiter erforschen, sehen, ob sie sich verändert hatten. "Auch das", sagte er also und Hermine nickte lächelnd. "Dann kannst du davon ausgehen Gesellschaft zu haben", kündigte sie an und widmete sich wieder ihrem Essen.
*
Am Abend, als sie ihre Erinnerungen in den Phiolen betrachtete, zu denen am heutigen Morgen eine dazu gekommen war und sicher am morgigen ebenso, dachte sie darüber nach, in wie weit die Abwesenheit der Erinnerungen bereits etwas verändert hatte. Denn wenn jeden Tag eine neue Phiole hinzu käme, könnte sie ihnen nicht ewig aus dem Weg gehen. Irgendwann musste sie eine Antwort auf die Fragen finden, die in ihrem Kopf herum spukten. Sie wünschte, sie könnte noch einmal mit Walter sprechen, ihn fragen ob diese Träume sein Werk waren, ihn fragen, was sie ihr sagen sollten und was er eigentlich war. Ihr rational denkendes Hirn sträubte sich noch immer gegen die Vorstellung, dass die Träune nicht kryptisch zu verstehen waren sondern tatsächlich so, wie sie sich ihr offenbarten - Dass Severus der Mann war, mit dem sie ihr Leben teilen sollte, ihr Seelenverwandter. Würde sie daran glauben, so dachte sie, müsste sie auch an Märchen glauben. Manche Märchen besitzen einen wahren Kern, meinte sie die Stimme von Mister Lovegood, Lunas Vater, in ihrem Kopf zu hören. Er hatte ihnen damals offenbart, dass das Märchen der drei Brüder über die Heiligtümer des Todes tatsächlich wahr war. Vielleicht hatten dann auch diese Träume einen wahren Kern, von dem sie nun nichts mehr wusste, nur dass sie alle mit Severus zu tun hatten und dass sie ihn dort liebte und dass sie glücklich war. Aber was machte das mit ihren tatsächlichen Gefühlen? Sie hatte sie alle ausgesperrt, in Flaschen abgefüllt und verkorkt. Dennoch konnte sie nicht leugnen, dass sie etwas fühlte, wenn sie in seiner Nähe war. Sie fühlte eine Verbundenheit, irgendeine Art von Vertrauen, aber sie konnte es nicht genau greifen. Nachdem sie seine Worte von damals verstanden hatte und einen Teil seiner Geschichte erfahren hatte, kam ihr ihr Groll, den sie all die Jahre gehegt hatte, töricht vor. Sie fing an ihn zu verstehen, je mehr Einblicke er ihr gewährte, je mehr er mit ihr teilte, auch wenn es nicht viel war. Sie konnte zwischen den Zeilen lesen und sie war gespannt, was sie dort noch alles finden würde und hoffte darauf, dass es alles klarer machen würde. Auch wenn die Vorstellung, dass sie am Ende doch herausfinden könnte, dass die Träume recht hatten, beängstigend war, sie konnte jetzt nicht mehr umkehren.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top