19. Denkarium
Hermine saß mit einem Glas Rotwein auf der Couch, Dash hatte sich in ihrem Schoß zusammengerollt und sein Schnurren beruhigte sie, während sie ihm Geistesabwesend das Köpfchen kraulte. "Ich weiß nicht mehr was ich denken soll, geschweige denn fühlen", teilte sie dem Kater gedankenverloren mit. So viele Dinge gleichzeitig flogen durch ihren Geist. Es war nur noch eine Woche bis Weihnachten und Molly plante das Weihnachtsessen. Sie hatte am heutigen Morgen einen Brief von ihr erhalten, in dem sie zum Ausdruck brachte, wie sehr sie sich darauf freute sie und ihren Freund zu sehen, wie neugierig sie auf ihn wäre, weil sie bisher nichts erzählt hatte und zudem hatte sie sie nach etwaigen Unverträglichkeiten oder Essensgewohnheiten gefragt. Sie fühlte sich elend, wenn sie daran dachte. Es erschien ihr unmöglich, Molly jetzt noch die Wahrheit zu sagen. Zudem befürchtete sie, dass sie Molly enttäuschen würde. Ob nun mit der Wahrheit oder der Tatsache, dass sie an Weihnachten wohl alleine dort auftauchen würde. Sie hatte nicht gelogen, als sie Severus sagte, das Date wäre gut gewesen, aber sie befürchtete, dass es nicht gut genug für ein Zweites war, dass er vielleicht doch nicht der Eine war. Sie mochte Sebastian, er war nett, zuvorkommend und wirklich klug, ein wunderbarer Gesprächspartner. Sie hatten einen wunderbaren Abend gehabt, viel gelacht und geredet. Aber da war kein Funke gewesen, kein Herzflattern oder auch nur Aufgeregtheit. Es war, als hätte sie einen alten Freund wiedergefunden, jemanden den man aus den Augen verloren hatte und man sich daher wieder auf den neusten Stand bringen musste. Sie hatte sich in seiner Gegenwart wohl gefühlt, als würde sie ihn schon eine Ewigkeit kennen und die Zeit war nur so dahin geflogen, aber irgendetwas fehlte ihr. Es hatte sie nicht einmal gestört, als die hübsche Kellnerin mit ihm geflirtet hatte, was doch sicher bereits alles sagte. Stattdessen war den ganzen Abend immer wieder Severus durch ihre Gedanken gewandert, oder jedenfalls die Traumversion von ihm. Sie hatte sich gewünscht mit ihm dort zu sitzen. Und sie fürchtete, dass genau das das Problem war, warum ihr etwas gefehlt hatte. Der Severus aus ihren Träumen hatte die Messlatte unerreichbar hoch gehängt - nein, generell diese Träume hatten die Messlatte unerreichbar hoch gehängt. Sie wollte Sebastian noch nicht abschreiben, wollte noch nicht die Hoffnung aufgeben, dass da nicht vielleicht doch ein Funke entstehen könnte. Gleichzeitig wusste sie aber, dass er gegen ihre Träume immer den Kürzeren ziehen würde, dass er mit ihnen niemals mithalten könnte und es frustrierte sie, dass dem so war. Dabei war er perfekt, er verkörperte alles was sie wollte und ersehnte, nur fühlte sie sich zu ihm nicht so hingezogen wie zu einem gewissen dunkel gekleideten Professor. Sie war auf den Astronomieturm gegangen, um über diese Wünsche und Gefühle nachzudenken. Aber bevor sie dazu kam, hatte sie sich in der Schönheit der Ländereien verloren, im Anblick des Sternenhimmels und dann war der echte Severus aufgetaucht und irgendwie hatte er alles in ihr durcheinander gebracht. Sie war irgendwo zwischen Traum und Realität getrieben, ihre Gefühle waren Achterbahn gefahren. Sie hatte ihm nah sein wollen, obwohl sie wusste, wer er war und dass sie nicht träumte. Das war nun das dritte Mal, dass so ein Moment eingetreten war, so eine Stille zwischen ihnen, in der die Luft zu knistern schien. Aber es schien nur so, richtig? Das waren alles nur die Träume, sie fühlte nicht für den echten Snape so. Das musste aufhören. Sonst würde sie niemals eine Chance auf Glück haben. Sie musste dieser Träume Herr werden und sie hatte keine Ahnung wie. Ihr erster Impuls war es Ginny anzurufen, aber Handys funktionierten in Hogwarts nicht und sie wollte auch nicht unangekündigt in ihrem Kamin auftauchen. Auch ein Patronus wäre nicht das Richtige, sie würde sicher erschrecken und denken es wäre etwas Furchtbares geschehen und das letzte was Ginny jetzt gebrauchen konnte war, dass sie sie damit erschreckte. Aber ein Brief dauerte zu lange. Vielleicht war Ginny auch gar nicht die Richtige um mit ihr darüber zu sprechen, auch wenn sie ihr bereits einmal von den Träumen erzählt hatte, vielleicht war jemand Außenstehender besser, jemand der auch Severus besser kannte und ihr den Kopf zurechtrücken konnte. Zuerst dachte sie an Willow, schreckte aber davor zurück, immerhin war sie ja sowieso schon der Meinung sie sollte etwas für den echten Severus empfinden. Das würde ihr auf rationaler Ebene nichts bringen. Sie seufzte, sah auf die Uhr und erschrak. Es war später als sie gedacht hatte. Eigentlich hatte sie seit zehn Minuten Fluraufsicht. Eilig griff sie sich ihren Umhang, strich Dash noch einmal über den Kopf und verließ ihre Räume.
