16. Mehr

Im Zuge dessen, dass sie beim Abendessen so mir nichts dir nichts beschlossen hatten, sich besser kennenzulernen, hatte Snape tatsächlich prompt den ersten Schritt gemacht und sie für nach dem Essen in seine Räume zu einem Umtrunk eingeladen. Noch wusste sie nicht, was sie davon halten sollte, noch wusste sie, was sie dort erwarten würde. Sie fragte sich wie er wohl lebte, ob in seinen Räumen die Farbe schwarz ebenso sehr dominieren würde, wie in seiner Garderobe und ob es dennoch gemütlich wäre oder eher zweckmäßig, wie er selbst in seinen Hadlungen auch. Sie fragte sich warum er sich darauf einließ, ihr einen Einblick in sein Leben zu geben. Es konnte nicht nur die Tatsache sein, dass sie ihn gereizt hatte. Hatte er das Gefühl er schuldete es ihr als Wiedergutmachung? Sie wusste nicht mehr was sie denken sollte. Es sah ihm einfach nicht ähnlich jemanden hereinzulassen, jemanden hinter seine Fassade sehen zu lassen. Sicher konnte man die Menschen, denen er das im Laufe seines Lebens erlaubt hatte, an einer Hand abzählen. Also warum nun sie? Gerade nach ihrer durchwachsenen gemeinsamen Vergangenheit.

Sie hatte ihm gesagt sie wollte noch einmal in ihre Räume gehen und die offiziellen Roben gegen ihre Freizeitkleidung taschen und dann zu ihm kommen. Natürlich war es eigentlich unwichtig was sie trug, aber sie hatte im Laufe ihres Lebens gemerkt, dass bestimmte Kleidung zu bestimmten Verhaltensweisen führte und Eindrücken. Man zog sich zum Vorstellungsgespräch einen Anzug an, um Eindruck zu machen, zu Beerdigungen trug man schwarz um seine Trauer auszudrücken und hier würde sie nicht ihre Professorenroben tragen, denn sie trafen sich nicht in diesem Kontext. Sie trafen sich privat, nicht beruflich, also wollte sie das mit ihrer Kleidung auch widerspiegeln und sie hoffte auch, dass es ihr dabei half lockerer mit ihm umzugehen und auch ihm dabei offener zu sein. Es war absurd, dass sie sich darüber so viele Gedanken machte, auch noch als sie kritisch in den Spiegel sah. Weiße Sneaker, eine dunkle Jeans und ein hellblauer Strickpullover. Die Haare hatte sie den ganzen Tag hochgesteckt gehabt, aber jetzt löste sie die Klammer, die sie zusammengehalten hatte, schüttelte leicht den Kopf, strich sich mit den Händen durch die dichten Locken. Das sah einfach ungezwungener aus. Das Blau ihres Pullovers symbolisierte zudem Vertrauen. Aber würde er ihr genug vertrauen, sodass dieser Abend nicht völlig seltsam sein würde? Sie griff nach einem schlichten schwarzen Umhang und verließ ihre Räume, ging den schmalen Gang an ihrem Büro und dem Klassenraum vorbei und bog nach Rechts ab, vorbei am Klassenraum für Zaubertränke und tiefer in die Kerker hinein. Auch den Eingang zum Gemeinschaftsraum der Slytherins passierte sie und bog wieder nach rechts ab. Von hier aus sah sie schon die dunkle, mit Metallstreben und Nieten beschlagene Holztür. Noch einmal sandte sie ein Stoßgebet gen Himmel, dass das hier kein Fehler war. Es war riskant mehr zu fordern, als kollegiale Distanz und sie wusste selbst nicht, warum sie es dann darauf angelegt hatte, dies zu ändern. Waren daran bloß diese Träume schuld? Oder war es ihre natürliche Neugier? Oder sogar noch etwas Anderes? Sie strich sich noch einmal nervös durchs Haar, dann straffte sie die Schultern und klopfte.