*
Zur selben Zeit tigerte Severus in seinen Räumen auf und nieder. Die Begegnung mit Granger auf dem Astronomieturm hatte ihn nachhaltig aufgewühlt. Er wusste es war richtig sich zu entziehen, aber er fragte sich dennoch, warum diese Situation überhaupt zustande gekommen war. Im Gegensatz zu seinem Verhalten konnte er Hermines nicht mit irgendwelchen Träumen erklären. Warum also hatte sie nach seiner Hand gegriffen, warum hatte sie ihn so angesehen? Warum sagte sie, dass sie etwas in ihm sah? Was ging in ihrem, zugegeben sehr hübschen, Kopf nur vor? Er rekapitulierte die letzten Tage, versuchte darin eine Antwort zu finden. Er hatte einen winzig kleinen Teil seiner Vergangenheit mit ihr geteilt, war nachdem er sich entschuldigt hatte stets respektvoll mit ihr umgegangen, von Zeit zu Zeit auch freundschaftlich. Sie waren Kollegen, aber so wie sie ihn angesehen hatte, wie sie seine Hand gegriffen hatte, so verhielt man sich nicht gegenüber Kollegen. Was war ihm entgangen? Er konnte dieses ganze Chaos von Gedanken und Gefühlen nicht mehr aushalten. Heute hatte er eine Grenze überschritten, hatte die Gefühle aus seinen Träumen direkt auf sie projiziert und das hatte nie geschehen sollen. Sie mussten weg, raus aus seinem Kopf, sonst würde er ihr gegenüber nie wieder normal sein können. Jedenfalls nicht so leicht, da würde immer etwas in seinem Hinterkopf herumspuken, würde ihn immer wieder Dinge fühlen lassen, die er nicht fühlen durfte, nicht fühlen sollte. Dinge die irrational waren und zu nichts führten. Er beschloss zu einer altbekannten Technik zu greifen und die Gefühle und Erinnerungen wegzuschließen, dort wo er im Alltag mit ihr keine Verbindung mehr dazu hatte. Er würde wissen, dass es sie gab, er würde sich daran erinnern, dass er jetzt beschloß sie für bestimmte Zeit aufzugeben und zu verwahren, aber sie würden ihn nicht immer wieder überfallen. Er trat zu einem Schrank und öffnete mit einem Zauber die Lade. Lange hatte er das Denkarium nicht mehr benutzt oder angesehen. Dumbledore hatte es ihm einst geschenkt, als er anfing sein Spion zu werden und tatsächlich hatte er es derzeit häufig benutzt, aber nachdem Voldemort gefallen war nie wieder. Niemals hätte er gedacht, dass es nochmal nötig werden würde, aber es ging nicht anders. Er wollte diese Gefühle nicht, nicht wenn sie sich zunehmends auf die echte Hermine verschoben. Er rief sich alles in den Kopf, was er loswerden musste, tippte mit dem Zauberstab an seine Schläfe und zog sie eine nach der anderen aus seinem Kopf und legte sie im Denkarium ab. Er fühlte sich seltsam erleichtert, als die letzte Erinnerung dort hinein wanderte. Als hätte er wegen der Gefühle, die sie bargen, Qualen ausgestanden - weil sie nicht echt waren und es niemals sein würden, weil er es sich so sehr gewünscht hatte. Ein Wunsch, der ihm eigentlich immer fremd gewesen war, seit Lily von ihm ging. Es bestärkte ihn nur darin, dass es die richtige Entscheidung war. Er lief hinüber in sein Labor und kramte in einem Schrank nach einem Kästchen mit leeren Phiolen und offensichtlich war er dabei so laut gewesen, dass er Willow geweckt hatte, von der er nicht wusste, dass sie überhaupt in seinem Labor war, geschweige denn, dass sie dort geschlafen hatte. Er erschrak sich nur fast zu Tode, als er sich umdrehte und in ihre handtellergroßen Augen blickte. Seine einst so geschärften Sinne waren wohl auch nicht mehr das was sie einmal waren. "Willow", sagte er, "Was in Merlins Namen tust du denn hier?"