Severus schritt entschlossen zu Tür, atmete dann aber doch nochmal tief durch. Er bereute jetzt schon sich auf ihre Provokation eingelassen zu haben. Innerlich war er aufgewühlt, er wusste nicht was er sich dabei gedacht hatte. Er war nicht gut darin etwas von sich preis zu geben, jemanden hineinzulassen und hinter seine Fassaden blicken zu lassen. Das Leben hatte ihn gelehrt, sich besser zu verschließen. Und jetzt wollte er gerade sie hineinlassen? Sie, die jeden Abend seine Träume mit Liebe füllte, die ihn dazu brachte aus seinen altbekannten Mustern auszubrechen. Er verfluchte es, dass sie das geschafft hatte. Dass er sich der Traumversion ihrer so verbunden fühlte, dass er herausfinden wollte, ob diese Verbindung auch in der Realität bestehen könnte. In seinen schwächsten Momenten, wenn er gerade erwachte und der Traum noch seine Gedanken beherrschte, er noch ihre Berührungen fühlen und ihre Worte der Zuneigung im Ohr hatte, da wünschte er sich es wäre wahr. Dass sie sein wäre und er nur ihr gehörte. Aber es war töricht. Sie war nunmal sie und er war nunmal er. Zwei Welten so unvereinbar wie Feuer und Eis. Warum tat er sich das eigentlich an? Warum ließ er es zu, dass er sich so zu ihr hingezogen fühlte, einem Menschen, der nur in seinen Träumen existierte? Warum konnte er das alles nicht mehr so richtig trennen? Als er schließlich öffnete, war von seiner inneren Unruhe nichts zu sehen. Er trug eine neutrale Miene nach außen, bloß sein rechter Mundwinkel war leicht nach oben gezogen, deutete ein kleines Lächeln an. Hermine hingegen trug ein nervöses aber durchaus strahlendes Lächeln auf dem Gesicht, das Severus innerlich straucheln ließ. Wie sie da stand, die wilden Locken, die ihr Gesicht einrahmten, das freundliche Funkeln in ihren Augen, das entwaffnende Lächeln, katapultierte es seinen Geist zurück in den Traum dieser Nacht. Aber er rief sich selbst zur Ordnung, bat sie stumm mit einer Geste hinein. Innerlich schalt er sich erneut selbst, das hier initiiert zu haben. Aber jetzt musste er es aushalten und versuchen das Beste daraus zu machen. Hermine betrat den Wohnraum und staunte nicht schlecht. Sie hatte einerseits genau das und andererseits etwas komplett Anderes erwartet. Ja, das Wohnzimmer war recht minimalistisch eingerichtet, aber dafür nicht weniger gemütlich und geschmackvoll. Staunend sah sie sich um und ihr Blick blieb zuerst an seiner beachtlichen Büchersammlung hängen. Severus nahm ihr den Umhang ab, legte ihn über einen der Stühle am Esstisch, während sie weiter den Blick schweifen ließ und nicht wusste, was sie sagen sollte. Im Kamin prasselte ein gemütliches Feuer, davor ein antik aussehender Orientteppich in gedeckten Farben, der eine gemütlich aussehende Ledercouch, einen Ohrensessel und einen kleinen Beistelltisch beherbergte. An den Wänden dominierten hohe Bücherregale, die fast bis zum Bersten mit Büchern und Manuskripten gefüllt waren. Auf dem kleinen Beistelltisch lag sogar noch eines von ihnen aufgeschlagen da, als hätte er noch vor wenigen Minuten darin gelesen. Ihr Blick wanderte weiter zu einem kleinen Fenster in der Kerkermauer, durch das nur ganz leichtes, grün getöntes Licht hereinfiel und dadurch so mystisch wirkte. War es wohl ein Fenster zum schwarzen See, wie es auch die Slytherins in ihrem Gemeinschaftsraum hatten? Nicht, dass sie es selbst einmal gesehen hätte, aber Harry und Ron hatten ihr davon berichtet, als sie sich im zweiten Jahr als Crabbe und Goyle ausgegeben hatten. "Sie wirken überrascht", stellte Snape fest, brachte sie dazu sich von dem geheimnisvollen Licht abzuwenden und ihn anzusehen. Er lehnte entspannt in einem kleinen Rundbogendurchgang, der wohl zu seinem Schlafzimmer und Bad führte. "Ich hatte es nicht so.. So gemütlich erwartet", sagte sie ehrlich, sah ihn entschuldigend an. "Haben Sie eher erwartet den siebten Kreis der Hölle zu betreten?", fragte er leicht belustigt.
"Nicht direkt", sagte sie, "Ich weiß eigentlich gar nicht, was ich genau erwartet habe."
"Aber nicht das", schloss er und sie nickte.
"Tee oder Wein?", fragte er, als eine kleine Stille eintrat. Hermine dachte kurz darüber nach, entschied sich aber schließlich für Wein. Ein wenig Alkohl würde sicher entspannend wirken. "Ich bin sofort wieder da", sagte er, verließ den Raum durch den Rundbogen. "Sehen Sie sich ruhig um, seien Sie aber mit den Büchern auf den oberen Regalreihen vorsichtig, sie sind recht eigen", rief er ihr im Gehen noch zu. Normalerweise sah es ihm nicht ähnlich jemandem zu erlauben sich umzusehen und natürlich hätte er die Gläser auch herbeirufen können, aber er musste sich einen Moment sammeln und er hoffte, wenn sie beschäftigt wäre, würde sie es nicht merken, wenn er etwas länger als nötig dafür brauchen würde. Sie so in seinen Räumen zu sehen, kam den Träumen einfach zu nah, ließ zu viele Bilder durch seinen Kopf schießen, bei denen er es nicht schaffte, sie mit Okklumentik nach hinten zu drängen.
Hermine ging unterdessen die Reihen seiner Regale ab, besah sich einige der Titel, fasste aber nichts an. Zum einen weil sie keinen Fluch riskieren wollte und zum anderen, weil er es sicher, trotz seiner Aufforderung sich umzusehen, nicht gutheißen würde. Dann trat sie an den Sofatisch heran, besah sich das aufgeschlagene Buch, versuchte aus der aufgeschlagenen Seite zu ergründen, was er gerade las. Sie war überrascht, als sie es tatsächlich erkannte. Er las Dantes göttliche Komödie. Dieses Buch hatte sie nicht erwartet. Dass er sich für Dantes Darstellung der Hölle interessieren würde, das fand sie nicht so abwegig. Es war eine durchaus sehr eindrucksvolle Schilderung. Der Weg durch die neun Kreise der Hölle und das anschließende Fegefeuer, bis der Weg ihn schließlich zum Paradies führte. Und dann an dessen Pforten die Wiedervereinigung mit seiner verlorenen Jugenliebe Beatrice, die ihn ins Paradies geleitet. Die Liebe, die dort beschrieben wurde, auch wenn sie nicht explizit auf sie gemünzt war, sondern auf das Gefühl das er hat, als er Gott erblickt und Frieden findet, war so ergreifend und hatte sie, als sie es gelesen hatte, sehr bewegt. Das war es, was sie überraschte und sie fragte sich, ob sie jemals erfahren würde, was dieses Buch für ihn persönlich bedeutete. Ob er sich in all den schrecklichen Jahren wohl auch fühlte als würde er die neun Kreise der Hölle durchschreiten, immer mit der Hoffnung auf inneren Frieden. Wie sehr hatte ihn das alles wohl noch heute geprägt? Wo befand er sich auf seiner Reise, noch im Fegefeuer oder bereits am Fuße des Paradieses? Das hatte sie sich bereits vor einigen Tagen gefragt, als dieser Satz in ihren Träumen auftauchte. Der Gedanke an diesen Traum ließ ihre Hände feucht werden und ihr Herz flattern.
"L'amor che move il sole e l'altre stelle", murmelte sie das berühmte Zitat vor sich hin, als Snape mit zwei Gläsern Rotwein wieder den Raum betrat. Als er sie das sagen hörte, blieb er aber wie angewurzelt stehen.