"Willow hatte die Aufzeichnungen zum Alraunentrank studiert", gab sie etwas verlegen zu, "Sie hatten versprochen, dass wir ihn morgen brauen, da wollte Willow vorbereitet sein. Aber Willow ist eingeschlafen." Die kleine Elfe wirkte peinlich berührt und ließ schuldbewusst die Ohren hängen. Severus konnte nicht anders als sich schlecht zu fühlen, dass sie sich seinetwegen nun so unwohl fühlte. "Wir sprechen sie morgen durch", sagte er freundlich, "Geh schlafen, du musst morgen ausgeruht sein."
Willows Gesicht hellte sich ein wenig auf, wurde dann aber fragend, als sie die Phiolen in seiner Hand musterte.
"Ich muss etwas verstauen", erklärte er nur.
"Kann Willow dabei behilflich sein?", fragte sie, aber er winkte ab.
"Ruh dich einfach aus, du kannst mir morgen wieder helfen", bat er sie und die kleine Hauselfe nickte. "Gute Nacht", wünschte sie ihm und verließ zu Fuß sein Labor. Severus schüttelte den Kopf, löschte das Licht, kehrte in seine Räume zurück und trat dort ans Denkarium. Eine nach der anderen füllte er die Erinnerungen in Phiolen. Er beschriftete sie nicht, sondern stellte sie nur alle fein säuberlich nebeneinander auf. Er war dabei sehr gewissenhaft und zählte sie im Anschluss auch noch einmal durch. Fünfundzwanzig Phiolen, fünfundzwanzig Erinnerungen - mehr hatte es nicht gebraucht, um ihn zu diesem Schritt zu treiben und seine Gefühle außer Kontrolle geraten zu lassen. Unschlüssig sah er die Philen an, die siber-goldenen Fäden die in ihnen tanzten. Sie enthielten eine ganze Welt, ein ganz anderes Leben. Ein Leben, das er hätte haben können, hätte er in seiner Jugend bessere Entscheidungen getroffen. Wäre er nicht zu oft falsch abgebogen, dann könnte er womöglich heute ein anderer Mann sein. Wie er so darüber nachgrübelte, bemerkte er nicht, dass Willow sich zurückgeschlichen hatte und nun durch die angelehnte Verbindungstür zu seinem Labor lugte und die Stirn kraus zog. Sie wusste, was sie dort sah, aber sie fragte sich, was ihr Freund so dringend hatte aus dem Kopf bekommen müssen. Vielleicht würde sie ihn irgendwie dazu bekommen es ihr zu erzählen. Sie machte sich Sorgen um ihn, seit einiger Zeit war er durch den Wind und sie vermutete, dass es an den Träumen lag. Denn seit Hermine hier aufgetaucht war, war er viel nachdenklicher geworden und sie wurde die Befürchtung nicht los, dass er genau diese Erinnerungen, die sie verbanden, ausgelöscht hatte aus seinem Kopf. Wobei, er hatte sie nur ausgelagert, er hatte sie nicht zerstört, also gab es vielleicht doch noch Hoffnung. Leise wandte sie sich ab und verließ seine Räume und anschließend das Büro und trat auf den Gang, nur um dort gleich die nächste Hiobsbotschaft zu belauschen.
"Und du glaubst ein Denkarium würde helfen?", ganz deutlich vernahm sie Hermines Stimme und tappste leise auf die Treppe zu, die hinauf ins Foyer führte. Sie sah Minerva McGonagall und Hermine beieinander stehen und sich vertraulich unterhalten. "Es wird dir helfen alles aus einem anderen Blickwinkel zu sehen. Mir und Albus hat es in der Vergangenheit häufig dabei geholfen, verwirrender Gedanken Herr zu werden. Aber darf ich fragen, worum es überhaupt genau geht?", fragte die Schulleiterin.
"Nichts was dich beunruhigen sollte. In mir kreisen nur einige Fragen privater Natur", erklärte Hermine ausweichend.
"Nun, sie haben dich immerhin dazu gebracht heute fast deine Aufsicht zu vergessen", setzte McGonagall besorgt nach.