"Liebe, die die Sonne und andere Sterne bewegt", sagte die Frau in seinen Armen. Sie lagen gemeinsam im Bett, die Körper nur von einem dünnen Laken verhüllt. Sie hob den Blick, sah ihn lächelnd an, das Gesicht von ihren wilden Locken eingerahmt. In diesem Moment kam sie ihm wie das schönte Wesen auf Erden vor, wie ein Engel. "Was meinst du?", fragte er, hatte sie das doch völlig aus dem Nichts gesagt, nachdem sie nun schon eine kleine Ewigkeit ineinander verschlungen dagelegen hatten und nur die Anwesenheit des anderen genossen. "Es ist ein Zitat von Dante Aligheri", erklärte sie, "Aus seiner Göttlichen Komödie, genauer gesagt aus dem letzten Buch Paradiso. Am Ende seiner Läuterungsreise erblickt er Gottes Antlitz im Paradies. Dieses Gefühl, was er empfindet, diese Liebe, ich musste gerade daran denken. Ich kann sie nun nachempfinden, aber nicht für Gott.." Ihr Blick war so warm, so intensiv, das es sein Herz anschwellen ließ. Sein ganzer Körper fühlte sich zittrig an, so erfüllt von grenzenloser Liebe für die Frau neben ihm, dass er dachte er müsste zerspringen.
"Eine Liebe, die so stark ist, dass sie es vermag, selbst die Sonne und die Sterne zu bewegen.. Das ist es, was ich für dich empfinde. Severus, ich liebe dich."

Und plötzlich war er wieder in der Wirklichleit, vor ihm die echte Hermine Granger, nicht die Frau aus seinen Träumen, dennoch hatte sie gerade die gleichen Worte gesagt. Nur wegen dieser Frau aus seinen Träumen hatte er sich das Buch überhaupt besorgt. Und jetzt kannte sie es ebenfalls? Sprach das selbe Zitat aus, das er zuvor noch nie gehört hatte. Wie groß war die Wahrscheinlichkeit dafür? Er fand es ja schon damals seltsam von etwas zu träumen, das nicht in Bereich seines Wissens lag. So funktionierten Träume nicht, sie konnten einem kein Wissen vermitteln, das man selbst nicht besaß. Es hatte ihn stutzig gemacht und er hatte sich gefragt, ob dieses Wissen nicht doch irgendwo dunkel in seinem Hinterkopf gelauert hatte und er es durch die Lektüre zutage fördern könnte und dadurch auch ergründen könnte, woher es in dem Moment kam. Denn es wiederstrebte ihm, an irgendeine höhere Bedeutung und Macht zu glauben, die ihm diese Träume sandte, wie Willow es einmal angedeutet hatte. Aber was bedeutete es nun, dass die gleiche Frau ihm im Traum und der Realität das gleiche Zitat präsentierte? Auch wenn Granger ihn noch nicht bemerkt hatte und daher noch nicht wusste, das er es gehört hatte. Aber in diesem Moment entdeckte sie ihn in der Tür stehend und sie musternd. Ein verlegener Ausdruck trat auf ihr Gesicht und sie ging ihm entgegen. War es ihr unangenehm, dass er sie dabei gesehen hatte, wie sie sich sein Buch genauer ansah? Das müsste sie eigentlich nicht, immerhin hatte er sie dazu aufgefordert sich umzusehen, um von seiner Verfassung abzulenken, die nun, nachdem er sich eigentlich wieder gesammelt hatte nun wieder ins andere Extrem umschlug. Das Gefühl das ihn erfasste, konnte er nicht in Worte fassen, aber es machte ihn seltsam befangen, was er nicht von sich gewohnt war. Sie nahm ihm ein Glas ab und bedankte sich höflich, prostete ihm leicht zu und nahm einen Schluck. Mechanisch tat er es ihr nach, immerhin wollte er nicht weiter wie eine Statue dastehen, die seiner Worte beraubt war.
"Sie haben eine beeindruckende Sammlung", sagte Hermine das Erstbeste, das ihr einfiel und versuchte weiterhin ihren Puls auf ein normales Level hinunterzubringen. Hatte sie doch noch gezweifelt, dass diese Träume irgendwie doch eine Bedeutung haben sollten, so abwegig es auch war daran zu glauben, dass irgendein mystisches Wesen in der Gestalt eines lange verstorbenen Barkeepers ihr diese Träume bescherte, so konnte sie nicht leugnen, dass das ein etwas zu großer Zufall war um eben nur das zu sein - ein Zufall. Die Zeichen häuften sich und es war gruselig darüber nachzudenken. Ihr analytisches, logisches Wesen wehrte sich dagegen, das tatsächlich zu glauben und darüber nachzudenken, was es bedeutete wenn es kein Zufall war. Der Gedanke daran ließ sie schwindeln und verwirrt zurück. Sie wollte diese Verwirrung nicht, hatte sie sich doch eine wunderbare Erklärung zurechtgelegt und am Samstag ein Date mit einem wunderbaren Mann. Warum nur flatterte dann ihr Herz, wenn sie an Snape dachte? Sie waren wie Sonne und Mond, so verschieden und sie kannten sich doch in Wirklichkeit nicht einmal. Auch wenn dieses Treffen das ändern sollte, aber dennoch, sie mochte nicht ihn, sie mochte das Bild aus ihren Träumen und das war unvernünftig. Man konnte einen Traum nicht lieben und es war nicht möglich einen Traum in die Realität zu holen. Ihr Kopf wusste das, warum musste ihr Herz sich dann quer stellen. "Ich habe mich schon als Kind lieber in Bücher geflüchtet und dort nach Wissen und Erkenntnis gesucht", hörte sie Snape leise antworten, seine Stimme war weniger fest als sie es gewohnt war, weniger geradlinig, weniger bestimmend. Es klang, als wäre er weit weg in Gedanken und sie vermutete, dass er ihr so viel Einblick gar nicht gewähren wollte. Es sagte ihr, dass er ein sehr in sich gekehrtes Kind gewesen sein musste, ebenso wie sie selbst es war. Aber im Gegensatz zu ihr, so befürchtete sie, hatte er sich tatsächlich in diese Welten geflüchtet um dem eigenen Leben zu entkommen und nicht nur um sich, wie sie es getan hatte, weniger allein zu fühlen. Es entstand eine Stille um sie und sie suchte nach einem Weg ihr zu entkommen, denn die Stille ließ sie und damit auch ihn nur weiter in Gedanken abdriften, aus denen sie drohten nicht mehr hinauszukommen. Ihr Blick wanderte im Zimmer umher und blieb schließlich an einem Muggelschachspiel hängen. Es wirkte selbstgemacht, die Figuren kunstvoll von Hand geschnitzt, wohingegen Zauberschach Figuren immer aus Stein waren und ihre Figuren eine andere Optik aufwiesen. Er war ihrem Blick gefolgt, hatte ihr Interesse gesehen und war dankbar für diesen rettenden Strohhalm, für etwas Unverfängliches, wonach er sie fragen konnte. "Spielen Sie?", fragte er.
"Eher schlecht als recht, aber ja. Nachdem wir im ersten Jahr durch die Falltür sind, war ich am Schachbrett total aufgeschmissen, wäre Ron nicht dabei gewesen, wären wir dort stecken geblieben", erklärte sie, "Ich habe in den Ferien danach meinen Vater gebeten es mir beizubringen."
Er hielt sich damit zurück anzumerken, dass es womöglich besser gewesen wäre, wenn sie ab dort nicht weiter gekommen wären, immerhin war Albus' Sicherung ausgefuchst genug gewesen, sodass Quirrell niemals an den Stein hätte gelangen können. "Warum haben Sie dann nicht Weasley gefragt?", fragte er also stattdessen. "Ich war wohl etwas zu stolz dafür", gab sie zu, "Zudem konnte ich Zauberschach spätestens ab diesem Tag nichts mehr abgewinnen." Er nickte nur. Wenn er an das Bild zurück dachte, das sich ihm geboten hatte, als er sie schließlich dort fand, konnte er das gut verstehen. Weasley war ohne Bewusstsein gewesen und sie hatte weinend neben ihm gekauert, seinen Kopf in ihrem Schoß. Sie hatte Angst gehabt. Das konnte einem wirklich die Lust auf Zauberschach verderben.
"Wer hat es Ihnen beigebracht?", fragte sie, sah ihm nun wieder direkt in die Augen. Er konnte sehen, dass auch sie sich an den Abend und die Angst erinnerte und dass sie davon abgelenkt werden wollte, als sie diese Frage stellte. Er hätte lügen können, aber er wollte heute Abend aus irgendeinem Grund nicht lügen. Auch sie war bisher ehrlich zu ihm gewesen, also wollte er das auch sein, auch wenn er vermutete, dass es womöglich zu viel war, was er damit von sich preis gab. "Auch ich habe es von meinem Vater gelernt", sagte er, "Das Schachspiel haben wir gemeinsam gemacht." Noch immer sah er ihr direkt in die Augen, deswegen blieb ihr ein kleines Zucken in seinen Zügen nicht verborgen. In ihren Träumen hatte er immer dann so reagiert, wenn er etwas ausließ, wenn es etwas gab, was ihm zu schaffen machte.