"Dennoch ist es nichts Schlimmes", beruhigte Hermine sie und Minerva nickte. "Ich werde Mini morgen zu dir schicken. Behalte das Denkarium ruhig eine Weile. Solltest du dazu noch Fragen haben, sprich mich immer an. Oder auch Severus, er hat mehr Erfahrung damit und ich kam nicht umhin festzustellen, dass ihr inzwischen sehr gut miteinander auskommt. Ab einem bestimmten Punkt ist es nämlich ratsam nicht alleine in Erinnerungen zu verweilen. Manchmal muss man über die Dinge sprechen."
"Glaub mir, ich habe nicht vor darin länger zu verweilen als nötig, ich brauche nur mal wieder etwas Ordnung in meinem Kopf", beschwichtigte sie ihre Vorgesetzte, der das kurze Zucken in Hermines Gesicht bei Erwähnung von Severus' Namen nicht entgangen war. Zuerst hatte Hermine noch überlegt, ob sie ihr die Wahrheit sagen sollte, ob sie ihr von den Träumen erzählen sollte. Aber sie war dann doch davor zurückgeschreckt, sie hätte sie sicher für verrückt gehalten, oder etwas in sie hineininterpretiert, das so nicht zutraf.
"Nun gut, dann hoffe ich deine restliche Aufsicht verläuft ruhig", Minerva strich ihr noch einmal mütterlich über die Schulter und verabschiedete sich. Hermine setzte ihre Runde fort und lief am Fuße der Treppe Willow in die Arme. "Was machst du denn noch hier?", fragte sie sie. "Willow hat bei Mister Severus im Labor noch die Unterlagen zum Alraunentrank studiert", teilte sie ihr mit, "Wir wollen ihn morgen brauen."
"Und das bis jetzt noch?", fragte Hermine überrascht.
"Nun, Willow ist dabei eingeschlafen", gab sie verlegen und mit hängenden Ohren zu. Für Hermine sah das einfach zu niedlich aus und sie hätte am liebsten laut darüber gelacht, aber sie verkniff es sich, der kleinen Elfe wäre das sonst sicher noch unangenehmer.
"Dann solltest du dich wirklich ausschlafen, Severus braucht dich sicher bei höchster Konzentration", meinte sie mitfühlend und die kleine Elfe nickte, wünschte ihr einen schönen Abend und eine gute Nacht und disapparierte. Dabei fiel Hermine wieder auf, wie sehr Severus diesem kleinen Wesen zu vertrauen schien. Sonst würde er ihr nicht immer erlauben allein in seinem Labor zu sein und mit ihm zu brauen. Er war bei seiner gewählten Paradedisziplin wirklich sehr streng und gewissenhaft. Sie musste ihm viel bedeuten und sie musste wirklich gewissenhaft und talentiert sein, sonst würde er das sicher nicht zulassen. Niemals hätte sie jemanden wie ihn für einen Freund der Hauselfen gehalten, aber viele Situationen, in denen sie erlebt hatte wie er zu ihr war, hatten sie eines besseren belehrt. Wieder fragte sie sich, ob sie nicht vielleicht doch falsch lag. Ob sie sich irrte, wenn sie sich einredete, dass der Severus nichts mit dem aus dem Traum gemein hatte. Sie fragte sich, was geschehen würde, wenn sie sich darauf einlassen würde, wenn sie aufhören würde es zu zerdenken und auf ihn zuging, wie sie es bereits auf dem Astronomieturm getan hatte, ganz ohne an den Gefühlen zu zweifeln oder sie auf die Träume zu schieben. Er würde sie auslachen, überlegte sie, er würde sie wieder von sich stoßen. Aber was sollte das dann alles? Sebastian war nicht der Richtige gewesen und Mason auch nicht. Und sie bezweifelte, dass der Richtige hinter der nächsten Tür wartete, um sie von den Füßen zu reißen. Das alles musste doch einen Sinn haben, vor allem wenn sie Walter und dem Barbesitzer glauben schenkte und auch Willow, die ihr sagte, dass sie sich dem Schicksal verweigern würde, wenn sie nicht daran glaubte. Wenn sie also daran glaubte, dann war doch ganz offensichtlich Severus derjenige, auf den die Träume sie aufmerksam machen sollten. Warum sonst sollte gerade er es sein, den sie dort liebte? Wenn das aber so war, dann bedeutete es, dass Severus genau so sein konnte wie in ihren Träumen, dass es eine reale Chance geben musste, dass sie sich verliebten und das nicht nur einseitig. Aber das letzte was Severus ihr vermittelte, war romantisches Interesse an ihr. Diese Träume waren und blieben verwirrend, egal wie oft sie darüber nachdenken würde und je länger sie sie hatte, wurden ihre Ansprüche an einen Partner im echten Leben eher höher als niedriger. Wie sollte das alles also ein gutes Ende nehmen? Sie hoffe das Denkarium würde ihr helfen, all diese Fragen bei Zeiten zu beantworten.
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