"Ich vermute, das ist nicht die ganze Geschichte", sagte sie, ohne ihn aber zu drängen, ohne eine Frage zu stellen. Dennoch antwortete er. Zuerst nur mit einem Nicken, dann mit einem Seufzen. Plötzlich fühlte er sich in ihrer Gegenwart nicht mehr angespannt, er fühlte, dass er ihr vertrauen konnte und er hatte keine Ahnung, woher diese Gewissheit plötzlich kam. Mit diesen paar Worten, mit denen sie ihm klar machte, dass sie seine Gefühle erahnte, mit denen sie ihre Beobachtung äußerte, ohne darauf zu bestehen, dass er darüber sprach, hatte sie dieses Gefühl in ihm ausgelöst. Sie war so feinfühlig, so empathisch, sie hatte es gespürt, dass da mehr war. Auch die Hermine in seinen Träumen war so, sie wusste immer was in ihm vorging. "Sie haben recht", gab er zu.
"Sie müssen nicht darüber sprechen", versicherte sie ihm. Das wusste er, dennoch fühlte er sich, als müsste er es aussprechen. Als müsste er mehr sagen. Was machte diese Frau nur mit ihm? War es möglich, dass die Frau aus seinen Träumen ihr ähnlicher war, als er sich immer eingeredet hatte? War es möglich, dass er tatsächlich nur von ihr Träumte, dass sie kein Sinnbild war, sondern real? Sie war ihm plötzlich so nah, er konnte ihr Parfum riechen, wie ein sanfter Frühlingstag und diesmal sah er nicht die Frau aus seinen Träumen, nur sie.
"Es war das einzige, was er mit mir anfangen konnte. Ich war nicht die Art von Sohn, die Fußball spielte, so wie er es sich gewünscht hätte. Generell war ich nicht so, wie er mich gerne gehabt hätte - ich war wohl eine herbe Enttäuschung für ihn", sagte er, "Dieses Schachspiel ist die einzige gute Erinnerung, die ich an ihn habe." Hermine schluckte. Es tat ihr weh das zu hören. Ein Kind sollte von seinen Eltern nur bedingungslose Liebe erfahren, aber das schien hier nicht einmal ansatzweise der Fall gewesen zu sein. So wie er sich ausgedrückt hatte, war da noch mehr vorgefallen als einfach nur Ignoranz. Das erste Mal an diesem Abend dachte sie, dass es die richtige Entscheidung war herzukommen und ihn tatsächlich kennenlernen zu wollen. Es steckte so viel mehr hinter seiner schroffen Art, eine verletzte Seele, die zu mehr fähig war als nur Hass auf die Welt zu spüren. "War es so schlimm, wie ich es mir gerade vorstelle?", fragte sie, bevor sie sich bremsten konnte.
"Schlimmer", sagte er dunkel und dieses eine Wort vermochte es ihr Herz zu brechen und ihrer empathischen Seele fast körperlichen Schmerz zuzufügen. Es ging ihr durch Mark und Bein und die dunkeln Seen seiner Augen wirkten nun so traurig auf sie. Wann hatte sie angefangen so für ihn zu empfinden, dass sie eine solche Information so sehr erschüttern konnte? "Sir, ich-", sie wusste nicht was sie sagen sollte, wusste nicht, was angemessen wäre, was er hören wollte oder nun hören musste. Aber sie brauchte nichts weiter sagen, denn er unterbrach sie dabei, Worte des Bedauerns zu finden. "Severus", sagte er leise und sie spürte seinen Atem leicht auf ihrem Gesicht. Wann waren sie sich so nah gekommen und warum störte sie das nicht? "Was?", fragte sie nur, völlig verwirrt von allen Empfindungen und Gedanken, die gerade durch ihren Kopf und Körper rauschten.
"Nenn mich Severus", wiederholte er seine Bitte und stellte damit klar, dass es sich nicht nur so anfühlte, sondern dass ihre Beziehung sich soeben tatsächlich verändert hatte.

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